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[…]
Die Anklage lautete auf:
Irmy stellte den Antrag, weitere Juristen hinzuziehen zu dürfen, dem auch stattgegeben wurde. Sie erarbeiteten eine Erwiderung:
Das Plädoyer war so wirkungsvoll, dass Iselin erwog, die Klage zurückziehen. Es folgte ein juristisches Tauziehen, in dem Irmy die Zulässigkeit von Hagenbachs Geständnis anzweifelte, da es unter Einsatz von Folter erlangt worden sei—worauf die Anklage erwiderte, Hagenbach sei im Moment seines Geständnisses gar nicht gefoltert worden. Das Gericht war offenbar nicht bereit, sich dieser Deutung anzuschließen, sodass die Anklage sogar darauf verfiel, Hagenbach Majestätsbeleidigung vorzuwerfen: Seine Amtsführung sei offenkundig auf Unrecht gestützt gewesen, und wenn er sich darauf berufe, dieses Unrecht sei von Herzog und Kaiser gedeckt gewesen, so unterstelle er ihnen, willentlich Recht gebrochen zu haben.
Irmy beantragte daraufhin eine Vertagung des Gerichts und stellte den bemerkenswerten Antrag, Karl den Kühnen um eine schriftliche Erklärung zu bitten, ob Hagenbach befehlsgemäß gehandelt habe oder nicht. Dieser Antrag wurde lange beraten und abschlägig beschieden, mit einem historischen Argument: Selbst wenn Hagenbach derartige Befehle erhalten haben sollte, hätte er das offenkundige Unrecht erkennen müssen. Als Beweismittel dienten sein Geständnis und Zeugenaussagen von Breisacher Bürgern.
Peter von Hagenbach wurde nach langwieriger Beratung für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Daraufhin wurde ihm symbolisch der Ritterstand aberkannt, indem Sigismunds Herold seinen Schild zerbrechen und ihn mit seinem Panzerhandschuh ohrfeigen ließ. Hagenbach bat um die Gnade, durch das Schwert zu sterben, die ihm auch gewährt wurde. Seine letzten Worte waren ebenso interessant wie vorausschauend:
"Ich sorge mich nicht um mein Leben; oft genug habe ich es auf dem Schlachtfeld riskiert. Aber ich beklage das Blut so manchen ehrlichen Mannes, das noch meinetwegen vergossen werden wird. Denn mein ehrwürdiger Herr, der Herzog von Burgund, wird diese Tat nicht ungerächt lassen. Ich bereue weder das Ende meines Lebens noch meines Leibes; ich bitte euch nur darum, mir zu vergeben, was ich getan habe, weswegen ich verurteilt wurde, und noch so manche schlimme Tat mehr. Jene von euch, deren Landvogt ich vier Jahre lang sein durfte, bitte vergebt mir, was ich durch Uneinsichtigkeit oder Bosheit getan habe. Ich bin nur ein Mensch. Betet für mich."
Tatsächlich war Karl der Kühne außer sich vor Zorn. Drei Monate später fiel Peters Bruder Stephan mit 6.000 Burgundern in den Vorlanden ein und verwüstete systematisch die Ländereien, die sich Hagenbach widersetzt hatten. Diese Ausschreitungen waren einer der Auslöser der Burgunderkriege. Peter von Hagenbach jedoch lebte in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung als Monster und Perverser weiter.
Obwohl die meisten Berichte von seinen Gegnern verfasst wurden und im Kontext der Burgunderkriege die Verurteilung Hagenbachs zweifellos stark politisch beeinflusst war, erhielten diese Berichte dadurch an Gewicht, dass burgundische und französische Chronisten wie Philippe de Commynes sich von Hagenbach distanzierten. Bis ins 19. Jahrhundert blieb seine Rezeption ausgesprochen negativ. Noch Henri Martin schrieb in seiner 1833 begonnenen 'Histoire de France', dass Mord und Vergewaltigung Hagenbachs "liebster Zeitvertreib" gewesen seien. Erst in der jüngeren Vergangenheit wird er differenzierter betrachtet.
Die Historikerin Hildburg Brauer-Gramm stellte ihm 1957 in 'Der Landvogt Peter von Hagenbach: die burgundische Herrschaft am Oberrhein 1469—1474' ein gemischtes Zeugnis aus, kein Monster sei er gewesen, habe aber durchaus tyrannische Züge gehabt. 1972 urteilte ihr englischer Kollege Peter Vaughan in seiner Studie 'Charles the Bold: The Last Valois Duke of Burgundy', dass Hagenbach ein "visionärer Reformer" gewesen sei. Alle Bewertungen, die in meiner Quelle zitiert werden, scheinen sich aber einig, dass, selbst wenn die Vorwürfe gegen Hagenbach unberechtigt oder politisch überzeichnet gewesen sein sollten, er ein brutaler, eventuell sexuell sadistischer Mann ohne diplomatische Fähigkeiten war, der seinen Sturz selbst herbeigeführt hat.
