Vor einigen Jahren
Ich komme aus einem kleinen Dorf irgendwo aus Bayern.
In diesem Dorf gab es zwei jüdische Familien, die als Viehhändler tätig waren.
Nach Erzählungen von meiner verstorbenen Mutter, war das 'halbe' Dorf bei den jüdischen Viehhändler verschuldet und dass dies der (Haupt) Grund war für die Wahl Hitlers in diesem Dorf.
Meine Frage:
Verloren die Schuldscheine bei der Machtergreifung von Hitler sofort ihre Gültigkeit, so dass die Bauern schuldenfrei waren oder war dies erst später der Fall?
Vor einigen Jahren wurde ein Buch veröffentlicht, dass sich mit dem NS in einer ländlichen Region Nordhessens beschäftigt:
Katherina Stengel Nationalsozialismus in der Schwalm.
Das Gebiet des heutigen südlichen Schwalm-Eder Kreises war schon vor der Machtergreifung eine NS-Hochburg. Im Altkreis Ziegenhain war die NSDAP schon vor 1933 stärkste Fraktion. Ländliche protestantische Millieus erwiesen sich als sehr anfällig für den NS.
Es gab viele Bauern oder Handwerker, die privat verschuldet waren. Diese Zahlungsverpflichtungen waren natürlich auch nach 1933 gültig. Ein Großteil der verschuldeten Zeitgenossen schienen aber fest davon überzeugt zu sein, dass alle Schulden bei Juden jetzt null und nichtig waren. Juden hatten kaum eine Chance, solche Schulden einzutreiben.
Im Jahre 1933 stahlen zwei SA-Männer einem jüdischen Metzger und Viehhändler mehrere Schächtmesser. Der Viehhändler klagte, und 1933 gab es noch einen Richter, der die SA-Männer zu einer Geldstrafe verurteilte und zur Herausgabe der Messer zwang. Das Gericht wurde daraufhin von einem Nazi-Mob belagert, und der Richter wurde bald darauf in den Ruhestand geschickt. Bereits ein Jahr später war die Schwalm gleichgeschaltet- ein solches Urteil wäre 1934 nicht mehr möglich gewesen.
Obwohl antisemitische Vorurteile verbreitet waren, obwohl ein Großteil der Bauernschaft und der Handwerker mit der NSDAP sympathisierten, stellte sich bald heraus, dass sie sich in ihren Viehhandel nicht reinreden lassen wollten. Es gab Klagen, dass der Viehhandel nicht mehr so recht funktionierte. Viele der jüdischen Viehhändler waren seit Generationen in der Region verwurzelt, man kannte sich. Auch war der Usus der jüdischen Viehhändler, die Bauern auf ihren Höfen aufzusuchen, für die Landwirte attraktiver. Nachdem die Region arisiert wurde, musste Vieh zu einer weit entlegenen Sammelstelle getrieben werden.
Die Ursachen der Weltwirtschaftskrise waren für viele Landbewohner nicht durchschaubar, und es musste das Vorurteil der "mauschelnden Juden" als Erklärungsmodell dienen. Es war für Juden sehr schwer, wenn nicht unmöglich, verliehenes Geld oder Waren zurückzubekommen, und von Behörden, Gerichten und Polizei war spätestens ab 1934 nicht mehr zu rechnen.
Jüdische Viehhändler spielten aber noch bis in die Mitte der 1930er Jahre noch eine Rolle im heutigen Schwalm-Eder Kreis. Ein Tierarzt namens Thilo Höxter erfreute sich großen Ansehens. In den 1920er Jahren war es Höxter gelungen, eine gefährliche Maul- und Klauenseuche einzudämmen. Mehrere Viehhändler, die 1933 die Region verlassen hatten, kehrten wieder zurück. In der lokalen Presse wurde immer wieder beklagt, dass immer noch Juden im Viehhandel tätig waren und schlimmer noch, dass es Bauern gab, die immer noch mit Juden Handel trieben.