16 v. Chr. : Die Vorbereitung
Cassius Dio schrieb: "Inzwischen waren Drusus und Tiberius mit folgenden Unternehmungen beschäftigt : Die Raeter, die zwischen Norikum und Gallien ihre Wohnsitze haben, unternahmen Einfälle in viele Teile des benachbarten Gallien und schleppten sogar aus Italien Raubgut hinweg. Ausserdem belästigten sie die Römer oder auch ihre Bundesgenossen, welche ihr Gebiet durchquerten. Nun war zwar ein solches Verhalten irgendwie bei Völkern zu erwarten, mit denen kein Friedensabkommen bestand, die Raeter aber <gingen weiter und> töteten unter den Gefangenen alles, was männlichen Geschäftes war, nicht nur, was bereits in die Welt getreten war, sondern auch was als ungeborenes Leben sich in den Körpern der Frauen befand und durch Wahrsagen als männlich festgestellt wurde.“ (13)
15 v.Chr. : Der Kriegszug des Tiberius und des Drusus: (Karte 2)
Cassius Dio schrieb: „Deshalb schickte Augustus zunächst den Drusus gegen sie, und der schlug rasch eine Gruppe von ihnen, die ihm bei den tridentinischen Bergen vorweg entgegentrat, in die Flucht, worauf er den Rang eines Praetors erhielt.“ (13)
Drusus eröffnete also den Feldzug und stieß entlang der Eisack zum Inntal vor, seine Gegner werden als Vindeliker bezeichnet Die Kämpfe waren schwer und er schlug die Isarci, Breuni und Genaunes und fügte ihnen doppelt so schwere Verluste zu, wie sie seine eigene Armee erlitt.
Der Vorstoß vom besetzten Noricum aus führte wohl Piso (Legat der Transpadana) gegen die Liccates und endete nördlich des Salzkammergutes im befreundeten Bojergebiet. Er unterwarf auch die tauriskischen Ambisontes und vindelikischen Catenates.
Piso, der Bruder des Augustus verfiel 20 n.Chr der damnatio memoriae, so daß seine Taten von den antiken Historikern ignoriert wurden.
Cassius Dio schrieb weiter: „Späterhin, als die Feinde zwar von Italien abgedrängt waren, jedoch auch dann noch Gallien heimsuchten, entsandte der Kaiser auch noch den Tiberius.Die beiden Brüder brachen nun von vielen Seiten her gleichzeitig ins Land ein, sowohl persönlich wie auch mit Hilfe ihrer Unterführer, und Tiberius überquerte auf Schiffen sogar den See. So versetzten sie die Einwohner, indem sie lediglich auf einzelne Volksgruppen stiessen, in Schrecken und überwältigten ohne besondere Mühe nicht nur diejenigen, die sich jeweils zum Kampfe stellten – die Barbaren setzten ja ihre Streitkräfte nicht geschlossen ein –, sondern nahmen auch den Rest, der sich durch das Vorausgegangene geschwächt und entmutigt fühlte, gefangen.“ (13)
Bei den geschlagenen Kriegern, welche nun über das Oberrheintal zu fliehen versuchten, kann es sich um Söldner gehandelt haben. Das Vorfeld der burgundischen Pforte war jedoch durch die römische Kastelllinie Magia – Augusta Raurica verriegelt, so das sich die Kämpfe zu den Brigantii ans Ostende des Bodensees verlagerten. Das helvetische Seeufer war seit Caesar, das rätische (Vennones?) seit 16 v.Chr. besetzt.
Eine Vereinigung der rätischen mit den vindelikischen Stämmen vor der Entscheidungsschlacht scheint also gescheitert zu sein. Tiberius gallischer Heeresverband mit der IX. Hispana, der XX.Valeria Victrix, der XVI., der XXI. Rapax (aus Rekruten der cisalpinen Bergstämme), sowie die Ala Pansiana rückte nun von den Donauquellen über die Ostalb vor. Die Entscheidungsschlacht gegen die Hauptkräfte der Vindeliker fand am 1.8.15 v.Chr. irgendwo zwischen Iller- und Lechmündung statt, Horaz schrieb an einem reißenden Fluß. Das Datum war seit dem Fall Alexandrias ein Glückstag, errinnerte aber auch an die vernichtende Schlacht von Cannae. Horaz verglich in bedeutsamer Weise den Sieg des Tiberius mit Cannae, es ist also nicht als Scharmützel zu verharmlosen. Das Vindelikerheer bestand neben dem Landsturm mit „nackter Brust“ wohl auch aus Schwergepanzerten Gaesates. (13)
Die Verluste der Römer waren gering und die Entscheidung war der Sieg über die restlichen Stämme des Viererbundes, wohl über alle Vindeliker.
