Welche Vorteile bot die Christianisierung?

Ostrogotha schrieb:
Namentlich wird dabei eine Lioba genannt. Es entstanden mit Tauberbischofsheim, Kitzingen und Ochsenfurt 3 Frauenklöster. Damit erschöpft sich aber auch schon die Aussage. Kennt jemand mehr Details dazu?

geboren um 700 im Königreich Wessex (England)
gestorben 28. September 782 in Schornsheim bei Mainz
Ordensfrau, Äbtissin des 735 errichteten Klosters Tauberbischofsheim
Lioba war die Tochter eines Freundes und einer Verwandten des heiligen Bonifatius...
vgl.
http://www.erzbistum-freiburg.de/Lioba-von-Tauberbischofsheim.613.98.html
 
Ostrogotha schrieb:
Bis jetzt ist immer von den Herren Missionaren die Rede; Frauen kommen mal wieder zu kurz :pfeif:
Es hat aber offensichtlich einige gegeben, die im Rahmen der Missionierung aus England herüber kamen. Namentlich wird dabei eine Lioba genannt. Es entstanden mit Tauberbischofsheim, Kitzingen und Ochsenfurt 3 Frauenklöster. Damit erschöpft sich aber auch schon die Aussage. Kennt jemand mehr Details dazu?

Sicher ist das Bonifatius mehrere seiner Verwandten nach Deutschland mitgebracht hat (Lioba war seine Schwester). Im Gefolge der Angelsachsen gab es eine ganz Menge Frauen.
In älterer Zeit werden mehreren Frauen deutliche Mithilfe bei der Christianisierung zugestanden. Vom Gotenbischof Wulfia/Ulfia heist es das seine Mutter Christin war, nicht sein Vater. Theoderich nutzte seine weibliche Verwandtschaft ebenfalls sowohl als dynastische Verbindungen mit anderen Germanenherrschern, gab ihnen aber auch religiöse Aufgaben und Begleitung mit - allerdings im Sinne der Arianer. Auf diese Weise wirkte etwa Amalaberga als Ehefrau des Thüringerkönigs Herminafried.

Frauen wurden damals nicht sonderlich in Chroniken erwähnt. Ich denke die genannten Beispiele ihrer Einflussnahme lassen sich ziemlich verallgemeinern: Wirkung als Klosternonnen und im Rahmen der Kirche, als getaufte Ehefrauen bei Ehen unter Adligen die nicht beide Christen sind und allgemein durch ihre häufige Eigenschaft als Mütter auf ihre Kinder. Weil Nonnen auch christliche Mädchen aus gebildetem Hause erzogen, schließt sich der Kreis wieder. Vor allem der Urkirche sagt man nacht das Frauen da... aber von der Urkirche sind wir im fraglichen Abschnitt weit entfernt.
 
Ashigaru schrieb:
Aber wo war der Vorteil für die einheimische Bevölkerung?

Man sollte die Frage vielleicht auch einmal anders herum stellen : Warum waren die Leute mit ihrer alten Göttern nicht mehr zufrieden ?

Meiner Meinung nach kann man Menschen nur dann zu einem fremden Glauben bekehren, wenn ihre traditionellen Götter nicht mehr richtig "funktionieren" und die neuen ihnen eine besserer Perspektive bieten.

Warum sollten Odin & Co also ausgedient haben ?

Grundsätzlich vermittelt eine Religion Werte und Verhaltensregeln, die dem Einzelnen das Leben in seiner natürlichen und gesellschaftlichen Umwelt ermöglichen. Die Götter dienen als Vorbild, welche Verhaltensweisen gesellschaftlich wünschenswert sind, wie die gemeinschaftliche Arbeiten und die daraus resultierenden Güter aufzuteilen sind, wie im Konfliktfall zu entscheiden ist, wie die Partnersuche vonstatten geht, wie arbeitsunfähige Menschen versorgt werden (oder nicht),...

Wenn sich also die natürliche oder soziale Umgebung verändert, kommt es vor, dass diese Verhaltensweisen keine nutzbringende - vielleicht sogar eine schädliche - Wirkung entfalten. Regeln (Götter), die für eine Jäger- & Sammlergesellschaft gut sind, werden wohl kaum zur Organisation einer landwirtschaftlichen Gesellschaft geeignet sein. Möglicherweise entspringt der Wanen-Asen-Kampf in der nordischen Mythologie genau diesem Übergang. Und die Götterdämmerung ?

