In der Schule wird einem der Wahlerfolg der NSDAP 1933 ja so gelehrt, dass man denkt, die 44% NSDAP-Wähler waren alles wirklich fest überzeugte politische und hasserfüllte Wähler.
Darf ich mal fragen wo?
Ich denke aber, der Wahlerfolg der NSDAP rührt auf viel komplexeren Ursachen. Ich denke das sich die Stimmenanteile für die NSDAP in Wirklichkeit aus folgenden Gruppen zusammensetzte:
Natürlich hat der komplexere Ursachen. Angefangen damit, dass durch Repression der Wahlkampf aller anderen Parteien zu diesem Zeitpunkt schon arg behindert war, Funktionäre und bekannte Kandidaten mitunter längst in Haft saßen oder sich im Untergrund befanden oder ins Ausland geflüchtet waren.
- Protestwähler: Wähler, die die NSDAP nur wählten, um den demokratischen Parteien ihre Wut auszudrücken und sie zum besseren politischen Handeln zu bewege
Njet.
Ganz einfach, weil der Putschist Hitler ja kein unbekannter war und die Gewaltakte der SA offenkundig. Zudem musste man, wenn man antidemokratisch eingestellt war ja nicht gleich zur NSDAP laufen, die DNVP oder die KPD zu wählen, hätte es auch getan, wenn man nur die Schnauze von der Demokratie voll hatte, beide Parteien verloren aber bei der "Wahl" 1933, die KPD sogar recht stark.
- Pragmatische Wähler: Wähler, die die NSDAP nur wählten, weil sie keine bessere Alternative sahen, sich aber wenig mit ihrer Ideologie identifzieren konnte
Bescheidene Frage:
Die Weimarer Parteien waren bekanntermaßen wesentlich stärker klientelgebunden als heute, während die NSDAP neben dem Zentrum, was die soziale Schichtung angeht, noch mit der offenste Verein war.
Mit welcher Ideologie, außer reinem Nazitum hätte man sich also identifizieren können um da zu landen?
Für Linksaußen gab es die KPD, für alles gemäßigt Linke die SPD, für die Liberalen die DDP für Konservative und Katholiken das Zentrum, als dezidiert konservativ-protestantische Partei die DVP, als Vertretung der Monarchisten und aller sinst, die geistig zurück ins Kaiserreich wollten die DNVP.
Mit welcher Ideologie konnte man sich also nirgendwo außer bei den Nazis vertreten fühlen?
- Desinformierte Bauchgefühl-Wähler: Wähler, die nur nach ihrem Bauchgefühl wählten, weil sie nicht wussten, für welche Partei sie stimmen sollte
Das halte ich angesichts marodierender SA überall im Land, die lautstark herumgröhle, wofür die NSDAP so stand, für eine steile These.
- Oberflächliche unpolitische Wähler: Wähler, die sich nur sehr wenig über das Parteiprogramm der Partei informierten und für die die Wahl grundsätzlich nur eine sehr geringe Bedeutung hatte
Jemand für den Wahlen keine Bedeutnug haben, pflegt in der Regel nicht zu wahlen zu gehen, oder täusche ich mich da?
- Monarchisten: Wähler, die sich mit der Weimarer Republik nicht identifizieren konnten und deshalb durch die Wahl der NSDAP nach der Wirtschaftskrise 1929 einen größeren Wohlstand erhoffte.
Wer knallharter Monarchist und Legitimist war, konnte sich naturgemäß aber auch nicht mit dem "Führer" identifizieren, denn wo ist der Platz für die Reinstalation von Wilhelm dem Letzten oder dessen Brut, wenn man den gebrochen deutsch schreienden "Böhmischen Gefreihten" mit dem seltsamen Schnauzbart zum Chef der ganzen Veranstaltung macht?
- Verantwortungslose: Wähler, die aus rein eigennützigen wirtschaftlichen oder persönlichen Interessen die NSDAP wählte.
Verantwortungslose Wähler gab es sicherlich viele. Wenn diese aber gebildet gewesen sind, die Positionen der Nazis für die eigenen Interessen für vorteilhaft zu halten, ist da zweifelsfrei eine gewisse grundsätzliche ideologische Übereinstimmung oder mindestens die kalkulierte Akzeptanz der NS-Ideologie unbestreitbar.
