Untergang des römischen Reiches

Bitte vergesst nicht die zerstörerische Wirkung der unentwegten Grenzkämpfe.
Seit dem mittleren 3. Jhd. häuften sich, ich rede jetzt speziell für unsere Breiten, die Einfälle rechtsrheinischer Germanen.
Besonders verheerende Ereignisse waren 275, 333 und in den 350er Jahren. Archäologisch sind Zerstörungshorizonte an vielen Orten nachweisbar, zum Teil weit nach Gallien hinein.
Jeder dieser Raubzüge war für das gesamte Reich nicht existenziell bedrohend, aber jedesmal ging ein Stück Infrastruktur (auch ökonomisch) zugrunde und forderte Opfer unter der Landbevölkerung.
Das bedingte wieder Geburtenrückgang, verminderte Produktion, Probleme mit der Aufrechterhaltung einer Verteidigung.

Nach Vertreibung der Eindringlinge war zwar vordergründig der "status quo ante" wiederhergestellt, aber das Reich verlor ständig an Substanz.
 
@tela:

Du meinst:
Nationaler Selbsthass sieht da doch anders aus.

Ich zitiere mal Tacitus: Agricola 21:
Der folgende Winter wurde auf sehr zuträgliche Maßnahmen verwandt. Damit sich nämlich die zerstreut lebenden und rohen und deshalb zum Kriege neigenden Menschen durch Wohlleben an Ruhe und Muße gewöhnten, drängte er (Agricola) sie persönlich und half ihnen von Staats wegen, Tempel, Märkte und Häuser zu errichten, lobte dabei die bereitwilligen und schalt die Trägen: So wirkte Ehrsucht und Wettstreit statt Zwang. Fürstensöhne ließ er sogar schon in den edleren Wissenschaften erziehen und gab dem Talent der Britannier vor dem Eifer der Gallier den Vorzug, so dass sie, die noch eben die römische Sprache abgelehnt hatten, nach der Kunst der Rede verlangten. Von jetzt an kam auch unsere Tracht in Ansehen, und häufig trug man die Toga. Allmählich verfiel man auch auf die Reize der Laster: auf Säulenhallen und Bäder und üppige Gelage. Und dergleichen galt den Unerfahrenen für feine Bildung, während es doch ein Stück Knechtschaft war.

Also, für mich spricht aus diesen Zeilen Erbitterung über die eigene, dekadente Zivilisation, mit der andere Völker auch dekadent gemacht, "kleingekriegt" werden sollen (was übrigens die Amis im Irak gerne täten, aber die Araber wollen einfach nicht die westliche Zivilisation annehmen, weil ihr Instinkt ihnen sagt: Die wollen uns dekadent machen, kleinkriegen)
 
@Ashigaru:

Gegen meine Behauptung, die Germanen konnten die Römer besiegen, weil sie dank ihres Kinderreichtums mehr Soldaten hatten, wendest du ein:

Nein, im Gegenteil. Den frühen Germanenkönigen wie Chlodwig oder Theoderich gelang sogar das Kunststück, in ihren Reichen in Frankreich, Italien, Spanien etc. als ethnische Minderheit über eine Vielzahl römischer Untertanen zu herrschen. Dies gelang, weil:
- das Heer schon im 4. Jahrhundert weitgehend "germanisiert" wurde.
- sie andererseits die römischen "Kernkompetenzen" wie etwa die Besetzung der Bischofssitze oder wichtiger Verwaltungspositionen in der Regel in der Hand von Romanen ließen.
- weil sie nach dem Zusammenbruch des Reiches nicht ihre Andersartigkeit herausstellten und eine Art "Kulturkampf" begannen, sondern weiter der römischen Kultur großen Respekt zollten und sich im Grunde mehr als Erben des römischen Reiches sahen.

