Nach längerer Abwesenheit melde ich mich auch mal wieder kurz zu Wort. :winke: Zu den psychischen Belastungen der Soldaten im zweiten Weltkrieg kann ich zwar nichts beitragen, weil ich mich mit dem Thema bislang nicht beschäftigt habe, aber zu den Kriegszitteren im ersten Weltkrieg habe ich seinerzeit meine Abschlussklausur geschrieben und noch ein Fragment einer "Musterlösung" auf einem alten PC gefunden, die ich mir mal im Rahmen meiner Klausurvorbereitung erstellt habe. Faul wie ich bin, kopiere ich die einfach mal hier rein.
1 Einleitung:
Der erste Weltkrieg, der von Historikern oft nach George F. Kennan als die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet wird unterscheidet sich von früheren Kriegen nicht nur durch seine weite geographische Ausdehnung. Es war auch der erste Krieg, der als sog. „totaler Krieg“ in quasi industriellem Maßstab geführt wurde. Dies bedeutet die kriegsbedingte Nutzung aller gesellschaftlichen und ökonomischer Ressourcen und führte zu Belastungen von Soldaten und Zivilbevölkerung in bisher nicht gekanntem Ausmaß.
Welchen körperlichen und psychischen Belastungen vor allem Frontsoldaten ausgesetzt waren, lässt sich feststellen, wenn man ihre Kriegserlebnisse untersucht.
2. Kriegserlebnis und psychische Belastung.
An der Westfront kam der Bewegungskrieg nach dem Abbruch der deutschen Offensive rasch zum Erliegen. Stattdessen entwickelte sich, nachdem die deutschen Soldaten den Befehl erhalten hatten, „sich einzugraben“ der Stellungskrieg, der nicht nur an die militärischen Strategen und Taktiker neue Anforderung stellte, sondern auch an jeden einzelnen Frontsoldaten. Erst die Besonderheiten des Stellungskrieges führten dazu, dass die psychischen Anforderungen an die Soldaten so hoch waren, dass sich Kriegsneurosen in einer bislang nicht bekannten Anzahl ausbilden konnten.
2.1 Quellen zur Erforschung des soldatischen Kriegserlebens
Um das soldatische Kriegserlebnis erforschen zu können, stehen verschiedene Quellen zur Verfügung. Um die medizinisch wissenschaftlichen Aspekte zu ergründen, können die Akten aus Lazaretten und von Behörden, die mit der Beurteilung und ggf. Entschädigung der Kriegsversehrten betraut waren, eingesehen werden.
Das Erleben bzw. die Gefühlswelt der Soldaten selbst kann man z. B. aus Feldpostbriefen ableiten. Dabei ist jedoch einschränkend zu sagen, dass diese grundsätzlich der Zensur unterlagen, was bei der Interpretation berücksichtigt werden muss. Auch ist es denkbar, dass von Kriegsneurosen Betroffene dieses Thema aus naheliegenden Gründen wie Scham etc. nicht thematisierten. Es sind allerdings Feldpostbriefe bekannt, in denen die eigene Nervenerkrankung thematisiert wird, z. B. der des Soldaten Franz Müller vom 21.01.1915, den Ulrich in seiner Dissertation zitiert. Müller schildert, wie er nach dreitägiger Überanstrengung im Schützengraben unter gegnerischem Artillerie-Dauerfeuer sich eine Nervenerkrankung zugezogen habe und nun an Lähmungen der Beine und eines Armes leide und nun „zwischen Stühlen, Tischen und Betten herumkrebsen müsse“.
Viele Soldaten haben nach dem Krieg ihre Erlebnisse literarisch festgehalten bzw. aufgearbeitet. Vereinzelt kann man solchen Büchern auch die besondere Belastung, denen man an der Front ausgesetzt war, entnehmen. Sogar Schilderungen wie Soldaten wahnsinnig werden, tauchen auf. Dies ist umso bemerkenswerter, als diese Bücher meistens aus einer eher patriotischen Sicht heraus verfasst wurden, in der das Thema „Kriegsneurosen“ eigentlich nicht unbedingt zu erwarten wäre. Dass solche „Vorkommnisse“ dennoch erwähnt werden, deutet darauf hin, dass sie einerseits durchaus bekannt waren und andererseits nicht ohne Eindruck auf die Autoren geblieben sein dürften.
