Sprache als Identifikationsmerkmal

Dieses Thema im Forum "Das Heilige Römische Reich" wurde erstellt von Aedilredus, 9. April 2016.

  1. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Das ist richtig, widerspricht aber nicht der gegenseitigen Verständlichkeit der Dialekte.

    Deshalb ist diese Schlussfolgerung inkorrekt:
    Latein war noch im 19. Jhdt. die Wissenschaftssprache, mindestens unter Historikern. Schaut man sich MGH-Bände an, so findet man teilweise bis Mitte des 20. Jhdts. lateinische Historikertexte: Wohlgemerkt: Nicht die Quellen (die auch), sondern die Einführungen, die von modernen Historikern für moderne Historiker geschrieben sind, sind lateinisch.

    In Frankreich gab es diverse romanische Dialekte, das Okzitanische und das Französische der Île de France unterschieden sich beträchtlich. Englisch und Scots, beides Sprachen, die aus dem Angelsächsischen unter Anglonormannischen Einfluss entstanden sind, unterscheiden sich z.T. beträchtlich.

    Dazwischen lag als ziemlich harte Dialektgrenze ja auch die Benrather Linie. Ein Niederbayer und ein Rheinfranke dürften sich schon haben verständigen können.
     
  2. Liborius

    Liborius Aktives Mitglied

    Das könnten sie selbst heutzutage noch nicht ohne Schriftdeutsch oder zumindest das, was man je nach Gegend "Missingsch" oder "Honoratioren-Schwäbisch" nennt. Noch vor hundert Jahren verstanden viele Schulanfänger ihren Schriftdeutsch sprechenden Lehrer nicht und mussten ebendieses erst als Fremdsprache lernen.

    Im MA waren den weitaus meisten Anwohnern der Laaber die Anwohner der Nidda mindestens so fremd und wurst wie heute die Anwohner des Mekong. Dass sie gemeinsam Deutsche seien, wäre ihnen nicht in den Sinn gekommen.
     
  3. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Da sind wir durchaus einer Meinung. Aber auf Basis welcher Sprachzeugninsse unterstellt ihr, dass sich zwei Angehörige verschiedener oberdeutscher Dialektgruppen sich nicht verstanden hätten? Die hochdeutsche Lautverschiebung setzte sich doch nicht vom Alpenraum sukzessive bis zum Rheinischen Fächer und zur Benrather Linie durch, weil man sich gegenseitig nicht verstand, oder weil es ein natürlicher Prozess war, sondern weil die sprachliche Innovation akzeptiert wurde.
     
  4. zaphodB.

    zaphodB. Premiummitglied

    dass Latein noch im 19. Jhdt. die Wissenschaftssprache war, hat wohl eher traditionalistische Gründe . Als lingua franca , also als allgemeine Verkehrssprache ausserhalb des universitären Bereichs hatte sie längst ausgedient.
    Man darf bei den Dialekten hinsichtlich der nicht von den Hoch- bzw. Honoratiorendialekten ausgehen,die an die Schriftsprache angelehnt war sondern an das was man bei uns als Platt bezeichnet, also den normalen Volksdialekt . Und da gibt es Verständigungsgrenzen schon weit jenseits der Benrather Linie.
    Bereits vom Rheinfränkischen zum Moselfränkischen ist, wie ich aus eigener Erfahrung weiss die Verständlichkeit stark herabgesetzt.Zum Alemannischen (Nieder-,Hoch- und Höchstalemannisch) hin wird es dann ganz schwierig und das nicht nur für Fränkische Dialektsprecher sondern sogar für die Bayern..... we es nicht glaubt versuche die entsprechenden Dialekt-Asterix-Bände zu lesen und zu verstehen ;):D:rolleyes:
     
  5. Clemens64

    Clemens64 Aktives Mitglied

    Also, das Publikum der mittelhochdeutschen Dichtung Walthers von der Vogelweide fand sich sicher nicht nur in Wien oder im Umland von Würzburg.
     
  6. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Das ist schon richtig, aber es handelte sich hier um ein ziemlich spezielles Publikum. "Das höfische Mittelhochdeutsch war ein stilistisch elitärer Soziolekt mit einem erlesenen Wortschatz" (Peter von Polenz), der sich von den lokalen Dialekten deutlich und bewusst absetzte.
     
    muck und Carolus gefällt das.
  7. Clemens64

    Clemens64 Aktives Mitglied

    Sprache als Identifikationsmerkmal einer gesamtdeutschen elitären Klasse
     
  8. muck

    muck Aktives Mitglied

    Die Goldene Bulle von 1356 verlangt, dass die Söhne der Kurfürsten neben dem Lateinischen die wichtigsten Volkssprachen aller Reichsteile beherrschen sollten, also Deutsch, Italienisch und Böhmisch. Wenn ich mich recht entsinne, ist es die erste Norm dieser Art.

    Aber wie interpretiert man ihre Zielsetzung? Und hier ist der Verweis auf die Klassenzugehörigkeit der Adressaten wohl wirklich angezeigt.

    Denn einerseits könnte man annehmen: Guck an, die gemeinsame Sprache war in den Reichsteilen also bereits im Vierzehnten Jahrhundert so wichtig geworden, dass Karl um die symbolkräftige Regel nicht herumkam.

    Andererseits bezieht sich die Regel eben nur auf die künftigen Kurfürsten, zu deren besserer Verständigung untereinander sie gewiss beitrug. Sie bezieht sich nicht einmal auf ihre Verwaltung. Man findet keine Norm von der Art, wie wir sie aus späteren mehrsprachlichen Staatsgebilden kennen.

    Will man die Bedeutung der Sprache in Relation zum Begriff der Nation einschätzen, muss man wohl solche Ereignisse betrachten, die wir heute als nationales Handeln interpretieren würden.

    Die Literatur würde ich jedoch mindestens bis zur Erfindung des Buchdrucks ausnehmen, denn sie war in der Tat ein Luxusprodukt für einen erlesenen Personenkreis. Nur wenigen Autoren war es vergönnt, überregional und standesübergreifend bekannt zu werden.
     

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