Wie erklären sich die Hugonen?

Ist die Stelle bei Beowulf vielleicht die Schilderung eines historischen Krieges, den wir nur nicht aus anderen Quellen kennen?

Die Stelle bei Beowulf wird sehr wohl mit anderen Quellen verglichen. Ich hatte bereits geschrieben, dass der Hygelac, der "König der Gauten" bei Gregor von Tours als Dänenkönig Chlochilaicus erscheint. Der erscheint mit seiner Flotte zum Plündern, wird jedoch von einer fränkischen Streitmacht unter Prinz Theudebert besiegt und getötet.
(Hier in einer älteren Übersetzung zum selber Nachlesen, der König wird hier "Crochilaich" und "Chrochilaich" geschrieben:
https://archive.org/stream/bub_gb_76YPAAAAYAAJ#page/n161/mode/2up)

Es handelt sich um die einzige Stelle im Beowulf, die für "historisch" gehalten wird.
 
Chlodio = Chlogio = Hugo?

Soweit ich mal gelernt habe, wird die Schwierigkeit der Lesart nach der Erklärung beurteilt. Da sich nun mitunter die schwierigere Lesart als richtig herausstellte, ist in diesen Fällen das Rasiermesser widerlegt.
Nein, das Rasiermesser ist damit nicht "widerlegt" - im Gegenteil.

Es ist halt so, dass manchmal die Erklärung einfacher ist, wenn man die schwierigere (seltenere, ausgefallenere) Lesart als die ursprünglichere annimmt.

Einen Automatismus "Die schwierigere Lesart ist immer die richtige" gibt es nicht.



Und bei der Überlieferung von Chlodio/Chlogio ist nolens volens der Wurm drin.
Unbestritten.
Entweder ist das "g" bei Gregor von Tours falsch, oder es sind zwei Namen, die miteinander verwechselt werden.


Die Annahme, dass eine spätere Zeit Chogo las und Hugo interpretierte, oder gleich Hugo las ist doch wirklich nicht komplex.
Nicht?
Sie erfordert erst einmal die Hilfshypothese, dass es einen Text gegeben hat, in dem "Chogo" stand. Diesen Text gibt es nicht, der wird also erst mal spekulativ angenommen.
Dann brauchen wir eine Hilfshypothese, wie der Text mit dem "Chogo" zustande kam. Mit einem einfachen Schreibfehler ist es ja nicht getan. Der Schreiber muss sowohl das L wie auch das I "vergessen" haben.
Und dann erst kommt die dritte Hilfshypothese zum Einsatz, "dass eine spätere Zeit Chogo las und Hugo interpretierte".

Drei Hilfshypothesen, von denen sich keine verifizieren lässt. Wenn das kein Fall für das Rasiermesser sein soll, weiß ich auch nicht.


Für Ch zu H muss angenommen werden, dass der Beowulf spät genug entstand.
Er muss nicht nur "spät genug" entstanden sein, sondern auch dasselbe "Endprodukt" genutzt haben, bei dem das L weggefallen ist, das I weggefallen ist und das O zum U mutiert ist.
Die Formel "Ch zu H" macht aus dem Chlogio einen Hlogio, keine Hugas.
 
"Cugerni" und Lautverschiebungen

Für K zu Ch die erste Lautverschiebung. Wie wir aus Cäsar und Tacitus wissen, haben sich die alten Laute bei den Römern durchaus tradiert.
Die erste Lautverschiebung war zu Caesars und Tacitus' Zeiten bereits abgeschlossen. Wie gesagt, den "Caesar" lernten die Germanen erst nach der ersten Lautverschiebung kennen.
Die Römer hatten Mühe, das "ch-" auszusprechen und haben es oft als "c-" wiedergegeben.* Sie hatten nicht die Absicht, damit urgermanische Laute zu tradieren...

Die Kimbern waren im 2. Jahrhundert vor Christus. Ob da die Lautverschiebung schon abgeschlossen war, kann man diskutieren, spielt hier aber keine Rolle.

Die Cugernen tauchen nämlich erst später auf. Und die Frage, der Du ausgewichen bist, lautet:
Wann sollen die *Kugernen zu *Hugernen geworden sein?

Überliefert ist der Name zweifellos aus der Zeit nach der 1. Lautverschiebung. Lautverschiebungen machen ja auch vor Ortsnamen nicht halt. Auch lateinische Ortsnamen wurden in germanischem Mund unbarmherzig lautverschoben (aus Tabernae wurde Zabern, aus Turicum Zürich usw.)

Falls der Name germanisch ist (und falls das -g- korrekt ist), gibt es zwei Möglichkeiten:
1. Er begann mit einem Verschlusslaut *Kugern-. Dann wurde er auch mit Verschlusslaut weitertradiert. (Die Kuh ist ja auch nicht zur Huh geworden, die Kunde nicht zum Hunde und das Kupfer nicht zum Hupfer.)
2. Er begann mit einem Reibelaut *Hugern-. Nur in diesem Fall gibt es die Möglichkeit, die Hugernen irgendwie mit den Hugos zu verbinden.