7/6 v.Chr. : Der siegreiche Abschluss – Das Tropaeum Alpium
Im Sommer des Jahres 15 v. Chr. besiegen die beiden kaiserlichen Adoptivsöhne Drusus und Tiberius 45 Alpenstämme, u. a. die in den Alpen und im Alpenvorland, in Oberschwaben und Bayern wohnenden Räter und Vindeliker. Gleichzeitig besetzen römische Truppen das mit Rom befreundete Königreich Noricum (Osterreich) friedlich bis zur Donau. Die Inschrift des im Jahre 7/6 v. Chr. bei La Turbie oberhalb Monaco zu Ehren des Kaisers Augustus errichteten Siegesdenkmals (tropaeum Alpium), dessen Ruine erhalten ist, nennt die Namen von 45 Alpenstämmen, die ‚vom oberen Meer (Tyrrhenischen Meer) bis zum unteren Meer (Adria) unter Führung und Planung‘ des Augustus unterworfen wurden.
Auf dem grossen Siegesdenkmal des Tropaeum Alpium steht:
" Senat und Volk von Rom für den Imperator Caesar Augustus, den Sohn des vergöttlichten Caesar, dem Oberpriester, Imperator zum 14. Mal, im siebzehnten Jahr seiner tribunizischen Gewalt, weil unter seiner Führung und seinem Oberbefehl alle Alpenvölker vom Adriatischen (oberen) bis zum Tyrrhenischen (unteren) Meer unter die Herrschaft des römischen Volkes gebracht worden sind. Die besiegten Alpenvölker sind :
Die Trumpliner, die Kamunner, die Venosten, die Vennoneten, die Isarker, die Breuner, die Caenaunen, die Fokunaten, die vier Vindelikerstämme, die Kosuaneten, die Runikaten, die Likaten, die Kattenaten, die Ambisonten, die Rigusker, die Suaneten, die Kalukonen, die Brixen(e)ten, die Lepontier, die Uberer, die Nantuaten, die Seduner, die Veragrer, die Salasser … usw. "
Mit dem Sommerfeldzug war das Ziel des Alpenfeldzuges erreicht: weder Räter noch Vindeliker waren mehr in der Lage, im Norden Italiens einzufallen. Die strategische Verbindung zwischen Gallien und Illyricum war hergestellt, die alte Einfallsschneise der Germanen durch ein Vorfeld abgesichert.
1.3. Die Frühzeit der Alpenprovinz
Provinzialrömische Archäologie:
Die Straßenverbindungen über den Großen und Kleinen St. Bernhard, über die Bündnerpässe durch das obere Rheintal an den Bodensee sowie die Verbindungen über den Brenner und Reschen-Scheideck bilden die strategischen Voraussetzungen für die militärischen Operationen des augusteischen Heeres nördlich der Alpen. Römische Funde im Alpenvorland bezeugen die Anwesenheit römischer Truppen während des Räterfeldzuges 15 v. Chr. in Oberschwaben und Bayern: In Augsburg-Oberhausen kamen beim Kiesabbau Tausende von Waffen, Werkzeugen und Ausrüstungsgegenständen von Legionssoldaten sowie Pferdegeschirrteile, Keramik und über 400 Münzen zum Vorschein. In einer Kiesgrube bei Dangstetten, Kr. Waldshut hat Gerhard Fingerlin ein Legionslager aus der Zeit des Räterfeldzuges entdeckt und ausgegraben - ein Holzerdelager, als dessen Besatzung die IXX. Legion bezeugt ist und das nach Münzfunden bis 9 v. Chr. besetzt war. Verglichen mit dem gleichzeitigen Legionslager Xanten/ Vetera Castra am Niederrhein, - dem Ausgangspunkt der römischen Expeditionen entlang der Lippe in das Innere Germaniens (Legionslager: Holsterhausen, Haltern, Oberaden u. a.) - hat man auch von Dangstetten aus mit militärischen Operationen nach Norden durch das Wutachtal ins Neckartal zu rechnen. Allerdings erwähnt kein Schriftsteller diese mutmaßlichen Expeditionen - wir müssen sie anhand von Funden rekonstruieren. So sind im Bereich der „Helvetiereinöde“ zahlreiche Einzelfunde, welche man treverischen Auxilien zuordnete.
