Aber die Überlegung ist nicht übel, dass es schon ein wunderliches Kaiserreich ist, in welchem es bisweilen keinen Kaiser gab.
Auf den ersten Blick, ja. Die teils geschriebene, teils ungeschriebene Verfassung des Alten Reichs - Wahlmonarchie! - hatte allerdings für diesen Fall bewußt Vorsorge getroffen, und zwar durch das Amt des sogenannten Reichvikars bzw. Reichsverwesers (vgl.
Reichsverweser ? Wikipedia). Das war im hohen Mittelalter ein Recht, welches der Papst für sich in Anspruch nahm. Spätestens seit der Goldenen Bulle jedoch (
Digitale Bibliothek - Münchener Digitalisierungszentrum) traten zwei Reichs- bzw. Kurfürsten an dessen Stelle.
An der Goldenen Bulle lässt sich auch der Unterschied zwischen Kaisertum und Königtum zeigen: Der darin geregelte Wahlakt bezog sich ausschließlich auf das Königtum: "Mit Abschluß der [...] Wahlentscheidung war der Gewählte König. Die anschließend [...] erfolgte Krönung mit der Übergabe der Reichsinsignien hatte demgegenüber nur noch symbolischer Bedeutung" (Kotulla, Deutsche Verfassungsgeschichte, S 8).
Dies blieb auch bis zum Ende des Alten Reiches prinzipiell so, während sich die "Handhabung" bezüglich des Kaisertums änderte: "Mit der Königwahl wurde überdies die Anwartschaft auf die Kaiserwürde erworben, deren Erlangung zu Maximilians I. Zeiten noch grundsätzlich der Krönung durch den Papst in Rom bedurfte. Gleichwohl verzichtete der König 1508 [...] auf den klassischen Krönungsakt und nahm hinfort den Titel eines "erwählten Römischen Kaisers an. Künftig fiel mit dem erfolgreichen Abschluss des kurfürstlichen Wahlaktes mithin sogleich die Erlangung der Kaiserwürde zusammen. Der in der Vergangenheit zeitweise aus dem Recht zur Kaiserkrönung die Befugnis zur Kontrolle der Königswahl für sich reklamierende Pontifex war damit vom Geschäft des 'Kaisermachens' ausgeschlossen" (ebd.).
Die Frage "König/Kaiser von
was?" ist ja hier im Forum schon einige Male angesprochen worden. Im Artikel "Reich" in "Geschichtliche Grundbegriffe" (Bd. 5, S. 423-508) wird jedenfalls für das 10./11. Jh. viererlei diskutiert: "die gentile, die fränkische, die imperiale [= römische] und die deutsche Frage" (S. 435). Ich kann das hier nicht alles abschreiben, sondern nur darauf hinweisen, dass das mittelalterliche Kaisertum ganz eng gebunden war an seinen Auftrag als Verteidiger des (okzidentalischen) Christentums; nachdem letzteres sich in der Reformationszeit spaltete, trat insoweit eine weitere Erosion des "Kaiser"-Begriffs ein.
Man kann, wie schon von anderen gesagt, diese Begriffsverwendung nicht übertragen auf andere Reiche, deren Oberhäupter sich auch Kaiser nannten (Byzanz) bzw. so übersetzt wurden (China, Japan). Der religiöse Hintergrund wird übrigens noch deutlich im Falle von Alfons VI. (1040-1109) und Alfons VII. (1104-1157), Könige von Kastilien und Leon, die sich beide den Kaisertitel zulegten. (Wäre vielleicht eine eigene Diskussion wert.)