Ethnische Zuordnungen in germanischen Sagen sind mit Vorsicht zu genießen.
Zuordnungen einzelner Helden, Reiche, Heere etc. zu einzeln Völker erscheinen oft willkürlich und austauschbar. Hier wurde ja auch das Beispiele genannt. Ob etwa der Held Dietrich Gote oder Franke war, wechselt von Sage zu, ebenso sind viele Nibelungenhelden in einer Quelle Burgunden und in der anderen Franken. Im Beowulf wurden vor allem die Gauten auf vielfältige Weise gedeutet worden. Sind jetzt Goten oder Gotländer gemeint oder doch Dänen? Die Frage ist alles andere als leicht zu beantworten. Selbst wenn Hyglak auf einen historischen Dänenkönig zurückgeht, schließt dies nicht aus, dass der Dichter des Beowulfs seinen Hyglak trotzdem als Goten verstanden hat, um z.B. um einfach eine Verbindung zu populären Sagenkreisen zu schaffen.
Ein weiteres Phänomen ist, dass in einer Sage auf Personen und Völkerschaften aus eigentlich verschiedenen Epochen ganz selbstverständlich aufeinandertreffen. Es ist zum Beispiel im Nibelungenlied kein Problem, wenn das erst aus dem Frühmittelalter bekannte Volk der Dänen das spätantike Burgundenreich am Rhein angreift - eine Art Crossover aus Völkerungswanderungs- und Wikingerzeit. In einer Sage können daher sehr wohl mittelalterliche Dänen mit den antiken Chattuariern, Cugerner oder Chauken zusammentreffen.
Was bedeutet das jetzt für die Hugas im Beowulf?
An einer Stelle werden gleich fünf gegnerische Gruppen erwähnt:
Friesen, Franken, Hugen, Hetwaren und Merowinger.
Meines Erachten handelt es sich hier im Kontext des Beowulf nicht um unterschiedliche Gruppen, sondern um fünf unterschiedliche Bezeichnungen für die gleiche Gruppe, wobei die Auswahl verschiedenen Namen wahrscheinlich aus metrischen Gründen erfolgte.
Friesen und Franken sind nicht nur benachbarte Völker, sind bilden zusammen auch einen sehr schönen Stabreim. Eine Aneinandereihung kann daher nicht nur aus geografischen, sondern auch aus metrischen Gründen erfolgt sein.
Auf die gleiche Weise reimt sich
Hugas auf
Hygleac oder
Merewíoingas auf
milts.
Für die Sage spielt es keine Rolle, ob es sich um verschiedene fränkischen Gruppen handelt oder nur um das Frankenreich an sich. Die Friesen können ja aus einer späteren Perspektive natürlich als dem Frankenreich zugehörig betrachtet werden.
Auf im altenglischen
Widsith werden Friesen und Franken zusammengenannt:
Mid Froncum ic wæs ond mid Frysum ond mid Frumtingum.
Auch die geheimnisvollen Hetwaren tauchen hier auf. Von der Forschung werden sie meist mit den antiken Chattuariern gleichgesetzt:
Hun Hætwerum
Das im Widsith Völker unterschiedlicher Zeitalter zusammen auftauchen, ist offensichtlich. Germanenstämme , die um die Zeitenwende existierten, und später verschwanden, werden genannt. Dies muss aber nicht bedeuten, dass die germanische Überlieferung über 500 Jahren zurückreicht. Der Autor des Widsith schöpft auch aus griechisch-römischer und christlicher Gelehrsamkeit, nur so ist die Nennung von Ägyptern, Persern, Assyrern usw. zu erklären. Es ist also nicht aufzuklären, woher der Autor des Widsith seine Kenntnisse über ein Germanenstamm der Chattuarier hat.
Bei der Nennung der Hugonen durch Widukind von Corvei ist beachten, dass Widukund selbst auch Sachse und Teile einer weitgehend verschollenen sächsischen Sagenwelt in seine
res gestae saxonicae eingeflossen sind. (Von den Angelsachsen sind einige Sagen (Widsith, Beowulf u.a.) überliefert, von den Sachsen auf dem Kontinent jedoch nicht.) Ich meine daher, dass Widukind von Corvei eine alte sächsische mündliche Überlieferung oder wenigstens den Namen Hugo las Bezeichnung für irgendeinen fränkischen oder friesischen Feind kannte und ihn deshalb mit Chlodwig verbunden hat.