Den bisherigen Beitragen kann ich so nicht ohne weiteres zustimmen und sehe auch mindestens einen zunehmenden und sehr deutlichen Widerspruch von Teilen der Osteuropa-Historiker zu der These der historischen Kontinuität von Lenin zu Stalin.
In seinem Einleitungsbeitrag weist beispielsweise Cohen (Bolshevism and Stalinism) auf die erstaunlich geringe Kontroverse der Diskussion bis in die sechziger Jahre hin und fordert ein differenzierten Ansatz (geschrieben um 1977!!): "Such a critique is long overdue for several reasons." Die Ursachen für die geringe kontroverse Diskussion liegen zum einen in der ideologisch bedingten Rivalität zwischen Ost und West und auch in dem vorherrschenden Paradigma der "Totalitarismus-Theorie".
Stalinism: Essays in Historical Interpretation - Robert C. Tucker, American Council of Learned Societies. Planning Group on Comparative Communist Studies - Google Books
In diesem Sinne: Der Stalinismus als politisches System der 30er Jahre und später unterscheidet sich durchaus von dem politischen System, das die Bolschewiken im Rahmen der Oktoberrevolution Russland oktroiert haben. Wenngleich natürlich in vielen Punkten das Vermachtnis von Lenin als "Erinnerungskultur" formal erhalten blieb und sich Stalin als oberster Sachwalter des Willens von Lenin stilisierte.
Und natürlich nicht zuletzt als Mittel zur Legitimation der stalinistischen Revolution von oben dienen mußten. Einem Vermächtnis, dem sich sogar Trotzki in seinem Kampf gegen Stalin unterwarf und die befürchtete Spaltung der KP damit verhindern wollte (vgl. Testamtent von Lenin).
Dennoch. An zwei Punkten sollen die Unterschiede illustriert werden.
1. Innerparteiliches Demokratiekonzept und politische Kultur: Innerhalb der KP gab es im Politbüro bis zum Tod von Lenin eine Vielzahl rivalisierender Auffassungen über die Art der Politikformulierung (vgl, z.B. Trotzki: Die wirkliche Lage in Russland.) Auch Lenin mußte, und sah es als selbstverständlich an, seine Vorschläge zu bestimmten Aufassungen im Politbüro zu begründen und diskutieren zu lassen.
Politbüro der Kommunistischen Partei der Sowjetunion ? Wikipedia
Diese Form der innerparteilichen Dikussion in den Spitzengliederungen wurde schrittweise abgeschafft. Dabei nahm Stalin, als Generalsekretar, nicht selten eine "neutrale" dritte Position ein zwischen dem Linken und dem rechten Flügel der Partei (vgl. Chlewnjuk: Das Politbüro)
Diese Position von Stalin entsprach nicht selten den Vorstellungen der stärker werdenden Bürokratie der KP und der nachgeordneten Volkssekretariate. Und verweist auf ein weiteren Bereich der Veränderung, die bereits Lenin kurz vor seinem Tode noch kritisiert hat, die zunehmende Bürokratisierung (vgl. auch das Testament von Lenin).
Lenin ? Wikipedia
Nach dem "Parteitag der Sieger" und den folgenden Säuberungen wurden die "alten" Kampfgenossen von Lenin und Trotzki aus der Partei entfernt (getötet, verbannt etc.). Und mit ihnen die eher europäische Sicht auf die Politik und ersetzt durch geschulte junge, stalinistische Parteikader. Dieser Vorgang kam einer kompletten Ausrichtung der Bürokratie auf die zentralistischen Erwartungen von Stalin gleich und entmachtete vor allem die regionalen Parteigliederungen und ihre jeweiligen Parteisekretäre.
XVII. Parteitag der KPdSU ? Wikipedia
Vor allem dieser Punkt ist relevant für die weitere Entwicklung nach dem Tode Stalins und der Entwicklung des Stalinkults, den Plamper auf den 21 Dezember 1929, den 50ten Geburtstag von Stalin, legt, da Stalin in den Medien umfangreich glorifiziert wurde.
The Stalin Cult - Jan Plamper - Google Books
2. Konzept der Förderation: Auch in diesem Fall gab es Konflikte zwischen Lenin, Trotzki und auf der anderen Seite Stalin. Die Zentralisierung wurde durch Stalin deutlich beschleunigt und auch teilweise gegen Lenin durchgesetzt wie prominent in der Durchführung der Annektion Georgiens.
Der qualitative Unterschied war, dass zu Lebzeiten Lenins mindestens die unterschiedlichen Flügel der KP um unterschiedliche Konzepte ringen konnten. Und so spannte sich das Spektrum in den 20er Jahren von den "Bukharinists" zu den "Trotskyists" (Cohen, S. 23).
Dabei lehnte sich der rechte moderate Flügel (Rykov, Tomsky, Bukharin) eher an sozialistischen Konzepten an und war dem NEP aufgeschlossen gegenüber.
Alexei Rykov - Wikipedia, the free encyclopedia
Unter Stalins Herrschaft wurde diese Form der innerparteilichen Diskussion unmöglich und verdeutlichen die Veränderungen in der politischen Meinungsbildung.