Rache 1945

Soweit es das Reichsgebiet betraf, wären noch die so genannten "Todesmärsche" 1945 zu erwähnen, beispielsweise bei der Auflösung der Lager im Harz, aber auch sonstwo. Hierbei blieben häufig die nicht mehr gehfähigen Gefangenen in den Lagern zurück, die übrigen wurden mit hohen Todesraten in die Märsche geschickt.
Todesmarsch ? Wikipedia


Von der verlinkten "Eckerwaldseite"
EVAKUIERUNG DER LAGER („Todesmarsch“)

[FONT=Arial, sans-serif]Erster April 1945: Französische Truppen überschreiten bei Kehl den Rhein und besetzen in den folgenden drei Wochen den Schwarzwald.
Bereits im März 1945 werden in den WÜSTE-Lagern Evakuierungstransporte in andere KZs zusammengestellt, vor allem nach Dachau und Bergen Belsen. Der letzte dieser Transporte mit 12 Waggons bringt am 14. April Häftlinge aus den Lagern Bisingen und Dautmergen nach Dachau.
Am 17. und 18. April werden Häftlingskolonnen auf den Evakuierungsmarsch („Todesmarsch“) in Richtung Bodensee in Gang gesetzt. Marschiert wird nachts, tagsüber lagern sie in Wäldern. Bei völlig unzureichendem Proviant wird dieser Marsch zu einer letzten Tortur. Wenn ein Häftling vor lauter Schwäche nicht mehr kann, bleiben zwei SS-Männer mit ihm zurück und erschießen ihn.
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marsch.jpg



[FONT=Arial, sans-serif]Nach Überlingen, wo sich ein Außenlager von Dachau befindet, kommen sie nicht mehr durch. So ändert man die Richtung und marschiert ostwärts. Einen oder zwei Tage später enden die Märsche an verschiedenen Orten Oberschwabens: Ostrach, Saulgau, Altshausen. Die Front war so nahe herangerückt, dass die Wachmannschaften es vorziehen, sich aus dem Staub zu machen. So waren die Häftlinge endlich frei, am 22. und 23. April.
Die Besatzung des Lagers Schömberg mit 615 Häftlingen allerdings wird in einem kaum vorstellbaren Gewaltmarsch von mehr als 300 Kilometern innerhalb von acht Tagen bis an die deutsch-österreichische Grenze in Scharnitz (Tirol) getrieben.
Ein ziemlich genauer Bericht über den Marsch von Schörzingen nach Ostrach liegt von Julien Hagenbourger vor, dem ehemaligen Lagerschreiber von Schörzingen. Er beschreibt vier Tagesetappen (in Wirklichkeit waren es Nachtetappen):
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[FONT=Arial, sans-serif]Am ersten Tag, am 18./19. April 1945, von Schörzingen bis auf die Anhöhe bei Beuron.
Am 19./20. April, bis in die Nähe von Gaisweiler bei Pfullendorf.
Am 20./21. April, bis in die Nähe von Owingen.
Am 21./22. April, Richtungsänderung, Marsch bis Ostrach. Dort fand am Nachmittag des 22. April ein letzter, schikanöser Zählappell statt. Danach machte sich die SS davon.
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Am 24. April bereits kommen befreite Häftlinge zurück, und beginnen mit dem "Aufbau" des Rache-KZs in Dormettingen.
 
Am 24. April bereits kommen befreite Häftlinge zurück, und beginnen mit dem "Aufbau" des Rache-KZs in Dormettingen.

Bei vielen anderen Lagern und Märschen gab es eben keine Rückkehrer - so im Falle der zahlreichen Arbeitslager im Harz, zT Außenlager Buchenwald und Dora-Mittelbau etc. (entweder wegen der inzwischen zurückgelegten Entfernung, oder weil man die entkräfteten Menschen zunächst versorgte).
Die ohnehin minimale Versorgung war in vielen Lagern wegen der Kriegslage seit Wochen zusammengebrochen.

In diesem Kontext würde ich vermuten, dass es sich bei Racheakten eher um Einzelfälle handelte. Für die zT zahlenmäßig großen "Harzlager" - deren Ende im März und April 1945 liegt, ist mir kein Fall bekannt (was natürlich nichts heißen soll und Einzelfälle nicht ausschließt).
 
In diesem Kontext würde ich vermuten, dass es sich bei Racheakten eher um Einzelfälle handelte. Für die zT zahlenmäßig großen "Harzlager" - deren Ende im März und April 1945 liegt, ist mir kein Fall bekannt (was natürlich nichts heißen soll und Einzelfälle nicht ausschließt).