Was du schreibst, ist richtig. Doch spreche ich von der Eroberung römischen Territoriums durch die Germanen. Du sprichst von ihrer Herrschaft und wie sie aufrecht erhalten wurde. Das sind zwei verschiedene Paar Stiefel. Auch die Römer hatten keinen Kulturkampf gegen die Beherrschten gemacht, haben zum Beispiel nicht die Griechen gezwungen, nur noch Latein und nicht mehr Griechisch zu sprechen. Oder sie haben zum Beispiel nicht die Bataver gezwungen, ihre Waffen und ihr kriegerisches Wesen abzulegen und Handwerker zu werden. Im Gegenteil: deren Kriegertum brauchten sie zur Reichsverteidigung. Was du schreibst, ist selbstverständlich - aber es ist wichtig, daran zu erinnern (die Amerikaner versuchen im Irak wohl einen Kulturkampf: Die Araber sollen westlich werden - das trifft auf erbitterten Widerstand, so dass die Amis den Irak nicht richtig beherrschen)

Was das byzantinische Reich betrifft: ja, das existierte weiter. Ich weiß aber nicht, warum. Da bin ich nicht kundig.
 
Also das ist doch Unfug. Die Germanenreiche die sich auf römischen Staatsgrund gebildet haben sind entweder sang und klanglos verschwunden ( Vandalen), haben nur absolute Randgebiete des Römischen Reichs abbekommen und dabei noch Teile der röm. Herrschaft übernommen ( Westgoten in Spanien) oder wurden gar von Ostrom gefördert bzw gefördert und dann vernichtet ( Ostgoten). Franken und Burgunder hingegen waren schon röm. Föderaten.
Alles das wiederlegt eine "speergewonnene" Landnahme durch Germanen die sich gehalten hat.

Auch wenn ich mir dafür Ärger einfange von Seiten der Mods: Die Amerikaner haben im Irak soviele Probleme eben weil sie die vorhandenen lokalen/einheimischen Institutionen sowie das Militär aufgelößt haben. Das ist keine Kulturfrage sondern eine Vertrauensfrage.
 
gerthans schrieb:
die Amerikaner versuchen im Irak wohl [... ...]

Sheik schrieb:
Auch wenn ich mir dafür Ärger einfange von Seiten der Mods: Die Amerikaner haben im Irak soviele Probleme eben weil [etc. etc.]

Ich will keinen Ärger machen, aber laßt doch bitte gemäß - den Gepflogenheiten in diesem Forum - die aktuelle Politik aus dem Spiel.

Danke.
 
Wenn ich versuche, aus den vielen Informationen die "Choreographie des Untergangs" (also die logische Abfolge der Schritte) herauszudestillieren, komme ich zu folgendem Ablauf :

Die eigentliche Ursache des Niedergangs war eine schleichende Störung des Geldkreislaufs !

Im Staatshaushalt fielen auf der Einnahmeseite wichtige Ressourcen durch das Ende der Expansion weg, die auf der Ausgabenseite dadurch notwendigen Einsparungen waren nicht realisierbar, da das Machtgefüge "geschmiert" werden musste (Klientelpolitik, Beamtenapparat).

Durch den Geldmangel wurde die Armee geschwächt und das Land damit militärisch verwundbar.

Im Privatsektor führte die Konzentration der landwirtschaftlichen Fläche zu sozialen Ungleichgewichten mit verheerenden gesellschaftlichen Folgen. Dieser Konzentrationsprozess wurde insbesondere durch die Bevorzugung der Großgrundbesitzer aus machtpolitischem Kalkül vorangetrieben; ein Prozess der "positiven Rückkopplung" wurde entfesselt.

Was lernen wir daraus ?

Nichts. Sonst würden wir es ja nicht genauso machen.
 
Klaus schrieb:
Wenn ich versuche, aus den vielen Informationen die "Choreographie des Untergangs" (also die logische Abfolge der Schritte) herauszudestillieren, komme ich zu folgendem Ablauf :

Die eigentliche Ursache des Niedergangs war eine schleichende Störung des Geldkreislaufs !