Meiner Meinung nach ist die treibende Kraft für die Verbreitung des Christentums die höhere Bevölkerungsdichte, die durch die ständige Weiterentwicklung von Landwirtschaft und Technik realisiert werden konnte. Bei der traditionellen Organisation in kleinen Stämmen konnte diese wachsende Anzahl von Menschen wirtschaftlich und gesellschaftlich nicht mehr positiv zur Geltung kommen. Vielmehr nahmen die Konflikte zu. Die gesellschaftlichen Einheiten, die Sippen, rückten sich zu nahe auf den Pelz und zermürbten sich in Gebietskämpfen und Blutrache. Bei der traditionellen Konfliktlösung, dem Zweikampf, verschliss die "Gesellschaft" sinnlos ihre Leistungsträger.

"Liebe Deinen Nächsten", lautet dagegen die Botschaft der Bibel. Diese ermöglicht das Zusammenleben von größeren gesellschaflichen Einheiten, indem der Einzelne mit einer großen Anzahl anderer Menschen kooperieren kann, die er nicht persönlich kennt. Man "zahlt" anonym in einen Sozialpakt ein, aus dem man ebenso anonym profitiert. Der Einzelne wird zum entsprechenden Handeln motiviert durch Heils- (bzw. Unheils-)versprechen nach dem Tode.

Die Suche einer verunsicherten Gesellschaft nach neuen - funktionierenden - Werten wird übrigens gut dargestellt in dem Monty-Pyton-Film "Das Leben des Brian".
 
Das mag in Teilen eine gewisse Rolle spielen. Eine Befriedung des Lebens durch die Annahme des Christentums kann ich aber so direkt nicht erkennen.
 
Eine Befriedung des Lebens durch die Annahme des Christentums kann ich aber so direkt nicht erkennen.

Sehe ich ähnlich. Ohne Zweifel hat die im Christentum postulierte Gewaltlosigkeit eine gewisse Rolle gespielt. Nicht zuletzt war dies ein Streitpunkt zwischen Bonifatius und der alten Bischofsaristokratie, weil letztere sich ohne mit der Wimper zu zucken Kriege führten - es sei dabei auch an den Fall des Mainzer Bischofs Gewilib erinnert, der eigenhändig Blutrache beging. Dennoch blieb dies vor allem eine innerkirchliche Diskussion, die während des Mittelalters immer wieder in die eine oder andere Richtung ausschlug.
Konkret brachte die Einführung des Christentums den einfachen Leuten in Hessen und nördlich davon wohl zunächst einmal auch eine Menge Nachteile. Der Krieg zwischen Franken und Sachsen hat auch religiöse Komponenten, und durch die Christianisierung entwickelten und verschärften sich Gegensätze zwischen den Menschen Nordhessens und Westfalens. Unbedingt friedlicher wurde es im 8. Jahrhundert also nicht.
Mittlerweile habe ich noch zusätzliches zum Thema gelernt. Ganz so problemlos verlief die Christianisierung in Hessen nicht - auch wenn es nicht zu den scharfen Konflikten wie bei den Sachsen kam. Aber über einen Zeitraum von mindestens 20 Jahren seit der Ankunft des Bonifatius 721 lässt sich verfolgen, wie die Kirchenoberen immer wieder heidnische Bräuche anprangern und untersagen lassen. Das schlug immerhin so hohe Wellen, dass selbst der Papst 738 den Menschen in den Provinzen der Hessi und anderer Völker die heidnischen Bräuche verbot.
 
Kleine Geschichte über die Gründe für die Verweigerung der Taufe bei den Friesen um 700
Der Herzog der Friesen Radbod selbst war schließlich geneigt die Taufe zu empfangen. Er zögerte aber immer noch und verlangte von dem Bischof, er solle ihm unter seinem Eide sagen, wo die verstorbenen Könige und Häuptlinge des Friesenstammes weilte: in jenem himmlischem Reiche, das er selbst erlangen solle, wenn er glaube und getauft werde, oder in der höllischen Verdammnis, von welcher der Bischof spreche. Darauf erwiderte der Mann Gottes: "Täusche dich nicht, edler Fürst. Bei Gott ist die Schar seiner Erwählten. Aber deine Vorgänger, die Friesenfürsten, die gestorben sind, ohne das Sakrament der Taufe empfangen zu haben, die haben unbedingt das Urteil das Verdammnis zu empfangen...". Als dies der ungläubige Herzog hörte, der schon zum Taufbecken geschritten war, zog er den Fuß zurück von dem gnadenbringendem Quell und sagte, er könne nicht die Gemeinschaft missen mit allen, die vor ihm über die Friesen geherrscht hätten, und wolle nicht mit einer kleinen Anzahl von Armen im Himmelreich sitzen. Deshalb könne er der neuen Lehre keinen Glauben schenken und wolle lieber bei dem bleiben, was er so lange mit dem Stamme der Friesen festgehalten habe.
Nach dem Heiligem Wulfram.