Die Gemengelage in Dormettingen ist schon eigenartig.
Die eigentlichen Peiniger waren natürlich stiften gegangen.
Was noch da war, OT-Leute und ein paar zivile Angestellte der SS-Firmen.
Die "Rächer" haben sich ja dann auch, insbesondere bei der Aktion am Pfingstmontag, die regionalen Nazi-Größen geschnappt, die in der Regel mit den Lagern nichts weiter zu tun hatten.
Auch manche persönliche Rechnung in den Orten ringsum wurde da wohl beglichen.
 
Bei einem Sonntagsspaziergang mit meinen Eltern Anfangs der 60er trafen wir eine ältere Dame, die meinen Eltern anscheinend bekannt war, man unterhielt sich eine Weile.
Plötzlich brach die Frau in Tränen aus "wenn ich daran denke, dass mein Mann auch noch leben könnte"

Ihr Mann (gleichaltrig mit meinem Vater) war 1945 Ortsgruppenleiter und hat das Dormettinger Rache-KZ nicht überlebt.

Meine Eltern waren überaus unangenehm berührt, und man hat schnell das Weite gesucht.
Das spätere "Statement" meiner Mutter
"der wurde doch nur Ortsgruppenleiter weil er nicht in den Krieg wollte - glaubt die denn, die 7 Jahre allein und jeden Tag Angst waren leicht?"
 
Im August 1945 hat die Besatzungsmacht das wilde KZ aufgelöst, die Inhaftierten in ein neu eingerichtetes Internierungslager in Balingen überführt.

Die Behandlung der Internierten war Anfangs auch dort, nach Aussage einer 2008er Publikation des Landkreises "nicht korrekt".

Das Lager wurde 1948 in deutsche Obhut übergeben. Prominentester Häftling: der frühere NS-Ministerpräsident Mergenthaler. Der im letzten Entnazifizierungsverfahren dort, zu 3 Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wurde.
 
Bei einem Sonntagsspaziergang mit meinen Eltern Anfangs der 60er trafen wir eine ältere Dame, die meinen Eltern anscheinend bekannt war, man unterhielt sich eine Weile.
Plötzlich brach die Frau in Tränen aus "wenn ich daran denke, dass mein Mann auch noch leben könnte"

Ihr Mann (gleichaltrig mit meinem Vater) war 1945 Ortsgruppenleiter und hat das Dormettinger Rache-KZ nicht überlebt.

Meine Eltern waren überaus unangenehm berührt, und man hat schnell das Weite gesucht.
Das spätere "Statement" meiner Mutter
"der wurde doch nur Ortsgruppenleiter weil er nicht in den Krieg wollte - glaubt die denn, die 7 Jahre allein und jeden Tag Angst waren leicht?"


Vielleicht wurde meine Intention diesen Beitrag zu schreiben nicht so deutlich.

Bei aller persönlichen Härte und Grausamkeit des Einzelschicksals.
Der Nachbar Eisenwarenhändler hatte 3 Söhne, 1943/44/45 gefallen. Hat er auf Haushaltswaren umgestellt, und die Klitsche der Tochter hinterlassen.

Es war nichts besonderes,
auch Mord und Tod können profan werden.
Und man muss weiterleben.

Dieser Punkt muss bei der Betrachtung der "verfluchten 12 Jahre" auch beachtet werden, gehört auch zur Zeitgeschichte.
 
Es war nichts besonderes,
auch Mord und Tod können profan werden.
Und man muss weiterleben.

Dieser Punkt muss bei der Betrachtung der "verfluchten 12 Jahre" auch beachtet werden, gehört auch zur Zeitgeschichte.

Also, Deine Beweggründe kamen schon rüber: Wenn die Menschen anfangen zu sterben wie die Fliegen, dann wird dies einfach alltäglich, vor allem wenn man dieses Sterben als Schicksal empfindet und man es ohnehin nicht abwenden kann.
Man wird dann nicht nur pragmatisch sondern verliert auch jegliches Mitleid. Zumindest versteckt man es ganz tief vor sich selber. Es wird nur noch abgehakt.
Was einem bis zum Schluss bleibt ist das Trauma.
Im Großen dann traumatisierte Nationen.
 
Also, Deine Beweggründe kamen schon rüber: Wenn die Menschen anfangen zu sterben wie die Fliegen, dann wird dies einfach alltäglich, vor allem wenn man dieses Sterben als Schicksal empfindet und man es ohnehin nicht abwenden kann.
Man wird dann nicht nur pragmatisch sondern verliert auch jegliches Mitleid.