Im Staatshaushalt fielen auf der Einnahmeseite wichtige Ressourcen durch das Ende der Expansion weg, die auf der Ausgabenseite dadurch notwendigen Einsparungen waren nicht realisierbar, da das Machtgefüge "geschmiert" werden musste (Klientelpolitik, Beamtenapparat).

Durch den Geldmangel wurde die Armee geschwächt und das Land damit militärisch verwundbar.

Nicht zu vergessen, dass auch der GEldbedarf bei der Armee massiv angestiegen ist. Es gab mehr Legionen als unter Augustus und der Sold hat sich ungefähr verdoppelt.
Verwundbar wurde Rom militärisch aber nicht unbedingt wg. des Geldmangels, sondern eher aus der Tatsache heraus, dass
(1) die ständigen Bürgerkriege im 3. Jh. zur Vernachlässigung der Grenzen führte.
(2) es germanischen Stämmen im Zuge dieser inneren Auseinandersetzung erlaubt wurde, die Grenzen Roms zu überschreiten, um das Gebiet des Gegners zu verwüsten. (u.U. ist der 'Fall' des Limes in diesem ZUsammenhang zu sehen!)
(3) manche germanischen Stämme einfach militärisch überlegen waren:grübel: :confused:
 
Pope schrieb:
Leider nicht schnell genug. :nono:

Hallo Pope,

wenn Du schon so provokant schreibst, dann erklär doch mal bitte,
wie Du das meinst?!?! :nono:

Zum eigentlichen Thema: Es gibt viele Gründe für den Untergang,
einige hauptsächliche Gründe wie z.B. der Geburtenrückgang,
der Niedergang der Landwirtschaft, die galoppierende Inflation,
die immer teurer werden Armee, welche immer mehr zum unsicheren
Faktor wurde (3. Jahrhundert) als auch der zunehmende Druck auf
die Grenzen während der Völerwanderung.
Erst die Schwächung von innen, dann die Bedrohung von außen...

Ich frage mich, wann das römische Reich das letzte Mal noch einigermaßen
stabil war und bei evtl. anderer Führung noch die Kurve bekommen hätte?
Vielleicht Z.Zt. der Tetrachie, was meint Ihr??? :grübel:
 
Octavianus schrieb:
Hallo Pope,

wenn Du schon so provokant schreibst, dann erklär doch mal bitte,
wie Du das meinst?!?! :nono:

Das "wir" beziehe ich auf eine "Sorte" Mensch, die historische Begebenheiten monokausal erklären will, diese auf heutige Verhältnisse 1:1 projizieren und mit Feindbildern und Untergangsszenarien aus der Volkskörperliturgie suggestive Forderungen stellt.

Die weitere Reaktion von gerthans, mich als "Selbsthasser" darzustellen, ist ebenso langweilig, wie vorhersehbar.

Auf solche Denkmuster kann ich verzichten. Sie können getrost "aussterben".

:fs:
 
Na ja, die Tetrachie hat ja schon funktioniert. Laut Inschriften hat die Herrschaft von Dio und Max 20 Jahre gut geklappt, 10 davon mit den beiden Caesaren. Das Problem war einfach dann die Regelung danach, die Regierungsübergabe. Die inneren Beddrohungen wurden releativ gut gelöst; die Ursupation wurde gebannt und durch die 4 Teilung konnten auch die Grenzen relativ gut gesichert werden.

