Romanisch-germanische Sprachgrenzen im frühen Mittelalter

Vielen Dank für dieses hervorragende Argument, das die postulierten "Walch-Stätten" schlagend widerlegt. Sowohl beim See wie beim Ufer lauten die Formen stets Wala-, Walen-, Wale-. Da führt kein Weg in den "Wald".
Dass hier im speziellen Fall kein Weg in den Wald führte lag wohl eher daran, dass der Ort am Walensee liegt.

Wie kommst Du überhaupt darauf, dass kein Weg von Wal- zu Wald- führt? Nur ein Beispiel: Waldstatt AR wird erstmals erwähnt als 1374 Ober Walstatt, 1415 Wallstatt. https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/001299/2014-11-04/
 
Wie kommst Du überhaupt darauf, dass kein Weg von Wal- zu Wald- führt?

Von Wal- zu Wald führt schon ein Weg. Aber nicht von Wala-/Walen-.

Waldstatt AR wird erstmals erwähnt als 1374 Ober Walstatt, 1415 Wallstatt. https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/001299/2014-11-04/
... und hat natürlich nichts mit den Welschen zu tun.

EDIT: Bei ortsnamen.ch heißt es dazu:

Die von Sonderegger (1958a: 23) ohne Quellenangabe erwähnten älteren Belege 1347 die Ober Walstatt, 1379 die Ober Walstat konnte in den von uns verwendeten Quellenwerken nicht identifiziert werden.
 
Von Wal- zu Wald führt schon ein Weg. Aber nicht von Wala-/Walen-.
Bad Waldsee:
Im 8. Jahrhundert gab es vermutlich eine erste Ansiedlung von Romanen[3]
Waldsee („See der Walchen/
Welschen“) wurde erstmals 926 im sogenannten Weißenburger Codex (auch Codex Edelini genannt)[4] urkundlich erwähnt. In dem Dokument, das über die Zerstörungen der Ungarn während ihres Feldzuges durch Süddeutschland berichtet, heißt es: „In Walahsé ist eine königliche Niederlassung von den Heiden zerstört worden. Zu ihr gehören zwei Huben Ackerland, 60 Karren Wiesenheu, eine Mühle und eine Kirche“.
https://de.wikipedia.org/wiki/Bad_Waldsee

Waldstetten (Günz):
Die erste urkundliche Erwähnung erfolgte um 1120 als „Walestat“ („Wohnstätte der Romanen“).[3]
https://de.wikipedia.org/wiki/Waldstetten_(G%C3%BCnz)

Waldstetten (Ostalbkreis)
Waldstetten wird 1275 als Walhstetten erstmals im Liber decimationis des Bistums Konstanz erwähnt, zu dem damals die katholische Pfarrei St. Laurentius zählte (heute Diözese Rottenburg-Stuttgart). Der Ortsname könnte „Siedlung des Wal(a)h“ oder „Siedlung der Welschen“ bedeuten (Reichardt II, S. 273).
https://de.wikipedia.org/wiki/Waldstetten_(Ostalbkreis)
... und hat natürlich nichts mit den Welschen zu tun.
Im Appenzeller Beispiel sehr wahrscheinlich nicht — aber siehe oben. ;)
 
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Die Beispiele sind mir alle bekannt, siehe auch hier:

Waldstetten:
"Bestimmungswort wohl eine Pluralform von walah 'Romane', sodass sich als Erklärung 'Wohnstätte der Romanen' bzw. '(in der Karolingerzeit hierher verpflanzte) Kolonie von Welschen' ergibt."
[...]
Ein Zwillingsort ist das württembergische Waldstetten, dazu Waldstetten - Altgemeinde~Teilort - Detailseite - LEO-BW
"1275 und 1299 Walhstetten (= Walchstetten), wohl in karolingischer Zeit durch Zwangsansiedlung von Romanen entstanden."
Wobei hier im nördlichen schwäbischen Dialekt das -e- früh geschwunden ist, was in der Zentralschweiz offensichtlich nicht der Fall war.
 
Das -e- in Wal(h)e-. Erst sein Schwund macht eine Verwechslung mit 'Wald' möglich.
Nun hielten sich Romanen am Walensee bekanntlich länger als am Vierwaldstättersee, weshalb (im Gegensatz etwa zu Altdorf) auch der vordeutsche Name Riva noch bekannt ist, zudem war hier auch im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit das romanische Gebiet nicht fern (Walenstadt— Chur: 40 km), so dass man hier noch länger wusste, worauf sich "Wale(n)" (das "n" existiert nur in der Schriftsprache) bezog, nämlich auf die später zuweilen so genannten "Churwelschen", also die Rätoromanen.

