SPD in Baden-Württemberg: Geringere Bedeutung weshalb?

rrttdd

Mitglied
Hallo,

ich frage mich gerade, warum die SPD in Baden-Württemberg vergleichsweise wenig Bedeutung hat.

-Baden-Württemberg ist stark industrialisiert und viele Menschen arbeiten in diesem Sektor
-Es ist auch nicht so katholisch-Rom-orientiert wie Bayern

Dennoch war in der Vergangenheit die CDU dominierend und heute die Grünen. Der SPD-Landesverband aus Baden-Württemberg spielt auch in der Bundespartei eine eher kleine Rolle.

Woher kommt das historisch gesehen, auch z.B. im Vergleich mit NRW?
 
Moin

Ich denke mal, das liegt an der Struktur und Mentalität.
In Württemberg gab es wenig Schwerindustrie, die Struktur hier war eher auf kleinere und mittlere Unternehmen konzentriert, viele Arbeitnehmer haben in dieser Region auch noch nebenher Landwirtschaft betrieben, dazu kommt noch ein schon vorhandenes Maß an gewisser "Freiheit", das württembergische Königshaus war wohl eher etwas liberal eingestellt.
 
Warum ist das eher protestantische* Niedersachsen oder das ziemlich protestantische* Schläfrig-Holzbein CDU-dominiert?
Die CDU ist zwar Nachfolgepartei des Zentrums, hat sich aber früh vom Katholizismus getrennt (weshalb es neben der CDU auch immer eine weitere Nachfolgeparte des Zentrums gab - Zentrum - die aber an den Erfoilg der gemeinsamen Mutterpartei nie anknüpfen konnte und immer unbedeutend blieb).
Am Katholizismus kann es nicht liegen. In Baden-Württemberg ist der protestantische Pietismus stark verankert.


*wir reden ja nicht vom heute, wo erstmals seit dem 9. Jhdt. die Christen eine Bevölkerungsminderheit sind, sondern von vor einigen Jahrzehnten.
 
Ich denke einfach mal, das hat mit der Industrialisierung zu tun, dort wo große Montanbetriebe, Werften oder Maschinenbau angesiedelt war, ist auch der "Klassenkampf" propagiert worden.
Beispiele: Sachsen, Berlin, Hamburg, Bremen, Westfalen, Mannheim, Oberschlesien, Nürnberg, Ludwigshafen, um nur einige zu nennen.
 
Südbaden und Südwürttemberg sind schon stärker katholisch geprägt.

In beiden südlichen Bundesländern errang die CDU bzw. die BCSV bei den ersten Landtagswahlen absolute Mehrheiten:
Landtagswahl in Württemberg-Hohenzollern 1947 – Wikipedia
Landtagswahl in Baden 1947 – Wikipedia

In Württemberg-Baden hingegen schnitt die CDU deutlich schlechter ab, 1950 wurde sogar die SPD stärkste Partei:
Landtagswahl in Württemberg-Baden 1946 – Wikipedia
Landtagswahl in Württemberg-Baden 1950 – Wikipedia
 
hm ..der Pietismus ist deutlich in den altwürttembergisch-protestantischen Gebieten ausgeprägt...weniger/kaum in den badisch-protestantischen Gebieten...in den katholischen ja sowieso nicht.
 
Warum ist das eher protestantische* Niedersachsen oder das ziemlich protestantische* Schläfrig-Holzbein CDU-dominiert?
Die CDU ist zwar Nachfolgepartei des Zentrums, hat sich aber früh vom Katholizismus getrennt (weshalb es neben der CDU auch immer eine weitere Nachfolgeparte des Zentrums gab - Zentrum - die aber an den Erfoilg der gemeinsamen Mutterpartei nie anknüpfen konnte und immer unbedeutend blieb).
Am Katholizismus kann es nicht liegen. In Baden-Württemberg ist der protestantische Pietismus stark verankert.