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[/FONT] 2.2 Erleben des Stellungskriegs
Für die Soldaten, die 1914 nur mit einem kurzen Feldzug gerechnet hatten, bedeutete der Stellungskrieg nicht nur eine Umstellung, sondern eine ganz neue „Qualität“ an Anforderungen und Belastungen.
Nicht nur, dass die Abwesenheit von Heim und Familie nun, ggf. von kürzeren Heimaturlauben unterbrochen, monate- und sogar jahrelang dauerte, waren die Bedingungen mit denen die Soldaten in den Schützengräber fertig werden mussten, in mehrerer Hinsicht extrem. Die Bedrückung, die in den übermannstiefen Schützengräben geherrscht haben muss lässt sich nur schwer beschreiben, zumal wenn der Aufenthalt dort i. d. R mehrere Tage dauerte, in denen sich die Soldaten in unterirdische Tunnels zurückzogen, welche bis zu 40 m tief und einen Kilometer lang waren, wie z. B. der sog. „Kronprinzentunnel“ am Frontabschnitt „Toter Mann“ vor Verdun. Dort hatten die Truppen zwischen den Angriffen unter schwierigsten hygienischen Bedingungen (Latrinenproblem, Ratten- und Läuseplagen) auszuharren, wobei sie nicht selten feindlichem, bis zu 24-stündigem Trommelfeuer ausgesetzt waren, immer in der Angst, bei einem Tunneleinsturz lebendig begraben zu werden. Gefürchtet waren auch Gasangriffe.
Darüber hinaus wurden die Soldaten mit dem Anblick verstümmelter gefallener oder verwundeter Kameraden konfrontiert und mussten die Hilflosigkeit des Sanitätspersonals erleben, ebenso wie den Mangel an Lebensmitteln und Trinkwasser. Besonders bedrückend muss auch der ohrenbetäubende Lärm gewirkt haben. Artillerie wurde z. B. taktisch oft nicht wegen ihrer verheerenden materiellen Wirkung eingesetzt (die bisweilen auch wegen der gut befestigten Gräben und Unterstände ihre Zerstörungskraft nicht voll entfalten könnte), sondern wegen ihrer demoralisierenden Wirkung auf die gegnerischen Truppen. So seien teilweise extra laut explodierende „Brisanzgeschosse“ eingesetzt worden.
Viele der später an Neurosen erkrankten Soldaten waren auch verschüttet und lebendig begraben worden und nur äußerst knapp dem Tod durch Ersticken entronnen und konnten dieses Erlebnis nicht ausreichend verarbeiten.
2.3 Kriegsneurosen
Es ist nicht verwunderlich, dass viele Soldaten, sowohl auf Seite der Mittelmächte, als auch bei den Alliierten diese Belastungen nicht unbeschadet überstanden.
2.3.1 Schilderungen von Kriegsteilnehmern
Soldaten schilderten, dass sie durch die ständigen Monotonie und das Dauerfeuer jegliches Zeitgefühl verloren hätten. Die Einwirkungen des Dauerfeuers wurden mit der der Wirkung von Seekrankheit oder Narkosemedikamenten verglichen, die zu einem Verlust der Selbstkontrolle führten. Auch sei vielfach das Gefühl, Mitleid empfinden zu können verloren gegangen, was sich dann in erhöhter Brutalität äußerte.
Auch in den oben erwähnten Büchern von Kriegsteilnehmern finden sich teilweise Episoden, in denen beschrieben wird, wie Kameraden wahnsinnig werden. Als Beispiel sei hier das Schicksal des Vizefeldwebels Segmüller erwähnt, das von Ettighofer beschrieben wird: Segmüller verliert nach tage- und wochenlangen Kämpfen am hart umkämpften Frontabschnitt „Toter Mann“ seinen Verstand. Er sieht die Gespenster gefallener und auch anwesender Soldaten, darunter sogar sich selbst am Himmel zwischen all den Leuchtkugeln und Mündungsfeuern kämpfen und leitet daraus seinen baldigen Tod ab. Tatsächlich soll er Tage später „an Gehirnkrämpfen“ verstorben sein. Auch wenn diese Episode in Ettighofers Buch nicht einmal zwei Seiten umfasst, so muss sie, sofern sie sich tatsächlich so abgespielt hat, den Autor tief beeindruckt haben. Immerhin nannte er das Buch nach der Kapitelüberschrift „Gespenster am toten Mann“.
