War die sog. Revolutionen von 1848 (und 1789) hauptsächlich Hungerrevolten?

rrttdd

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Im heutigen Deutschland wird ja gern versucht, die Ereignisse von 1848 als Teilelement für die Begründung einer demokratischen Tradition in Deutschland heranzuziehen. Wenn man sich in diese Jahre einliest, frage ich mich, ob dies überhaupt so zulässig ist.

Es war nach meiner Einschätzung nicht eine Situation, wo der große Anteil der Bevölkerung (vom Kaufmann zum Tagelöhner) unbedingt mehr politische Mitbestimmung haben wollte. Über die Jahre wurde die Situation der einfachen Bevölkerung wirtschaftlich eigentlich immer schlechter. Nach der Bauernbefreiung Anfang des 19. Jahrhunderts fanden weite Teile der Landbevölkerung in der Landwirtschaft kein Auskommen. Mit dem Aufkommen der Industrialisierung drängten die Menschen eher aus Verzweiflung in die Städte, um in den ersten Fabriken ein spärliches Auskommen zu finden. Allerdings waren die Städte gerade in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts oft mit dem Andrang überfordert. Es bildeten sich Slums und beklagenswerte Wohnverhältnisse (Zeit des Pauperismus). Obendrauf kamen mehrere Missernten 1846-47. Und seit 1844 Kartoffelfäule. Die sich konstituierenden großen Nationalstaaten mit ihren Verwaltungen waren unfähig, die Ernährungskrise adäquat zu managen und so "knallte es" dann irgendwann, und zwar, nach meiner Theorie, überwiegend aus schierer Verzweiflung! Los ging es ja schon 1847 z.B. in Berlin mit der Kartoffelrevolution.

Und eine im Verhältnis kleine Gruppe revolutionär-freiheitlich-demokratischer Vordenker nutzte das Momentum, und hing sich wie schon 1789 an die Proteste mit ihrer Utopie von Demokratie und Wohlstand für alle und berief in Frankfurt eine Nationalversammlung ein...

Überlegung 1: 1789, 1848, Arabischer Frühling 2010... In wie vielen Fällen wurde Demokratie oft nur als "letzter Ausweg" gesehen, wenn autoritäre Regimes versagen?

Überlegung 2: Kann es sein, dass ein Narrativ vom demokratischen Aufbruch 1848 sowohl den freiheitlichen Revolutionären als auch den Landesherren ganz gelegen kam? Die Revolutionäre konnten für sich in Anspruch nehmen, zumindest versucht zu haben, ihre Ideale umzusetzen. Die Fürsten "mussten" die politische Revolution niederschlagen, weil sie eben politisch und damit staatsgefährdend war. Auf Seiten der Eliten, welche ja die Geschichte meist schreiben, ist es somit sehr elegant, die Geschehnisse auf eine politische Ebene zu ziehen, egal für welche Partei.

Aber was, wenn es hauptsächlich Hungerproteste waren. Ausgemergeltes Fußvolk, was in seiner Verzweiflung nicht wusste, wie es sich und seine Kinder sattbekommen sollte. Geschwächte und kranke Leute in den Slums der Großstädte mit TBC und Typhus, eine hohe Säuglingssterblichkeit. Nach den Missernten fallen nun auch die letzten Armenrationen an Getreide aus. In ihrer Verzweiflung erheben sie sich gegen die Obrigkeit. Und diese lässt die notdürftig bewaffnete ausgemergelte Bevölkerung zusammenschießen. Eine verhältnismäßig kleine Elite demokratisch gesinnter Freidenker versucht daraus Kapital zu schlagen und die Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen. Das ging auch etwa ein Jahr gut, das Parlament tagte in der Paulskirche. Dann wurde Ende 1848 wieder eine gute Ernte eingefahren und den Leuten ging es wieder soweit, dass das Leben ertragbar war. Die Revolution verlief sich und die letzten Querulanten wurden 1849 in Rastatt eliminiert...

Demnach wäre das tatsächliche Geschehen eigentlich sehr plump.

-Landesfürst bekommt Versorgung der Bevölkerung nicht gebacken
-Hungernde Bevölkerung protestiert in ihrer Not
-Landesfürst lässt Proteste a la Assad zusammenschießen
-Ein paar Utopisten versuchen, das Geschehen für die Verwirklichung ihrer Vorstellungen zu nutzen
-Mit der Verbesserung der Ernährungssituation bricht der Widerstand zusammen

Ein Großteil des Geredes über große Entwicklungslinien der deutschen Demokratiegeschichte in Zusammenhang mit 1848 könnte sich später entwickelt haben. Hungernde Menschenmassen, welche protestieren, zusammenzuschießen, ist ein Menschheitsverbrechen. Sie auf ihrer Insel verhungern zu lassen, ebenso (Irland). Die Geschehnisse auf eine politische Ebene zu ziehen, macht es für die Eliten leichter zu ertragen, wird aber den meisten Opfern nicht gerecht.

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Aber war das wirklich so?
 
Ich sehe in deinen Überlegungen einen großen Logikfehler.

Was man aber wohl festhalten kann ist, dass Revolutionen erst dann zu solchen werden, wenn eine organisierte Gruppe die Führung übernimmt, sonst sind das nur Aufstände, ohne Ziel, die bald verebben. Oft ist es so, dass diese organisierte Gruppe aus dem Staatsapparat heraus agiert. Also eine innere Opposition, die aus welchen Gründen auch immer desillusioniert ist, beispielsweise, weil Alter vor Leistung kommt, und man keine Lust hat, erst als Greis an die Macht zu kommen.
Bei den Revolutionen von 1770 bis 1850 kann man allerdings davon ausgehen, dass ihres Träger hauptsächlich arrivierte bourgeoise Schichten waren. Besonders gut kann man das bei den lateinamerikanischen Unabhängigkeitsbestrebungen sehen, zwar gab es in Mexiko, rund um den Priester Hidalgo, auch einen schnell gescheiterten bäuerlich-indigenen Unabhängigkeitsversuch, aber in erster Linie wurde die Unabhängigkeit von der arrivierten amerikaspanischen weißen Oberschicht getragen. Jerónimo de Aliaga War mit Francisco Pizarro nach Perú gekommen. Sein Nachfahre Diego de Aliaga schwor zunächst seine Treue zur liberalen spanischen Monarchie 1820 bis 1823, war dann aber 1823/4 erster Vizepräsident der unabhängigen Republik Perú. Die Aliaga-Familie feiert heute sowohl den Comquistadoren, dessen Haus sie bis heute bewohnt, wie auch den ersten Vizepräsidenten der Republik Perú.
Viele der Politiker und Militärs, die in der Unabhängigkeit Lateinamerikas eine Rolle spielten, waren entweder selber noch in Spanien geboren oder aber mindestens ein Elternteil. Schaut man sich die Biographien von Agustín de Iturbide und Antonio López de Santa Anna an, so waren das Leute, die im spanischen Militär Karriere gemacht hatten und durch die Umstände der Zeit zu Protagonisten der Unabhängigkeit wurden.
 