Nicht auszuschließen wäre auch die Möglichkeit, dass der Name, den Plinius und Tacitus überliefern, keltisch war (die Form -erni gibt es ja auch bei den Arverni). Dann hätten die Franken (bzw. ihre direkten Vorgänger) das K- übernommen.
(Beispiel: gallisch carruca "Karren, Pflug" wird deutsch zu Karch - das -ch kommt hier von der zweiten Lautverschiebung, diese lässt den K-Anlaut unverändert - und französisch zu charrue).**



wenn sich meine Vermutung bezüglich der 2. Silbe von Cugerner als richtig herausstellt
Um welche Vermutung genau handelt es sich denn?

War das diese hier?
Nun, bekanntlich können Endungen gestrichen werden, hier '-er' und '-en'. Ebenso werden gerne Silben ersetzt, die angehängt, die Bedeutung näher bestimmen.

Oder habe ich etwas überlesen?




* Das soll bei neuzeitlichen Sprechen des Romanischen immer noch vorkommen:
"Die Übung maken der Meister und wenn ein König schreibt der Sprake seines Landes, werden auk schreiben alle seine Untertanen dieser Sprake, und der Sprake wird haben davon den Vorteil." (Gutzkow)

** EDIT: https://www.uni-trier.de/index.php?id=37329
 
Zuletzt bearbeitet:
Biturigos, ich schrieb von einem Friesischen Unterstamm, nicht von einer alten Bezeichnung für Franken, also ein geringfügig anderes Verständnis der Beowulf-Stelle.

Wo wir bei Sagen und der 'Wanderung' entlang der Nordseeküste sind: Kennst Du die Finnsburgsage, enthalten im Beowulf und dem Finnsburg-Fragment. Im Widsith wird "Finn, Sohn des Folcwald, König der Friesen" nur erwähnt. (Aus dem Gedächtnis zitiert.) Die Versionen des Fragmente und des Beowulf-Stelle weichen voneinander ab. Bei Wikipedia wird man unter 'Finn von Friesland' und, mit Inhaltsbeschreibung, 'Finnsburg-Fragment' fündig.

Ob etwas, und wenn ja, was, historisch daran ist, lässt sich kaum sagen. Nur damit wir Epen und Sagen nicht überbewerten.
 
Ethnische Zuordnungen in germanischen Sagen sind mit Vorsicht zu genießen.
Zuordnungen einzelner Helden, Reiche, Heere etc. zu einzeln Völker erscheinen oft willkürlich und austauschbar. Hier wurde ja auch das Beispiele genannt. Ob etwa der Held Dietrich Gote oder Franke war, wechselt von Sage zu, ebenso sind viele Nibelungenhelden in einer Quelle Burgunden und in der anderen Franken. Im Beowulf wurden vor allem die Gauten auf vielfältige Weise gedeutet worden. Sind jetzt Goten oder Gotländer gemeint oder doch Dänen? Die Frage ist alles andere als leicht zu beantworten. Selbst wenn Hyglak auf einen historischen Dänenkönig zurückgeht, schließt dies nicht aus, dass der Dichter des Beowulfs seinen Hyglak trotzdem als Goten verstanden hat, um z.B. um einfach eine Verbindung zu populären Sagenkreisen zu schaffen.
Ein weiteres Phänomen ist, dass in einer Sage auf Personen und Völkerschaften aus eigentlich verschiedenen Epochen ganz selbstverständlich aufeinandertreffen. Es ist zum Beispiel im Nibelungenlied kein Problem, wenn das erst aus dem Frühmittelalter bekannte Volk der Dänen das spätantike Burgundenreich am Rhein angreift - eine Art Crossover aus Völkerungswanderungs- und Wikingerzeit. In einer Sage können daher sehr wohl mittelalterliche Dänen mit den antiken Chattuariern, Cugerner oder Chauken zusammentreffen.

Was bedeutet das jetzt für die Hugas im Beowulf?
An einer Stelle werden gleich fünf gegnerische Gruppen erwähnt:
Friesen, Franken, Hugen, Hetwaren und Merowinger.
Meines Erachten handelt es sich hier im Kontext des Beowulf nicht um unterschiedliche Gruppen, sondern um fünf unterschiedliche Bezeichnungen für die gleiche Gruppe, wobei die Auswahl verschiedenen Namen wahrscheinlich aus metrischen Gründen erfolgte.

Friesen und Franken sind nicht nur benachbarte Völker, sind bilden zusammen auch einen sehr schönen Stabreim. Eine Aneinandereihung kann daher nicht nur aus geografischen, sondern auch aus metrischen Gründen erfolgt sein.
Auf die gleiche Weise reimt sich Hugas auf Hygleac oder Merewíoingas auf milts.

Für die Sage spielt es keine Rolle, ob es sich um verschiedene fränkischen Gruppen handelt oder nur um das Frankenreich an sich. Die Friesen können ja aus einer späteren Perspektive natürlich als dem Frankenreich zugehörig betrachtet werden.