Nein.
Man empfand es als ungehörig, mit seinem eigenen Schicksal hausieren zu gehen.
Schließlich hatte es ja "alle" getroffen. Schwer getroffen.

Ich kann mich erinnern, wie einmal Manfred Rommel, der Sohn des Feldmarschalls, nach einer Autorenlesung von einem Journalisten auf sein "besonders schweres Schicksal" angesprochen, dies Rundweg verneinte.
In seiner Generation wäre das absolut nichts besonderes.
 
Ich 'kenne' diese Zeit nur aus Erzählungen, z.B. von meinen Großeltern. Jeder, der mir davon erzählte, hatte seine ganz eigene Geschichte (Vertreibung, Flucht, Kriegsgefangenschaft, Folter und Vergewaltigung) aber jeder hat sie in gewisser Hinsicht auf die selbe Art und Weise erzählt:
Das wirklich Schlimme, das tatsächlich erlittene Grauen wurde beinahe beiläufig, oft auch auf eigentümlich abgeklärte, unbeteiligte Weise erzählt. Viel wichtiger schienen in den Erinnerungen die Geschichten zu sein, in denen es darum ging, wie man dem Tod ein Schnippchen schlagen konnte - Kohle und Kartoffeln klauen, Soldaten bestechen, Freunden und Nachbarn helfen, usw.

Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass es ab einem gewissen Punkt bei der Mehrheit der Menschen tatsächlich nur noch um das nackte Überleben ging und man 'froh' war, wieder einen Tag, eine Woche, einen Monat lebend überstanden zu haben.
"Das Grauen darf man gar nicht so nahe an sich heranlassen, sonst wird man wahnsinnig", sagte mir meine Großmutter einmal. "Besser man vergisst und freut sich, dass man noch lebt."


Um jetzt aber noch den Bogen zum eigentlichen Threadthema zu finden, ich habe mal hier in der Region geschaut.

Es gab hier einen Abzweig der Lufag (Luftgeräte GmbH), in der ab 1944 insgesamt 380 Zwangsarbeiterinnen, hauptsächlich aus dem KZ Flossenbürg und später auch aus Auschwitz arbeiten mussten. Die Frauen kamen in einem "fürchterlich elendsvollen Zustand" hier an, 20 von ihnen mussten erst "aufgepäppelt" werden, damit sie überhaupt arbeiten konnten. Ein Historiker, der dieses Thema 2001 aufgearbeitet hat schrieb dazu:
Die kritische Prüfung der Quellen und der Vergleich mit anderen Außenkommandos, in denen Frauen beschäftigt waren, zeigt jedoch, dass die Verantwortlichen der Lufag sich bemühten, einigermaßen erträgliche Lebensbedingungen herzustellen. Auch die Frauen selbst empfanden XX, im Unterschied zu dem was sie vorher erlebt hatten, als „Sanatorium“. Dennoch wäre es falsch, sich das Außenkommando [...] als friedliche Insel im Schreckensmeer des zusammenbrechenden Dritten Reichs vorzustellen. Das Ziel der SS, an dem die Lufag auf ihre Weise Teil hatte, war nicht die Schonung, sondern Ausbeutung der KZ-Häftlinge, die in der Reihe der Zwangsarbeiter in jeder Hinsicht die unterste Kategorie darstellten.
Als die Franzosen gegen Kriegsende näherrückten, ließ man die Frauen nach Tübingen marschieren. Unterwegs durften sie 2 Tage Rast in einer Scheune machen, dort sind übrigens bis heute ihre Namen in die Bretter eingeritzt.

Im Jahr 1989 wurden 8 der damaligen Zwangsarbeiterinnen ausfindig gemacht und hier her eingeladen. Unter anderem wurden sie auch nach "Rachegedanken" und "Hass auf die ehemaligen Aufseher" befragt. Sie verneinten Rachegedanken. Sie sagten alle übereinstimmend, dass sie wohl nie vergessen und auch nie verzeihen könnten, aber sie hätten auch kein Verlangen nach Rache - nur nach Gerechtigkeit, dort wo dies möglich sei.
 
Ein Historiker, der dieses Thema 2001 aufgearbeitet hat schrieb dazu:

Sie sagten alle übereinstimmend, dass sie wohl nie vergessen und auch nie verzeihen könnten, aber sie hätten auch kein Verlangen nach Rache - nur nach Gerechtigkeit, dort wo dies möglich sei.