Überlegung 1: 1789, 1848, Arabischer Frühling 2010... In wie vielen Fällen wurde Demokratie oft nur als "letzter Ausweg" gesehen, wenn autoritäre Regimes versagen?

Inwiefern ist denn Demokratie (im Besonderen im modernen Sinne) unbedingt als Ziel einer Revolution anzusehen?
Das Ziel der meisten Bürgerlichen Revolutionäre 1848, waren ein Nationalstaat und Liberalismus, in Form von weitgehender Gewerbefreiheit und Aufhebung der verbliebenen Feudallasten, so wie Durchsetzung parlamentarischen Budgetrechts (bei gleichzeitig restriktivem Wahlrecht) und der Übergang zu einer konstitutionellen oder wenigstes halb konstitutionellen Regierungsweise, nicht Demokratie.

Überlegung 2: Kann es sein, dass ein Narrativ vom demokratischen Aufbruch 1848 sowohl den freiheitlichen Revolutionären als auch den Landesherren ganz gelegen kam?
Von einem tatsächlichen demokratischen Ausbruch kann man da eher weniger reden.

Was den Landesherren vielleicht gelegen kam, war das Annsinnen die verbliebenen Junker-Privilegien (Reste der Hand- und Spannndienste, Patrimonialgerichtbarkeit etc.) zu beseitigen um den Adel in seiner Machtstellung etwas zu reduzieren und die staatliche Macht auch auf den adligen Besitz auszudehnen, der bis dato eher ein staatsferner Raum war.
Was ihnen aber definitiv nicht gelegen kommen konnte, war das Ansinnen überall konstitutionelle Systeme eizuführen und vor allem das Ansinnen den Nationalstaat als politischnn Ordnungsrahmen durchzusetzen, was sowohl die Dynastien im Grunde überflüssig gemacht hätte und sowohl für den Territorialbestand Österreichs und Preußens, als auch das Verhältnis zu Dänemark und Frankreich ein massives Problem darstellen musste.

Die Revolutionäre konnten für sich in Anspruch nehmen, zumindest versucht zu haben, ihre Ideale umzusetzen. Die Fürsten "mussten" die politische Revolution niederschlagen, weil sie eben politisch und damit staatsgefährdend war. Auf Seiten der Eliten, welche ja die Geschichte meist schreiben, ist es somit sehr elegant, die Geschehnisse auf eine politische Ebene zu ziehen, egal für welche Partei.
Du schreibst das so, als hätte politische Betätigung von Teilen der Bevölkerung allein für die Fürsten als Grund ausgereicht das unbedingt zerschlagen zu wollen.
Das übersieht aber dass der "Neoabsolutismus" des Vormärz so absolutistisch denn auch wieder nicht war, insofern die traditionellen politischen Organe in Form der Provinzialstände in Österreich und Preußen weiter bestanden und durch die Industrialisierung und die Verschiebung der Ökonomischen Macht hin zum Großbürgertum auch Bürgerlichen zunehmend zugänglich wurden.
Die süddeutschen Reformstaaten gehen bereits deutlich vor 1848 deutliche Schritte in Richtung Konstitutionalisierung und Betieligung mindestens der Oberschicht an den politischen Geschicken des Landes, auch in Preußen gelingt es der an Reformen interessierten Oberschicht noch vor der 1848er Revolution gegenüber König Friedrich Wilhelm IV. die Schaffung eines Vereinigten Landtages als politische Plattform gegenüber den alten Provinziallandtagen grundsätzlich durchzusetzen, Streitpunkt ist zu diesem Zeitpunkt wenniger das politische Engangement an und für sich, sondern die Vorstellung eines parlamentarischen Budget- und damit Kontrollrechts.
Bereits im Vereinigten Landtag vor 1848, spielt die Rheinische Bourgeoisie als Vertretug des Großbürgertums mit einigen prominenten Vertretern durchaus eine nicht unbedeutende Rolle.

Später wurden die revolutionären Aufstände zwar niedergeschlagen, aber Monarchen, auch in Österreich und Preußen kamen nicht darum herum wenigstens "oktroyierte" in konservativen Stil gehaltene Verfassungen zu erlassen, die gewisse politische Beteiligungsmöglichkeiten mindestenn was die Oberschichten angeht zugestehen mussten.
Insofern war eine völlige Entpolitisierung der Bevölkrung nicht der Anspruch der Monarchen und auch nicht dass was sie durchsetzen konnten.
Man darf bei alldem nicht übersehen, dass "Staatlichkeit" noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht so umfassend war wi in der heutigen Zeit und der Arm des Staates häufig nicht weiter reichte, als in die Kreishauptstädte, während das platte Land darum herum noch weitgehend staatsferner Raum blieb.
Der "Staat", dass waren im wesentlichen die Dynastie, die Armee, das Steuersystem, in Anfängen (aber nur in Anfängen) das Schulsystem und die hohe Gerichtsbarkeit (die Nidergerichtsbarkeit lag bis 1848 in weiten Teilen des Landes zum Teil noch bei den adligen Grundherren).
Heißt auf dem platten Land war der Staat ohnehin zu Kompromissen mit Kirchen und Adel gezwungen, weil diese als Funktionseliten Gerichtbarkeit und Schulwesen in den Bereichen betrieben, in die der Einfluss des Staates nicht hinlangte.
Ähnlich sieht es in Sachen Ordnungspolitik aus.
Es gibt in der Mitt ds 19. Jahrhunderts überhaupt noch kein modernes Polizeiwesen als Ordnungsorgan, bzw. dass fängt gerade in den Großstädten an zu entstehen, ist aber auf dem Land nicht vorhanden und bei der Weite des Landes war es auch schlicht nicht praktikabel flächendeckend das Militär als "Gendarmerie" einzusetzen.
Das war bei größeren Unruhe machbar, was aber die Aufrechterhaltung der Ordnung auf dem platten Land angeht, auch das lag nicht selten mehr oder minder in Privaten Händen oder wurde auf der Ebene der Gutsbezirke (vor allem im Osten ) unter den Großgrundbeseitzern geregelt, diesen oblagen zum Teil auch noch Aufgaben im Bereich der Instandhaltung von Infrastruktur z.B. Straßen oder Deichen.