2.3.2 Der Umgang mit dem Phänomen der Kriegsneurosen
Anfangs wurde der Krieg noch als Ursache für die außerordentliche Gesundheit im deutschen Heer angesehen, da dieser die Kräfte für außergewöhnliche Leistungen entfesselt habe und natürlich der Aufenthalt an der frischen Luft an sich gesund sei. Der Krieg galt geradezu als das ideale Heilmittel des „nervösen Zeitalters“, das sozusagen eine Modeerscheinung der Vorkriegszeit war.
Als sich nun die Zahl der Kriegsneurotiker zu häufen begann, deren unkontrolliertes Zittern und Auftreten nicht nur bei der Zivilbevölkerung teilweise für größeres Entsetzen gesorgt haben soll, wie der Anblick von Schwerstverwundeten und Verstümmelten, sondern auch offizielle Stellen vor neue Herausforderungen stellte, war man gezwungen, Lösungswege im Umgang mit diesem Phänomen zu suchen.
Als Ursache wurde durch die Militärärzte zunächst der schwache oder fehlende Wille der Betroffenen ausgemacht. Dies schien insoweit naheliegend, als oftmals gerade jüngere Kriegsfreiwillige als Kriegsneurotiker auffielen, denen eine entsprechende körperliche und seelische Unreife attestiert wurde. So erklärte z. B. der Neurologe und Generaloberarzt Gaupp: „Das waren jugendliche Psychopathen mit oft noch unausgereiftem Körper und halb kindlicher Seele, die für das harte und furchtbare Zerstörungswerk des Krieges nicht geschaffen waren“.
Bedenkt man allerdings, dass gerade die Gruppe der jungen Soldaten, die noch keine Familie zu versorgen hatten oft bevorzugt an der vordersten Front eingesetzt wurden, wo sie am intensivsten den Einwirkungen des Krieges ausgesetzt waren, scheint es nicht verwunderlich, dass diese Altersgruppe besonders anfällig für das Auftreten von Kriegsneurosen war.
Des Weiteren konnte man bei der Diskussion der Ursachen für die Neurosen auf Erfahrungen zurückgreifen, die man in Friedenszeiten im Bereich der Sozialversicherung, insbesondere der gesetzlichen Unfallversicherung gemacht hatte. Hier konnten Neurosen entschädigt werden, wenn sie auf äußere Einwirkungen zurückzuführen waren, wobei der Nachweis hierfür i. d. R. durch medizinische Gutachten erbracht werden musste.
Als äußere Ursachen für das Auftreten von Kriegsneurosen wurden vor allem Einwirkungen durch Giftgas sowie die Schall- und Druckwellen von Explosionen ausgemacht. Hier hatte man zumindest greifbare Ereignisse, auch wenn sich körperliche Schäden medizinisch nicht ausmachen ließen. Besonders das Gas war eine neue, noch relativ unerprobte Waffe, so dass sich zumindest gewisse Wahrscheinlichkeiten konstruieren ließen, dass Giftgas die Ursache der Beschwerden sein könnte. Betroffene Soldaten wurden dann als nicht weiter kriegsverwendungsfähig aus der Armee entlassen und berentet. Mit zunehmender Zahl von betroffenen begann man diese Haltung allerdings bald zu überdenken. Nun stand das Ziel im Vordergrund, die Berentungen möglichst einzudämmen, einerseits aus finanziellen Gründen, andererseits, weil die erkrankten Soldaten weiterhin benötigt wurden und deshalb wieder fronttauglich gemacht werden sollten. Die Suche nach der Ursache der Neurosen geriet gegenüber dem Versuch von Therapien in den Hintergrund. Da eine vollständige Heilung zur Wiederherstellung der Fronttauglichkeit nicht unbedingt erforderlich schien, wurde die Ursachenforschung auch als Therapiegrundlage in gewissem Grade entbehrlich. Wichtiger erschien es den Militärärzten, echte Neurotiker von Simulanten zu unterscheiden.
