Die Knaben der Spartaner aber gab Lykurg nicht in die Hände von gekauften oder gemieteten Pädagogen, noch durfte jeder seinen Sohn halten und auf ziehen wie er wollte, sondern er nahm selbst alle, sobald sie sieben Jahre alt waren, zu sich und teilte sie in Gruppen, in denen sie miteinander aufwuchsen, erzogen und gewöhnt wurden, beim Spiel wie bei ernster Beschäftigung immer beisammen zu sein. Als Führer der Gruppe wählten sie sich denjenigen, der sich durch Klugheit und durch Kampfesmut auszeichnete. Auf ihn blickten sie, hörten auf seine Befehle und unterwarfen sich seinen Strafen, so dass die Erziehung wesentlich in der Übung im Gehorsam bestand. Bei ihren Spielen pflegten die Älteren zuzusehen und öfters Streitigkeiten und Händel unter ihnen zu erregen, um so gründlich zu erproben, wie der Charakter eines jeden Jungen beschaffen war, zu wagen und im Kampf nicht auszureißen.
Lesen und Schreiben lernten sie nur soviel, wie sie brauchten; die ganze übrige Erziehung war darauf gerich*tet, dass sie pünktlich gehorchen, Strapazen ertragen und im Kampfe siegen lernten. Daher verschärften sie bei fortschreitendem Alter das Training, schoren sie bis auf die Haut und gewöhnten sie, barfuß zu gehen und ihre Übungen in der Regel nackt zu halten.
Sobald sie zwölf Jahre alt waren, gingen sie stets ohne Unterkleidung, bekamen nur einen Mantel aufs Jahr, waren am ganzen Körper schmutzbedeckt und durften weder baden noch sich salben, bis auf wenige Tage des Jahres, an denen sie solcher Annehmlichkeiten teilhaftig werden durften. Sie schliefen zusammen in Gruppen und Untergruppen auf Streuschütten, die sie selbst zusammentrugen, indem sie die Spitzen des am Eurotas wachsenden Schilfes mit bloßen Händen ohne Messer abbrachen. In diesem Alter gesellten sich auch schon angesehene junge Leute zu ihnen, und auch die Älteren wandten ihnen jetzt erhöhte Aufmerksamkeit zu, kamen zu ihren Übungsplätzen und wohnten ihren Kämpfen und gegenseitigen Spöttereien bei, nicht nur so nebenbei, sondern weil sie alle sich gewissermaßen als Väter, Erzieher und Vor*gesetzte aller Knaben fühlten, so dass keine Zeit und kein Ort blieb, an dem nicht einer war, um jeden Knaben, der sich irgendwie verging, zurechtzuweisen und zu bestrafen. Außerdem wurde aus der Zahl der angesehensten Männer einer als Knabenaufseher (Paidonomos) bestellt, und die Knaben selbst wählten gruppenweise den verständig*sten und tapfersten der so genannten Eirenen zu ihrem Führer. Eiren nennen sie diejenigen, die zwei Jahre über das Knabenalter hinaus sind ... Dieser Eiren nun, zwanzig Jahre alt, befehligt die ihm Unterstellten in den Wettkämpfen, und zu Hause, bei der Mahlzeit, sind sie seine Bedienten. Den Kräftigen befiehlt er, Holz heranzuschaffen, den Kleineren Gemüse. Sie müssen es aber stehlen, teils indem sie in die Gärten gehen, teils indem sie sich in die Tischgesellschaften der Männer einschleichen, aber höchst gerissen und vorsichtig, denn wenn einer erwischt wird, be*kommt er viele Peitschenhiebe, weil er unbedacht und ungeschickt gestohlen hat.
Sie stehlen auch von Speisen, was sie kriegen können, weil sie lernen sollen, Schlafenden oder solchen, die nicht gut aufpassen, geschickt beizukommen. Wird einer ertappt, so sind Schläge und Hunger die Strafe. Denn ihr Mahl ist kärglich, damit sie gezwungen werden, selber durch List und Wagemut dem Mangel abzuhelfen ... Mit solcher Besonnenheit aber stehlen die Knaben, dass einmal einer - so wird erzählt -, der einen jungen Fuchs gestohlen hatte und ihn in seinem Kittel versteckt hielt, es schweigend ertrug, dass ihm von dem Tier der Bauch mit Krallen und Zähnen zerfleischt wurde, und daran starb, nur um sich nicht zu verraten ... Hatte der Eiren gespeist, so legte er sich nieder und befahl dem einen Knaben zu singen, dem andern legte er eine Frage vor, die eine wohlüberlegte Antwort erforderte, zum Beispiel, wer ist der beste unter den Männern, oder wie ist die Handlung des und des Mannes zu beurteilen? So wurden sie von Anfang an daran gewöhnt, gut und schlecht zu unterscheiden und sich über die Bürger Gedanken zu machen. Denn wenn einer auf die Frage, welcher Bürge tüchtig und welcher nicht angesehen wäre, keine Antwort wusste, so nahm man das für ein Zeichen eines trägen und nicht eifrig nach der Tugend strebenden Geistes... Man lehrte die Knaben ferner, bei ihren Reden Schärfe mit Witz zu verbinden und einen vollgültigen Gedanken in die kürzeste Form zu kleiden... Indes die Erziehung im Gesang und in der Musik wurde nicht weniger eifrig betrieben als die Bemühung um gutes und klares Reden. Ihre Liedweisen enthielten etwas den Mut Entflammen*des und begeisternden Tatendrang Erweckendes, und der Text war einfach und unge*künstelt bei sittlich erhabenem Inhalt. Es waren zumeist Lobgesänge, in denen die für Sparta Gefallenen glücklich gepriesen wurden, Hohngesänge auf die Feiglinge, was für ein erbärmliches, unglückseliges Leben sie führten, Versprechen künftiger, Sichrühmen wegen bewiesener Tapferkeit, entsprechend dem Lebensalter. Beispielshalber ist es wohl angebracht, einen dieser Gesänge anzuführen. Bei den Festen traten näm*lich drei Chöre auf, gemäß den drei Altersklassen, und der Chor der Greise eröffnete und sang:
„Wir waren einstmals wehrhaft junges Volk", ihm erwidernd sangen die in den Jahren der Kraft:
„Wir sind es jetzt; versuch es, wenn du willst!" und zu dritt sang der Chor der Knaben:
„Wir aber werden noch viel stärker sein."