Wäre für Westdeutschland auch eine "japanische Lösung" denkbar gewesen?

Naja, die 'Selbstverteidigungsstreitkräfte' waren zunächst etliche/lange Jahre keine reguläre Vollarmee wie die Bundeswehr oder die französischen Streitkräfte, die trugen lange Zeit nicht mal Soldatenuniformen.

Hm...1950 wurden in der Himmeroder Denkschrift wichtige Element der Bundeswehr-Konzeption formuliert und vorweg genommen:
  • 'Vollverteidigungsstreitkräfte': Planungen, Ausrüstung, Aufstellung, Kampfgruppen usw. selbstverständlich auch für offensive Einsätze
  • Der/die westdt. Verteidigungsbeitrag, Verteidigungskräfte sind Teil der europäisch-transnational konzipierten Gesamtverteidigungsstreitkräfte
  • Im Kriegsfall führt das Kommando der europäischen Gesamtverteidigungsstreitkräfte
  • Wehrpflicht
Die aufgeführten Punkte trafen damals für die japan. Selbstverteidigungsstreitkräfte alle nicht zu, wenn ich in der Kürze recht sehe.

Naja, 3 von 4 der aufgeführten Punkte gehen ja auch an Japans Situation vorbei.

Da nicht in Europa oder am Atlantik gelegen, wäre eine Einbindung in die entstehenden transatlantischen Strukturen nur mäßig sinnvoll gewesen, damit sind die Vergleichspunkte 2 und 3 schonmal obsolet.

Und Wehrpflicht macht eigentlich auch keinen Sinn, wenn man in Ermangelung irgendwelcher Landgrenzen zur Verteidigung überhaupt kein stehendes Massenheer benötigt, sondern vor allem eine kompetente Marine und Luftwaffe.

Ausrüstung war mindestens im maritimen Bereich durchaus gegeben, davon wird man bei dieser Anzahl an Fregatten und Zerstörer sprechen können.
Inwiefern Planung einsehbar ist, wäre die Frage, gegeben haben muss es sie allerdings, auch "Selbstverteidigung" lässt sich nicht völlig planlos und ohne stehende Kerntruppen organisieren.
 
Und Wehrpflicht macht eigentlich auch keinen Sinn, wenn man in Ermangelung irgendwelcher Landgrenzen zur Verteidigung überhaupt kein stehendes Massenheer benötigt, sondern vor allem eine kompetente Marine und Luftwaffe.
Auch Marine und Luftwaffe haben Verwendungen, die sich durchaus auch im Wege der Wehrpflicht besetzen lassen. Eine Wehrpflicht dient aber vor allem dazu, eine Personalreserve aufzubauen. Im Übrigen lautet die Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg, die für Japan aufgrund seiner Topographie nach wie vor Relevanz besitzt, gerade nicht, dass Landstreitkräfte von untergeordneter Bedeutung seien.

Im Gegenteil: Als Inselreich hat Japan kein Territorium, das es preisgeben könnte, um eine Frontbegradigung vorzunehmen oder einen Angreifer in für ihn ungünstiges Terrain zu locken. Ein etwaiger Gegner (z.B. eine über Hokkaido angreifende UdSSR) müsste sofort unter Einsatz aller Kräfte geworfen werden, oder es ist aus.

Denn die japanischen Streitkräfte könnten sich nirgendwo hin zurückziehen. Honshu ist z.B. gerade mal 240 km breit. Mechanisierte Kräfte könnten eine solche Strecke heute in weniger als zwei Tagen bewältigen.

Das ist, übrigens, auch ein Grund, warum eine "japanische" Lösung für Deutschland undenkbar war, wollte das Land seine gerade wiedergewonnene Eigenstaatlichkeit im Spannungsfall bewahren.