In der Völkerrechtslehre wird sein Prozess meist als der erste Kriegsverbrecherprozess der Geschichte genannt—was nicht zutrifft, da die Anklage gerade darauf abstellte, dass in den Pfandlanden Frieden herrschte, und Burgund (noch) nicht im Kriegszustand war. Dennoch wurden heute anerkannte Rechtsgrundsätze formuliert: Dass sich nicht auf Befehle berufen kann, wer krasses Unrecht begeht; dass Vorgesetzte für die Taten ihrer Untergebenen zur Verantwortung gezogen werden können; dass nationale Souveränität nicht der Verurteilung schwersten Unrechts entgegenstehen darf; und dass sexuelle Gewalt ein Mittel der Machtausübung oder Kriegswaffe sein kann und entsprechend zu bestrafen ist.
Es erscheint merkwürdig, dass dieser revolutionäre Urteilsspruch, trotz des lauten zeitgenössischen Echos, lange keine weitere Wirkung entfaltete.
Erst im Wilhelmstraßen-Prozess 1949 zitierte der amerikanische Ankläger Telford Taylor den Hagenbach-Prozess gegen einen Versuch der Verteidigung, die Zuständigkeit des alliierten Gerichts anzuzweifeln und die unzulässige rückwirkende Anwendung von Gesetzen zu behaupten. Seitdem gilt der Hagenbach-Fall als Geburtsstunde des humanitären Völkerrechts. Interessanterweise widmet sich die Juristerei bis heute kaum dem Aspekt, dass zumindest Ansatzpunkte bestehen, in Peter von Hagenbach ein Opfer eines Fehlurteils zu erblicken.
Verwendete Quellen
Die Anklage lautete auf:
- Mord an vier Thanner Bürgern im Jahr 1473, die Hagenbach wegen Aufbegehrens gegen neue Abgaben hatte hinrichten lassen;
- Meineid, da er durch Rechtsbeugung, Plünderung und verschiedenste Gewalttaten seinen Amtseid als Landvogt gebrochen habe, die Gesetze und Statuten der Stadt Breisach zu achten;
- Verschwörung zum Mord, da er gestanden hatte, er habe vorgehabt, die Bürger von Breisach aus der Stadt zu jagen und alle, die sich zu gehen weigerten, umzubringen;
- Vergewaltigung von Nonnen und von verheirateten und ledigen Frauen.
Irmy stellte den Antrag, weitere Juristen hinzuziehen zu dürfen, dem auch stattgegeben wurde. Sie erarbeiteten eine Erwiderung:
- Die Thanner Bürger hätten sich gegen ihren rechtmäßigen Herrn Karl von Burgund erhoben und seien reichsrechtlich korrekt, mit Billigung durch Kaiser Friedrich III., hingerichtet worden.
- Hagenbach habe keinen Meineid begangen, denn die Breisacher hätten nach seiner Amtsübernahme Karl den Lehnseid geleistet. Er, Hagenbach, habe gemäß burgundischem Recht und den Anweisungen des Landesherrn gehandelt.
- Auf die Anschuldigung der Verschwörung gegen Breisach scheint Hagenbach nichts erwidert zu haben. Sein Verhalten in Breisach, nachdem er dort Quartier genommen hatte, habe jedoch den Anweisungen des Herzogs entsprochen.
- Auf den Anklagepunkt der Vergewaltigung erwiderte Hagenbach, wenn er in dieser Sache schuldig sei, seien es seine Ankläger ebenso. Die als Geschädigte genannten Frauen hätten aus freien Stücken oder gegen Entgelt mit ihm verkehrt.
Das Plädoyer war so wirkungsvoll, dass Iselin erwog, die Klage zurückziehen. Es folgte ein juristisches Tauziehen, in dem Irmy die Zulässigkeit von Hagenbachs Geständnis anzweifelte, da es unter Einsatz von Folter erlangt worden sei—worauf die Anklage erwiderte, Hagenbach sei im Moment seines Geständnisses gar nicht gefoltert worden. Das Gericht war offenbar nicht bereit, sich dieser Deutung anzuschließen, sodass die Anklage sogar darauf verfiel, Hagenbach Majestätsbeleidigung vorzuwerfen: Seine Amtsführung sei offenkundig auf Unrecht gestützt gewesen, und wenn er sich darauf berufe, dieses Unrecht sei von Herzog und Kaiser gedeckt gewesen, so unterstelle er ihnen, willentlich Recht gebrochen zu haben.
Irmy beantragte daraufhin eine Vertagung des Gerichts und stellte den bemerkenswerten Antrag, Karl den Kühnen um eine schriftliche Erklärung zu bitten, ob Hagenbach befehlsgemäß gehandelt habe oder nicht. Dieser Antrag wurde lange beraten und abschlägig beschieden, mit einem historischen Argument: Selbst wenn Hagenbach derartige Befehle erhalten haben sollte, hätte er das offenkundige Unrecht erkennen müssen. Als Beweismittel dienten sein Geständnis und Zeugenaussagen von Breisacher Bürgern.