Flint beschreibt in " The Rise of Magic in early Medieval Europe" Oxford 1991, daß gewisse Formen der Magie von der frühmittelalterlichen Kirche bewußt adaptiert wurden, um den schwierigen Missionierungsprozeß für die heidnische Bevölkerung zu erleichtern.
Der Glaube an die zauberische Möglichkeit der Einflußnahme stellte dann sozusagen ein Gegenstück zum modernen Fortschrittsglauben dar, der trotz Rückschlägen eine optimistische Erwartungshaltung des Menschen ermöglichte.
Darunter zählen dann magische Möglichkeiten wie Feinde besiegen, Fesseln zu lösen, Heilungszauber.
 
@Hardegen:
Dein Beispiel mit Radbod ist über Bonifatius gut belegt. Deiner Theorie, wonach die christliche Kirche bei der Christianisierung bewusst auf alten Aberglauben aufgebaut hat (Magie), kann ich nicht so recht folgen. Die alten Götter waren doch die Herren auch der Magie gewesen (siehe Merseburger Zaubersprüche und die Edda: "Ritze Runen, rätliche Stäbe..."), während die Bibel jede Form von Zauberei verurteilt. Die Missionare versuchten im Gegenteil zu beweisen, das ihr Gott stärker ist als die alten Götter und drückten diese auf den Status übelwollender Dämonen zurück. Heilsglaube war damals weit verbreitet, gerade Bonifatius wettert mehrfach über Priester (irregeleitet nennt er sie glaube ich), die selbst Aberglaube tolerieren oder ausüben. Magische Praktiken waren also nicht in der offiziellen Waffenkammer der Missionare.
 
Transformation

tejason schrieb:
@Hardegen:
Dein Beispiel mit Radbod ist über Bonifatius gut belegt. Deiner Theorie, wonach die christliche Kirche bei der Christianisierung bewusst auf alten Aberglauben aufgebaut hat (Magie), kann ich nicht so recht folgen.

So weit ich das bisher sehe, würde ich Dir tejason da zustimmen. Noch dazu sehr viele missionierende Mönche ja "Import" waren und sicherlich dementsprechend bewußt auf eine geregelte Ausübung der jeweiligen christlichen Rituale hinwirkten. Auch existiert ja oft ein doppeltes Wirken von weltlicher und religiöser Macht - so turbulent deren politische Verwicklungen auch wiederum waren, z.B. die Vorgänge rund um den Hl. Method - so "rückgekoppelt" war wohl alle Missions- und Zivilsationsarbeit.

In meinem Beispiel Mühlviertel/Böhmerwald geht die Christianisierung mit 1000-1100 n.Chr. ja sehr spät, dafür erstaunlich schnell flächendeckend in der Region von statten. Es erscheint so eher als eine zusätzliche Kulturschicht die sich da in der umfassenden Verbindung Religion, Herrschaftsform und agrartechnischem Fortschritt (Rhodungen, Getreideanbau, Mühlenwesen) niederschlägt. Ob der einzelne christianisierte "Heide" diese Vorgänge rational erfasste, will ich einmal bezweifeln, viel plausibler erscheint mir da eine praktische Vernunft im Sinne von praktischer Nutzenüberlegung. Was hilft und verhebt im Diesseitigen wie Jenseitigen?! Und nach Feststellung eines gewissen nachhaltigen Fortschrittsnutzen werden (fast) alle sich mit Herrschaft und Glaube gut arrangiert gehabt haben.