Angesichts der Söldnertraditionen wurden waffenfähige Räter und Vindeliker in Auxiliareinheiten aufgestellt, welche zunächst in ihrer Heimat stationiert wurden.
Cassius Dio schrieb dazu: „Und da die Bevölkerung über viele Männer verfügte und man mit Empörungen rechnen musste, so führten die Römer den Grossteil ihrer kräftigsten, im waffenfähigen Alter stehenden Leute ausser Landes und liessen nur so viele Leute zurück, dass sie das Gebiet wohl hinreichend besiedeln, nicht aber einen Aufstand wagen konnten."(13)
Das von Drusus und Tiberius im Jahre 15 v. Chr. unterworfene Rätien und Vindelicien, die Alpen und das Alpenvorland, unterstehen der Militärverwaltung des gallischen Heereskommandos, der Kommandeur der bei Augsburg-Oberhausen lagernden Legionen ist zugleich Statthalter von Oberschwaben und Bayern: legatus Augusti pro praetore in Vindolicis.(15) Vindelikien war in den ersten 30 Jahren Aufmarschgebiet für die Offensivbewegungen vom Rhein bis zur Elbe, in Rätien herrschten eher Besatzungsverhältnisse.
Befestigungen:
Besatzungen dürften an Schnittpunkten der Volksgrenzen in Form von Großfestungen gewählt worden sein.(16) Kleinere Militärplätze von Auxiliareinheiten überwachten jeweils 2 Civitates. Die Oppida erhielten wohl kleine einheimische Besatzungsverbände zur Sicherung, die Bevölkerung kehrte nicht in diese zurück.
Von diesem Besatzungsheer ist fast nichts erhalten, es dürfte jedoch aus späteren Kleinkastellen zu ergänzen sein. (17)
Strassenbau:
Den Strassenbau hatte Augustus sofort begonnen – in den Alpen ist sein Name nur noch mit der Strasse über den Julierpass verbunden. Im Voralpengebiet konnte das Straßensystem auf Altstrassen der Kelten aufgebaut werden. So gab es z.B. eine vorrömische Verbindung zwischen Bregenz und Kempten weiter nach Manching und Kehlheim, eine weitere Keltenstrasse führte über den wichtigen Handelweg Rottweil über den Schwarzwald ins innere Galliens.
Insgesamt handelte es sich vorrangig um den Ausbau bestehender Alpenübergänge, der Einrichtung von Militärstationen an Marktplätzen und Rasthäusern der Einheimischen. (18)
Municipien und Civitates:
Die ehemaligen Stämme lebten in Form von Civitates neben den vici als Landbevölkerung oder direkt als Teil eines vicus fort und besaßen Peregrinestatus. (19)
Auch Stadtgemeinden erreichten in vorclaudischer Zeit nicht den latinischen Rechtsstatus. Die kaiserzeitliche Förderung der Romanisierung äußerte sich in der Schaffung von Verwaltungs-und Kultzentren, im frühen Cambodunum, in Brigantium oder etwa hier auf dem Auerberg. Städte sind aus Meilensteinzählungen bekannt, Civitates aus Militärdiplomen.
Handwerker und Händler aus den ehemaligen Oppida wurden in Neugründungen, wie etwa Augusta Vindelicum rekrutiert. Das Fehlen von Marktgründungen im gesamten Alpenvorland zeigt, daß die Urbanisierung von der Militärverwaltung nicht gefördert wurde.