Peter von Hagenbach wurde nach langwieriger Beratung für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Daraufhin wurde ihm symbolisch der Ritterstand aberkannt, indem Sigismunds Herold seinen Schild zerbrechen und ihn mit seinem Panzerhandschuh ohrfeigen ließ. Hagenbach bat um die Gnade, durch das Schwert zu sterben, die ihm auch gewährt wurde. Seine letzten Worte waren ebenso interessant wie vorausschauend:
"Ich sorge mich nicht um mein Leben; oft genug habe ich es auf dem Schlachtfeld riskiert. Aber ich beklage das Blut so manchen ehrlichen Mannes, das noch meinetwegen vergossen werden wird. Denn mein ehrwürdiger Herr, der Herzog von Burgund, wird diese Tat nicht ungerächt lassen. Ich bereue weder das Ende meines Lebens noch meines Leibes; ich bitte euch nur darum, mir zu vergeben, was ich getan habe, weswegen ich verurteilt wurde, und noch so manche schlimme Tat mehr. Jene von euch, deren Landvogt ich vier Jahre lang sein durfte, bitte vergebt mir, was ich durch Uneinsichtigkeit oder Bosheit getan habe. Ich bin nur ein Mensch. Betet für mich."
Tatsächlich war Karl der Kühne außer sich vor Zorn. Drei Monate später fiel Peters Bruder Stephan mit 6.000 Burgundern in den Vorlanden ein und verwüstete systematisch die Ländereien, die sich Hagenbach widersetzt hatten. Diese Ausschreitungen waren einer der Auslöser der Burgunderkriege. Peter von Hagenbach jedoch lebte in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung als Monster und Perverser weiter.
Obwohl die meisten Berichte von seinen Gegnern verfasst wurden und im Kontext der Burgunderkriege die Verurteilung Hagenbachs zweifellos stark politisch beeinflusst war, erhielten diese Berichte dadurch an Gewicht, dass burgundische und französische Chronisten wie Philippe de Commynes sich von Hagenbach distanzierten. Bis ins 19. Jahrhundert blieb seine Rezeption ausgesprochen negativ. Noch Henri Martin schrieb in seiner 1833 begonnenen 'Histoire de France', dass Mord und Vergewaltigung Hagenbachs "liebster Zeitvertreib" gewesen seien. Erst in der jüngeren Vergangenheit wird er differenzierter betrachtet.
Die Historikerin Hildburg Brauer-Gramm stellte ihm 1957 in 'Der Landvogt Peter von Hagenbach: die burgundische Herrschaft am Oberrhein 1469—1474' ein gemischtes Zeugnis aus, kein Monster sei er gewesen, habe aber durchaus tyrannische Züge gehabt. 1972 urteilte ihr englischer Kollege Peter Vaughan in seiner Studie 'Charles the Bold: The Last Valois Duke of Burgundy', dass Hagenbach ein "visionärer Reformer" gewesen sei. Alle Bewertungen, die in meiner Quelle zitiert werden, scheinen sich aber einig, dass, selbst wenn die Vorwürfe gegen Hagenbach unberechtigt oder politisch überzeichnet gewesen sein sollten, er ein brutaler, eventuell sexuell sadistischer Mann ohne diplomatische Fähigkeiten war, der seinen Sturz selbst herbeigeführt hat.
In der Völkerrechtslehre wird sein Prozess meist als der erste Kriegsverbrecherprozess der Geschichte genannt—was nicht zutrifft, da die Anklage gerade darauf abstellte, dass in den Pfandlanden Frieden herrschte, und Burgund (noch) nicht im Kriegszustand war. Dennoch wurden heute anerkannte Rechtsgrundsätze formuliert: Dass sich nicht auf Befehle berufen kann, wer krasses Unrecht begeht; dass Vorgesetzte für die Taten ihrer Untergebenen zur Verantwortung gezogen werden können; dass nationale Souveränität nicht der Verurteilung schwersten Unrechts entgegenstehen darf; und dass sexuelle Gewalt ein Mittel der Machtausübung oder Kriegswaffe sein kann und entsprechend zu bestrafen ist.
Es erscheint merkwürdig, dass dieser revolutionäre Urteilsspruch, trotz des lauten zeitgenössischen Echos, lange keine weitere Wirkung entfaltete.
Erst im Wilhelmstraßen-Prozess 1949 zitierte der amerikanische Ankläger Telford Taylor den Hagenbach-Prozess gegen einen Versuch der Verteidigung, die Zuständigkeit des alliierten Gerichts anzuzweifeln und die unzulässige rückwirkende Anwendung von Gesetzen zu behaupten. Seitdem gilt der Hagenbach-Fall als Geburtsstunde des humanitären Völkerrechts. Interessanterweise widmet sich die Juristerei bis heute kaum dem Aspekt, dass zumindest Ansatzpunkte bestehen, in Peter von Hagenbach ein Opfer eines Fehlurteils zu erblicken.
Verwendete Quellen
- Gordon, Gregory S., The Trial of Peter Von Hagenbach: Reconciling History, Historiography, and International Criminal Law, doi.org/10.2139/ssrn.2006370
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