In der Innerschweiz am Vierwaldstättersee war der Kontakt nach Süden in die dortige Romania im frühen Mittelalter offenbar nahezu abgebrochen, da eine allfällige römische Brücke über die Schöllenschlucht zum Gotthardpass nicht mehr existierte. So wurde das jenseits der Schöllenen gelegene, zuvor romanisch besiedelte Ursenental erst im 12./13. Jahrhundert vom Wallis, also von Südwesten her, durch die Walser germanisiert, die dann offenbar die Verbindung nach Uri mit der Teufelsbrücke wieder herstellten. Erst jetzt im Hochmittelalter gab es hier im Reusstal also wieder Kontakt zu "Welschen" — inzwischen hätten die 'Wald'-Namen viel Zeit gehabt, sich zu verfestigen.

(Dass sich die Romanen in Unterwalden länger als in Uri halten konnten mag auch daran gelegen haben, dass sie über Brünig- und Grimselpass weiterhin Kontakt zur romanischen Welt halten konnten.)
 
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Nun hielten sich Romanen am Walensee bekanntlich länger als am Vierwaldstättersee, weshalb (im Gegensatz etwa zu Altdorf) auch der vordeutsche Name Riva noch bekannt ist, zudem war hier auch im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit das romanische Gebiet nicht fern (Walenstadt— Chur: 40 km), so dass man hier noch länger wusste, worauf sich "Wale(n)" (das "n" existiert nur in der Schriftsprache) bezog, nämlich auf die später zuweilen so genannten "Churwelschen", also die Rätoromanen.
Und bekanntlich zählte der Kanton Glarus, der bekanntlich an den Walensee grenzt und wo man möglicherweise noch viel besser als anderswo zwischen Wale(n) und Wald unterscheiden konnte, zu den früherwähnten Waldstätten.

[Dazu das vielzitierte Ortslexikon:
Glarus geht sehr wahrscheinlich zurück auf eine Grundform *ad clārōnam «bei der hellen Stelle», im übertragenen Sinn «Waldlichtung».]

Meinst Du nicht auch, es wäre an der Zeit, diese Phantomdiskussion zu beenden?
 
Und bekanntlich zählte der Kanton Glarus, der bekanntlich an den Walensee grenzt und wo man möglicherweise noch viel besser als anderswo zwischen Wale(n) und Wald unterscheiden konnte, zu den früherwähnten Waldstätten.
Was die Leute sprachen, und was dann von vielleicht nicht Orts-, aber Schriftkundigen zu Papier gebracht und dabei möglicherweise hyperkorrigiert wurde, sind zwei verschiedene Paar Schuhe.
Meinst Du nicht auch, es wäre an der Zeit, diese Phantomdiskussion zu beenden?
Es ist offenbar, dass sich für die These, die Waldstätten am heutigen Vierwaldstättersee seien linguistisch ursprünglich Walhstade, also 'Von Romanen besiedelte Ufer' gewesen, keinerlei Rückendeckung in der Literatur findet, und daher hast Du wohl Recht. (Wobei die frühmittelalterlichen Romanen an besagten Ufern niemand bestreitet.)
 
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In Wünnewil haben wir es wohl mit einer romanischen Bildung zu tun:
Danke für den Hinweis. Gleichwohl werde ich es nicht mit in die Karte aufnehmen, weil ich sonst jeden dieser Orte hinterfragen müsste. — Aber ein wenig südwestlich liegt Tafers, das ich bisher übersehen habe.

Aber hier sind wir schon nahe einer noch aktiven Kontaktzone, in der das Französische durch die Industrialisierung sogar wieder etwas an Boden gewinnen konnte. Heute geben im Kanton Fribourg mehr als 60% Französisch als Muttersprache an, hingegen gut 20% Deutsch.
 
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Danke für den Hinweis. Gleichwohl werde ich es nicht mit in die Karte aufnehmen, weil ich sonst jeden dieser Orte hinterfragen müsste.
Das verstehe ich nicht. Oder wächst Dir die Arbeit schon über den Kopf?

Aber ein wenig südwestlich liegt Tafers, das ich bisher übersehen habe.
Weiter südlich gibt es noch mehr: Giffers, Plasselb, Plaffeien, eindeutig romanisch und eindeutig eingedeutscht.
 
Albligen kam mir auch verdächtig "unalemannisch" vor. Und tatsächlich hieß es im 12. Jahrhundert noch Albennon.
 