Wie komme ich an diese Aufarbeitung?
Gerne per PN

Falls es Dich interessiert:

Der einzige wegen erwiesener Unschuld freigesprochene KZ-Kommandant
 
vielleicht ist Rache aber auch ein zu sehr beanspruchtes Wort, bei dem man automatisch an "Auge um Auge - Zahn um Zahn" denkt.

In meiner Familie gibt es eine Geschichte, wo jemand sich auf stille Weise rächt, aber wohl für sich eine Befriedigung daraus zieht.

Die Familie väterlicher Seite hat es nach Lageraufenthalten in Dänemark nach Baden Württemberg verschlagen. Sie waren in dem kleinen Ort die einzigen Flüchtlinge und wurden übel behandelt.

Von meiner Familie lebt seit sehr langer Zeit keiner mehr in dem Ort. Allerdings wäre meine Tante jemand, mit dem sich der Ort bei Jubiläen gerne schmücken würde, so wird sie regelmäßig eingeladen. Genauso regelmäßig sagt sie ab. Sie bezeichnet das auch tatsächlich als ihre persönliche Rache. (ja, ich weiß, OT)
 
Im Großen dann traumatisierte Nationen.

Irgendwo - ich glaube bei den Assmanns - habe ich gelesen, dass Niederlagen kollektiv stärker erinnert werden, als Erfolge. Dabei wurde auf die Schlacht auf dem Amselfeld verwiesen.

Dass eine Niederlage zugleich auch als Erfolg ausgewiesen wird, ist in der kollektiven Erinnerung jedoch gelinde gesagt eher selten.

Ob mit dieser positiven Seite des angesprochenen Traumas umgegangen werden kann, scheint laut Harald Welzer fraglich: Rez. ZG: H. Welzer u.a.: "Opa war kein Nazi" - H-Soz-u-Kult / Rezensionen / Bücher
 
Ich glaube, da ging meine Intention in das falsche Ohr.
Es war z.B. das Gejammer und das "Asche auf das Haupt", was die nachfolgende Generation ('68er) vermisste. Das waren doch alles Nazis, glaubte die satte Jugend.
Vielleicht intentionieren wir auch aneinander vorbei(?).
Extremes Beispiel sind die Vergewaltigungen in der Zone, die von den Russen befreit wurde. Sicher ist dort kaum eine Frau mit ihrem Schicksal hausieren gegangen. Das hat allerdings wenig mit Rache zu tun.
Meine Großväter (beide) waren in englischer Gefangenschaft und hatten dort nichts auszustehen. Offiziere durften sogar ihre Waffen (wenn auch ohne Munition) behalten.
Der Ort hier wurde '45 besetzt, indem die Engländer vor das Rathaus fuhren und hineingingen.
Der Krieg fand in der Ferne oder oben statt. Bei den Angriffen auf Hamburg flogen die Bomber hier in einem Bogen ab und es regnete regelmäßig Patronenhülsen. Die Straßen waren voll davon. Erst kamen die Ausgebombten, dann die Flüchtlinge aus Ostpreußen. Wirklich Rache gab es hier nicht. Die Nazis traten einfach zurück. Die Briten waren verhältnismäßig entspannt.
Von der Seite meiner Familie, die aus Mecklenburg kommt, habe ich anderes gehört. Die Amerikaner fuhren z.B. den Bürgermeister von Ludwigslust auf der Pritsche eines Lastwagens öffentlich durch die Stadt. Der hat geblutet wie ein Schwein, war der Kommentar. Dann gingen die Amerikaner und die Russen kamen. Die Frauen mussten sich verstecken. Die wurden zu Freiwild, egal ob 14 oder 84.
 
Irgendwo - ich glaube bei den Assmanns - habe ich gelesen, dass Niederlagen kollektiv stärker erinnert werden, als Erfolge. Dabei wurde auf die Schlacht auf dem Amselfeld verwiesen.

Dass eine Niederlage zugleich auch als Erfolg ausgewiesen wird, ist in der kollektiven Erinnerung jedoch gelinde gesagt eher selten.

Ob mit dieser positiven Seite des angesprochenen Traumas umgegangen werden kann, scheint laut Harald Welzer fraglich: Rez. ZG: H. Welzer u.a.: "Opa war kein Nazi" - H-Soz-u-Kult / Rezensionen / Bücher
Bei den Deutschen kam '45 hinzu, dass man, bis auf die wirklichen Nazis, ein schlechtes Gewissen hatte. Man wusste eigentlich, dass man es verdient hatte.
In dem Film "Kolberg" von Veit Harlan (Jud Süß, Opfergang), 1945, legte man Scharnhorst die Worte in den Mund "Wehe, wenn wir diesen Krieg verlieren".
 
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