Der Warschauer Pakt rechnete damit, binnen vierzehn Tagen an der französischen Atlantikküste zu stehen. Sehr wahrscheinlich wäre durch einen Vorstoß über das sog. Fulda Gap und die Norddeutsche Tiefebene ganz Deutschland zwischen Main und LANDJUT in weniger als 72 Stunden überrannt worden.

Die einzige realistische Hoffnung, diese Flut aufzuhalten, bestand darin, die Dämme mit verbündeten Nationen höher zu bauen. Ohne dieses Bündnis freilich hätte Deutschland dennoch zum Schlachtfeld werden können, nur wäre es in diesem Falle der zusätzlichen Bedrohung auch noch einer NATO-Invasion ausgesetzt gewesen, wie sie z.B. für Österreich im Falle eines WP-Vorstoßes gegen Italien durchaus erwogen wurde.
 
Auch Marine und Luftwaffe haben Verwendungen, die sich durchaus auch im Wege der Wehrpflicht besetzen lassen. Eine Wehrpflicht dient aber vor allem dazu, eine Personalreserve aufzubauen.

Ich würde meinen angesichts eines noch nicht allzu lange zurückliegenden Krieges war der Aufbau einer Personalreserve eine der geringeren Sorgen, wozu hatte man Millionen von Veteranen im Alter von Mitte bis Ende 20, die sich jedenfalls noch gut als Reservisten vorhalten ließen?
Ansonsten ist eine allgemeine Wehrpflicht vor allem erstmal ein Kostenfaktor, den es möglichst zu vermeiden gilt, wenn es darum geht, ein Land neu aufzubauen, würde ich meinen, zummal sie ja auch der Wirtschaft Arbeitskräfte entzieht, was in Zeiten des Wiederaufbaus auch nicht unbedingt wünschenswert ist.


Im Übrigen lautet die Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg, die für Japan aufgrund seiner Topographie nach wie vor Relevanz besitzt, gerade nicht, dass Landstreitkräfte von untergeordneter Bedeutung seien.

Im Gegenteil: Als Inselreich hat Japan kein Territorium, das es preisgeben könnte, um eine Frontbegradigung vorzunehmen oder einen Angreifer in für ihn ungünstiges Terrain zu locken. Ein etwaiger Gegner (z.B. eine über Hokkaido angreifende UdSSR) müsste sofort unter Einsatz aller Kräfte geworfen werden, oder es ist aus.

Gerade als Inselreich hat vor allem die Beherrschung der Gewässer in der näheren Umgebung oberste Priorität um eine Landung auf den japanischen Hauptinseln von vorn herein unmöglich zu machen.
Da das Land einmal aus seinem Steueraufkommen Heer und Flotte zu finanzieren hat, bedeutet jeder weitere Ausbau des Landheeres und dementsprechende Umschichtung des Militäretats innerhalb der Teilstreitkräfte eine potentielle Schwächung der Flotte.

Ein Inselreich wird grundsätzlich im eigenen Sicherheitsinteresse, wenn es in diesem Sinne zwischen Flotte und Heer zu wählen hat, immer für die Flotte und damit für eine erstklassige vorgelagerte Verteidigung votieren.
Einfacher als ein Invasionsheer von einer Insel wieder zu vertreiben, ist es gar nicht erst landen zu lassen.


Deinen Ausführungen hinsichtlich Deutschland kann ich voll und ganz zustimmen.
 
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Deutschland und die Alliierten hatten nach dem Weltkrieg auch jede Menge Veteranen, warum also an der Wehrpflicht festhalten bzw. sie einführen? Zunächst einmal lässt der immense Technologiesprung zwischen 1945 und 1960 – nicht zuletzt bei Marine und Luftwaffe – an der Kampfkraft der Veteranen zweifeln.

Es gibt aber auch schon seit Scharnhorst ernstzunehmende Stimmen, die die Kampfkraft von Wehrpflichtigen generell bezweifeln und glauben, allenfalls die jüngsten ein, zwei ausgebildeten Jahrgänge besäßen irgendeine Tauglichkeit, weil der Rest das Meiste schon wieder vergessen und sich im Zivilen eingerichtet hat.