Ohne Kompromiss mit der Obrschicht und ohne dieeser ein gewisses Maß an politischer Betätigung zu überlassn ging es nicht und das war denn Monarchen auch durchaus klar, dass versuchten sie auch gar nicht erst.

Eine verhältnismäßig kleine Elite demokratisch gesinnter Freidenker versucht daraus Kapital zu schlagen und die Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen. Das ging auch etwa ein Jahr gut, das Parlament tagte in der Paulskirche. Dann wurde Ende 1848 wieder eine gute Ernte eingefahren und den Leuten ging es wieder soweit, dass das Leben ertragbar war. Die Revolution verlief sich und die letzten Querulanten wurden 1849 in Rastatt eliminiert...
Auch die Mehrheit der Vertreter in der Paulskirche hatte mit Demokratie nichts, aber absolut nichts am Hut.

Die Ziele der Mehrheit dort waren Nationalstaat, Gewerbefreiheit, Aufhebung der Feudallasten und konstitutionelle Ordnung, nicht Demokratie im modernen Sinne.
Entsprechend gemischt fällt auch die Bilanz der ganzen Angelegenheit aus.
Gewerbefreiheit und Aufhebung dder Feudallasten konnte erreicht werden, in Sachen konnstitutioneeller Ordnung konnten in der Regel immerhin ständig tagende Parlamente und Budgetrecht durchgesetzt werden, was von einer dem Parlament verantwortlichen Regierung noch ein gutes Stück entfernt war, aber die Möglichkeiten einees Willkührregimes der Landesherren einschränkte und daran wurde auch nach Niederschlagung der Revolution nicht mehr entscheidend gerüttelt.
Ein Nationalstaat ließ sich nicht durchsetzen.

In der Bilanz kann man sich deswgen durchaus darüber streiten ob man die Revolution von 1848 als gescheitert betrachten kann.
Aus der Perspektive von radikalen Demokraten und von Anhängern der Nationalbewegung für die ein Nationalstaat an erster Stelle stand, war sie das sicherlich. Aus Sicht der liberalen Bewegung war sie im Ergebnis nicht ideal, aber doch ein Erfolg auf den man aufbauen konnte.
Wenn die Revolution von 1848 in der Folge häufig als gscheitert gilt, lieegt das daran, dass sie von der späteren Geschichtsschreibung unter verschiedenen Paradigmen (Nationalgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, Moderne Demokratiebewegung, die einen völlig anderen Demokratiebegriff haben als das 19. jahrhundert, marxistisch geprägte Geschichtsschreibung, der soziale Grechtigkeit als Leitthema galt) agierte, die sich aus unterschidlichen Gründen mit Positionen solidarisierten, die (bis vielleicht auf den Nationalstaat) 1848 eheer abseitige Minderheitenpositionen waren.
 
Demnach wäre das tatsächliche Geschehen eigentlich sehr plump.

-Landesfürst bekommt Versorgung der Bevölkerung nicht gebacken
-Hungernde Bevölkerung protestiert in ihrer Not
-Landesfürst lässt Proteste a la Assad zusammenschießen
-Ein paar Utopisten versuchen, das Geschehen für die Verwirklichung ihrer Vorstellungen zu nutzen
-Mit der Verbesserung der Ernährungssituation bricht der Widerstand zusammen

Das ist ein Bissichen falsch dargestellt.

- Die Fürsten haben sich lange große Mühe gegeben die Lage gerade nicht zu eskalieren. Ein König Frieedrich Wilhelm IV. lässt nach wahrscheinlich sponatanem Zusammenstoß des Militärs mit der protestierenden Bevölkerung nicht etwa marschieren, sondern er lässt das Militär als Berlin abrücken und sucht die Verständigung mit der Bevölkerung, unternimmt auch zunächst keine Versuche zu flüchten (Im Gegensatz zum damaligen Kronprinzen Wilhelm, der sich als Heißsporn gerieerte, sich dadurch denn Spottnamen "Kartätschenprinz" zuzog und nach England flüchtete) oder die Armeekorps aus Magdeburg und Stettin als Verstärkung heeran zu ziehen um die Revolutionäre einfach zusammen zu schießen.
Ein gewisser Otto von Bismarck, damals noch schönhausener Junker mit dem Ruf eines wenig soliden notorischen Trunkenbolds und Spielers war seinerzeit über das Maß an Nachgiebigkeit des Königs gegenüber seiner Bevölkerung höchst irritiert.

- Die Paulskirche und ihre Akteure waren weit mehr als ein Club realitätsentdückter Utopisten, jedenfalls was ihre Masse angeht, die meisten hatten durchaus politische Erfahrung in den politischen Organen ihres eigenen Landes, meist auf der Ebene der Provinziallandtage und -Stände und hatten durchaus nicht so weit gesteckte Ziele wie man sich das heute vorstellt.
Das liegt in Teilen daran, dass sich die Bedeutung der Begriffe gewandelt hat.
Wenn in der Mitte des 19. Jahrhundert jemand was von "Demokratie" erzählte meinte er damit nicht zwangsweise so etwas wie ein vollparlamentarisches System mit allgemeinem und gleichem Wahlrecht, an dem jeder ohne weiteres mitwirken konnte, sondern nicht selten ein System, dass wir eher als konstitutionell oder halbkonstitutionell bezeichnen würden, in Teilen verbunden mit einem restriktiven Zensus-Wahlsystem, dass 80-90% der Bevölkerung ausschloss.

