@deSilva
Wann was jetzt "Mord" oder "unmenschliche Behandlung" ist, kann jeder selbst definieren...
Klar kann jeder diese termini selbst definieren. Allerdings reden wir von juristischen termini. Ich möchte aber zu Bedenken geben, dass etwa bei dem Thema des sexuellen Missbrauchs eines Kindes auch Definitionen vorgeschlagen wurden, die einen Missbrauch bei vorliegendem Einverständnis des Kindes ausschließen. Damit will ich sagen, es stellt sich die Frage, wo die Grenze gezogen werden muss. Nicht jede denkbare Definition ist somit gleichwertig. Folglich sind auch unterschiedliche Handlungen unterschiedlich zu bewerten.
Die von Hemmingway selbst geschilderte Situation ist eine "Geheimdienstsituation", fällt also in diese letzte unsaubere Gruppe. Ein feindlicher Gefangener, der nicht nur wichtige Information besitzt, die das Leben der "eigenen Leute" retten kann, der selbst auch noch einiges auf dem Kerbholz hat (es war von der SS die Rede, nicht?), und - das Schlimmste! - der auch noch frech wird!
"One time I killed a very snotty SS kraut who, when I told him I would kill him unless he revealed what his escape route signs were"
Ist mein Englisch schon so sehr eingerostet? Oder warum kann ich nicht nachvollziehen, wie
his escape route signs das Leben der "eigenen Leute" retten könnte?
Abgesehen von diesem Fall steht ja auch noch die andere Geschichte im Raum:
Ich habe das gemacht und bin darauf gestoßen, dass EH in seinen Briefen 1944/45 damit geprahlt hat, u.a. einem SS-Mann beim Verhör getötet und einem 16-jährigen Hitlerjungen ins Rückgrat geschossen zu haben.
Ich möchte den Kinofilm sehen, wo der Held ausgebuht wird, der sich wie Hemmingway verhält. James Bond kommt in den Sinn.... Juristisch sehr sauber (mit "Lizenz"), und auch ein ganz anderer Stil. Aber viel von Hemmingway...
Ich mag die Bond-Filme nicht besonders. Gerade wegen der fragwürdigen Gewalt. Ich wüsste aber nicht, dass es in den Bond-Filmen vorgekommen wäre, dass Bond Gefangene erschossen hätte. Oder auf einen 16jährigen geschossen.
Auch die Szene in Dr. No greift insoweit nicht. Das "Opfer" war nicht Gefangener mit entsprechenden Rechten. Ich wüßte auch nicht, dass Bond in irgendeinem der Filme einen Gefangenen beim Verhör erschossen hätte.
Zudem: Bond brüstet sich auch nicht mit seinen Taten.
Auch denke ich, ein solcher Bond wäre nicht populär geworden.
Eine nachträgliche Diskussion könnte höchstens lauten:"Warum hat sich da keiner drum gekümmert?"
Das sehe ich anders. Zunächst muss versucht werden, die Frage zu klären, ob der Sachverhalt zutrifft oder nicht.
Dann muss in einem zweiten Schritt gefragt werden, wie man dazu steht, den Sachverhalt als fiktiven oder als realen bewertet.
Erst wenn sich erweist, dass der Sachverhalt zutrifft und man zu der Bewertung gelangt ist, dass dieses Verhalten zu sanktionieren gewesen wäre, stellt sich die Frage, warum keine Sanktion erfolgte.
Mich interesiert eher. "Warum akzeptieren wir ein solches Verhalten problemlos im Romankontext?" Denn wir tun es ja! Es wird ja nicht als Negativbeispiel benutzt. Die liebe Doppelmoral?
Dass James Bonds Verhalten praktisch identisch mit dem als real unterstellen Verhalten Hemingways sei, habe ich bereits oben bestritten.
Man könnte aber auch als Gegenbeispiel die Hauptfiguren in Der Pate nehmen. Helden?
Allerdings macht es psychologisch einen Unterschied, ob etwas eindeutig fiktiv ist oder als realer Vorgang behauptet wird. Und für das potentielle Opfer einen gewaltigen faktischen Unterschied.
Wenn wir schon in der Realität sein wollen, können wir an dieser Stelle auch Daschners Folterdrohung gegen Gräfgen im Fall Metzler betrachten.
Diese Drohung hätte man einer fiktiven Figur vielleicht durchgehen lassen. Einer realen Person im Staatsdienst jedoch gewöhnlich nicht.
Allerdings gibt es außergewöhnliche Fälle, in denen Menschen anderen Menschen Verhaltensweisen zugestehen.
WDR Rockpalast - Sendungen - 4 Tote in Ohio - Ein amerikanisches Trauma
Passanten in Kent wurden in den darauffolgenden Tagen interviewed und die braven Bürger vertraten durchaus die Auffassung, diese lärmenden Studenten durften erschossen werden und seien daran auch selbst schuld, weil sie nicht aufgehört hatten, so einen Lärm und einen Unfrieden zu verbreiten, obwohl sie dazu aufgefordert worden waren...
@jschmidt
Das erste Problem ist, dass ungeklärt bleibt, ob es sich um eine Fiktion handelt oder nicht.
Das zweite Problem ist, dass selbst im Falle einer Fiktion keine Distanz zum fiktiven Täter Hemingway erkennbar ist. Wir könnten auch den hypothetischen Fall als Vergleichsmaßstab anlegen, Hemingway hätte einen solchen Brief mit dem Inhalt geschrieben, er habe einen Monat lang einen kleinen Jungen und dann zwei Monate und eine Woche ein kleines Mädchen sexuell missbraucht.
Ich möchte Deinen obigen Satz ein wenig abwandeln:
"Dabei kann man die Auffassung vertreten, dass moralische Aspekte völlig unbeachtlich sind: Blut und Sperma kann fließen - Hauptsache, es ist gut beschrieben."
Daran habe ich meine Zweifel.