Therapeutisch stand man den Kriegsneurosen eher hilflos gegenüber. Das Ziel, zumindest die zahlreich vermuteten Simulanten wieder dem Kriegsdienst zuzuführen, dürfte bei der Auswahl der Therapieoptionen eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben, denn ein großer Teil der versuchten Therapien war nicht nur unangenehm oder schmerzhaft, sondern sogar gefährlich.
Neben Isolation der Erkrankten, lange andauernden Badekuren und Strafexerzieren wurden vor allem Elektroschocks als therapeutische Mittel eingesetzt, wobei Offiziere gegenüber den Mannschaften eine weitaus bessere und persönlichere Betreuung in gesonderten Einrichtungen genossen und auch von den schlimmsten Therapien verschont geblieben sein dürften.
So, wen das abrupte Ende wundert; an dieser Stelle kam in der echten Klausur noch ein Fazit, das ich je nach Fragestellung und Schwerpunkt behandeln wollte. Was ich tatsächlich geschrieben habe, weiß ich nicht mehr, aber man war ganz zufrieden mit mir...
Viele Grüße
Bernd
P. S. Wer sich für meine damalige Literatur zum Thema interessiert, das war sie:
[FONT="]Berghahn, Volker: Der erste Weltkrieg. München, Verlag C. H. Beck, 2006[/FONT]
[FONT="]Chickering, Roger: Das deutsche Reich und der erste Weltkrieg. München, Verlag C. H. Beck, 2002[/FONT]
[FONT="]Eckart, Wolfgang: Die Medizin und der erste Weltkrieg. Pfaffenweiler, Centaurus-Verl.-Ges., 1996[/FONT]
[FONT="]Eckart, Wolfgang: Wenn die Seele das Herz quält. Nervöse Herzklopfer, Erster Weltkrieg und die Popularisierung der Herzneurose, in: Deutsche Medizinische Wochenschrift 2003, Heft 128, S. 2155-2158[/FONT]
[FONT="]Ettighofer, Paul "Gespenster am Toten Mann". Gütersloh, Verlag C. Bertelsmann, 1937[/FONT]
[FONT="]Glaser, Georg K.: Geheimnis und Gewalt. Basel u. a., Stroemfeld u. a., 1989[/FONT]
[FONT="]Hirschfeld, Gerhard; Krumeich, Gerd; Renz, Irina u. a.: Enzyklopädie Erster Weltkrieg 2. Auflage, 2004[/FONT]
[FONT="]Hofstätter, Peter: Deutsche Wehrmachtspsychologie. München, Verlag für Wehrwissenschaften, 1985[/FONT]
[FONT="]Leese, Peter: Shell Shock: Traumatic Neurosis and the British Soldiers of the First World War[/FONT][FONT="], Palgrave Macmillan, 2002[/FONT]
[FONT="]Menke, Josef: Ohne Waffe. Das Kriegserlebnis eines Priesters, Paderborn, Verlag Ferdinand Schöningh, 1930[/FONT]
[FONT="]Pintschovius, Karl: Die seelische Widerstandskraft im Kriege, Berlin, Hugo, 1942[/FONT][FONT="]
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[FONT="]Schaffellner, Barbara: Unvernunft und Kriegsmoral am Beispiel der Kriegsneurose im ersten Weltkrieg, Münster, 2005 [/FONT]
[FONT="]Seldte, Franz: Fronterlebnis. Leipzig, Verlag K. F. Köhler, 1930[/FONT]
[FONT="]Shephard, Ben: A War of Nerves. Soldiers and Psyciatrists in the twentieth Century. Cambridge, Mass., Harvard Univ. Press, 2001[/FONT]
[FONT="]Ulrich, Bernd: „Kriegszitterer“. Mobilmachung der Seelen: Eine kurze Geschichte der deutschen Militärpsychiatrie, in: Die Zeit. 17/1997:
"Kriegszitterer" | Literaturbeilage/politisches buch | ZEIT ONLINE[/FONT]