Lieben Gruß :winke:
 
mit dem einzigartig tollen problem, dass am ende ein ursupator die nächste dynastie für ca 60 jahre begründete :p

die Probleme für Rom waren einfach eine wirtschaftliche "Schwäche", die natürlich nicht so schlimm war aber nach der vorangeganenen Prosperität sicherlich Probleme bereitete. Dazu häuften sich einfach die Probleme die sich durch die Germanisierung des Heeres ergab. Dieser Schritt wurde in Anbetracht der außenpolitischen Situation wohl einfach zu stark forciert. Diese außenpol. Situation bestand dazu noch darin, dass sich die früher kleinen, vereinzelten Stämme inzwischen zu größeren bzw starken Stämmen vermischt hatten. ( vgl. Hunnen/Goten usw..). So gab es zeitweise 2 bis 3 Fronten an denen schlagkräftige Gegner standen, was in der Blütezeit Roms nie bzw selten der Fall war ( und auch schon damals für Probleme gesorgt hatte wie die Markomannenkriege zeigen).

Im Städtewesen ergab sich dann auch ein "verfall" wenn man es so bezeichnen will, als doch ettliche der lokalen Senioritäten einen Senatssitz anstrebten und somit zumindest die finanzkräftigste Oberschicht dem lokalen "Markt" entzogen wurde.

Alle diese Aspekte spielen wichtige Rollen beim "Untergang" des Reiches. Geldprägung und vermeindlihce Kinderlosigkeit sind Nebenprodukte aber sicherlich kein Grund für den Verlust des Westreichs.
 
Sheik schrieb:
mit dem einzigartig tollen problem, dass am ende ein ursupator die nächste dynastie für ca 60 jahre begründete :p
Nachdem die Tetrachie selbst aber schon im zerfall lag. Aber wenn Du die Zeit während der Tetrachie anschaust, gibt es keine Ursupatoren. Die Zeit davor war ja nun durch viele Aufstände gekennzeichnet. Aber wer will auch schon gegen zwei Augusti und 2 Caesares Ursupieren?! Und untereinander war es nach meiner Information auch nicht möglich...

Lieben Gruß :winke:
 
Die Kinderarmut der Römer, in der ich eine der Hauptursachen für den Untergang Westroms sehe, bezeugt eine interessante Stelle bei Ammianus Marcellinus (19,11,7). Sarmatische Limiganten sind in römisches Reichsgebiet eingedrungen, und die Römer beratschlagen, was sie tun sollen: Die Barbaren militärisch angreifen oder sie ansiedeln. Ammian berichtet, wie ein Teil der Ratgeber dem Kaiser Constantius Letzteres empfiehlt:
sine modo stripentium, quod externis sopitis et ubique pace composita proletarios lucrabitur plures et tironica cogere poterit validissima

Ohne Maßen lärmten sie, er werde jetzt, wo der Friede gesichert sei, viele kinderreiche Untertanen gewinnen und gewaltige Rekrutenkontingente ausheben können
(Übersetzung: W. Seyfarth)

Wenn der Kaiser diese Barbaren im Reich siedeln lässt, dann - so stellt man ihm in Aussicht - werde er viele von ihnen als Soldaten ausheben können und er werde durch sie viele "kinderreiche Untertanen" gewinnen. Die Römer lassen die Barbaren natürlich nicht aus humanitären Erwägungen ins Reich, sondern weil sie "kinderreiche Untertanen" brauchen. Mit "kinderreiche Untertanen" übersetzt Seyfarth "proletarios". Hat er durch die Übersetzung vielleicht etwas hineininterpretiert, was mir in den Kram passt?
Nein!
Er hat richtig übersetzt, was eine Stelle bei Cicero rep. 2,40 beweist:
Während er die Begüterten assidui nannte danach, dass sie das As abgaben, bezeichnete er diejenigen, die nicht mehr als tausendfünfhundert Kupferasse oder nichts außer ihrer Person bei der Schätzung einbrachten, als proletarii in dem Sinne, dass von ihnen keine andere Leistung als proles, d.h. Nachkommenschaft für den Staat, erwartet werden sollte.
(Übersetzung: Konrat Ziegler)

Unsere proletarii sind die Türken und Araber, die wir wie damals die Römer die Barbaren ebenfalls nicht aus humanitären Erwägungen ins Land lassen, sondern weil wir Kinder brauchen.
 
