Hallo,
ich mag mich irren, aber ich meine, in der Germaine de Stael-Biographie von Christopher Herold wird erlaeutert, dass eine Dame nur dann Affairen haben konnte, wenn sie verheiratet war - wenn eine Unverheiratete Affairen hatte, galt sie gewissermassen als leichtes Maedchen und katapultierte sich damit aus der Riege der Heiratsfaehigen. Allerdings war ja ganz klar, dass Ehen in den allerseltensten Faellen auf Liebeshochzeiten gruendeten - eine Ehe wurde im Allgemeinen aus Vernunft geschlossen (finanzielle Versorgung, Mehrung des Grundbesitzes, politische Gruende, etc) - wenn sich die beiden Verheirateten dann noch leiden konnten (oder gar zu lieben lernten), dann hatten sie eben Glueck. Weil es aber keineswegs der Fall sein musste, dass sich beide auch nur annaehernd leiden konnten, wurde es auch viel eher akzeptiert, wenn einer der beiden Partner fremdging - wenn sich beide vom ersten Tag an auf den Tod nicht ausstehen koennen und das allgemein bekannt ist, wird niemand etwas sagen, wenn sie sich anderweitig vergnuegen. Dabei sind Maenner natuerlich etwas freier, aber eine Dame - sobald sie einmal im sicheren Hafen der Ehe angelangt und damit versorgt war, durfte durchaus auch ihren Spass haben.
Mir scheinen z.B. die Beziehungen der Mme. de Stael oder Comtesse de Flahaut während ihrer Ehen reale Beispiele zu sein, dass dies wohl nicht so schwierig war.
Bei beiden trifft zu, was ich oben ausgefuehrt habe: Beide waren mit Maennern verheiratet, die entweder erheblich aelter waren als sie selbst, und/oder todlangweilig.
Charles-Francois de Flahaut de La Billarderie war geschlagene 36 Jahre aelter als seine Frau; als er sie heiratete, war er 54 Jahre alt, sie 18 - man kann sich wohl vorstellen, dass sie verhaeltnismaessig wenig begeistert war. Glaubt man ihr, wurde diese Ehe nie vollzogen. Er heiratete sie, weil er sich nochmal mit einem huebschen jungen Maedchen schmuecken wollte, sie ihn, weil ihre aeltere Schwester sie durch die Hochzeit mit einem halbwegs reichen Mann versorgt sehen wollte. Wundert es jetzt jemanden, dass sie etwas mit dem charmanten jungen Priester anfing, der sie zu umgarnen begann, direkt nachdem er sie zum ersten Mal gesehen hatte? Der Abbe de Perigord ging schon bald bei ihr ein und aus, als wohnte er da, sass und ass an ihrem Tisch und fuehlte sich auch sonst ganz wie zu Hause - etwa 10 Jahre lang. Und waehrend sie sich mit dem sinnenfrohen Abbe vergnuegte, lag ihr Ehemann nebenan mit Rheuma im Bett - und goennte ihr das Vergnuegen aus tiefster Seele, denn er wusste sehr gut, dass er fuer sie ein schlechtes Match war. So erkannte er auch die Vaterschaft des Kindes an, das sie mit dem Abbe zusammen hatte - sie nannten es Charles, so dass alle Welt raetseln durfte, ob der alte, kranke Charles-Francois de Flahaut, oder der junge Charles-Maurice de Talleyrand-Perigord (dem das Kind unuebersehbar aehnlich sah) der Vater war... Niemand sagte etwas, niemand machte ihr Vorwuerfe, alle sahen ein, dass sie quasi gar nicht anders konnte, als eine Liaison mit jemand anderem einzugehen. (Dass ihr erster Liebhaber ein Priester war, von dem sie dann auch noch ein Kind bekam, macht die Sache zwar etwas pikant, aber auch das sah man ihr nach (ihm weniger, uebrigens - dass er ein Kind hatte, verzoegerte seine Ernennung zum Bischof erheblich). Spaeter hatte sie dann noch eine Affaire mit dem amerikanischen Gouverneur Morris (der Abbe war sehr eifersuechtig, hatte zu diesem Zeitpunkt aber selbst schon wieder mehrere Affairen anderweitig am laufen). So, und jetzt wird es spannend, denn was jetzt passiert, zeigt, dass man einen Ehemann haben
