Waren Nazi-Größen bestechlich?

Als Beispiel dafür können vielelicht auch Führungsgremien in der Wirtschaft dienen, etwa I.G. Farben.

Jedenfalls liefen die Prozesse dort anders ab, zeitverzögert.


Es kam mir schon der Gedanke, der Antisemitismus der Nazis wäre lediglich unappetittliche Episode geblieben, jedenfalls nicht zum Holocaust geworden, hätte man nicht das "Kriegsfinanzierungs-Instrument" entdeckt.

Auf alle Fälle ist die Reichsprogromnacht 9. Nov. 1938 mit anschließender "Sühne-Milliarde" für den Weg in den Holocaust viel entscheidender wie Wannsee-Konferenz oder sonst etwas.
 
Nein gängige Praxis war das sicher nicht. Nun müsste man genau wissen um wen es sich bei dem Juden und bei dem Oberstaatsanwalt handelt. Ich spekuliere mal. Sie könnten sich gekannt haben aus der Zeit vor 1933. Der Jude war ein Weltkriegsteilnehmer etc.


@ursi

Richtig, das ist Spekulation. Die Staatsanwaltschaft ist weisungsgebunden. Den Oberstaatsanwalt hätte auch ein direkter Vorgesetzter oder via direkten Vorgesetzen (Generalstaatsanwalt, Reichsanwalt, RMfJ) bzw. irgend ein Machthaber in dem "informellem Machtgefüge" des 3. Reiches beauftragen können.

Um zu versuchen, dem Fall auf den "Grund zu gehen" benötigte man, Namen, Gerichtsstand des Strafgerichtes um an die Akten zu kommen und hier insbesondere die Handakten des Oberstaatsanwaltes.

M. :winke:
 
@ursi

Richtig, das ist Spekulation. Die Staatsanwaltschaft ist weisungsgebunden. Den Oberstaatsanwalt hätte auch ein direkter Vorgesetzter oder via direkten Vorgesetzen (Generalstaatsanwalt, Reichsanwalt, RMfJ) bzw. irgend ein Machthaber in dem "informellem Machtgefüge" des 3. Reiches beauftragen können.

Um zu versuchen, dem Fall auf den "Grund zu gehen" benötigte man, Namen, Gerichtsstand des Strafgerichtes um an die Akten zu kommen und hier insbesondere die Handakten des Oberstaatsanwaltes.

Genau das habe ich natürlich versucht, leider ohne Erfolg. Die Gerichtsakten gelten als nicht auffindbar, bzw. befinden sich wohl im großen Fundus bislang unsortierten Archivmaterials, so dass das Warten darauf eine langwierige Angelegenheit werden könnte...
Das war zumindest der Stand der Dinge, als ich mich für meine Doktorarbeit intensiv mit der Recherche beschäftigt habe, und das war vor mittlerweile vier Jahren. Mir sind da zwei Kinder dazwischengekommen ;-) Also versuche ich zur Zeit, endlich fertigzubringen, was ich mit so viel Mühe begonnen habe, zumal ich fast alles habe. Nochmals durch die Archive tigern schaffe ich einfach nicht.

Zu den Namen: Der Generalstaatsanwalt beim LG Berlin hieß Dr. Melle Seebens und war nicht gerade für seine Nachgiebigkeit bekannt (s. auch sein Kommentar zum Ablehnung des Gnadengesuches), das zumindest laut dem Wenigen, das ich über ihn finden konnte.
Der Oberstaatsanwalt hieß Dr. Karl Burchardi, und über ihn habe ich leider noch weniger.
 
Genau das habe ich natürlich versucht, leider ohne Erfolg. Die Gerichtsakten gelten als nicht auffindbar, bzw. befinden sich wohl im großen Fundus bislang unsortierten Archivmaterials, so dass das Warten darauf eine langwierige Angelegenheit werden könnte...
Das war zumindest der Stand der Dinge, als ich mich für meine Doktorarbeit intensiv mit der Recherche beschäftigt habe, und das war vor mittlerweile vier Jahren. Mir sind da zwei Kinder dazwischengekommen ;-) Also versuche ich zur Zeit, endlich fertigzubringen, was ich mit so viel Mühe begonnen habe, zumal ich fast alles habe. Nochmals durch die Archive tigern schaffe ich einfach nicht.

Zu den Namen: Der Generalstaatsanwalt beim LG Berlin hieß Dr. Melle Seebens und war nicht gerade für seine Nachgiebigkeit bekannt (s. auch sein Kommentar zum Ablehnung des Gnadengesuches), das zumindest laut dem Wenigen, das ich über ihn finden konnte.
Der Oberstaatsanwalt hieß Dr. Karl Burchardi, und über ihn habe ich leider noch weniger.


@wippsteert

So schlecht ist die Überlieferungssituation gar nicht.