Weder Niedersachsen noch Schleswig-Holstein sind wirklich eindeutig CDU-dominiert. In Niedersachsen gab es insgesamt mehr Ministerpräsidenten von der SPD (8) als von der CDU (3) und der aktuelle Ministerpräsident ist ebenfalls von der SPD (Stephan Weil, seit 2013). Die CDU hat ihre Hochburgen vor allem in einigen katholischen Gebieten um Vechta, Papenburg, Meppen und Cloppenburg. Die sind zwar auch eher ländlich strukturiert, aber in anderen ländlichen Gegenden wie etwa um die Lüneburger Heide ist die CDU bei weitem nicht so stark.

In Schleswig-Holstein gab es zumindest in den letzten 35 Jahren auch mehr Ministerpräsidenten von der SPD (3) als von der CDU (2), wobei es allerdings davor eine lange Periode der CDU-Dominanz gab. Katholisch geprägte Gegenden gibt es in Schleswig-Holstein tatsächlich nicht, dafür ist das Land überwiegend ländlich strukturiert, unter anderem auch, weil der mit Abstand größte Ballungsraum der Region (Hamburg) nicht zum Land gehört.

Niedersachsen – Wikipedia
Wahl in Niedersachsen: Die Ergebnisse in allen Wahlkreisen | NDR.de - Nachrichten - Niedersachsen - Landtagswahl Niedersachsen 2022

Schleswig-Holstein – Wikipedia
 
Bei den Wahlergebnissen in Baden-Würtemberg stechen auch die Erfolge rechtsextremer Parteien hervor.
1968 zog die NPD in den Landtag ein. Dieser Wahlerfolg war in Westdeutschland einmalig. (Die Wahl war am 28. April 1968, wenige Tage nach dem Attentat auf Rudi Dutschke.)
1992 und 1996 knackten die Republikaner die 5%-Hürde. Ansonsten ist den Republikaner in keinem westdeutschen Flächenstaat der Einzug in einen Landtag gelungen.
 
Die CDU ist nicht die Nachfolgepartei des Zentrums. Nach dem Krieg war eine überkonfessionelle christlich-bürgerliche Partei gewünscht, die für alle als Volkspartei wählbar ist.

Das Zentrum existiert noch heute, wenn auch marginalisiert und teils mit seltsamen Forderungen.
 
Die CDU ist nicht die Nachfolgepartei des Zentrums. Nach dem Krieg war eine überkonfessionelle christlich-bürgerliche Partei gewünscht, die für alle als Volkspartei wählbar ist.
Die Mehrheit der ehemaligen Zentrumspolitiker, die auch nach 1945 wieder politisch aktiv wurden, ging eben nicht wieder in die Zentrumspartei, welche den Namen fortsetzte, sondern in die überkonfessionelle CDU.
Das Zentrum nach 1945 ist - wie die CDU - eine Nachfolgepartei des Zentrums von vor 1933. Aber eben die marginalisierte Nachfolgepartei.
 
Es sind damals viele, die wieder im Zentrum waren, in die CDU gewechselt.

Da sehe ich die CDU nicht als Nachfolgepartei. Auch die konfessionelle Beschränkung des Zentrums steht dagegen.

Zudem bekamen wir vom roten NRW-Kultusministerium eingepaukt, dass die CDU keine Wurzeln habe, nur viele eingetretene Nazis. Solange ich keine Entschädigung für die etwas schlechtere Note bekomme, die es gab, weil ich als CDU-Anhänger auf anderen, christlichen Wurzeln bestand, ist es offensichtlich bewiesene Tatsache.
 
Zudem bekamen wir vom roten NRW-Kultusministerium eingepaukt, dass die CDU keine Wurzeln habe, nur viele eingetretene Nazis. Solange ich keine Entschädigung für die etwas schlechtere Note bekomme, die es gab, weil ich als CDU-Anhänger auf anderen, christlichen Wurzeln bestand, ist es offensichtlich bewiesene Tatsache.
Du hast deinen Politik-Unterricht im NRW-Kultusministerium erhalten?
Ich weiß ja nicht, wie alt du bist. Aber wenn das so stimmt, was du hier erzählst und du nach 1976 zur Schule gegangen bist, dann hat sich dein damaliger Politiklehrer über den Beutelsbacher Konsens hinweggesetzt.
 