- Auch gab es keinen allgemeinen Widerstand der mit Verbesserung der Ernährungssituation zusammenbrach.
Vielmehr schwenkten die liberalen Obeerschichten in dem Moment auf die Seite der Landesherren um, in dem die entsprechenden Landesherren ihren Wünschen weitgehend nachgab, denn auch die hatten kein Interesse daran, dass das Kleinbürgertum und die unterbürgerlichen Schichte ihre Wünsche auf Kosten der Oberschicht durchsetzen könnten.
Der Umstand dass sich die aus der Oberschicht kommnden führenden Revolutionäre zunehmnd mit den Monarchen arrangierten und die anderen in ihren Forderungen enttäuscht zu werden drohten, sorgte dann wiederrum für eine Radikalisierug der aufständischen Unterschichten und zur Zuspitzung der Situation, so wie zu punktuellen neuen bewaffneten Aufständen, die aber erfolglos blieben, weil weite Teile ds Bürgertums inzwischen die Seiten gewechselt hatten.
Nicht wegen der Versorgungslage, sondern weil aus ihrer Sicht die Revolution ein Erfolg war, den sie jetzt gegen diejenigen Revolutionäre zu verteidigen suchten, die weiter gehen wollten, als es in ihrem Intersse lag.
 
Karl Marx hat diese Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts als bürgerliche Revolutionen bezeichnet, weil eben nicht Bauern und Tagelöhner federführend waren.

Es hat wohl auch nur wenige wahre "Hungerrevolten" im Sinne eines von der Unterschicht angeführten Volksaufstandes gegeben. Müntzer war ebenso wenig ein hungernder, ungebildeter Tagelöhner wie Cade, Lenin, Danton oder Castro. Es waren, wie uns @El Quijote zu Recht erinnert hat, eher Personen an der Schnittstelle zwischen breiter Masse und herrschender Elite, die sich in Revolutionen zu Anführern ebendieser breiten Masse aufschwangen: der besitzende Freibauer anstelle des besitzlosen Hörigen, der Zunftvorsteher anstelle des Tagelöhners, der Fabrikantensohn anstelle des Fabrikarbeiters.

Welles verlor über diese Erkenntnis hin seinen Enthusiasmus für den Sozialismus, wie er in 'The Road to Wigan Pier' beschrieb. Seiner Meinung nach ging es den Sozialrevolutionären des 19. und frühen 20. Jahrhunderts nicht so sehr darum, hungrige Mäuler zu stopfen, als vielmehr darum, sich die Hungrigen zu verpflichten und von ihnen an die Macht gehievt zu werden. Seine Desillusionierung ging so weit, dass er den englischen Sozialisten vorwarf, die würden die Armen insgeheim verachten und verabscheuen.

Bis zu einem gewissen Grad ist diese revolutionäre "Hierarchie" aber wohl auch ein zwangsläufiges Produkt der vormodernen bzw. frühindustriellen Gesellschaftsstrukturen, also des bürgerlichen Monopols auf Bildung und politische Diskursteilhabe. Wer lenken will, muss lenken können, und lernen tut man durch Erfahrung. Die Bauernaufstände zwischen 1300 und 1800 zeigen fast alle, dass sich die Bauern dieses Mankos bewusst waren, machten sie doch oft Personen zu ihren Anführern, die ihrer sozialen Schicht gerade nicht angehörten und z.B. etwas von Recht, Strategie oder Wirtschaft verstanden.

Außerdem haben Menschen, die existenzielle Not leiden, Besseres zu tun, als neue Staatswesen zu errichten; ihre eher gegen punktuelle Missstände gerichteten Empörungen zerfasern dann auch recht schnell, oder werden aufgrund des geringen Organisationsgrads mühelos niedergeschlagen. Das zeigt z.B. der schlesische Weberaufstand, der auf die Erzwingung konkreter sozialer Maßnahmen abzielte, die teils ohnehin bereits begonnen worden waren (wie die Abschaffung der Grundherrschaft), oder auch die Jacquerie, die explizit nicht den König stürzen und die soziale Ordnung umkehren wollte.

Politische und soziale Utopien stammen aus der Feder der Bürger, nicht der Armen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn man den Eingangsbeitrag so liest, könnte man annehmen, dass das einzige Interesse der Bürgerlichen gewesen wäre, sich zu Helden zu stilisieren, dass gewissermaßen Herrschende und bürgerliche Revolutionäre an einem Strang gezogen hätten und sich dafür hätten zusammenschießen lassen.
 
Die von 1789 sicher nicht. Die Ernte in den letzten Jahren waren gut. Es gab Hungerunruhen in den 1770er Jahren. Aber der Minister von Ludwig XVI., Calonnes hatte durchaus erfolgreich die Wirtschaft, auch den agrarischen Sektor, belebt. 1789 kam hinzu, dass die Monarchie den Staatsbankrott eingestehen musste. Dazu waren die Reformversuche der letzten Jahre vor 1789 als Eingeständnis der Verunsicherung des Staates aufgefasst worden. Es gab aber größere Probleme, da der Wirtschaftsvertrag nach dem Frieden von Paris (Beendigung des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges) dazu führte das Frankreich von englischen Fertigwaren geflutet wurde. Vor allem Textilien. Viele Menschen verloren ihre Arbeit, in folge. Für die Landwirtschaft war es aber von Vorteil. Da sie größere Mengen nach Großbritannien und seine Kolonien verkaufen konnten. Allen voran Wein. So betraf die Not vor allem die Städte. Von dort kam auch die Revolution. Doch die Landbevölkerung sah darin die Chance, die Reste des Feudalsystems zu beseitigen. Wichtig ist aber in diesen Zusammenhang, dass die Revolution im späten Frühling, Frühsommer ausbrach. Dann war sie Ernte des letzten Jahres Großteils verbraucht und die neue war noch nicht eingeholt. Dies war immer die gefährlichste Zeit für Regierungen in der vorindustriellen Zeit. Die "verdammten grünen Ähren" "die Unruhe auf den Feldern", wenn das Getreide nicht reif zu werden schien. 1789 kam dann Spekulation und Panik hinzu.
 