Auf im altenglischen Widsith werden Friesen und Franken zusammengenannt:
Mid Froncum ic wæs ond mid Frysum ond mid Frumtingum.


Auch die geheimnisvollen Hetwaren tauchen hier auf. Von der Forschung werden sie meist mit den antiken Chattuariern gleichgesetzt:
Hun Hætwerum

Das im Widsith Völker unterschiedlicher Zeitalter zusammen auftauchen, ist offensichtlich. Germanenstämme , die um die Zeitenwende existierten, und später verschwanden, werden genannt. Dies muss aber nicht bedeuten, dass die germanische Überlieferung über 500 Jahren zurückreicht. Der Autor des Widsith schöpft auch aus griechisch-römischer und christlicher Gelehrsamkeit, nur so ist die Nennung von Ägyptern, Persern, Assyrern usw. zu erklären. Es ist also nicht aufzuklären, woher der Autor des Widsith seine Kenntnisse über ein Germanenstamm der Chattuarier hat.



Bei der Nennung der Hugonen durch Widukind von Corvei ist beachten, dass Widukund selbst auch Sachse und Teile einer weitgehend verschollenen sächsischen Sagenwelt in seine res gestae saxonicae eingeflossen sind. (Von den Angelsachsen sind einige Sagen (Widsith, Beowulf u.a.) überliefert, von den Sachsen auf dem Kontinent jedoch nicht.) Ich meine daher, dass Widukind von Corvei eine alte sächsische mündliche Überlieferung oder wenigstens den Namen Hugo las Bezeichnung für irgendeinen fränkischen oder friesischen Feind kannte und ihn deshalb mit Chlodwig verbunden hat.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ob etwa der Held Dietrich Gote oder Franke war, wechselt von Sage zu, ebenso sind viele Nibelungenhelden in einer Quelle Burgunden und in der anderen Franken.
... und der Hugdietrich kann genausogut in Konstantinopel residieren...

Meines Erachten handelt es sich hier im Kontext des Beowulf nicht um unterschiedliche Gruppen
Ich wollte eigentlich auch nicht sagen, dass der Autor des Beowulf hier fünf voneinander zu unterscheidende Gruppen agieren lässt. Wie in seiner Sicht die Bezeichnungen zusammengehören und inwiefern er Bezeichnungen von Teilgruppen "pars pro toto" verwendet, bleibt natürlich völlig offen, und letztlich spielt es für seinen Leser- oder Hörerkreis natürlich
keine Rolle, ob es sich um verschiedene fränkischen Gruppen handelt oder nur um das Frankenreich an sich.

Auf im altenglischen Widsith werden Friesen und Franken zusammengenannt:
Mid Froncum ic wæs ond mid Frysum ond mid Frumtingum.
... und die Frumtingas, die so schön stabreimen, aber vermutlich wo ganz anders hingehören...


Es ist also nicht aufzuklären, woher der Autor des Widsith seine Kenntnisse über ein Germanenstamm der Chattuarier hat.

Die dürften zeitgenössisch sein. Fränkische Quellen kennen einen Hattuarier-Gau (terra Hattuariorum, in volkssprachlicher Form Hetterun):
Historisches Lexikon der Deutschen Länder
 
Und der Hattuarier-Gau lag dann auch noch zmindest zum Teil wo einstmals die Cugerner siedelten. :D

Scherz beiseite.

Eben wegen des Umgangs mit den Ethnien in den Sagen wies ich darauf hin, dass die Hugas auch einfach die Einwohner der Hugmerki sein könnten und wegen der Verwendung im Beowulf dann mit den Franken gleichgesetzt worden sein könnten.
 
Nochmal Cugerni/Cuberni

Ich dachte, ich hätte schon irgendwo Neumanns Cugerni=Cuberni-These These verlinkt, finde es aber nirgends. Das hier wars nicht, das ist von 1984. 1986 hat Neumann unter dem Titel "Germani cisrhenani - die Aussage der Namen" (in: Germanenprobleme in heutiger Sicht) einen "neuen Versuch" der Namensdeutung vorgelegt. Da schreibt er:

"Vermutlich läßt sich das Nebeneinander der beiden Varianten am ehesten so auffassen, wie das von Naristi und Varisti usw., d. h. es existieren für denselben Volksstamm zwei nebeneinander benutzte Namen, die aneinander anklingen - vielleicht auch ähnliche Bedeutung haben - die etwa im Sinne einer poetischen Variation abwechselnd gebraucht werden, aber etymologisch nicht miteinander zusammenhängen."
Er bringt die beiden Namensformen mit den deutschen Wörtern Hügel und Hübel in Zusammenhang (zwischen denen es wiederum einen - sehr weitläufigen - etymologischen Zusammenhang gibt, um den geht es hier aber nicht). Zu beiden Wörtern gibt es auch Formen mit -r (ahd. hovar, mhd. hoger), das -r könnte also mit zum Stamm gehören, nicht zur Endung.


@Riothamus: Könntest Du Dich noch zu meiner Frage nach der 2. Silbe äußern?
 
Zurück
Oben