Eine andere Frage ist wieviel "heidnische" Vorstellungen unter dem christlichen Mantel bewußt oder unbewußt weiter ihr Eigenleben führen konnten. Ich denke mal ziemlich viel, mehr als man nach über 1000 Jahre christlich dominierter Kultur erwarten würde ... ;)

Herzlicher Gruß, Martin
 
Trierer Pferdesegen (10. Jahrhundert), dessen Parallelen zu den Merseburger Zaubersprüchen offensichtlich sind
Zauberspruch gegen die Pferdekrankheit, die man bei uns "Lahmen" nennt
Christus und der heilige Stephan kamen in die Stadt Salonia:
Dort wurde das Pferd des heiligen Stephan (von einer Krankheit) befallen. So wie Christus das Pferd des heiligen Stephan von dieser Krankheit befreit hat, so möge ich mit Christi Hilfe dieses Pferd wiederherstellen. Vater unser.
O Christus, befreie durch deine Gnade dieses Pferd von seiner Krankheit oder Lahmheit, wie du das Pferd des heiligen Stephan zu Salonia geheilt hast! Amen.



Sächsische Zaubersegen, 1588 und 1597
Zwene Segen, die Alben zu- vnd abzubringen
(3.August 1588)
gehet hin, jhr alb vnd Elbin, zu N.
soltt jhme sein hertze zubrechen,
seine gliedmas schwechen;
eher alle glocken klingen.
Alle messe singen
Vnd eher die Euangelien werden gelesen
Vnd ehe jhr alle berge gestigen
Vnd ehe jhr alle beume bladen
Vnd ehe jhr alle wasser waden
Sie sollen jm sein blut verzehren,
das ehr nitt mehr kan kiefen.
Der ander Segen, die alben abzubringen
Eß ging sich aus ein Alb vnd Albinen,
ein zwarg vnd ein zwargin;
die gingen mitteinander.
Da sprach Jhesus vnd maria:
Wohin jhr alb vnd albin?
Wir wollen hin gehn vnd sein gliedmas schwechen.
Da sprach Jhesus vnd maria:
Das soltt jhr nitt thun,
Jhr sollet alle beuhme bladen
Vnd alle wasser waden
Vnd alle berge stigen,
vnd alle gottesengel sollt jhr mieden;
vnd alle glocken werden klingen
vnd alle messe singen
vnd alle Euangelien gelesen
sollen jhme sein gesundheitt widder nesen.

Überliefert ist auch der Segen der Margaretha Lönnecken bei Anzauberung der Unholden (1597)
Jch bringe dir die vnholden zu,
das du habast weder rast noch ruhe,
das sie mogen riethen vnd splieten
jhn deinem fleisch vnd blut,
das du weder rast noch ruh habst
jhn aller teuffel nahmen.


Meiner Auffassung nach mußte sich das Christentum hin zum Heidnischen bewegen, um gerade bei den Missionierungen im germanischem Raum eine attraktive Alternative zu sein. Das zeigt u.a. auch in der Zusammenführung von verschiedenen christlichen und heidnischen Festtagen auf ein gemeinsames Datum, oder in der christlichen Interpretation von ursprünglich rein heidnischen Gebräuchen und Feierlichkeiten.
 
Ostereierschalen

Hallo Hardegen,
Hardegen schrieb:
Meiner Auffassung nach mußte sich das Christentum hin zum Heidnischen bewegen, um gerade bei den Missionierungen im germanischem Raum eine attraktive Alternative zu sein. Das zeigt u.a. auch in der Zusammenführung von verschiedenen christlichen und heidnischen Festtagen auf ein gemeinsames Datum, oder in der christlichen Interpretation von ursprünglich rein heidnischen Gebräuchen und Feierlichkeiten.

Wer sich da wo hinbewegt hat. Zumindest gab es da sicherlich keine Tabula-rasa Zustände (heute ja auch nicht.). Allerdings sehe ich das Christentum in seinen zentralen Monotheistischen Grundaussagen ohne Anpassung, wärend der Heide sehr wohl diesen neuen (dann als alleinigen?!) Gott -zuständig für Leben wie Jenseits - in seine Welt einbauen musste. Das Christentum bietet allerdings in seinen Erzählungen/Ritualen/Festen eine Vielzahl von Interpretations=Füllungsmöglichkeiten. Allerdings, welche kirchlichen Feste wären denn "heidnisch"? Die Sonnwendfeiern, Fasnachten, ? sind ja neben-christlich organisierte Immer-noch-Feste.