Ich denke nur eine ganz kleine Gruppe war wirklich leidenschaftlich von der Ideologie der Nazis überzeugt. Denkt ihr das nicht auch? Ansonsten müsste ja fast jede 2. Familie in Deutschland Vorfahren gehabt haben, die überzeugte Rassisten waren. Ich kann mir das nicht vorstellen.
Und warum genau sollte man sich das nicht vorstellen können? Ein latenter Rassismus war der Gesellschaft grundsätzlich zu eigen. Innerhalb des Bürgertums ohnehin, mitunter bis in die Reihen der Sozialdemokratie (man denke etwa an Gestalten wie August Winnig
August Winnig – Wikipedia , wenn man etwa dessen Schwarte "Das Reich als Republik" kennt, in der Ergüsse über die Auseinandersetzung von "Germanentum vs. Slawentum" nachzulesen sind, die auch orriginal vom Alldeutschen Verband hätten kommen können).
Mal eine Rückfrage an dich:
Wäre die Gesellschaft, die ja im Grunde genommen noch weitgehend personelle Kontinuität ins Kaiserreich hinein hatte, nicht latent rassistisch zumindest in dem Sinne gwesen, dass sie die Welt in "höhere" und "niedere" Kulturen einordnete, wie konnte sie sich dann so für das Projekt des Imperialismus begeistern und die "Zivilisierung" des "Negers" und des "Gelben Mannes" für eine anständige und richtige Aufgabe halten?
Hätte es keine sozialdarwinistische Grundstimmung in der Gesellschaft gegeben, hätten gegen dieses Projekt und vor allem die Art, wie das praktiziert wurde, ja gesamtgesellschaftlich Sturm gelaufen werden müssen.
In regelmäßigkeit, tat das aber nur der linke Flügel der Sozialdemokratie (ausgenommen, es kam zu unapetitlichen Massakern, dann war auch anderswo anstandshalber mitunter mal kurzzeitig Betroffenheit da).
Dann liegt dazwischen der Weltkrieg, in dem die Bevölkerungen Europas schön gegeneinander gehetzt wurden, gefolgt von einer Reihe von Friedensverträgen, die keine wirklichen Lösungen Produzierten (konnten sie auch nicht, dafür war die Lage zu komplex) und in deren Folge es immer wieder zu territorialen Konflikten kam.
Im Hinblick auf Deutschland wurde man ja nicht nur Elsass-Lothringen, Nordschleswig, Eupen-Malmedy, Posen und große Teile Westpreußens mit Danzig los, sondern der Prozess im Hinblick auf den Status der Grenzgebiete (Masuren, Kreis Marienwerder, Oberschlesien, Memelgebiet, Rheinland), war bis 1923/1924 ein mehr oder minder offener Konflikt, der sich immer mal wieder entzündete.
Man bedenke die "schlesischen Aufstände", die Förderung Rheinischer Separationsbestrebungen durch Frankreich, die Ruhrbesetzung und die Annexion des Memelgebietes durch Litauen.
Wenn man das tut, könnte man ketzerisch behaupten, dass der Krieg, jedenfalls, im Bezug auf die endgültige Grenzziehung Deutschlands, erst 1924 endete, als klar wurde, dass man mit Frankreich zu einem Modus vivendi kommen würde und die Gefahr, einer wie auch immer gearteten Abtrennung des Rheinlands sich verflüchtigte.
Die interalliierten Besatzungstruppen in Teilen des Rheinlands bleiben bis 1929 vor Ort und mussten vor den bisherigen Hintergründen in Teilen auch wie eine Drohkulisse wirken.
Hinzu kommen Massenarbeitslosigkeit, soziale Deklassierung durch die gesellschaftlichen Umbrüche nach die Krieg, wie traumatischer Erlebnisse und Physische Verluste und Schäden durch den Krieg (der im Bewusstsein der Bevölkerung nach wie vor ein von außen augfgezwungener Verteidigungskrieg war) oben drauf, als massenhafte Einzelschicksale und Katalysatoren der Grundstimmung.
Ohne es entschuldigen zu wollen, kann vor diesem Hintergrund eigentlich kaum verwundern, das ein latenter Rassismus in der Mehrheitsbevölkerung mindestens mal akzeptiert war.
Der Krawall-Antisemitismus der Nazis, ist da noch einmal eine speziellere Angelegenheit, aber auch in dieser Hinsicht, nahmen diverse Kritiker zwar an der Form, wie das vorgetragen wurde Anstoß, nicht aber an der Sache an und für sich.