In der bisherigen Diskussion wurde bereits darauf hingewiesen, dass bei der Beantwortung der Gewaltfrage stärker zwischen den einzelnen Religionen (so bspw. @Legat) und den historischen Zusammenhängen, in denen es zu religiös motivierten Gewalttaten kam (so bspw. @timotheus), differenziert werden müsste. Dem kann ich mich nur anschließen.
<?xml:namespace prefix = o ns = "urn:schemas-microsoft-com
ffice
ffice" /><o
></o
>
Gleichwohl will ich bei dem groben Raster Polytheismus/Monotheismus bleiben und zunächst einfach mal auf folgendes historisches Vorkommnis hinweisen: Im römischen Reich des 3. Jh. n. Chr. war der Polytheismus vorherrschend. Obgleich dem Polytheismus von einigen Diskutanten die größere Fähigkeit zur Toleranz nachgesagt wird, kam es in diesem Jh. zur systematischen Christenverfolgung. Diese wurde freilich nicht von polytheistischen Priestern angeordnet sondern vom römischen Kaiser. Das Beispiel zeigt, dass bei dem Verhältnis von Religion und Gewalt nicht allein die „religiöse Seite“ sondern auch die „weltlichen“ Akteure zu berücksichtigen sind. Nicht nur die Priester sind daran interessiert, Einfluss auf (möglichst viele) Menschen zu haben, sondern auch die Herrscher. Mehr noch: da Priester Einfluss auf „Untertanen“ haben, kann den Herrschern der Einfluss der Priester und damit auch die „Glaubensfrage“ nicht gleichgültig sein. Gleiches gilt übrigens auch in umgekehrter Richtung.
<o></o>
Anderes Beispiel: Wenn jeder Stamm über seinen eigenen Gott verfügt, verbindet dies die Stammesangehörigen im Glauben, es erschwert aber das Zusammenleben verschiedener Stämme. Wie kann man einem Fremden vertrauen, der auf andere Götter schwört, ja der möglicherweise sogar auf Götter schwört, von denen durch Mythen „bekannt ist“, dass diese sich mit dem eigenen Stammesgott in einer (ewigen) Fehde befinden? Dieses abstrakt gebildete Beispiel macht deutlich, dass der Polytheismus auch die Ethnisierung, den Rassismus und somit auch die Gewalt zwischen den verschiedenen Stämmen fördern kann. Jedenfalls steht der Polytheismus einer stammesübergreifenden Verbandsbildung eher entgegen. Kommt es zu einer Ausdehnung des Herrschaftsgebietes wird das Zusammenleben verschiedener Stämme häufig von rassistischen Gewaltverhältnissen geprägt. Auch taucht oftmals das Phänomen des Herrschers auf, der sich zum Gott erklärt, an den alle Untertanen aller Stämme glauben und dem alle Opfer bringen müssen und der alle Untertanen, die diesen Forderungen nicht nachkommen, mit Gewalt nachstellt.
<o></o>
Ganz anderes Beispiel: der heidnische Frankenkönig Chlodwig ließ sich taufen. Von der Taufe profitierte sowohl der Frankenkönig als auch die Kirche. Der König versprach die Kirche zu schützen und kam diesem Versprechen notfalls mit Gewalt nach. Die Kirche hingegen nahm auf ihre Angehörigen dahingehend Einfluss, dass diese die neue Herrschaft akzeptierten. Dieses Beispiel zeigt, dass sowohl die Herrscherkaste als auch die Priesterkaste bei wechselseitiger Kooperation voneinander profitieren können. Bei einer exklusiven Kooperation zwischen Herrscherkaste und monotheistischer Priesterkaste (Staatsreligion) ist sogar eine stammesübergreifende Verbandsbildung möglich (die eine Voraussetzung für die spätere Entstehung eines Staates darstellt), da „alle im einen Gott brüderlich verbunden sind“. ABER eine weitere Folge ist auch, dass sich in einem solchen Fall die Herrschergewalt gegen jene Religionen richtet, die zu der „Staatsreligion“ in Konkurrenz stehen, und sie kann auch gegen die „Abweichler“ vom wahren Glauben mobilisiert werden, die die Einheit des Glaubens gefährden (durch Abweichungen von Dogmen, dem wahren Bekenntnis, dem richtigen Ritus, der richtigen Auslegung der „Heiligen Schrift“, etc.).<o></o>