(Musste jetzt an Fronleichnam denken mit all dem möglichen kath. Pomp. Wiki klärt mich allerdings auf, dass Fronleichnam erst viel später ins Repertuar der Feierlichkeiten kam. Allerdings könnten einem einige Ausschmückungen schon "heidnisch" anmuten. http://de.wikipedia.org/wiki/Fronleichnahm
Aber das Osterei ist eventuell christianisiert worden. In Niederbayern werden mancher Orts immer noch die Ostereierschalen symbolisch auf die Äcker gestreut zwengs Fruchtbarkeitssegen ... und selbst eine Generation vor mir besitzt das rot gefärbte Ei immer noch herrausragende Bedeutung. http://de.wikipedia.org/wiki/Osterei)

Für den "Normalo-Heiden" waren als Analphabeten der visuelle Transport (und nicht lateinische Liturgie oder Schriften) der religiösen Botschaften der unmittelbare Zugang einer Auseinandersetzung, neben dem Mönch und neuen Grundherren als leibhaftige Personen freilich. Und insofern bietet ja das bildnerische Innenleben einer Kirche mit den einschlägig blutrünstigen Darstellungen viel Überzeugendes für einen Heiden. (Ich nehme mal meinen 4 jährigen Sohn als Maßstab zur Rezeption - tagelang hat im der ans Kreuz genagelte Jesus keine Ruhe gegeben und er wollte umbedingt die ganze Geschichte immer wieder hören. Welchen Jugendschutzindex hätte diese Geschichte eigentlich verdient?! :cool:

Ich will sagen - die Story fasziniert schon recht grundlegend ... gibt es eigentlich im Süddeutschen Raum exemplarische romanische Kirchen mit möglichst originaler Innenausstattung quasi zum Nachspüren der anfänglichen christlichen Werbemaßnahmen?! Nix gegen die ewig wiederkehrenden Neogotischen Innenausbauten (Säkularisierungs-Ergebnisse?), aber ... :still:

Mönch und neuer Grundherr im Doppelpack erscheinen mir schon als Übermacht. (Zumindest im Mühlviertel treten diese tatsächlich auch noch zeitgleich mit deckungsgleichen Land-/Seelennahmeinteressen auf.) Da sehe ich dann weniger "Weichheit" oder Anpassungsgabe auf seiten der initiativen Christianisierer, da wurde im Wesentlichen nicht mehr groß verhandelt. Das war schon eine "kolonisierende" Macht und bewußt angewandte wie überwältigende Strategie. Allerdings wäre eine - wohl schwierig zu verifizierende - Frage, ob denn nun der agrartechnische Fortschritt (der vollere Magen, ein Leinentuch am Leib) nicht weitaus überzeugender war als die neue religiöse Heilsversprechung und Sinnkonstruktion.

Herzlicher Gruß, Martin
 
Ein typisches Fest was mir einfällt mit heidnischen Ursprüngen und christlichem Gewand ist Weihnachten. Ursprünglich war der 25. 12. der Geburt des Sol invictus, des römischen Sonnengottes gewidmet und wurde feierlich begangen. Solange, bis aus dem Geburtsfest des heidnischen Sol das Geburtsfest des christlichen Jesus wurde, indem sich heidnische und christliche Gedanken wie der Sieg über den Tod durch Geburt, Weltenharmonie als göttliche Ordnung , die Ordnung des Sonnenjahres, Jungfrauengeburt (wenn diese auch dem Mysterienkult der Isis und des Osiris entsprang) vermischten.
Auch der allseits bekannte Nikolaus entspringt als Figur der heidnischen Mythologie, die vom Christentum mit der Figur des Heiligen Nikolaus untermauert wurde, um Gemeinsamkeiten für das Volk darzustellen und hervorzuheben. Ursprünglich kam Wodan bei den Germanen als Schimmelreiter in der Martins- und in der Nikolausnacht . Für sein Pferd steckten die Kinder Heu und Hafer in ihre Schuhe, die Eltern setzten eine Getreidegarbe aufs Feld. Wodan wiederum belohnte die Menschen mit Nüssen und Äpfeln der Iduna als Zeichen für Leben und Fruchtbarkeit. Auch die Rute ist Wodans Markenzeichen in diesen Nächten, denn mit diesem Lebenszweig schenkte er Leben und Fruchtbarkeit indem er sie leicht schlug, oder strafte damit die Bösen.
Ursprünglich war die Adventszeit auch rein heidnisch. Das Tagezählen bis zum Julfest ist germanischen Urspunges.
Was mich besonders fasziniert ist die Tatsache, daß der höchste germanische Gott Wodan als Knecht Ruprecht (Hroudhpercht oder Hruod Percht, was altnordisch der Ruhmglänzende, ruhmreiche Percht ist, und damit kein geringerer als Wodan höchstselbst) nun einfach einem christlichem Bischof unterstellt wurde. Dem Heiligem Nikolaus aus Myra.


