Dieter schrieb:
Die weltliche Macht der Päpste war, sofern sie den von ihnen regierten Kirchenstaat betrifft, minimal. Zwar erhielten sie durch die Schenkung des Frankenkönigs Pippin im Jahr 764 große Gebiete in Mittelitalien, die das Fundament des "Patrimonium Petri" bildeten. Doch da der Kirchenstaat bis zu seiner Auflösung wirtschaftlich rückständig und politisch ohnmächtig blieb, war er stets vom Wohlwollen der Großmächte abhängig, die Italiens Geschicke bestimmten.
Da möchte ich widersprechen: Spätestens seit dem Spätmittelalter war der Kirchenstaat eine der maßgeblichen Territorialmächte Italiens. Der Vertrag von Lodi zementierte 1454 die sogenannte italienische Pentokratie, in der neben Mailand, Venedig, Florenz und dem Königreich Neapel der Kirchenstaat eine herausgehobene Rolle einnahm. Der Kirchenstaat war eine nennenswerte weltliche Macht, in dessen Herrschaftsausübung strukturell kaum anders als Territorien im übrigen Europa der Zeit. Neben seinem universalen geistlichen Anspruch betrieb auch er eine expansive Arrondierungspolitik nach außen und eine Politik administrativer Verdichtung nach innen. Höhepunkt expansiver Bestrebungen war die angestrebte Schaffung eines Fürstentums Romagna durch den Papstsohn Cesare Borgia. Aber auch von solchen Extremen abgesehen waren päpstliche Diplomaten und Feldherren in Italien äußerst aktiv. Gerade im Kirchenstaat wurden viele modern anmutende Herrschaftskonzepte erdacht, ausprobiert und fortentwickelt, von einer hochentwickelten Administration über den Einsatz von Medien zur Herrschaftspropaganda bis hin zu politischer und kultureller Patronage par excellence. Mit der Konsolidierung des barocken Papsttums wird der praktisch unbegrenzte Horizont geistlicher Führung der gesamten Christenheit zwar stärker als vorher in den Mittelpunkt gerückt, aber bis zu Napoleon bleibt der Kirchenstaat auch eine weltliche Regionalmacht in Italien, an deren Interessen auf der Appenninhalbinsel kein Weg vorbeiführt.
Dieter schrieb:
Echte weltliche, territoriale Macht besaßen die Päpste daneben höchstens noch im Heiligen Römischen Reich, wo sie über die geistlichen Staaten der Fürstbistümer und deren regierende Bischöfe Einfluss nehmen konnten. Doch waren diese Fürstbischöfe höchst selbstbewusste Fürsten, die sich auch von Päpsten nicht ohne weiteres etwas vorschreiben ließen.
Der Einfluss des Papstes auf die Territorialpolitik in der Germania Sacra hielt sich hingegen eher in Grenzen. Natürlich hatte er Einflussmöglichkeiten, die auf verschiedene Weise genutzt werden konnten, aber hier waren es die Bischöfe, die als Landesherren an einer möglichst ungeschmälerten Herrschaftsausübung interessiert waren. Ganz im Trend der frühen Neuzeit versuchten auch sie, konkurrierende Herrschaftsansprüche abzuwehren und kein Papst konnte direkt intervenieren und bischöfliche Kompetenzen an sich reißen. Es sei in diesem Kontext auch daran erinnert, dass der Papst auch keine direkte Kontrolle über die Wahl der Bischöfe hatte. Also, was die Territorien jenseits der Grenzen des Kirchenstaates angeht: Einfluss ja, territoriale Herrschaftsmittel nein.
Dieter schrieb:
Hier müsste eine neue Frage gestellt werden: Inwiefern wirkt(e) sich die geistliche und moralische Autorität der Päpste auf weltliche Belange aus.
Wirklich gute Frage! Hier dürfte sich zeigen, wie das kuriale Herrschaftssystem in seinem Innersten aufgebaut war, nämlich auf eine heilsgeschichtlich-moralische Legitimation, verbunden mit gewissen Herrschaftskompetenzen, in weiten Teilen aber über informelle Machtgefüge, Einflussmöglichkeiten und Loyalitäten, perfektioniert durch Medienpropaganda und Patronage, gekrönt durch eine oberste richterliche Funktion, und am Laufen gehalten durch eine effiziente Administration und Justiz.