<o></o>
Wenn die Priesterkaste einer monotheistischen Staatsreligion so streng hierarchisch, hochgradig und flächendeckend organisiert ist, wie die der Papstkirche des MA, hat dies für die Herrscherkaste (z.B. des Hl. Röm. Reiches) freilich nicht nur den Vorteil des einen „Ansprechpartners“, der Absprachen kirchenintern nach unten durchsetzt, sondern auch das Problem, dass der an der Spitze dieser Hierarchie stehende Höchste Priester über sein Netzwerk ein ungemein einflussreicher Priester ist, dem die Herrscherkaste in Glaubensfragen sogar untersteht, da diese Mitglied der einen Staatskirche ist. Da aber sowohl Herrscherkaste als auch Priesterkaste nach maximalen Einfluss streben, sind Rivalitäten und gewalttätige Konflikte vorprogrammiert, bis die eine Seite die andere Seite dominiert oder aber ein Gleichgewichtszustand zwischen den beiden Kasten gefunden ist. Solche Konflikte zwischen dem Obersten Herrscher und dem Obersten Priester können sich bei einer monotheistischen Staatsreligion zum Flächenbrand entwickeln, während sie sich bei einem polytheistisch geprägten Stammesverband doch naturgemäß als überschaubarer Konflikt zwischen dem Obersten Herrscher und einem Obersten Priester eines von vielen Götterkulten darstellen.<o></o>
<o></o>
Langer Rede kurzer Sinn: bei der Gewaltthematik darf man die „staatliche“ Seite nicht einfach ausblenden. Nicht der einzelne „Verrückte“ ist das Problem, der in einem Mythos oder in einer „Heiligen Schrift“ die Legitimation für Gewaltakte entdeckt und diese dann ausführt. Das Problem sind die staatlichen und religiösen Autoritäten, die bei ihrem Streben nach Einfluss, solche „Verrücktheiten“ zulassen, fördern, propagieren, decken, ja sogar als Machtmittel einsetzen, etc.<o></o>
<o></o>
<o></o>
Nachtrag:<o></o>
<o></o>
Eine der großen und äußerst bedeutsamen Wurzeln des Völkerrechts ist die kirchliche Rechtswissenschaft (Kanonistik). Der spanische Philosoph, Theologe und Jesuit Francisco Suárez (1548-1617) geht in seiner Schrift „Die drei göttlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe“ auf die völkerrechtlich bedeutsame Frage ein, ob Ungläubigen jede Gewalt über Christen bzw. Gläubige genommen werden kann. Dies lehnt Suárez sowohl unter Berufung auf das weltliche als auch unter Berufung auf das göttliche Recht ab. Es lohnt sich diesen Text vollständig zu lesen (5 Seiten). Er endet mit folgenden Worten:<o></o>
<o></o>
„Ein Vergleich mag das Gesagte verdeutlichen. Setzen wir voraus, es gäbe zwei ungläubige Souveräne, von denn der eine auf Grund der natürlichen Erkenntnis den wahren Gott verehrt, während der andere Götzendiener ist, aber Untertanen hat, die den wahren Gott verehren; so könnte der letztere doch von dem ersteren nicht wegen seines Götzendienstes seiner Herrschaft über diese Untertanen beraubt werden; denn er ist dessen Gerichtsbarkeit nicht unterworfen, und er verliert wegen seines Götzendienstes nicht ohne weiteres seine eigene Regierungsgewalt. Das ist ein Zeichen dafür, dass nach dem Naturrecht diese Ordnung gewahrt werden muß, weil es so dem allgemeinen Wohl und Frieden und der Rechtsgleichheit dient. Die Gewalt aber, die der Kirche verliehen wurde, bringt die natürlichen Rechte nicht in Verwirrung; denn sie ist ihr >>zur Erbauung<< verliehen und so, daß sie möglichst zur Erhaltung des Glaubens dient; also ist ihr nicht eine solche Gewalt verliehen, die eher >>zur Zerstörung<< dienen müsste; denn sie würde zum Schaden für den Glauben und zum Ärgernis der anderen ausschlagen“ (zitiert nach Josef de Vries u.a. (Hrsg.), „Francisco Suárez. Ausgewählte Texte zum Völkerrecht“, 1965, S. 110 ff, 115).