Needham/Eurozenhtrismus
Eure Diskussion scheint mir teilweise am Thema vorbeizugehen: Needham hat ein durch den Eurozentrismus lange versperrtes Tor weit aufgestoßen, dass er dabei Fehler gemacht hat, ist unbestritten, in viel größerem Umfang aber hat er auch neue Erkenntnis vermittelt. Zugegeben: der Kulturtransfer hat in beide Richtungen funktioniert, auch China hatte seine Phasen der Übernahme, vor allem aus dem persische-indischen (später arabischen) Raum. Aber Needham zeigt von vielen Erfindungen nicht nur die zeitliche Ersterwähnung, sondern auch den Weg über arabische Kopien und schließlich die Transmissionswege nach Europa (Sizilien unter Friedrich II, später Spanien, besonders Cordoba). Die Seidenstraße funktioniert seit mehr als 3.000 Jahren als Weg der Güter und Ideen. Man müßte schon von flächendeckender Verblödung ausgehen, wollte man annehmen, nur Europa hätte sich da nicht bedient. Das christliche Europa hatte nur ein riesiges Problem: als man in den Kreuzzügen auf das in Damaskus etc. gesammelte Wissen stieß, war dies das Wissen nicht nur finsterer Heiden (wäre ja noch gerade gegangen), sondern das Wissen von Ketzern: der Koran kennt Jesus, wer dessen Lehren aber kennt und sie ablehnt, ist vollkommen indiskutabel. Von denen konnte man schon gar nichts übernehmen. Damit entfiel auch die Lösung, die die führenden islamischen Schulen in der liberalen Phase vertraten: dass der Wissende Gott ebenso gefällig ist wie der Gläubige. Unter dieser Prämisse hatten die islamischen Gelehrten eifrig nicht nur griechische, sondern auch persische und indische Texte übersetzt und weiterentwickelt. Wobei die griechischen weitgehend aus Byzanz entliehen waren, also für die Kreuzfahrer gar nicht so interessant: die hätten sie schließlich auch in Byzanz lesen können. Das Wissen hätte man ja nun gerne gehabt, aber wie, ohne von Ketzern abzuschreiben. Der Kirche fiel damals ein nachgerade genialer Trick ein: die Erfindung des natürlichen Christen. Das ist jemand, der vor Christus gelebt hat, ihn also nicht kennen konnte (ergo auch kein Ketzer sein konnte) aber so tugendhaft gelebt hatte, dass er andernfalls garantiert Christ geworden wäre.Und wer sich dafür nun geradezu fabelhaft anbot, waren die lieben Griechen, damals noch nicht vom (späteren) osmanischen Reich erobert. Wo immer ein Grieche genannt wurde, war der alsbald als akzeptabler Erfinder anerkannt. Und das allerbeste, Halleluja! Es findet sich der Verweis auf ein weiteres Buch des Aristotheles, aber nichts von dessen Inhalt. Da konnte man jetzt hemmungslos solche Leckereien wie die Erfindung der Null reinpacken, auf die man ja nun wirklich sehr ungerne verzichtet hätte. Man hat damit einen Hellozentrismus kreiert, der den klassischen Griechen selber durchaus fremd war: Herodot hält Ägypten für die Wiege der Mathematik und berichtet auch von sonstigen fremdländischen Erfindungen, Heraklit schimpft Pythagoras einen Plagiator, was ja ein allgemeinen Wissen von fremden Quellen voraussetzt, im 6. Jahrhundert werden fleißig kleinasiatische Götter (Apoll, Aphrodite, später Dionys) importiert. Von den Makedonen mal ganz zu schweigen. Die Rückführung auf die Griechen ist einfach ein cleverer Trick, der sich in unserem Geschichtsbewustsein verfestigt hat, dadurch aber der Wahrheit nicht mehr entspricht als zur Zeit seiner Erfindung. Als dieses Geschichtsbild im 18. Jahrhundert gegen die Kirche und autoritäre Herrschaftsformen eingesetzt wird, entwickelt sich daraus ein Eurozentrismus, der an die Stelle der Überlegenheit des Christentums tritt und Kolonalismus und Imperialismus mit all ihren menschenverachtenden Folgen als gerecht legitimiert. Die europäische Erfolgsgeschichte ab dem 14. Jahrhundert enthält aber gerade im Vergleich zu China und dem Osmanischen Reich eine ganz andere Lehre, die uns Europäern gerade heute im Zeichen des Aufstiegs von Peripheriestaaten wie Brasilien, Indien, China zu denken geben sollte. Wer sich wie Europa zwischen Kreuzzügen und Renaissance fremden Kulturen und Innovationen öffnet, gewinnt. Wer sich ihnen aus staatspolitischen Erwägungen (wie China ab 1450) oder religiösen Dogmatismus (wie der islamische Raum etwa beginnend 1250) verschließt, verliert. Der Eurozentrismus ist eine für die weitere Entwicklung Europas schädliche, wissenschaftlich längst ab absurdum geführte Doktrin. Wenn Needham, uns dafür die Augen geöffnet hat, gehört er zu den wichtigsten Gelehrten des letzten Jahrhunderts.