2 Beispiele, deren heidnische Bräuche sich nicht wie z.B. Maibaumsetzen, schmücken der Pfingstochsen, Fasching nur durch das Volk erhalten haben, sondern wo die christliche Kirche bewußt heidnisches Gedankengut ihrem eigenem unterordnete und verwob.
 
Hardegen schrieb:
Ein typisches Fest was mir einfällt mit heidnischen Ursprüngen und christlichem Gewand ist Weihnachten.

Die Umdeutung heidnischer Feiertage in christliche war offizielle Kirchenpolitik, verfügt von Papst Gregor IV im Jahre 837.

Weihnachten war das Julfest, der kürzeste Tag des Jahres, der seit jeher mit "Geburt" in Verbindung gebracht wurde.

Zum Keltischen Jahreskreis, der die Sonnenphasen und die klimatischen Umschwüngen des Jahres repräsentiert, siehe z. B.: http://die-dunkle-dimension.de/p-mag08.htm, da findet man alte Bekannte wieder
 
Hardegen schrieb:
Was mich besonders fasziniert ist die Tatsache, daß der höchste germanische Gott Wodan als Knecht Ruprecht (Hroudhpercht oder Hruod Percht, was altnordisch der Ruhmglänzende, ruhmreiche Percht ist, und damit kein geringerer als Wodan höchstselbst) nun einfach einem christlichem Bischof unterstellt wurde.

Was mich besonders fasziniert, ist, daß solche zusammenkonstruierten Spekulationen auch heute noch als "Tatsachen" verkauft werden.

Wikipedia schrieb:
Während in der heutigen Forschung etymologische Herleitungen, wie sie etwa Jacob Grimm versuchte, indem er Ruprecht auf das althochdeutsche hruodperaht = Ruhmglänzender und damit in die Nähe des germanischen Gottes Wotan verwies, nicht mehr haltbar sind, wird vielmehr mit der Herkunft des Namens auf Brauchfiguren aus dem Alpenland verwiesen.

http://de.wikipedia.org/wiki/Knecht_Ruprecht
 
Was soll an der etymologischen Herleitung des Jacob Grimm falsch sein? Zumal auch Köbler als moderner Forscher und Koryphäe auf diesem Gebiet den gleichen Bezug zur etymologischen Herkunft zieht. :grübel:



Jacob Grimm in Deutsches Wörterbuch 16 Bde Leipzig S. Hirzel 1854:
Ruprecht, m zunächst personenname, ahd. Hruodberath.

Gerhard Köbler in Altsächsischem Wörterbuch, ( 3. Auflage) 2000:
Hroth: nhd. Ruhm germ. hroba

Verweis auf Schlaug W.: Studien zu altsächsischen Personennamen des 11. und 12. Jahrhunderts 1955, S. 143, S. 221
Hrodbrath, Hrodger

Verweis auf Schlaug W.: Die altsächsischen Personennamen vor dem Jahre 1000, 1962, S. 113
Hrodbern, Hrobert

Lexikon der Vornamen, Dudenverlag 2004:
Robert: altdeutsche Form von Rupert
Ruprecht: andere Form von Rupert
Rupert: altdeutsch, "rod"=Ruhm/ "beraht"=glänzend


 
Ich sagte bereits, das während der entscheidend intensivierten Christianisierung Germaniens mit seinem bekanntesten Repräsentanten Bonifatius keine Strategie bestand dem Heidentum nachsichtig Brücken zu bauen. Als die letzten freien Festlandsgermanen Mitteleuropas, vor allem die Sachsen von Kaiser Karl d. Gr. unterworfen wurden, wurde auch brutalster Zwang angewendet. In dieser wichtigen Epoche ist es absurd von generellen Umdeutungen heidnischer Feste für die angestrebte Christianisierung zu sprechen. Die Capitulatio de partibus Saxoniae Karls droht drakonischste Strafen bei Missachtung christlicher Normen an, wenn heidnische Traditionen weiter befolgt würden. Es lohnt sich einige der Paragraphen anzusehen:
http://www.mittelalter.uni-tuebingen.de/?q=personen/schmitz/vl9798/quellcap.htm

4. Sterben soll, wer die vierzigtägigen Fasten vor Ostern in Verachtung des christlichen Glaubens bricht und Fleisch ißt. Aber es soll vom Priester geprüft werden, ob er nicht durch Not gezwungen war, Fleisch zu essen.