Die bekanntesten Fälle sind Kiesinger und Filbiger, beide aus Baden-Württemberg.
Mein Großonkel war auch darunter. Bis 1945 NSDAP und dann irgendwann CDU. NRW. Wann er in die NSDAP eintrat und ob als Überzeugungstäter oder Karrierist, weiß ich nicht. Habe ihn auch nie kennengelernt; als ich geboren wurde, war er, glaube ich, schon tot.
Im Grunde haben in allen Parteien ehem. NSDAP-Mitglieder gesessen, auch in SPD und FDP. Ob diese jemals überzeugte Nazis waren und dann geläutert oder was jeweils ihre Motivation war, muss man im Einzelfall schauen.
 
Bei NSDAP Mitgliedschaft stellte sich den Alliierten bei der Entnazifizierung ja schon ein grundsätzliches Problem in der Verwaltung entgegen, insgesamt erscheint mir das ein heikles Thema für die Nachgeborenen Generationen, zumal
es nur noch wenige lebende Personen aus der Zeit gibt.
Ich habe in meiner Jugend auch einige Personen kennengelernt, die dort Mitglied waren. Mein Großonkel z.B. war Ortsbauernführer und mußte als solcher in der Partei sein.
 
Du hast deinen Politik-Unterricht im NRW-Kultusministerium erhalten?
Ich weiß ja nicht, wie alt du bist. Aber wenn das so stimmt, was du hier erzählst und du nach 1976 zur Schule gegangen bist, dann hat sich dein damaliger Politiklehrer über den Beutelsbacher Konsens hinweggesetzt.

Das Märchen, zumindest in Hinsicht auf NRW ein Märchen, wird immer wieder erzählt.

Unsere Lehrerin hat uns nach unseren Protesten die Richtlinien kopiert, nach denen der Unterricht zu gestalten war. Natürlich waren einige Väter Juristen, Die älteren darunter meinten, wir sollten froh sein, für den Notfall das Leben in einer Diktatur erlernen zu können und dabei auch, nicht die eigenen Ansichten zu verlieren.

Was das Indoktrinierungsverbot angeht, war in NRW die "herauszuarbeitende Meinung" vorgeschrieben. Wenn Vorschriften nur auf dem Papier stehen, und schon in Ausführungsbestimmungen und Verordnungen negiert werden, ist das mit dem Rechtsstaat so eine Sache. Um 1991/92 kam es deshalb sogar zu Protestaktionen. Im Hinblick auf die Einhaltung der Grundrechte, die Ablehnung von Umdeutungen und Ausnahmen und so hat mich das durchaus geprägt.
 
Das Märchen, zumindest in Hinsicht auf NRW ein Märchen, wird immer wieder erzählt.
Welches Märchen?

Was das Indoktrinierungsverbot angeht, war in NRW die "herauszuarbeitende Meinung" vorgeschrieben.
Das ist ein Widerspruch in sich. Dazu hätte ich gerne den entsprechenden Gesetzestext oder Erlass.

Du darfst mir glauben, ich kenne Richtlinien und Lehrpläne. Die sind, was die Details der unterrichtlichen Inhalte anbelangt, dünner, als der einzelne Schüler vielleicht glaubt und geben dem Lehrer doch einige Freiheiten (seit Einführung des Zentralabiturs sind diese Freiheiten natürlich für die Qualifikationsphase eingeschränkt, das betrifft aber das Überwältigungsverbot (also den Beutelsbacher Konsens) nicht). Dass in einem Lehrplan für den Politik- oder Geschichtsunterricht um 1990 gestanden haben soll, dass die Schüler lernen sollten, dass die CDU eine Partei ohne Tradition sei und in ihrer Anfangszeit vor allem aus alten Nazis bestanden habe, wäre selbst dann, wenn das die Auffassung der Landesregierung oder ihrer Vertreter im Kultusministerium gewesen wäre, inhaltlich äußerst detailliert für die Richtlinien und nebenbei wäre das juristisch auch extrem angreifbar gewesen. Mal abgesehen davon, dass die Lehrerschaft ja auch keinen politischen Einheitsbrei darstellt, der das unwidersprochen hingenommen hätte.
 