Anhang
I. Anmerkungen
1: Zitiert in: Brunner / Toth 1987, S. 28.
2: Polybios Hist. IV, 6, 8 und IV, 6, 12 (zitiert in: Brunner / Toth 1987, S. 17).
3: So nimmt z.B. Frei-Stolba an, dass die Beschreibung des Rheinoberlaufes in Geogr. IV 3, 3 ursprünglich von Poseidonios stammt und von Strabon korrekturlos übernommen wurde (Frei-Stolba 1984, S. 11).
4: Ptolemaios, Geographia, II.12,4 (3).
5: Tropaeum Alpium : Pos. 6 = Breuni, 7 = Genaunes, 9 = Vindelicorum gentes quattuor, 10 = Consuanetes, 11 = Rucinates.
6: (LMU Prof.) Amai Lang, Noch sind die Räter Herren des Landes, in L.Zemmer-Plank, Veldidena, Innsbruck 1985, 45f. = Die Räter sind mit der Fritzens-Sanzeno-Kultur identifiziert, wodurch die Breuni Räter werden.
7: Vgl. Castelin-Keller, Glatte Regenbogenschüsselchen 1.c.118 (Verbreitungskarte). Zur Fortsetzung der boisch-vindelikischen Münzlandschaft.
8: Etymologische Analogie zum allemanischen Gau der Lentiensi (3./4.Jh ) als Übernahme eines alten keltischen Gebietsnamens durch die germanische Bevölkerung.
9: Zu den über 30 Viereckschanzen in diesem Raum vgl. K.Schwarz, Atlas der spätkeltischen Viereckschanzen Bayerns, München 1959.
10: Vgl. Damasia in: Reiser,R. Die Kelten in Bayern, München 1984, 44f.
11: Strab. Geo. IV.6,9.
12 : Dietmar K.: Augustus, Prinzeps und Monarch, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1992, S. 324.
13: Cassius Dio, 54, 22, 1.
14: „agmina ferrata“, mit 2 Lanzen bewaffnet, (Gaesa)
15: vgl. kaiserliche Legaten C. Vibius Pansa und L. Domitius Ahenobarbus in: G. Winkler, Die Statthalter der Provinz Rätien unter dem Prinzipat, BVB1 36/1971, 50f.
16: Legionslager Dangstetten und Vindonissa im Grenzbereich zwischen Helvetiern und Vindelikern / nördlichere frühe Großfestung als Augsburg (~2 Legionen) noch nicht nachgewiesen.
17: Frühe Besatzungstruppen an der Südspitze Kemptens / Auxiliarlager bei Hüfingen an den Donauquellen / Lager von Eching nördlich München (50x60m). / Militärstation Epfach / berittene Auxilia in Zurzach.
18: Strassenstation Pons Drusi am Brennerpass in: R.Heuberger, Von Pons Drusi nach Sublavione, Klio 23/1930, 24f.
19: = Freier, der nicht das römische Bürgerrecht besaß, es galt das Ius gentium – eine antike Form des Völkerrechts.
II. Bibliographie
Bernecker, A. Die Feldzüge des Tiberius und die Darstellung der unterworfenen Gebiete in der "Geographie des Ptolemaios", Bonn 1989, 40–92.
Degen, R. Die rätische Provinz des römischen Imperiums, in: Beiträge zur Raetia Romana, Graubünden 1987, 2–14.
Frei-Stolba R. Die Räter in den antiken Quellen, in : Das Räterproblem in geschichtlicher, sprachlicher und archäologischer Sicht, Schriftenreihe des Rätischen Museums Chur 28, 1984, 6–21.
Frei-Stolba, R., Ein neues Zeugnis zum Alpenfeldzug : die Trumplini und Raeti im Sebasteion von Aphrodisias (Karien, Türkei), Jahresbericht des Rätischen Museums Chur 1993, 64–91.
Brunner L. / Toth A. Die rätische Sprache - enträtselt. Gossau 1987.
Keller, E. Das Schicksal der einheimischen Bevölkerung und das Fortleben keltischer Tradition, Die Römer in Schwaben, München 1985, 28f