Ich bin der Meinung das Deutschland sich schon etwas mehr um seine Vergangenheit vor den Weltkriegen kümmern sollte, allerdings bin ich mit der Art und Weise wie häufig mit der Geschichte "Abgerechnet" wird sehr unzufrieden. Ich habe den Eindruck dass recht häufig, unreflektiert heutige Maßstäbe angelegt werden um Historische Personen zu Verurteilen. Vor einigen Wochen las ich diesen Artikel:
Gustav Nachtigal: Afrikaforscher*bei den Sklavenjägern - SPIEGEL ONLINE.
Den Versuch in Gustav Nachtigall einen Schuldigen zu suchen finde ich zum Kopfschütteln.
Natürlich kann man
heute von einem erfahrenen Forscher erwarten dass er sich nicht für solche Interessen einspannen lässt, doch gerade in einer Zeit wo selbst SPD und Zentrum nicht grundsätzlich gegen Kolonien waren, ist diesem Mann kaum ein Vorwurf zu machen.
Statt zu verurteilen sollten wir lieber versuchen es besser zu machen, denn auch über uns werden eines Tages unsere Enkel richten.
Es geht letztlich um gar nichts, aber man kann sich trefflich darüber aufregen. Ich halte auch nichts davon, nach über 100 Jahren über Gustav Nachtigal die Damnatio memoriae auszusprechen, zumal er ganz sicher kein Typ vom Schlage Carl Peters war und neben Heinrich Barth zu den Afrikaforschern gehörte, die am wissenschaftlichsten arbeiteten und der sich bei seinem Engagement gegen die Sklavenrazzien arabischer Sklavenjäger großen Gefahren aussetzte. Sicher haben die kartographischen und ethnologischen Studien von Afrikaforschern wie Livingstone, Stanley, Emin Pascha, Nachtigal, Barth, Rohlfs und anderen die koloniale Erschließung Afrikas durch die europäischen Mächte erleichtert, und Männer wie Emin Pascha, Wissmann und Nachtigal haben sich der deutschen Kolonialverwaltung zur Verfügung gestellt und die koloniale Erschließung propagiert.
Das kann man kritisieren, und der Überlegensheitsdünkel der europäischen Kolonialmächte verdient es ebenso kritisiert zu werden wie die Scheinheiligkeit. Europa hat sich die afrikanischen Kolonien nicht unter den Nagel gerissen, um die Eingeborenen vor arabischen Sklavenhändlern zu beschützen und sie zu missionieren. Die Sklaverei hieß vornehmer Zwangsarbeit, und die berüchtigten Kongogreuel, die sich in der Privatkolonie des Philanthropen Leopold II. von Belgien abspielten, waren eher noch schlimmer, als die Razzien eines Warlords wie Tippu Tib, mit dem sich übrigens Henry Morton Stanley gut verstand. Europas Einfluß in Afrika war wenig rühmlich-ohne Frage, aber das diskreditiert nicht automatisch die Leistungen der Afrikaforscher des 19. Jahrhunderts. Gerhard Rohlfs bereiste jahrelang die Sahara inkognito als arabischer Arzt Mustafa el Tobib. Ohne Forschungsauftrag und ohne Gelder aus Forschungseinrichtungen und natürlich auch ohne sicher sein zu können, die verdiente wissenschaftliche Anerkennung für lebensgefährliche Expeditionen zu erhalten. Rohlfs, Livingstone, Heinrich Barth und auch Nachtigal riskierten ihr Leben und wurden ausgeraubt und überfallen und mancher ruinierte dabei seine Gesundheit- Das alles wie gesagt oft in privater Initiative und zum größten Teil aus privaten Mitteln. Die Tropenmedizin befand sich noch in den Kinderschuhen und Krankheiten wie Rhur, Malaria, Gelbfieber und die Schlafkrankheit forderten ihren Tribut.
Forscher wie Mungo Parks, David Livingstone, Emin Pascha glaubten, dass die koloniale Erschließung Afrikas den Afrikanern zugute kommen und ihnen mehr Sicherheit, bessere medizinische Versorgung, Wohlstand und Bildung bringen werde.
Das Sendungsbewusstsein der Europäer, das, was Rudyard Kipling mit "The white man´s burden" meinte, mag man, wie schon gesagt, rückblickend kritisieren. Es stellt sich aber die Frage, ob man damit den Zeitgenossen des 19. Jhds gerecht wird. Welche Alternativen hätten sich geboten? Sollte man Elfenbein- und Sklavenjäger, die buchstäblich ganze Landstriche entvölkerten gewähren lassen? War es vor dem "Scramble for Africa" absehbar, was Leute wie Carl Peters und Leopold II. dem Land und den Menschen antun würden?
Nachtigal kann sich nicht mehr verteidigen, und seine Damnatio memoriae macht auch die Kongogreuel und Hereromassaker nicht ungeschehen. Es ist so furchtbar billig, sich über Straßennamen zu mokieren. Thanepower hat schon betont, dass man besser daran täte, sich gegen den Neokolonialismus zu engagieren.
Seit ein paar Jahren gibt es immer wieder mal trashige Doku/Scripted Reality Formate in Afrika. Sophia Wollersheim und Conchita Wurst durften nach Namibia reisen und wurden in Wild Girls- Auf High Heels durch Afrika auf das aussterbende Volk der Himba losgelassen.
Die öffentliche Empörung über diesen sexistisch-rassistischen Trash hielt sich in Grenzen, und in dem Format "Villa Germania" von RTL 2 wurden ein paar geile alte Säcke, vor denen man im Urlaub Reißaus nehmen würde, als Sympathieträger dargestellt. Im 19. Jahrhundert wurden exotische Eingeborene auf Völkerschauen herumgereicht, zu Beginn des 21. Jhds hat sich daran nicht viel geändert.