Da ich da Quelle bin, ist das Heraussuchen von Richtlinien nicht meine Aufgabe, solange ich keine Memoiren mit Hintergründen schreibe. Ich kann nur berichten, dass uns Richtlinien in Kopie um die Ohren gehauen wurden. Und meine Schulzeit ist für mich in dieser Hinsicht noch keine Geschichte und auch keine Zeitgeschichte, sondern immer noch aktuelles politisches Problem - ja, heute sogar aktueller als lange Zeit* - und gehört daher nicht ins Forum.

Ich hoffe, dir ist nicht entgangen, dass ich eigentlich durch Ironie auf einen Denkfehler hinweisen wollte und das auch funktioniert, wenn du das Beispiel für irreal hältst.

*Das Problem der Unterscheidung von Mindermeinung, Alternativen Fakten und Verschwörungstheorien betrifft nolens volens in der Schule genau diesen Bereich und berührt gleichzeitig altbekannte philosophische Probleme. Der angebliche von Reichsbürgern und so postulierte "Meinungsterrorismus" wird ja gerade durch die ständige Diskussion darum ad absurdum geführt, zumindest solange die Diskussion immer wieder aktualisiert wird.
 
meine Schulzeit ist für mich in dieser Hinsicht noch keine Geschichte und auch keine Zeitgeschichte, sondern immer noch aktuelles politisches Problem - ja, heute sogar aktueller als lange Zeit* - und gehört daher nicht ins Forum.
Ich möchte, dich ja nicht in deinen Illusionen stören, aber wenn das im SJ 1991/2 war, da waren manche Mitglieder dieses Forums nicht einmal geboren. Das ist 30 Jahre her... die Zeit vergeht wie im Flug.

Nun, ich kann dir - ohne die damaligen Richtlinien zu kennen - sagen, dass das, was du hier berichtest allem widerspricht, was ich an Richtlinien des Landes NRW kenne. Ich bin zwar vermutlich ein bis drei Jahre jünger als du, aber da ich, wenn ich auch heute in der Erwachsenenbildung arbeite, eine Ausbildung zum Lehrer gemacht habe, sind mir Richtlinien durchaus bekannt und ich bekenne, dass ich schon ein wenig enttäuscht war, wie wenig Konkretes darin steht, auch weil unsere Lehrer, wenn wir Themen- oder Lektürevorschläge gemacht haben, sich immer gerne auf die Richtlinien berufen haben. Das durchschaut man als Schüler nicht.

Da ich da Quelle bin,...
Zufälligerweise habe ich ja gerade heute morgen etwas über die Unzuverlässigkeit von Zeitzeugen geschrieben und dass der Historiker der größte Feind des Zeitzeugen ist.

Edit: Unzulässigkeit > Unzuverlässigkeit, aua!
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich habe den Ordner eben doch noch rausgesucht. Kommentar der Lehrerin und Kopien und ein paar andere Blätter dazu sind drin. Aber ich habe damals nur "Richtlinien" an den Rand der Kopien geschrieben. Und du darfst mir glauben, dass ich auch schon mal in solche allgemeine Richtlinien geschaut habe.

Werden Lektüren nicht eher in schulinternen Richtlinien, bzw. im Curriculum festgelegt?

Zudem ist die Grenze zwischen Geschichte, Zeitgeschichte und Gegenwart individuell und fallweise festzulegen. Aktuelle Themen und der direkte Bezug dazu sind natürlich auch allgemein festzustellen, was aber keinen Konflikt mit der Grenzziehung darstellt, da es ein anderer Aspekt ist.

Wenn du Zeitzeugen ausschließt, negierst du den Großteil der erzählenden Quellen.
 
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