7. Todesstrafe erleidet der, der nach heidnischem Brauch Leichen bestattet, indem er den Körper den Flammen preisgibt.

8. Sterben soll, wer Heide bleiben will und unter den Sachsen sich verbirgt, um nicht getauft zu werden oder es verschmäht, zur Taufe zu gehen.

Meine Auswahl ist willkürlich aus den ersten Zeilen gegriffen. Hier erübrigen sich sogar rhetorische Fragen, derartig klar sind die Paragraphen des Kaisers! Karl schaffte Fakten, gleichgültig ob das Episkopat seinen eigenwilligen Mitteln zustimmte oder nicht.

Damit sehe ich meine Kernaussage schon einmal als gesichert an, zumal unsere Diskussion im "Germanen-Thread" stattfindet. Nun zu dem einen oder anderen Beispiel Hardegens:
Weihnachten: Der Vergleich mit dem im römischen Reich verehrten Sol Invictus hinkt. Warum sollten die Germanen es leichter haben Christen zu werden, wenn das Fest eines römischen Gottes von den Missionaren vereinnahmt wird? Besagter Gott wird auch erst spät von breiteren Volksschichten des vorchristlichen, römischen Reiches angebetet. Ein besonderer Tag war er aber auch ohne diesen Gott.

Auf die alle anderen Feste überragende Bedeutung des Osterfestes in der christlichen Religion wurde bereits dankenswerter Weise hingewiesen. Bekanntlich ist das Osterfest aber an astronomische Konstellationen (Neumond) gebunden und hat keinen festen Tag im Sonnenjahr. Wenn sogar das wichtigste Fest flexibel liegt, warum dann nicht auch andere Feiertage an bedeutende Ereignisse im bäuerlichen Leben der Menschen anlehnen? Das ist ein weltweites Phänomen. Auch die Maya, Azteken und andere auf Ackerbau und Viehzucht basierende Völker der Erde kannten solch wichtige Termine und interpretierten sie gemäß ihrer Mythologie. Lässt man die zeitliche Differenz außer Acht, die zwischen der Entdeckung Amerikas und unserem Thema liegt, könnte ich sonst mit ähnlichem Recht über den Einfluss antiker heidnischer Göttervorstellungen auf die Mythologie entfernter Völker spekulieren… Das will ich natürlich nicht, sondern nur klar machen dass viele ‚heidnische Feste’ zu wichtigen Terminen sesshafter Lebensweise stattfanden und diese Termine deshalb auch weltweit, ungeachtet der jeweils vorherrschenden Religion feierlich begangen wurden. Diese Termine wurden immer und überall mit der jeweiligen Mythologie in Verbindung gebracht, ohne dass Rückgriffe auf frühere religiöse Vorstellungen notwendig sind. Jede Religion geht davon aus, dass ihr(e) Go(e)tt(er) einen Einfluss auf Gedeih und Verderb der menschlichen Lebensgrundlagen hat. Das ist der Punkt!
Die Christianisierung ging überall einher mit neuen kulturellen Impulsen und der Übernahme diverser kultureller Ausprägungen durch die Konvertierten. Gerade im fränkischen Reich ist die Symbiose zwischen Christianisierung und fränkischer Herrschaft zu keinem Zeitpunkt mehr zu übersehen, seit Chlodwig I. die Taufe angenommen hat. Mit der Christianisierung wurden einige, einst römische Kulturelemente vermittelt und die Ausprägung gleicher sozialer Schichten wie im fränkischen Kernreich gefördert. Manchmal traten alle 3 Elemente gleichzeitig auf, manchmal auch etwas verschoben. Die spätere Umdeutung einzelner heidnischer Aspekte im Sinne des Christentums hat auf die Akzeptanz der Christianisierung in Europa höchstens untergeordneten Einfluss gehabt.
 
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