Was nun die Kostenfrage angeht, eine Wehrpflicht wäre schlichtweg kein Kostenfaktor. Gerade in Japan nicht, wo die Landesverteidigung traditionell in der Hand von leichter und bestenfalls motorisierter Infanterie liegt. Auf neue Kreuzer muss man wegen ein paar Divisionen leichter Infanterie nicht verzichten.
 
Deutschland und die Alliierten hatten nach dem Weltkrieg auch jede Menge Veteranen, warum also an der Wehrpflicht festhalten bzw. sie einführen? Zunächst einmal lässt der immense Technologiesprung zwischen 1945 und 1960 – nicht zuletzt bei Marine und Luftwaffe – an der Kampfkraft der Veteranen zweifeln.
Bis 1960 war es aber auch noch ein ganzes Stück hin, bei der Schaffung entsprechender Strukturen sind wir ja dann eher im Bereich 1952-1954.
Da war der technologische Sprung gegenüber dem Kriegsende noch nicht so immens und vor allem auch nicht in Masse verfügbar.

Was nun die Kostenfrage angeht, eine Wehrpflicht wäre schlichtweg kein Kostenfaktor. Gerade in Japan nicht, wo die Landesverteidigung traditionell in der Hand von leichter und bestenfalls motorisierter Infanterie liegt. Auf neue Kreuzer muss man wegen ein paar Divisionen leichter Infanterie nicht verzichten.

Ja, sofern man aber mehr als eben diese Hand voll leichter Divisionen nicht benötigt, weil man zu seiner Verteidigung in erster Linie auf die Flotte setzt, macht die Wehrpflicht wenig Sinn, weil eine ausgebaute Marine und Luftwaffe weit weniger personalintensiv sind, als ein ausgebautes, stehendes Landheer.
Demgegenüber bekommt man aber in einer sich demokratisierenden Gesellschaft ein zunehmendes Problem, in Fragen der Wehrgerechtigkeit, wenn man nur, vielleicht 10-20% seiner Jahrgänge, die man tatsächlich benötigt, willkürlich auswählt und ausbildet.
Die heutigen de facto Seestreitkräfte Japans haben einen Personalstand von ca. 44.000 Mann, die Royal Navy hat ca. 34.000 Mann und nochmal an die 12.000 Reserven.

Das sind Größenordnungen für die man in Ländern mit 70.000.000 Einwohnern (Japan damals, GB heute über den Daumen), wirklich keine Wehrpflicht braucht.
 
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Sinn und Unsinn einer Wehrpflicht hängen nicht von der Einwohnerzahl des fraglichen Landes ab.
 
Sinn und Unsinn einer Wehrpflicht hängen nicht von der Einwohnerzahl des fraglichen Landes ab.

Nein, sie hängen davon ab, ob sie mehr Probleme löst, als sie produziert.

Wenn aber lediglich eine ausgebaute Marine und Luftwaffe und vielleicht eine Hand voll Land-Divisionen benötigt werden, also ein Personalstand von vielleicht 150.000-200.000 Mann, schafft das in einem Land mit 70.000.000 Einwohnern mehr Probleme als das es löst (Wehrgerechtigkeit etc.) und man steht mit einer Berufsarmee entschieden besser da.
 
Ich sehe es zumindest als Möglichkeit. Natürlich hätte man zuerst, wie es die SPD gefordert hat, den Generalvertrag verabschieden. Damit hätte man die Souveränität gehabt hätte! Erst damit hätte man ja die Möglichkeit gehabt, dass man ein Abkommen, wie es Japan mit den USA geschlossen hat. Erst danach hätte man mit dem Aufbau der westdeutschen Armee beginnen können.