Das Problem bei den Foederati war ja, daß diese sich zwar im
römischen Reich angesiedelt hatten, jedoch weniger oder gar nicht
romanisiert wurden, so daß diese Rechnung nicht mehr so aufging.

Sissi
Nachdem die Tetrachie selbst aber schon im zerfall lag. Aber wenn Du die Zeit während der Tetrachie anschaust, gibt es keine Ursupatoren. Die Zeit davor war ja nun durch viele Aufstände gekennzeichnet. Aber wer will auch schon gegen zwei Augusti und 2 Caesares Ursupieren?! Und untereinander war es nach meiner Information auch nicht möglich...
Nun ja, die Nachfolgeregelung in der Tetrachie war schon gut durchdacht,
leider bringen Opportunisten Sand ins Getriebe.
Mich wundert aber irgendwie schon, daß gerade Dioketian mit seinen
Reformen so erfolgreich war. Er hatt wahrscheinlich einfach den
richtigen Zeitraum erwischt, als einige der "guten" Soldatenkaiser
vor ihm. Ich finde die Reformideen von Gallienus und Aurelian
besser und fortschrittlicher als die von Diokletian, irgendwie
war es bei ihm auch wieder ein Schritt zurück, dabei mit strafferen Zügeln.
Vielleicht hätte Diokletian auch nicht das Höchstpreisedikt erlassen
sollen, vielleicht hätte sich die Wirtschaft damalis wieder reguliert.

Zum anderen dürfte der Aspekt bezügl. der neu strukturierten Armee
interessant sein. Eigentlich hat Diokletian nur das fort gesetzt,
was Gallienus versucht hat, anzufangen, jedoch aufgrund der
Wirren nicht zu Ende führen konnte.
Zum einen bestand die Armee nun aus kleineren, mobileren Einheiten,
zum anderen dürfte sie bei weitem nicht mehr so effektiv gewesen sein,
also noch hundert Jahre zuvor, oder?
 
Vollkommen richtig, Octavianus: Diokletian war nicht der beste und effizienteste der Reformer, sondern nur der, der seine Reformideen durchsetzen konnte. Die ziemlich krude und hausbacken waren und die spätantike Gesellschaft zu zementieren versuchte, die sich doch gerade hätte weiterentwickeln müssen.
Aber "Reformen" sind eben nur allzu häufig die Versuche, in einen vorherigen Zustand zurück zu kehren, egal wie verbaut die Wege dorthin sind …
 
@ Gerthans: es ist im römischen Reich für das 4./5. Jahrhundert ein Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen - aber überall? Das Forschungsinteresse hierzulande ist auf die nordwestlichen Provinzen beschränkt. Gerade Gallien war aufgrund seiner Lage besonders durch Plünderungen bedroht, dazu noch wirtschaftlich schwach in der Spätantike. Doch ist mit dem selben Bevölkerungsrückgang in Spanien oder Nordafrika zu rechnen? Ich glaube nicht. Ganz ausschließen möchte ich es sogar für den Osten des Reiches, etwa Kleinasien, wo es in der byzantinischen Zeit sogar zum Teil noch zu Neugründungen kam. Es ist hingegen vielfach bezeugt, dass die Römer wegen der immer ungünstiger werdenden Bedingungen selbst nicht mehr in der Armee dienen wollte.

Zum Tacitus: er war ein Gegner des Prinzipats, war selbst Senator. Ich denke, es wäre falsch, hier mit Begriffen wie "nationaler Selbsthass" zu operieren; auch die von Dir zitierte Textzeile würde ich nicht so interpretieren, denn immerhin beschreibt Tacitus hier eine Tätigkeit des von ihm verehrten Onkels. Abgesehen davon, geht aus den ersten Abschnitten des Agricola wohl schon hervor, dass er das Reich kulturell überlegener hielt. Gleichzeitig lässt sich zu seiner Zeit kaum vom nationalstaatlichen Denken sprechen - in der Welt zur Zeit des Tacitus gab es nur das aus damaliger Sicht riesige Reich und ein paar unbedeutende Barbarenstämme an dessen Grenze bzw. das Partherreich an der Ostgrenze. In der Tat zeigte Tacitus aber die Vorliebe, seine Kritik an der Politik des Reiches in Barbarenreden zu verpacken.