Aber der Minister von Ludwig XVI., Calonnes hatte durchaus erfolgreich die Wirtschaft, auch den agrarischen Sektor, belebt.
Jedenfalls nicht nachhaltig.
Vor allem blieb das Problem der Verpachtung und Verpfändung von Steuereinnahmen ungelöst, was für eine geringer Effizienz des Steuersystems sorgte und dadurch dafür, dass ungesund hohe Abgabenleistungen verlangt wurden, damit sowohl die Gläubiger und Steuerpächter auf ihre Kosten kamen, als auch dem Staat noch genügend Einnahmen verblieben.

Hungerunruhen setzen ja durchaus nicht unbedingt eine Missernte voraus, nicht einmal einen Anstieg der Preise für Grundnahrungsmittel, sondern wenn bei gleichbleibenden Preisen dem Durchschnitt der Bevölkerung durch erhöhte Abgaben oder ausbleibende Einnahmen (diese mögen durch Regierungspolitik, Eigenmächtigkeiten der Steuerpächter, abnehmende Rentabilität der bäuerlichen Nebentätigkeiten etc. etc. zustandegekommen sein) weniger Mittel zur Verfügung stehen ist der Effekt der gleiche.

Viele Menschen verloren ihre Arbeit, in folge. Für die Landwirtschaft war es aber von Vorteil. Da sie größere Mengen nach Großbritannien und seine Kolonien verkaufen konnten. Allen voran Wein.
Hättest du dafür belastbare Statistiken?

Seinen Bedarf an Lebensmittelimporten deckte Wsteuropa im Allgemeinen, nach meiner Kenntnis bis ins 19. Jahrhundert hinein vor allem durch Getreideüberschüsse aus dem Ostseeraum.
Wurde in Großbritannnien so viel französischer Wein konsumiert? Ich meine mal irgendwo gelesen zu haben, müsste aber nachsehen wo und ob ich das noch finde, dass sich Großbritannien, was Importe von Wein und anderen für Südwesteuropa typischen Waren angeht, traditionell an Portugal orietierte, zudem es ja ohnehin durch die Dauerrivalität mit Spanien dauerhaft sehr gute Beziehungen unterhielt.
 
Ich habe jetzt keine Statistik. Doch ich kann dir sagen, wo ich es gelesen habe. Das war in „Die Bourbonen – Teil 2 -Ludwig XV. bis Ludwig XVI.“ von Klaus Malettke. Die Frage war aber, ob die Revolution von 1789 in erster Linie eine Hungerrevolte war. Das glaube ich nicht. Die Hauptgründe für die Revolution sehe ich darin, dass die Reformversuche der letzten Jahre, scheinbar gescheitert sind und man den nahenden Staatsbankrott eingestehen musste. Es heißt aber nicht, dass bei aller Unzulänglichkeit die Reformversuche total fruchtlos blieben. Doch Reformversuche in einem als statisch empfundenen System werden schnell als Schwäche gedeutet. Dazu kommen halt ein toxischer Mix aus Hoffnungen und Ängsten. Doch die finanziellen Probleme des französischen Staates rührten nicht in erster Linie aus einer mauen Wirtschaftslage und schon gar nicht aus einer Landwirtschaftskrise. Es war der Krieg, der Frankreichs Finanzen in die Knie zwang. Der Aufwand stand in keinem Verhältnis zum Nutzen. Schon nach dem österreichischen Erbfolgekrieg sagte man, das ist dumm wie der Frieden. Auch nach dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg sah Frankreich nicht wie der große Sieger aus. Stattdessen ging man einen Handelsvertrag mit Großbritannien ein. Der sich als durchaus gefährlich, für das französische Manufakturwesen erwies. Die Steigerungen der Lebensmittelpreise 1789 entstanden erst als die politische Krise schon im Laufen war. Man kann sagen, es war eine Folge. Man befürchtete, dass die Unruhen fast zwangsläufig zu Lebensmittelengpässen führen. So kam es zu Hamsterkäufen, Spekulationen, Panik usw. Eine sich selbsterfüllende Prophezeiung.
 
Die Steigerungen der Lebensmittelpreise 1789 entstanden erst als die politische Krise schon im Laufen war. Man kann sagen, es war eine Folge.

Jetzt könnte man allerdings die Frage stellen, wäre es ohne diese Steigerung der Lebensmittelpreise tatsächlich zur Revolution gekommen?

Sicher, die politische Krise ergab sich spätestens, als der Pariser Parlament sich zu demonstrativem Ungehorsam gegnüber dem König entschluss, als sich abzeichnete, dass durch reine Reformaßnahmen die Staatsfinannzen kaum zu konsolidieren waren und der Versuch weitergehende Einschnitte und Veränderungen unter Ausschluss der alten Stände durch eine potentiell loyalere Notablen-Versammlung einfach abnicken zu lassen scheiterte und es an der Einberufung der Generalstände keinen Weg mehr vorbei gab.
Spätestens hier war die politische Krise endgültig vorhanden und die Ambitionen des Großbürgertums die Vorrechte des Adels zu kippen um selbst aufsteigen zu können, spielten hier auch schon eine Rolle.
Die Frage ist, hätte das genügt um die ländliche Bevölkerung zum Aufstand zu bringen? Hatte die tatsächlich so sehr ein Problem mit den verbliebenen Fudallasten per se?

Doch die finanziellen Probleme des französischen Staates rührten nicht in erster Linie aus einer mauen Wirtschaftslage und schon gar nicht aus einer Landwirtschaftskrise.

