Vergleich der "Demokratie" zwischen Antike und Wikingern

fingalo schrieb:
wo die an der Politik beteiligten Bürger keiner eigenen Arbeit nachgingen
Da muss ich dir widersprechen. Die Teilnehmer des Rats der 500 bekamen zwar Diäten und waren 1/10 des Jahres ständig anwesend und konnten in der Zeit nicht arbeiten. Aber die meisten der Geschworenen, Richter und Teilnehmer der Voklsversamlung arbeiteten. Die Theten (Tagelöhner) arbeiteten mit Sicherheit , u.a. als Ruderer. Die Zeugeten (mittlere bauern und Handwerker) hatten zwar Sklaven zur Unterstützung, konnten es sich aber nicht leisten nicht zuarbeiten. Durch den jährlichen Wechsel der Beamten, gab es keine Berufspolitiker, außer vielleicht die Strategen.
Wenn meinst du mit der Zentralgewalt? Den Rat der 500 oder die Volksversammlung?
Hie Stadtbevölkerung
In Attika lebten auch nicht alle in Athen. Die Stadtbewohner waren zwar bei der Volksversammlung häufiger anwesend, aber Ratsmitglieder wurden (durch Kleisthenes' Phylenreform) auch von den außerhalb Athens lebenden Bürgern erlost.
 
Themistokles schrieb:
Wenn meinst du mit der Zentralgewalt? Den Rat der 500 oder die Volksversammlung?
Wer ordnete an, dass Sokrates den Giftbecher erhielt, nachdem er verurtilt war? Der private Nachbar, der sich vielleicht über ihn geärgert hatte, hat ihm den doch nicht gebracht. Da gab es doch eine zentrale Vollstreckung - wer auch immer, irgendein staatlich beauftragter Scharfrichter oder sonst so etwas. In Island gab es keine Personen, die von der Gemeinschaft beauftragt waren, die Thingbeschlüsse durchzusetzen.

Fingalo
 
fingalo schrieb:
Die Isländer haben die Thingtradition aus Norwegen importiert. Es handelte sich mit nichten um eine Demokratie, sondern um eine Oligarchie der Goden.

Deswegen schrieb ich ja "am ehesten einer Demokratie" entsprach. Sollte mit nichten bedeuten, daß man die isländischen Verhältnisse als Demkratie bezeichnen darf.
Das die neuen Siedler diese Oligarchie der Goden aus Norwegen mitbrachten liegt nahe. Allerdings bin ich da mit der deduktiven Argumentation etwas vorsichtig. Kann man diese Struktur wirklich für ganz Norwegen annehmen? Verschiedene Forschungen, wie die von Wenskus, haben ja gezeigt, daß man zumindest für die "südgermanischen" Stämme von unterschiedlichen Herrschaftsformen sprechen kann und das schon für das Zeitalter von Augustus. Warum also eine Geschlossenheit für Norwegen annehmen? Wobei hier keine Verhältnisse übertragen werden sollten! Es geht nur darum, eine Geschlossenheit gesellschaftlicher Verhältnisse etwas in Frage zu stellen.
 