PS: die römische Geschichte kann auch nicht dafür herhalten, um sie für ausländerfeindliche Theorien zu verwenden.
 
@Ashigaru:
Doch ist mit dem selben Bevölkerungsrückgang in Spanien oder Nordafrika zu rechnen? Ich glaube nicht. Ganz ausschließen möchte ich es sogar für den Osten des Reiches
Leider gibt es für die antike Zeit keine Statistiken. So müssen wir froh sein, wenn wir bei Historiographen Stellen finden, die wir aber interpretieren müssen. Für den Ostteil des Reiches, und zwar für Griechenland, habe ich etwas bei Polybius gefunden. Weil ich das Buch nicht zur Hand habe, zitiere ich nach

C.G.Zumpt: Der Stand der Bevölkerung und die Volksvermehrung im Alterthum. 1841, S. 12-13:

Polybius (in dem Vaticanischen Excerpt des 37sten Buchs giebt aber einen andern Grund zur Erklärung des Phänomens, warum auch in den besser gewordenen Zeiten Griechenlands die Öde der Städte noch immer fortbestehe, so dass das Land durch Mangel an Anbau seine Tragbarkeit zu verlieren beginne. Er sagt, die Menschen haben sich der Weichlichkeit, Bequemlichkeit und Trägheit ergeben; sie wollen, selbst wenn sie in der Ehe leben, keine Kinder auferziehn, oder nur eines oder zwei von vielen, um diesen ein gutes Vermögen zu hinterlassen. Dadurch ist das Übel immer größer geworden, denn wenn Krieg oder Krankheit dies eine Kind wegrafften, so musste das Haus aussterben.

Dann zwei Stellen bei Ammianus Marcellinus, die belegen, dass die Bevölkerung in Italien schrumpfte:

Bei dieser so ungemein günstigen Gelegenheit unternahm von Raetien aus der damalige Reiterbefehlshaber Theodosius einen Angriff auf die Alamannen, die aus Furcht vor jenem Volk auseinandergelaufen waren. Viele wurden erschlagen; alle, die er gefangen nahm, schickte er auf Befehl des Kaisers nach Italien. Hier erhielten sie fruchtbare Äcker und besiedeln noch heute heute als zinspflichtige Bauern die Poebene.
Amm. 28,5,15 - Übersetzung: W. Seyfarth

Und über Taifalen, die als Räuberbande im Reich herumschweifen, berichtet Amm. 31,9,6:
Doch nach dem Tode des vorher so furchterregenden Unruhestifters Farnobius und vieler anderer ließ er sich durch dringende Bitten umstimmen und verschonte die Übriggebliebenen. Er schenkte ihnen das Leben und ließ sie in die Umgegend der italischen Städte Mutina, Regium und Parma bringen und als Bauern ansiedeln.
(Übersetzung: W. Seyfarth)

Also, wenn man reichsfeindliche Barbaren auf den agri deserti ansiedelte, dann hatte man Menschen dringend nötig. Also, meine Zitate bezeugen eine schrumpfende Bevölkerung für Griechenland und Italien. Was Kleinasien betrifft - hast du Zitate, die das Gegenteil beweisen?

Was die Kritik am römischen Imperialismus betrifft, die Tacitus einem Britannier in den Mund legt - die empfehle ich jedem zur Lektüre: Ausdrucksstark bringt sie Tacitus' Verzweifelung an der Entartung des Römertums zum Ausdruck. Das ist schon nationaler Selbsthass!
 
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