Ich würde meinen, dass hängt zusammen. Und zwar mit der Begründung dass die englischen Exporte im Textilsektor für das französische Manufakturwesen ein kleineres Problem gewesen sein dürften, als für die französischen Bauern, weil damit der bäuerliche Nebenerwerb im Textilsektor unrentatabel.

Mag sein, dass du recht damit hast, dass Agrarexporte nach Großbritannien deutlich zunahmen, aber wenn kam das ausschließlich den Großgrund- und Weinbergbesitzern zugute, die überhaupt in der Lage waren für den Export zu produzieren, während für die Subsistenzbauern, die auf entsprechendenn Nebenerwerb als Weber oder in verwandten Tätigkeiten angwiesen waren, die Flut englischer Textilwaren eine Katastrophe darstellen musste, insofern sie mit dem Preisdruck der französischen (und je nach Region Niderländisch/Belgischen) Manufakturen vielleicht noch umgehen konnten, aber nicht mehr mit dem Preisdruck der einsetzenden maschinellen oder halbmaschinellen Fertigung in Großbritannien
Insofern würde ich durchaus eine Krise des französischen Agrarsektors konstatieren wollen, weil sich die bäuerlichen Kleinbetriebe dadurch in ihrer Existenz bedroht sehen mussten und es für diese im Grunde nur 3 denkbare Auswege gab:

- Einschränkung des Handels oder des Manufakturwesens generell um ihre eigenen Nebentätigkeiten wieder rentabel zu machen.
- Senkung der Abgabenlasten/ Senkung oder Abschaffung von Steuern um den Verlust des bäuerlichen Nebenerwerbs auszugleichen.
- Erhöhrung der Preise für Agrarprodukte um den Wegfall des Nebenverdienstes zu kompensieren.

Die Erhöhung der Preise war hierbei das Einzige, dass die Bauern annähernd selbst in der Hand hatten und was sich mehr oder weniger auf aufdrängte, wenn sich heraumsprach, dass der Staat in finannziellen Schwierigkeiten steckte und wahrscheinlich die Abgaben würde erhöhen müssen und diese Schlussfolgerung drängte sich spätestens mit der Einberufung der Generalstände auf.
Der Umstand, dass durch die beginnende Industrialisierung ohnehin begann den Agrarsektor zu konsolidieren, dadurch dass immer mehr Kleinbetriebe unrentabel wurden und die Kleinbauern sie letztendlich aufgebenn und sich anderen Erwerb suchen mussten dürfte im Allgemeinen auch zu einem Verfall der Bodenpreise geführt haben, was es den verbliebenen Kleinbauern erschwert haben dürfte im Bedarfsfall an Kredite zu kommen, während es dem Großgrundbesitz erlaubte sein Geschäftsmodell auszubauen und die Kleinbauern weiter unter Konkurrenzdruck zu setzen.

Die Steigerungen der Lebensmittelpreise 1789 entstanden erst als die politische Krise schon im Laufen war. Man kann sagen, es war eine Folge.
Dem würde ich widersprechen wollen, ich würde sagen die Steigerung der Preise war bereits systematisch in dem Moment angelegt, wo die Nebentätigkeiten der Kleinbauern unter übermächtigem Konkurrenzdruck unrentabel wurden, weil sie den Kleinbauern mehr oder weniger kollektiv wenig andere Möglichkeiten ließen, als zu versuchen die Preise für die Kleinen Mengen, die sich verkauftenanzuziehen um die Verluste auszugleichen und diese Mengen möglichst noch auf Kosten des eigenen Verzehrs steigern zu können.
Inwiefern hier als zusätzlicher Effekt noch die "malthusianische Falle" zu bemühen wäre, da bin ich überfragt, weil ich mich mit der Bevölkerungsentwicklung in Frankreich dafür nicht hinreichend auskenne.

Einem Postulat, dass die Lebensmittelpreise bzw. deren Anstieg aber vor allem Folge der politischen Krise gewesen wären, würde ich wiedersprechen wollen.
Die mag als Katalysator gewirkt haben, aber ich sehe das Problem insgesamt eher strukturell angelegt.
 
Die letzte alteuropäische Hungersnot ereignete sich 1771/72,, selbst Landschaften, die vom siebenjährigen Krieg verschont wurden, waren betroffen.

Und das war auch eher eine Teuerung, die Getreidepreise stiegen um das Fünf, das Sieben, das 10 Fache des normalen Preises, und es sind nicht Menschen zu Hunderten oder Tausenden an Unterernährung krepiert wie während des Dreißigjährigen Krieges.

Die Hungerkatastrophen, die während des Pauperismus durch eine Kartofelfäule verursacht wurde oder die Great Famine in Irland waren durch lokale Faktoren, Gleichgültigkeit und zu spät eingeleitete Maßnahmen verursacht.

Irland hätte ohne weiteres seine Bewohner ernähren können. Während der Famine exportierte Irland Butter, Getreide nach GB. Manchen Landlords kam es gelegen, die Pächter loswerden wollten.

Die Zeit alteuropäischer Hungersnöte und Katastrophen war im Grunde Ende des 18. Jahrhunderts vorbei. Europa konnte seine Bewohner ernähren, die Bevölkerung nahm im 18. und 19. Jahrhundert konstant zu. Fortschritte in der Landwirtschaft, Dünger, verbesserte Fruchtfolgen, sorgten dafür, dass Europa seine Bewohner ernähren konnte.

Nicht, dass es nichts gab, sondern dass es so ungleich verteilt war, war das Problem. Viele Weber waren tatsächlich unterernährt.

Die großen Revolutionen des 18. Jahrhunderts: Die Amerikanische, die Französische und die Industrielle Revolution, das waren doch keine Hungerrevolten! Frankreich war das reichste Land Europas, und natürlich konnte Frankreich seine Bewohner ernähren!

Verhungern ist ein langwieriges dahinsiechen. Leute, die jahrelang unterernährt sind, werden apathisch. In der Regel sind Hungerrevolten spontane Erhebungen und meist fehlt solchen Bewegungen ein soziales und politisches Netzwerk.

