Frage: Hat ein römisches Heer nach jedem Marschtag ein Lager errichtet? Gab es Vorschriften, Anweisungen? Machte es einen Unterschied, ob man in Feindesland war oder nicht? Konnte man auf den Lagerbau verzichten?
Ich denke nicht, dass man mit Vorschriften da weiter kommt, weil es immer auch zu Situationen kommen konnte, in denen Vorschriften schlicht nicht praktikabel waren oder völlig unnötig und dass muss nicht zwangsläufig etwas damit zu tun haben ob es sich um Feindesland handelte oder nicht.
Wenn der Marschtag ungeplanter Weise in einer Gegend endete, die keinen geeigneten Platz für ein vorschriftsmäßiges Lager bot, wird man nicht in der Situation gewesen sein eins errichten zu können.
Z.B. bei eher felsigem Untergrund konnte man das mit dem Gräbenziehen wahrscheinlich eher vergessen.
Genau so wenig wenn man etwa einen Feind verfolgte (ob in eigenem Territorium oder Feindesland) und das Aufsuchen eines geeigneten Lagerplatzes eventuell vorrausgesetzt hätte den Kontakt zum Feind zu verlieren und diesen entkommen zu lassen.
Wahrscheinlich wird man ebenfalls darauf verzichtet haben ein Marschlager aufzuschlagen, wenn man alternativ andere Quartiere beziehen konnte, z.B. wenn eine eigene oder verbündete Siedlung in der Lage war die Truppen aufzunehmen.
Oder wenn eben an strategisch wichtigen Etappenpunkten Standlager unterhalten wurden, die in der Regel nur über eine minimale Besatzug verfügten und kurzfristig belegt werden konnten.
Situativ konnte sicherlich auch das Wetter das Errichten eines vorschriftsmäßigen Marschlagers eher unsinnig machen oder extrem erschweren (z.B. bei strömendem Regen, wenn das Erdreich weitgehend durchnässt und schlammig ist und sich nicht vernünftig zu einem Wall auftürmen lässt.
Und möglicherweise wird man die Vorschriften in Praxi auch mehr als Richtlinien betrachtet und auf den üblichen Lagerausbau verzichtet haben, wenn man eine natürliche geschützte Position erreichen konnte, eine Erhebung in der Landschaft mit gutem Rundum-Blick z.B., eine Flussschleife oder Flussinsel, die schon nach mehreren Seiten hin eine natürliche Barriere schuf o.ä., was vergleichbaren oder sogar besseren Schutz bot, als die provisorischen Verteidigungsmaßnahmen der Marschlager.
Wenn sich solche Positionen finden ließen, und man dementsprechend auf die Befestigungsarbeiten oder einen Großteil davon verzichten konnte, hätte das potentiell mehr Ruhezeit für die Truppen bedeutet und bei regelmäßigem Praktizieren wahrscheinlich den einen oder anderen Ruhetag eingespart.
Daraus können wir schließen, dass die Errichtung römischer Marschlager nur in Feindesland erfolgte, sonst wurden keine Wälle errichtet oder Gräben ausgehoben, jedenfalls sind in England bis auf die wenigen keine Lager nachgewiesen, in Schottland, das nicht zum Römischen Imperium gehörte, wimmelt es dagegen nur so von Lagern. Insgesamt sind 374 Lager verteilt über Großbritannien verzeichnet, davon ca. 10 Marschlager in England, die nicht mit Wales oder Schottland in Verbindung zu bringen sind.
Zu weit geschlossen.
Möglicherweise sind in England einfach deswegen relativ wenige Marschlager bekannt, weil die Truppen in der Regel Aufnahme in den römischen Ortschaften in Britannien oder bei den verbündeten Stämmen finden konnten.
Auf Grund der Geographie und des Umstands, dass Großbritannien einmal eine Insel ist, könnten sich im Übrigen durchaus auch Truppenverlegungen per Schiff angeboten haben
Das würde sich in Germanien irgendwo zwischen Lippe und Weser, wo es unserem Kenntnisstand nach kaum größere Ortschaften oder stehende Lager gab, die dafür infrage gekommen wären, allerdings anders ausgenommen haben.
Da bekommen Textstellen wie "prima Vari castra" bei Tacitus, bei dem für angenommene 4 Marschtage auch nur 2 Lager beschrieben sind, oder
"sie wollten erreichen, daß Varus auf dem Marsch ins Gebiet der Aufständischen sich wie bei einem Zug durch befreundetes Land verhielt, so daß er leichter überwältigt werden konnte und nicht etwa wie bei einer überraschenden allgemeinen Erhebung Vorsichtsmaßnahmen traf." eine ganz andere Bedeutung. Ein Zug durch befreundetes Land bedeutete, dass keine Lager angelegt wurden. Nach dem ersten Marschtag ließ Varus weder Gräben ausheben, noch Wälle errichten, denn er wähnte sich nicht in feindlichem Territorium.
