Wie passiv oder aktiv ist Evolution?

Warum denken wir eigentlich immer nur über die Gene nach ?
Weil die Medien uns das so eintrichtern.
Weil die Denkweise unserer westlichen Kultur eindeutige Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge präferiert. Die Gene sehen wir als Ursache, alles andere (Verhalten, Aussehen, Krankheiten) als Wirkung der Gene. Das ergibt ein stabiles Menschenbild, mit dem man gut leben kann. Immer dann, wenn die Gene nicht als alleinige Ursache oder sogar überhaupt nicht als Ursache hingestellt werden, bricht nicht nur eine Annahme, sondern quasi das ganze Menschenbild zusammen. Als Schutzreaktion werden solche Gedanken geblockt.
 
Hier, ein aktuelles Paradebeispiel: Erforschung des Erbguts: Genau mein Typ - SPIEGEL ONLINE - Nachrichten - Wissenschaft

Einige Zitate:
"Wenn jeder sein eigenes Erbgut auf seiner Krankenkassen-Karte hat, so der Traum vieler Mediziner, kann man ihn auch maßgeschneidert therapieren. Denn jeder trägt andere Krankheitsrisiken in seinen Genen, spricht unterschiedlich auf Medikamente an." Botschaft: Wenn wir erst einmal die Gene kennen, können wir alles verstehen und alles heilen.

"Mit dem Humane Genome Project hatte man ein erstes menschliches Erbgut als Referenz. Nun brauchen wir viele weitere Erbgute, um die Unterschiede zwischen ihnen zu erforschen - das ist der Schlüssel, um Krankheiten zu verstehen." Botschaft: Gene sind der Schlüssel für Krankheiten. Übrigens Zitat einer Wissenschaftlerin.

"Schon jetzt kann man eine Menge Erbkrankheiten und genetische Risiken identifizieren." Botschaft: Da ist der Beweis. Es sind die Gene!

"'Beim Menschen kann ein einziges Gen mehrere Proteine hervorbringen. Es ist wie ein Legokasten, mit dem ganz unterschiedliche Sachen gebaut werden können.' So reichten auch 23.000 Gene, um genug Komplexität hervorzubringen." Botschaft: Es sind die Gene, die die Komplexität hervorbringen.

Am Ende wird sogar die Epigenetik erwähnt. Aber es bleibt nur bei einer Erwähnung. Ihre Bedeutung ist noch nicht in die Denkstruktur des Autors vorgedrungen und er begibt sich letztlich doch wieder hinab auf die uns vertraute Stufe der Gene, wo alles einfach und kausal ist, wo man nur ein paar Buchstaben austauschen muss, um Dürre, Hunger und Krankheiten zu bekämpfen.
 
Ja, interessant. Aber irgendwie bin ich nach dem Lesen ungefähr so wenig schlau wie vorher, was häufig passiert, wenn sich Evolutionsbiologen und -soziologen an Erklärungen menschlicher geistiger Eigenschaften versuchen. Letztlich scheint irgendwie alles, was von bestimmender Wirkung ist, ein Abfallprodukt zu sein. Ob das überhaupt etwas erklärt, ist eine spannende Frage.
 
Ob etwas als Haupt- oder Nebenprodukt erscheint, hängt davon ab, welche Sichtweise man einnimmt. Man kann jedes Phänomen so oder so erscheinen lassen. Schon geil, was unser Gehirn drauf hat, nicht wahr?
Die Suche nach der objektiven Wahrheit macht das natürlich nicht einfacher...
 
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