Hm? Der Generalvertrag sollte der Friedensvertrag mit einem Gesamtdeutschland darstellen, das es schon nicht mehr damals gab. Erst mit einem Friedensvertrag mit Gesamtdeutschland wäre eine völkerrechtlich vollständige Souveränität entstanden und - zumindest theoretisch - vollständige Handlungsfreiheit.

Nun war Westdeutschland nicht Gesamtdeutschland, konnte daher keinesfalls einen Friedensvertrag abschließen mit den vier Besatzungsmächten.
Eben sowenig wäre von den westlichen Nachbarstaaten der BRD die Aufstellung von Streitkräften ohne Einbindung in eine Militärbündnis akzeptiert worden, war damals auch nicht akzeptiert.

Eben sowenig hätten die drei westlichen Besatzungsmächte bzw. vor allem die USA damals solch kleine Streitkräfte wie in Japan in der BRD akzeptiert aufgrund der Grenzlage zwischen den Blöcken und dem großen Kontingent von Sowjettruppen in der DDR, damals, in der ersten Hälfte der 1950er Jahre standen wohl rund 220.000 Sowjetsoldaten in der DDR.
Die Bundeswehr war von Anfang an auf 500.000 Soldaten konzipiert, also mehr als doppelt so groß wie die japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte, auch auf Bitten der US-Regierung. Dabei hatte die BRD nur halb so viele Einwohner wie Japan, das japanische Territorium war um rund die Hälfte größer wie die BRD. Von der von Anfang an geplanten Ausstattung der Bundeswehr ganz abgesehen.

Es bringt historisch nichts und ist auch wissenschaftlich nicht überzeugend, ansonsten einfach die ersten Jahrzehnte zu überspringen, um dann spätere Entwicklungen in Japan als Anknüpfungspunkt darzustellen.
 
Da nicht in Europa oder am Atlantik gelegen, wäre eine Einbindung in die entstehenden transatlantischen Strukturen nur mäßig sinnvoll gewesen, damit sind die Vergleichspunkte 2 und 3 schonmal obsolet.
Die JSDF waren anfangs in keinerlei transnationalen Bündnisse und Verteidigungsstrukturen konzipiert bzw. eingeplant. Darum ging es, was Du bestimmt nur übersehen hast. Der Sicherheitsvertrag mit den USA 1960, der erstmals eine beidseitige Beistandspflicht postulierte, führte daher beispielsweise zu landesweiten schweren Unruhen in Japan. Und ein transnationales Kommando, das im Kriegsfall das Kommando über die JSDF übernimmt, ist bis heute nicht denkbar.

Und Wehrpflicht macht eigentlich auch keinen Sinn, wenn man in Ermangelung irgendwelcher Landgrenzen zur Verteidigung überhaupt kein stehendes Massenheer benötigt, sondern vor allem eine kompetente Marine und Luftwaffe.
Das war aber nicht die eigentliche Ursache für die Freiwilligen- und Berufsarmee in Japan, wie Du bestimmt nur vergessen hast. Eine Wehrpflicht war und ist in Japan seit 1945 nicht machbar, bis heute.
Zumal die geplante und dann auch erreichte Personalstärke von 500.000 Mann bei der Bundeswehr auch nicht primär für die Verteidigung der BRD-Landesgrenzen konzipiert worden waren. Das war eine Bündnis-Personalstärke und als adäquate Größe gegenüber den in den östlichen Staaten, vor allem in der DDR stationierten Sowjettruppen gedacht worden.
 
Für eine weitere Japan-Dis. schlage ich einen eigenen Faden vor. Vielleicht als Anregung die Diss. von Hans Georg Mammitzsch, Die Entwicklung der Selbstverteidigungs-Streitkräfte und Aspekte der zivil-militärischen Beziehungen in Japan (1985); der Autor hatte einige Jahre in Japan studiert und gelebt.

Derweil gibt es meinerseits keinen weiteren Vertiefungsbedarf, denn Griffels Eingangsidee hat sich m.E. sowieso erledigt.
 
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