Nach dem Angriff sah er dann wie ein Idiot aus, da er sich - ex post - ja in Feindesland befunden hatte.
Ich denke hier sollte man die literarische Überlieferung durchaus kritisch lesen.
Die römische Herrschaft in Germanien war noch im Aufbau, und alles rechts des Rheins, was nicht unbedingt im direkten Einzugsbereich der Lippe, der Lahn oder des Mains lag, entzog sich jeder Form faktischer römischer Kontrolle.
Das wusste Varus. Und wenn er versuchte in Germanien römische Rechtssprechung und Besteuerung durchzusetzen, musste er auch damit rechnen, dass das ggf. bei denjenigen Einwohnern, die an ihren Gewohnheiten festhalten wollten und das evt. als übergriffig empfanden für Unmut sorgen musste.
Wenn Varus, deutlich abseits der von Rom tatsächlich kontrollierten Gebiete unterwegs war, musste er unter diesen Umständen damit rechnen in jedenfalls potentiellem Feindesland unterwegs zu sein.
Hätte er nicht damit gerechnet, hätte er wohl auch kaum 3 Legionen mit dabei gehabt. Wozu hätte er die benötigt? Wenn Varus bei was auch immer er konkret vor hatte davon ausgegangen wäre, dass man ihm und Rom grundsätzlich wohlgesonnen sei und nicht mit Unruhen zu rechnen sei, hätte er diese Streitmacht oder jedenfalls erhebliche Teile davon kaum mitgenommen.
Mit 3 Legionen durch die Gegend zu ziehen, war freundlich ausgedrückt eine Machtdemonstration und weniger freundlich ausgedrückt eine militärische Drohgebärde.
Die hätte in einem ruhigen, freundlichen Klima Rom gegenüber wahrscheinlich eher unnerwünschte Befürchtungen bei den Einheimischen geweckt, als irgendwas sinnvolles erreicht.
Sinn ergab das nur um per Machtdemonstration potentielle Feinde entweder direkt zu bekämpfen oder von vorn herein einzuschüchtern. Und wer bereits mit dieser Absicht losmarschiert, der rechnet nicht damit in den Gegenden, durch die er zieht, besonders willkommen zu sein.
Das keine der Anzahl der Marschtage entsprechende Zahl an Lagern beschrieben ist, bedeutet weder zwangsläufig, dass keine angelegt wurden, noch bedeutet es im Fall dass dies tatsächlich nicht passierte, dass es sich um reine Ignoranz oder Naivität von Seiten des Varus gehandelt hätte. Möglicherweise fand man einfach eine Position die zusätzliche Sicherung durch Lagerbefestigung unnötig erscheinen ließ, weil sie bereits durch die natürlichen Gegebenheiten einigermaßen sicher war, möglicherweise verhinderten auch andere Bedingungen (naturräumliche Gegebenheiten/Wetter) das Errichten eines entsprechenden Lagers.
Entfernungen schätze ich soweit es möglich ist
Das ist, so lange wir nicht wissen, von wo Varus abmarschiert ist und wie die Wegeverhältnisse und die Witterungsbedingungen genau waren reine Kaffeesatzleserei.
Auf einigermaßen ausgebauten Wegen (Wegen, nicht Militärstraßen) hätte man vielleicht 20-30 Km am Tag vorran kommen können, wenn man sich den Weg, im Besonderen für den schweren Tross noch selbst bahnen musste, oder wenn möglicherweise Regen den Untergrund aufgewicht hat und sich die Soldaten, Maultiere und Furwerke de facto durch schlammigen Untergrund langsam vorwärtsarbeiten mussten, könnten es genau so gut auch nur 10 oder 15 Km gewesen sein.
Das ist reine Spekulation.
Damit scheint es ausgeschlossen, dass Varus sein Sommerlager in Höxter gehabt haben könnte.
Wie
@Sepiola bereits schrieb.
Es ist nicht mal völlig sicher, dass es ein Sommerlager in dieser Form überhaupt gab.
Es ist sicherlich möglich. aber so lange es lediglich möglich und nicht einigermaßen sicher ist, ergibt es, denke ich, nicht allzu viel Sinn, sich auf Standorte festlegen zu wollen.