Weder die Amerikanische, noch die Französische und auch nicht die Revolutionen im 19. Jahrhundert waren Hungerrevolten.
 
"Malthusianische Falle“ war so in Frankreich, soweit ich weiß, nicht gegeben. Das Bevölkerungswachstum bremste sich in Frankreich schon im 18. Jahrhundert ab. Wobei dies im Rest Europas erst im 19. Jahrhundert voll Fahrt aufnahm. Frankreich war im 18. Jahrhundert das bevölkerungsreichste Land Europas, fiel aber bis 1900 gegenüber allen größeren Staaten Europas zurück (Russland, Deutschland, Österreich-Ungarn, Großbritannien mit Irland) zurück. Das gab den französischen Eliten auch sehr zu denken. Wo sind die Kinder, wo sind die zukünftigen Soldaten. Doch vor allem die Landbevölkerung war sehr zurückhaltend, was das Kinder kriegen anbelangte. Ebenfalls verlor Paris (und auch viele größere Städte) doch einen erheblichen Teil ihre Bevölkerung nach der Revolution. Was wohl vor allem auch darauf zurückging, dass nun viele Domestiken (Diener, Hausmägde, Wäscherinnen, Sänftenträger, usw.) nicht mehr in diesem Ausmaße gebraucht wurden. Man nimmt an das bis zu 15% der städtischen Bevölkerung zu Diensten war. Die stark steigenden Armeen des neuen Frankreichs nahmen sicher viele auf. (Auch viele Bauernsöhne und Landarbeiter, die nicht gebraucht wurden.) Doch viele dürften auch wieder von der Landbevölkerung absorbiert worden sein. Hätte sich die Landwirtschaft in einer existenziellen Krise befunden, wäre dies nicht möglich gewesen. Auch wenn man den Krieg und die Umverteilung der „Kirchen- , Kron- u. Immigrantenländereien" mitbetrachtet und wohl auch den Krieg aus Konjunkturmotor. Glaube, ich das dies nicht ausgereicht hätte, wäre eine schwere Krise vorhanden gewesen. Ich bleibe dabei das 1789 nicht eine Hungerrevolte war.
 
Ich glaube jetzt, dass es 1816 zwar zu Versorgungsengpässen kam, aber nicht zu einer regelrechten Hungersnot. Wie 1709. Da sind alleine in Frankreich zwischen 400.000 und 1,3 Millionen Mensch gestorben. Die glaubwürdigste Zahl ist wohl 600.000! Ich würde die Hungersnot in Südrussland 1892 in erster Linie als Naturkatastrophe (Dürre) bezeichnen und bei aller Unzulänglichkeit der zaristischen Regierung nicht als Menschenwerk. Die folgenden 1921, 1932/33 und 1945/46 waren eindeutig in erste Linie menschliche Grausamkeit.
1816 war es übrigens ein Vulkan der Tambora (Indonesien) als Hauptursache. War 1771/72 auch ein Vulkan verantwortlich? In Island muss sich im 18. Jahrhundert eine fürchterliche vulkanische Katastrophe ereignet haben. Gibt es da einen Zusammenhang?
 
"Malthusianische Falle“ war so in Frankreich, soweit ich weiß, nicht gegeben. Das Bevölkerungswachstum bremste sich in Frankreich schon im 18. Jahrhundert ab. Wobei dies im Rest Europas erst im 19. Jahrhundert voll Fahrt aufnahm.
Naja, zum einen setzt die "malthusianische Falle" ja nicht unbedingt ein besonders schnelles Bevölkerungswachstum vorraus, sondern lediglich, dass sich das Bevölkerungswachstum schneller vollzieht, als die Steigerung der Lebensmittelproduktion, zum anderen so ausgebremst, sehe ich das Bevölkerungswachstum am Ende des 18. Jahrhunderts noch nicht in dieser Form.

Demografie Frankreichs – Wikipedia

Folgt man den Angaben die Wiki zum Thema der demographischen Entwicklung in Frankreichmacht, hatte 1740 etwa 24.600.000 Einwohner und 1792 (also bevor es mit den größeren Eroberungen der Revolutionszeit losging, allerdings dürfte sich hier schoon ein erheblicher Teil des Adels samt Bediensteten in der Emigration befunden haben, auch wennn das noch nicht die Zeit der Terrorherrschaft war) 28.000.000 Einwohner und das ganze jeweils ohne Berücksichtigung der Kolonien.
Macht über den Daumen in den letzten 50 Jahren vor dem Beginn der Revolutions einen Bevölkerungszuwachs von etwa 3,5 Millionen, was in etwa 14% Wachstumsrate entsprechen würde, trotz nach wie vor enorm hoher Kindersterblichkeit.

Das ist nicht unbedingt eine Bevölkerungsexplosion, für eine vorindustrielle Gesellschaft mit eingeschränkten medizinischen Möglichkeiten, teilweise noch überkommenen Wohnverhältnissen, die die Ausbreitung von Krankheiten etc. begünstigen konnten, nach meiner Auffassung durchaus noch ein recht beachtliches Wachstum.

Ich möchte hier auch gar nicht unbedingt der "malthusianischen Falle" das Wort reden, dafür fehlte mir die Basis, aber auf dem Zettel würde ich es grundsätzlich als Faktor behalten wollen.

Die stagnierende Bevölkerungsentwicklung Frankreichs seit spätestens der Mitte des 19. Jahrhunderts ist ein annderes Thema, damit hast du sicherlich recht, aber das dürfte am Beginn der Revolionszeit eher noch keine Rolle gespielt haben, 14% Bevölkerungswachstum in 50 Jahren, also annähernd 7% in den leetzten beiden Generationen vor der Revolution halte ich schon für recht solide.

Was wohl vor allem auch darauf zurückging, dass nun viele Domestiken (Diener, Hausmägde, Wäscherinnen, Sänftenträger, usw.) nicht mehr in diesem Ausmaße gebraucht wurden.
Die typischen Bediensteten des Adels dürften zu nicht geringen Teilen ihren Herrinnen und Herren in die Emigration gefolgt sein und das gilt sicherlich auch für einen Großteil der adligen Offiziere der Armee.