muss, um Affairen haben zu koennen: Als ihr Ehemann dann tot war (er wurde 1794 guillotiniert), haette sie sich ja freuen koennen, den alten Mann los und endlich frei zu sein - jedoch versuchte sie geradezu verzweifelt, wieder jemanden zu finden, der sie heiratete: erst versuchte sie es bei William Wyndham, dem aber sein Vater von einer Hochzeit mit ihr abriet, dann beim Marquis da Souza - der sie schliesslich heiratete, aber das dauerte ewig, vor allem, weil sich der zu diesem Zeitpunkt bereits exkommunizierte Ex-Bischof von Autun und Ex-Abbe de Perigord wieder einschaltete und die Hochzeit durch sein blosses Auftauchen in einem Gasthof in Hamburg verhinderte (was sie sich aber bis zu einem gewissen Grad selbst zuzuschreiben hatte). Jahre spaeter heiratete sie dann endlich doch da Souza, denn ohne Mann schien es nicht zu gehen.
Bei Germaine de Stael liegt die Sache vielleicht ein kleines bisschen anders: Zwar war der Baron de Stael-Holstein auch 17 Jahre aelter als sie, aber das war wohl weniger das Problem, als dass er schlicht todlangweilig war. Und sie nahm sich eben, was sie wollte - zeitweilig (1792/93) hatte sie vermutlich ein Verhaeltnis mit Louis de Narbonne-Lara, Talleyrand und Mathieu de Montmorency gleichzeitig (was deshalb pikant war, weil Narbonne (angeblich ein unehelicher Sohn von Louis XV und dessen Schwester!) gleichzeitig auch ein Verhaeltnis mit Montmorencys Mutter hatte und ein guter Freund von Talleyrand war, der zu dieser Zeit noch immer mehr oder weniger mit Adelaide de Flahaut liiert war (allerdings kleinere Techtelmechtel mit einigen anderen Damen auch nicht ausliess), die zu dieser Zeit eine Affaire mit William Wyndham hatte, von dem Talleyrand sich wiederum eine Verlaengerung seines Exils in England erhoffte (weshalb er die Affaire seiner Freundin durchaus befuerwortete) - da ging wohl einiges hippieesk durcheinander, und die gegenseitige Eifersucht schien sich in Grenzen gehalten zu haben. Von wem Madame de Staels vier Kinder waren, ist da auch nicht ganz klar - mit ihrem Ehemann hat sie ja angeblich nicht viele Naechte verbracht. Auch bei ihr wurde es weitgehend akzeptiert, dass sie fremdging - vielleicht, weil man sie verstand, wenn man ihren Mann kannte, vielleicht auch, dass man ihr als Kuenstlerin da mehr Freiheiten einraeumte.
Das jedenfalls hat ihrem Ruf nicht so richtig geschadet, glaube ich.
Wenn man da so liest, wer mit wem wann irgendwas hatte, dann muss man zu dem Schluss kommen, dass diese Art der freien (galanten) Liebe in bestimmten Kreisen ziemlich normal war - es war halt so, und Sex scheint mir da machmal einfach wie eine erweiterte Form der Kommunikation: Man kann eine prickelnde kleine Konversation fuehren, und wenn man sich gut versteht und gerne mag, dann landet man eben im Bett und fuehrt sie dort nonverbal weiter, was dann aber eben unter Umstaenden gar nicht mehr bedeutet, als dass man sich gut unterhalten hat. Ausserdem: Die Chance, dass man jemand anderen mehr mochte, als den Ehepartner, der einem aus Familien- oder Staatsraison zugedacht war, war doch recht gross...
Viele Gruesse,
Gnlwth