Wie man mittlerweile bemerkt haben könnte, bin ich kein allzu großer Freund akademisch-verbindlicher Erklärungen, empirischer Messungen und Begriffsherleitungen, wenn es um "gefühlte" Geschichte geht. (In anderen Fachgebieten dagegen sehr wohl)
Ich habe daher noch mal nachgedacht. Diese Gedanken möchte ich einbringen, noch ohne zu diesem Zeitpunkt tatsächlich eine verbindliche Schlussfolgerung oder Beweisführung daraus werden zu lassen. Ich lade dazu ein, einfach zu versuchen, sie nachzuvollziehen.
Die (ansatzweise durchaus auch von mir gemachte) Bemerkung, Streitigkeiten zwischen Dynastien oder Regierungen, auch kriegerischer Art, seien nicht mit Feindschaft zwischen den Völkern zu verwechseln, hat - so richtig sie theoretisch auch sein mag - einen Haken.
Zu Beginn solcher Streitigkeiten und wenn sie diplomatischer Art bleiben auch noch später, ist das unzweifelhaft richtig. Aber:
Wer führt den Krieg und gegen wen? Rückt etwa der französsiche König persönlich im Reich ein, fragt höflich nach dem Weg und brennt schließlich gezielt den Rosengarten des Kaisers nieder?
Nein. Es sind seine Soldaten, also Angehörige "seines" Volkes, die in das andere Land einfallen und dort Krieg führen. Gegen Angehörige des anderen Volkes. Selbst wenn wir den möglichen Einsatz von ausländischen Söldnern mit einrechnen, bleibt immer noch die Sicht des unter dem Krieg leidenden Volkes: Wo kommen diese Soldaten her?
Zu Zeiten, in denen Schlachten angeblich fein säuberlich nur zwischen den beteiligten Heeren und unter bewusster Schonung der Zivilbevölkerung stattgefunden haben (hat es die wirklich je gegeben...), mag das dem Volk tatsächlich relativ egal gewesen sein, aber spätestens im Dreißigjährigen Krieg war es damit vorbei. Spätestens jetzt hieß es etwa nicht mehr "König Gustav kommt" sondern "die Schweden kommen", im Übrigen unabhängig davon, ob im schwedischen Heer ausschließlich Schweden waren oder nicht. Im Reich analog sicher auch für die Franzosen. Umgekehrt nahmen "die Franzosen" "den Deutschen" die Niederlage von 1870/71 übel, nicht nur Napoleon III dem König/Kaiser Wilhelm I.
Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit: Wem nimmt man heute noch den zweiten Weltkrieg übel? Adolf und seiner Partei? Während man europaweit die Deutschen liebt?
Auch kriegerische Auseinandersetzungen, die ursprünglich nur der Rivalität zweier Regierungen anzlasten sind, führen in der Folge rasch zu Feindschaften zwischen Völkern. Nun gilt in der Psychologie die Faustregel, dass eine Negativprägung etwa 10 mal so stark ist wie eine Positivprägung.
Das bedeutet auf obigen Sachverhalt angewandt, dass einem Jahrzehnt, in dem ein signifikanter Krieg zwischen zwei Völkern stattfand, etwa ein Jahrhundert Frieden folgen müsste, um wieder Normalität in den Beziehungen entstehen zu lassen. (Zwischen den Völkern, nicht den Regierungen! Die können, wenn sie wollen, schon nach Monaten wieder so tun, als sei nichts geschehen.) Das nationale Gedächtnis ist nachtragender als das einzelner Menschen oder Regierungen.
Ob nun - um bei unserem Thema speziell mit der deutsch-französischen Feindschaft zu bleiben - die entsprechenden Kriege tatsächlich so zahlreich oder so kontinuierlich waren, und ab wann, sei dahingestellt. Dazu wurde ja schon etliches gesagt. Aber generell halte ich das Argument, wenn zwei Regierungen sich stritten wäre das dem Volk weitgehend egal, für bedenklich. Es mag, wie erwähnt, stimmen, solange sich dieser Streit nicht über Krieg, Annektion, Blockade, Vertreibung oder sonstige Ereignisse auf das Volk auswirkt. Sobald er dies aber tut, ist auch in der Volksseele Schluss mit lustig.
Gruß,
Panzerreiter