Marbod schrieb:
Deswegen schrieb ich ja "am ehesten einer Demokratie" entsprach. Sollte mit nichten bedeuten, daß man die isländischen Verhältnisse als Demkratie bezeichnen darf.
<Besserwisser/Oberlehrermodus on>
Eine solche Wortwahl muss den Eindruck erwecken, als ob es keine eigene Regierungsform gewesen sei, so dass man nach Ähnlichkeiten suchen müsste. Aber die ähnlichste ist die Oligarchie, obgleich die Oligarchen ihre Sprüche durchzusetzen nicht in der Lage waren.<Besserwisser/Oberlehrermodus off>
Marbod schrieb:
Das die neuen Siedler diese Oligarchie der Goden aus Norwegen mitbrachten liegt nahe. Allerdings bin ich da mit der deduktiven Argumentation etwas vorsichtig. Kann man diese Struktur wirklich für ganz Norwegen annehmen?
Nein, das habe ich auch nicht behauptet. Die norwegische Gesellschaft ist ein Kapitel für sich und ist hier OT. Aber nachdem die Goden sich entschlossen hatten, ihrem Zusammenleben eine Form zu geben, entsandten sie den Gelehrten Úlfljótur nach Norwegen, um dort am Beispiel bestimmter Distrikte Regierungsform und Gesetze zu studieren. Er kam nach 3 Jahren mit einer "Gesetzessammlung", adaptiert an isländische Gegebenheiten zurück. Er dürfte sie auswendig im Kopf gehabt haben. Er war 930 der erste Gesetzessprecher auf dem Allthing. Dort wurden die Gesetze auswendig vorgetragen.
Seine Haupt-Vorbilder dürften die Regeln über das Frostathing und das Gulathing in Norwegen gewesen sein.
Marbod schrieb:
Warum also eine Geschlossenheit für Norwegen annehmen? Wobei hier keine Verhältnisse übertragen werden sollten! Es geht nur darum, eine Geschlossenheit gesellschaftlicher Verhältnisse etwas in Frage zu stellen.
Die norwegischen Verhältnisse sollten im thread über norwegische Geschichte behandelt werden. Da muss ich nämlich ganz andere Literatur auswerten :grübel:
Fingalo
 
fingalo schrieb:
Wer ordnete an, dass Sokrates den Giftbecher erhielt, nachdem er verurtilt war? Der private Nachbar, der sich vielleicht über ihn geärgert hatte, hat ihm den doch nicht gebracht. Da gab es doch eine zentrale Vollstreckung - wer auch immer, irgendein staatlich beauftragter Scharfrichter oder sonst so etwas. In Island gab es keine Personen, die von der Gemeinschaft beauftragt waren, die Thingbeschlüsse durchzusetzen.

Fingalo
Ach so war das gemeint. Danke.
Themistokles
 
Vergleich der Demokratie von Wikingern und Antike

Hezdo,

ich bin Halbdaene und dem Daenischen sowie dem Deutschen maechtig.

Thingversammlungen sind weder eine rein islaendische noch eine rein norwegische Erscheinung. Thingversammlungen gab es als Goding / daenisch Gothing der Holsteiner beispielsweise bis 1608. Und die Wahl des Koenigs bzw. die Zustimmung der Landesthinge zur Koenigswahl war in Daenemark, dem Herzogtum Schleswig sowie der Grafschaft Holstein bis zum Ende des Mittelalters allgemeine politische Praxis. Bekanntlich gehen ja die Likedeeler auf die Unterstuetzung eines Mecklenburgers zurueck, der vom Thing in Stockholm zum Koenig von Schweden ausgerufen wurde. Andere Thinge huldigten dagegen Koenigin Margarete in Vertretung des unmuendigen Regenten Eric von Pommern.

Thinge waren in erster Linie Orte der Gerichtsbarkeit. Offenbar gab es regionale Thingversammlungen und Gothinge einer Volksgruppe oder eines Landesteiles, in welchen neben der Gerichtsbarkeit auch ueber Heerzuege und die Wahl eines Koenigs entschieden wurde. Es war nicht ueblich, Menschen ins Gefaengnis zu stecken, sondern fuer Mord und andere Taten waren Suehneleistungen in Form von Geld oder Naturalien in vorchristlicher Zeit durch den Taeter und seine Angehoerigen zu erbringen.

Ich meine, dass man nicht davon ausgehen darf, dass eine Begrenzung des Thing oder altdeutsch Ding auf eine Oligarchy von Goden verallgemeinert werden kann. Solche Fehlentwicklungen fort von der Versammlung freier und gleichwertiger Hofvorstaende hin zu einer Oligarchy von Edelmaennern gab es ja auch in Dithmarschen, wo die Vorstaende der Deichbaugemeinschaften sich in historischer Zeit zu einer Adelsrepublik ueber das gemeine Volk aufschwangen, die sogar gegen den Koenig von Daenemark und Norwegen sowie den Adel der Herzogtuemer Krieg fuehrte.
 
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