Ich habe im Landesarchiv Berlin mal kurz recherchiert. Die Akten der Generalstaatsanwaltschaft findest Du in Tektonikgruppe A, die Findbücher sind:

A Rep 358
A Rep 358-01 (1919-1933)
A Rep 358-02 (1933-1945)

Die Bestandsablage ist nach den Namen der Beschuldigten geordnet, so es Handakten gibt, sind diese ebenfalls bei den Ermittlungsakten.

Wenn Du in Tektonikgruppe B schaust, die Namen der Staatsanwälte kennst Du ja und Du via altem Telefonbuch die Anschrift der Staatsanwälte ermittelt hast, findest in dieser Tektonikgruppe die Unterlagen der Spruchkammern, geordnet nach Berliner Bezirken. Vllt. findest Du die Akten der entsprechenden Verfahren gegen die beiden Staatsanwälte.

Landesarchiv Berlin

M. :winke:
 
Waren Nazi- Offizielle, z. B. auch Staatsanwälte, empfänglich für Bestechung ...
Da lohnt sich m. E. eine Differenzierung: Ein Staatsanwalt ist - auch im Nazi-Staat - in erster Linie Beamter und nicht "Nazi-Offizieller".

D.h. die Justiz wie auch andere Behörden setzten natürlich die Politik und die antisemitischen Gesetze der Nazis um, folgten aber in ihrem Arbeitsverhalten so weit möglich den altgewohnten Regeln.
Von daher ist Bestechung eines Amtsinhabers zwar grundsätzlich immer möglich (wie auch heute), aber ein Einzelfall.

Bei den Nazi-Größen (d.h. den Parteifunktionären) waren die Strukturen viel unklarer, teilweise fast chaotisch. Es war m. W. nicht offiziell definiert, welche Kompetenzen z. B. ein Gauleiter hatte, um den Behörden in Fragen der Judenbehandlung reinzureden. Da gab es große Spielräume, auch für Ermessensentscheidungen bzw. Willkür, da wäre zumindestens viel mehr Möglichkeit für Erpressung oder Bestechung.
 
Ich kannte Zeitzeugen, die zeitlebens bezogen auf den Holocaust die Meinung vertreten haben, "umgebracht wurden nur die Armen".
Das betrifft dann aber wohl nicht den hier diskutierten Aspekt.

Durch Bestechung etc. konnten sich wohl nur wenige Juden vor der Ermordung schützen - es haben ja in Deutschland überhaupt nur 10000 überlebt, die meisten davon in einem Sonderstatus (Ehepartner, Mischling).

Die Mehrheit der deutschen Juden konnte ja schon vor dem Start der "Endlösung" das Land verlassen. Und für diese Emigration waren Vermögen (und Bildung, Flexibilität, Auslandskontakte) natürlich sehr nützlich.
"Umgebracht wurden nur die Armen" stimmt, weil in erster Linie die Armen (Alten, Kranken, Unqualifizierten) zurück geblieben waren und dann von den Nazis deportiert wurden.
 
Sich an Juden und ihren Habseeligkeiten zu bereichern, war relativ normal, wenn auch nicht unbedingt erlaubt. So gab es Verfahren gegen SS-Leute, die sich an den Hinterlassenschaften von Juden in den Konzentrationslagern bereicherten. Rudolf Höß soll ganze Waggonladungen an Habseeligkeiten für sich persönlich beansprucht haben. Aber letztlich war fast jede "Arisierung" eines Geschäfts, also der Zwangsverkauf von Juden an nichtjüdische Deutsche oder die Zwangsüberlassung von Geschäftsanteilen an nichtjüdische Geschäftspartner eine Form der Ausplünderung. Warum ich das einschränkende fast benutze? Weil es durchaus auch Versuche gab, Eigentum für "danach" zu retten. Auch wenn dies sicher nach dem Krieg bei vielen Profiteuren eine beliebte Ausrede war, so gab es auch Fälle, wo dies tatsächlich Ziel der Aktion war - was natürlich nur dann etwas brachte, wenn die Betroffenen überlebten.

Höß, Frank und Göring dürften wohl diejenigen sein, die sich am schamlosesten bereicherten.

Wenn man nun vom Bereicherungskomplex allgemein auf die Korruption kommt. Sicher hat es die gegeben, es gibt sogar Berichte von Überlebenden der Todesmärsche, dass Bewacher auf Juden zukamen und ihnen Händel anboten, wenn sie ihr Überleben sicherten, ob diese dann nach Kriegsende zu deren Gunsten aussagen würden. Hier geht es dann natürlich nicht mehr um Bereicherung, sondern um die Erkenntnis, was einem angesichts der verübten Verbrechen blühen würde.
Sich aber freizukaufen hatte immer ein Risiko. Die Übergabe der Werte musste quasi geschehen, solange man noch in der Hand der Häscher war. Man hätte also das Vertrauen haben müssen, dass derjenige, dem die Rolle als Herr über Leben und Tod in den Schoß gefallen war, sich auch dann noch an die Abmachungen hielt, wenn er etwaige Wertgegenstände bereits erhalten hatte. Ich bin mir sicher, dass es solche Versuche gegeben hat. fast genauso sicher bin ich mir, dass die Menschen das trotzdem nicht überlebt haben, weil die korrumpierbaren Nazi-Größen letztlich nur in dem Korruptionsversuch die Bestätigung ihrer antisemitischen Vorurteile gesehen hätten. Und der Mensch ist ja zu vielen Gedankenleistungen fähig, auch zu der sich korrumpieren zu lassen, die Schuld aber alleine beim (Geld)Geber zu suchen und sich als Nutznießer und Empfänger mit einer reinen Weste zu sehen.