Eure Diskussion scheint mir teilweise am Thema vorbeizugehen: Needham hat ein durch den Eurozentrismus lange versperrtes Tor weit aufgestoßen, dass er dabei Fehler gemacht hat, ist unbestritten, in viel größerem Umfang aber hat er auch neue Erkenntnis vermittelt. Zugegeben: der Kulturtransfer hat in beide Richtungen funktioniert, auch China hatte seine Phasen der Übernahme, vor allem aus dem persische-indischen (später arabischen) Raum. Aber Needham zeigt von vielen Erfindungen nicht nur die zeitliche Ersterwähnung, sondern auch den Weg über arabische Kopien und schließlich die Transmissionswege nach Europa (Sizilien unter Friedrich II, später Spanien, besonders Cordoba). Die Seidenstraße funktioniert seit mehr als 3.000 Jahren als Weg der Güter und Ideen. Man müßte schon von flächendeckender Verblödung ausgehen, wollte man annehmen, nur Europa hätte sich da nicht bedient. Das christliche Europa hatte nur ein riesiges Problem: als man in den Kreuzzügen auf das in Damaskus etc. gesammelte Wissen stieß, war dies das Wissen nicht nur finsterer Heiden (wäre ja noch gerade gegangen), sondern das Wissen von Ketzern: der Koran kennt Jesus, wer dessen Lehren aber kennt und sie ablehnt, ist vollkommen indiskutabel. Von denen konnte man schon gar nichts übernehmen. Damit entfiel auch die Lösung, die die führenden islamischen Schulen in der liberalen Phase vertraten: dass der Wissende Gott ebenso gefällig ist wie der Gläubige. Unter dieser Prämisse hatten die islamischen Gelehrten eifrig nicht nur griechische, sondern auch persische und indische Texte übersetzt und weiterentwickelt. Wobei die griechischen weitgehend aus Byzanz entliehen waren, also für die Kreuzfahrer gar nicht so interessant: die hätten sie schließlich auch in Byzanz lesen können. Das Wissen hätte man ja nun gerne gehabt, aber wie, ohne von Ketzern abzuschreiben. Der Kirche fiel damals ein nachgerade genialer Trick ein: die Erfindung des natürlichen Christen. Das ist jemand, der vor Christus gelebt hat, ihn also nicht kennen konnte (ergo auch kein Ketzer sein konnte) aber so tugendhaft gelebt hatte, dass er andernfalls garantiert Christ geworden wäre.Und wer sich dafür nun geradezu fabelhaft anbot, waren die lieben Griechen, damals noch nicht vom (späteren) osmanischen Reich erobert. Wo immer ein Grieche genannt wurde, war der alsbald als akzeptabler Erfinder anerkannt. Und das allerbeste, Halleluja! Es findet sich der Verweis auf ein weiteres Buch des Aristotheles, aber nichts von dessen Inhalt. Da konnte man jetzt hemmungslos solche Leckereien wie die Erfindung der Null reinpacken, auf die man ja nun wirklich sehr ungerne verzichtet hätte. Man hat damit einen Hellozentrismus kreiert, der den klassischen Griechen selber durchaus fremd war: Herodot hält Ägypten für die Wiege der Mathematik und berichtet auch von sonstigen fremdländischen Erfindungen, Heraklit schimpft Pythagoras einen Plagiator, was ja ein allgemeinen Wissen von fremden Quellen voraussetzt, im 6. Jahrhundert werden fleißig kleinasiatische Götter (Apoll, Aphrodite, später Dionys) importiert. Von den Makedonen mal ganz zu schweigen. Die Rückführung auf die Griechen ist einfach ein cleverer Trick, der sich in unserem Geschichtsbewustsein verfestigt hat, dadurch aber der Wahrheit nicht mehr entspricht als zur Zeit seiner Erfindung. Als dieses Geschichtsbild im 18. Jahrhundert gegen die Kirche und autoritäre Herrschaftsformen eingesetzt wird, entwickelt sich daraus ein Eurozentrismus, der an die Stelle der Überlegenheit des Christentums tritt und Kolonalismus und Imperialismus mit all ihren menschenverachtenden Folgen als gerecht legitimiert. Die europäische Erfolgsgeschichte ab dem 14. Jahrhundert enthält aber gerade im Vergleich zu China und dem Osmanischen Reich eine ganz andere Lehre, die uns Europäern gerade heute im Zeichen des Aufstiegs von Peripheriestaaten wie Brasilien, Indien, China zu denken geben sollte. Wer sich wie Europa zwischen Kreuzzügen und Renaissance fremden Kulturen und Innovationen öffnet, gewinnt. Wer sich ihnen aus staatspolitischen Erwägungen (wie China ab 1450) oder religiösen Dogmatismus (wie der islamische Raum etwa beginnend 1250) verschließt, verliert. Der Eurozentrismus ist eine für die weitere Entwicklung Europas schädliche, wissenschaftlich längst ab absurdum geführte Doktrin. Wenn Needham, uns dafür die Augen geöffnet hat, gehört er zu den wichtigsten Gelehrten des letzten Jahrhunderts.