Ich wäre überfragt damit, ob die Armeen der Revolutionszeit (jedenfalls in den Jahren) tatsächlich so stark anwuchsen.
Auf der einen Seite wurde zwar Versucht mit Massenaushebungen der Bestand zu halten oder ihn zu steigern, auf der anderen Seite wurde, mindestens in der direkten Revolutionszeit aber auch den ausländischen Söldnern des Königs eher misstraut und diese entlassen und natürlich hatten die erzwungenen Conscriptionen sicherlich nicht unbedingt eine besonders gute Motivation zur Folge und die Dersertionsproblematik dürften derjenigen der z.T. gepressten Soldaten des "Ancien Régime" nicht gänzlich unähnlich gewesen sein.

Hätte sich die Landwirtschaft in einer existenziellen Krise befunden, wäre dies nicht möglich gewesen. Auch wenn man den Krieg und die Umverteilung der „Kirchen- , Kron- u. Immigrantenländereien" mitbetrachtet und wohl auch den Krieg aus Konjunkturmotor. Glaube, ich das dies nicht ausgereicht hätte, wäre eine schwere Krise vorhanden gewesen. Ich bleibe dabei das 1789 nicht eine Hungerrevolte war.

Zunächstmal wenn man voraussetzt dass die Französische Revolution ohnehin kein Ereigniss, sondern ein mehrjähriger Prozess ist, sind wir uns dennke ich einig darüber dass die Revolution selbst keine Hungerrevolte war, anders verhällt es sich möglicherweise mit der Frage ob Ereignisse die in Richtung Hungerrevolte gehen diesen Prozess mit einleiteten und das wiederrum setzt meines Erachtens nach durchus keine existenzielle Krise der gesamten Landwirtschaft voraus.

Beispiele dafür, dass Teile der Bevölkerung hungerten, obwohl die Landwirtschaft eigentlich genügend Nahrungsmittel für die Bevölkerung zur Verfügung stellte, hat die Geschichte ja durchaus geliefert.
1848 hungerte Irland obwohl der Gesamtzusammenhang Großbritanniens als Wirtschaftsraum genügend Nahrungsmittel hätte stellen können um das abzuwenden, es wurde halt nicht rechtzeitig getan.

Ähnlich verhält es sich mit der Sowjetunion episodisch am Ende der 1920er und Beginn der 1930er Jahre als als Folge der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft in weiten Teilen der Ukraine und Südrusslands die Bevölkerung in Teilen hungerte, obwohl die Sowjetunion selbst in diesem Zeitraum massiv Getreide exportierte.

Dafür dass Teile der Bevölkerung hugern und einen Grund haben deswegen zu Revolten zu neigen, muss ja nicht die gesamte Landwirtschaft in der Krise stecken, schlechte Verteilung und Missmanagement können da völlig hinreichen.

Die unverändert hohen, tendenziell noch steigenden Abgaben, willkührliche Praktiken der Steuerpächter und die Bedrohung des kleinbäuerlichen Nebenerwerbs durch die einetzende Industrialisierung und die Öffnung des Handels mit Großbritannien, können hier in diesem Sinne einen recht gefährlichen Mix ergeben haben, der für die Haltung der unteren vielleicht 25% der Gesellschaft, die am Rand der Existenz herumkrebste, möglicherweise ausschlaggebend waren, möglicherweise weit ausschlaggbender als die überkommenen Reste des Feudalsystems, die immerhin auch einen gewissen Schutz boten und insofern Abgaben hier sehr häufig noch in Arbeitsleistungen bestanden, in dieser Situation möglicherweise weniger belastend waren, als andere Umstände.
 
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Die typischen Bediensteten des Adels dürften zu nicht geringen Teilen ihren Herrinnen und Herren in die Emigration gefolgt sein und das gilt sicherlich auch für einen Großteil der adligen Offiziere der Armee.

Das glaube ich so nicht. Die Haushalte der Brüder der Könige hatten jeweils rund 600-700 Personen. Das würde man auch heute als respektables Unternehmen betrachten. Da sind sicher nicht alle mit in die Immigration gegangen. Auch ein normaler Graf oder Visconte hatte schnell einmal 80-100 Angestellte in seinem Haushalt. Das sind enorme Zahlen. Das darf man nicht unterschätzen.
 
Das glaube ich so nicht. Die Haushalte der Brüder der Könige hatten jeweils rund 600-700 Personen. Das würde man auch heute als respektables Unternehmen betrachten. Da sind sicher nicht alle mit in die Immigration gegangen. Auch ein normaler Graf oder Visconte hatte schnell einmal 80-100 Angestellte in seinem Haushalt. Das sind enorme Zahlen. Das darf man nicht unterschätzen.

Da wird man aber unterscheiden müssen, in welcher Funktion die entsprechenden Personen beschäftigt waren.
Ein guter Teil des einfachen Haushaltspersonals und Personal, dass mit der Verwaltung von Ländereien etc. beschäftigt war, ist sicherlich in weiten Teilen in Frankreich geblieben, weil sie sich (einfaches Hauspersonal) auch beim Bürgertum verdingenn konnten oder, sofern adilger Besitz konfisziert und in Staatsdomänen umgewandelt und/oder verkauft wurde, Personal für die Verwaltung und den Betieb natürlich weiterhin benötigt wurde.

Ein nicht geringer Teil der Leibdiener, Vorleser, Hauslehrer, Hofprediger, Musikanten, Gartenbau-Spezialisten, Köche etc. etc., die einmal auch zu diesen Haushalten gehörten, dürfte allerdings in die Emigration gegangen sein, entweder um bei ihren bisherigen Herren zu bleiben, oder sofern diese sich ihren Unterhalt nicht mehr leisten konnten, um anderswo in Europa neue Herren zu finden, die ihre Dienste in Anspruch nahmen.
Das dürfte bei den entsprechenden Qualifikationen und Möglichkeiten im europäischen Ausland wesentlich reizvoller gewesen sein, als zu versuchen sich als Soldaten zu verdingen oder sich mit prekären Beschäftigungen irgendwie durchzuschlagen.
 
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