Das verstehe ich nicht. Oder wächst Dir die Arbeit schon über den Kopf?
Die Weil(er)-Orte nach vorgermanisch und germanisch zu trennen, zumal in einer Zone des interkulturellen Kontakts über Jahrhunderte, das ist heikel. — Und ist es überhaupt sinnvoll, wenn die Menschen weitgehend in friedlicher Koexistenz gelebt haben?
Weiter südlich gibt es noch mehr: Plasselb, Plaffeien, eindeutig romanisch und eindeutig eingedeutscht.
Danke, die sind so alt, die sollten passen. Ansonsten ist es nahe der modernen Sprachgrenze immer fraglich, ob wir noch im frühen Mittelalter sind. Hier ging es ja bis in die jüngere Neuzeit sprachlich hin und her.
Albligen kam mir auch verdächtig "unalemannisch" vor. Und tatsächlich hieß es im 12. Jahrhundert noch Albennon.
Respekt, das wäre mir dreimal entgangen!
 
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Die Weil(er)-Orte nach vorgermanisch und germanisch zu trennen, zumal in einer Zone des interkulturellen Kontakts über Jahrhunderte, das ist heikel.
Aber es ist doch gar nicht nötig. Die meisten Weil(er)-Orte sind germanisch, die kann man weglassen, die unsicheren kann man auch weglassen, und die wenigen sicher romanischen kann man doch aufnehmen?

Und ist es überhaupt sinnvoll, wenn die Menschen weitgehend in friedlicher Koexistenz gelebt haben?
Betrifft das jetzt den Sinn der Karte überhaupt?

Ansonsten ist es nahe der modernen Sprachgrenze immer fraglich, ob wir noch im frühen Mittelalter sind.
Die Karte enthält haufenweise Ortsnamen, die erst im Hoch- oder Spätmittelalter eingedeutscht worden sind.

Mir fehlt es noch an einer Definition, was genau auf die Karte soll und was nicht.

Und wann kommt ein Fragezeichen dazu, wann nicht?

Suhr ist wohl nicht so ganz sicher:
Bei der Namendeutung ist auch ein germ. Ansatz denkbar. Da die Lautung des anzunehmenden gall. Adj. *su̅ra und des entsprechenden germ. Adj. *su̅rō 'sauer' (fem.) nahezu identisch gewesen sein muss, lässt sich kaum absolute Sicherheit erzielen.
https://search.ortsnamen.ch/de/record/802004012

Edit: Gerade entdecke ich noch Romanshorn (eindeutig deutsche Namenbildung) in eckigen Klammern.


Und Galgenen?
Galgenen kann problemlos auf das althochdeutsche Gattungswort galgo, galga, mittelhochdeutsch galge «Galgen, Kreuz» zurückgeführt werden. Auszugehen ist von einer lokativischen Grundform im Dativ Plural *(ze den) galgonum, galgonun «(bei den) Galgen». Als Flurname ist Galgen und ähnlich (auch in der Form Galgbrunnen «Sodbrunnen») weit verbreitet; er findet sich zudem in zahlreichen Gemeinden, die Richtstätten waren (cf. Id. II, 231). Unsicher bleibt die ursprüngliche Motivierung des Namens Galgenen. Er bedeutet entweder «(bei den) Galgen» oder «(bei den) Brunnen mit einem Gestell zum Heraufziehen des Eimers».
ortsnamen.ch - Galgenen

EDIT: Gerade entdecke ich noch Romanshorn (einwandfrei deutsche Namenbildung) in eckigen Klammern. Was hat das zu bedeuten?
 
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Aber es ist doch gar nicht nötig. Die meisten Weil(er)-Orte sind germanisch, die kann man weglassen, die unsicheren kann man auch weglassen, und die wenigen sicher romanischen kann man doch aufnehmen?
Dieser Argumentation kann ich mich nicht entziehen.
Die Karte enthält haufenweise Ortsnamen, die erst im Hoch- oder Spätmittelalter eingedeutscht worden sind.
Das glaube ich vor allem im Westen gern, trotzdem wäre ich dankbar für ein oder zwei offensichtliche Beispiele.
Mir fehlt es noch an einer Definition, was genau auf die Karte soll und was nicht.
Eigentlich wollte ich mir nur einen Überblick über die erhaltenen vordeutschen Ortsnamen im heute deutschsprachigen nördlichen (Vor-)Alpenland verschaffen.
Und wann kommt ein Fragezeichen dazu, wann nicht?
Das Fragezeichen soll Orte bezeichnen, bei denen eine vordeutsche Deutung zwar recht wahrscheinlich, wenn auch nicht ganz sicher ist.
Ein klarer Fall für das Fragezeichen.
Hier gefällt mir calcanea, aber ein Fragezeichen ist wohl auch hier angemessen.
 
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