Recht gut kenne ich den Fall einer jüdischen Geschäftsfrau. "Arisch" verheiratet. [...]
Sie hat den Krieg in unserer Kleinstadt überlebt, das Geschäft hat es überlebt, ich kannte die Frau noch persönlich. [...]
Wie die beiden das geschafft haben, weiß ich konkret nicht.
Man hat auf "arische" Ehepartner von Juden nach 1935/1938 einen erheblichen Druck ausgeübt, sich scheiden zu lassen. Meine Hochachtung für alle, die sich diesem Druck widersetzt haben.
Sehr sehr lange war es - nachdem 1941 die Deportationen begannen - für die "arisch" verheirateten Juden ein Schutz, "arisch" verheiratet zu sein, da sie von den Deportationen zunächst ausgespart blieben.
Victor Klemperer, dessen Frau ebenfalls "Arierin" war, erhielt noch Anfang Februar 1945 den Befehl, den restlichen verbliebenen Juden in Dresden - einschließlich sich selbst - den Befehl zu übermitteln, sich zur Deportation einzufinden (nur mal zur zeitlichen Einordnung: am 27. Januar feiern wir die Befreiung von Auschwitz; uneingedenk dessen, dass der Krieg verloren war, die Vernichtungsinfrastruktur zusammenbrach, hörte die NS-Verwaltung immer noch nicht damit auf, verbliebene Juden zu deportieren). Die Angriffe vom 13. auf den 14. Februar ermöglichten seiner Frau und ihm die Flucht aus dem Chaos.

Was man aber nicht vergessen darf, auch der große "Führer" hat ein paar Tausend zu "Ehren-Ariern" ernannt. Warum soll dieses Beispiel nicht bei den kleinen regionalen "Führern" Schule gemacht haben?
Weil sie nicht die Macht dazu hatten.
 
Man hat auf "arische" Ehepartner von Juden nach 1935/1938 einen erheblichen Druck ausgeübt, sich scheiden zu lassen. Meine Hochachtung für alle, die sich diesem Druck widersetzt haben.

Hans Albers wurde von den Nazis vehement bedrängt, sich von seiner Frau Hansi Burg scheiden zu lassen. Albers entschloss sich nach massivem Druck zur Scheidung, um einem Berufsverbot vorzubeugen, lebte aber trotzdem weiter mit seiner Frau, die eine Scheinehe mit dem Norweger Erich Blydt einging. Hansi Burg emigrierte 1939, nicht zuletzt, um Albers zu schützen. Nach dem Krieg nahmen beide die Beziehung wieder auf.

Einen bemerkenswerten Mut bewies der bekannte und sehr beliebte österreichische Volksschauspieler Hans Moser, der sich nicht nur kategorisch weigerte, sich von seiner Frau scheiden zu lassen und sich zu trennen, sondern es auch wagte, sich persönlich an Hitler zu wenden und ihm einen mehrseitigen Brief schrieb. Mosers Frau musste allerdings 1939 nach Ungarn flüchten. Für Moser selbst hatte sein Engagement keine nachteiligen Folgen, Hitler war ein Fan des legendären Komikers.

Als besonders tragisch muss man das Schicksal von Joachim Gottschalk und seiner Familie bezeichnen. Bei einem Empfang wurde Goebbels, der "Bock von Babelsberg" auf Gottschalks Frau aufmerksam. Er flirtete mit ihr und küsste ihr die Hand. Natürlich mangelte es nicht an Zeitgenossen, die Goebbels steckten, dass er soeben einer Jüdin die Hand geküsst hatte. Daraufhin sollten Gottschalks Frau und sein Sohn nach Theresienstadt deportiert werden. Die Familie Gottschalk entschloss sich daraufhin zum Suizid und vergiftete sich mit Gas. Die Schauspielerin Inge Meysel erlitt auf die Nachricht vom Tod der Familie einen Nervenzusammenbruch. Goebbels sorgte eigenhändig dafür, dass keine Todesanzeige, kein Nachruf veröffentlicht werden durfte, und er verbot die Teilnahme an der Beerdigung. Trotzdem gab es Kollegen wie Werner Hinz, Gustav Knuth, Brigitte Horney und Wolfgang Liebeneiner die trotzdem zur Beerdigung gingen.

Joachim Gottschalk – Wikipedia
 
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