Wie sind Person und Regentschaft von Kaiser Wilhelm II. historisch zu bewerten?

Es ist schon eine unglaubliche Ironie der Geschichte, daß ein Mann, der 1913 zum 25.Regierungsjubiläum, noch den Beinamen "Der Friedenskaiser" bekam und als Förderer von Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft gelobt wurde, heute als Kriegstreiber oder bestenfalls als Hampelmann auf dem Thron zur "persona non grata" der deutschen Geschichte geworden ist.

Die Gunst des Publikums ist wechselhaft....
 
In der Tat, Arne.

Im Verleugnen deutscher Geschichte waren wir Deutschen schon immer gut und es hält bis heute an...

Über angeblich schlechte Dinge spricht man halt nicht...
 
Es ist schon eine unglaubliche Ironie der Geschichte, daß ein Mann, der 1913 zum 25.Regierungsjubiläum, noch den Beinamen "Der Friedenskaiser" bekam und als Förderer von Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft gelobt wurde, heute als Kriegstreiber oder bestenfalls als Hampelmann auf dem Thron zur "persona non grata" der deutschen Geschichte geworden ist.
Es ist wohl immer der letzte Eindruck, der zählt. Der Typ ist einfach "weggelaufen". Nicht sehr soldatisch, wobei er das ja gerne betonte. Der Mann war eine sehr zerrissene Persönlichkeit.
Schlecht ging es den Deutschen unter ihm allerdings nicht, im Verhältnis zu den anderen Nationen gesehen. Dafür, dass der Kapitalismus im Deutschen Reich so heftig nach vorne preschte, wurden die ärgsten Missstände unter ihm einigermaßen abgefedert.
Zu Bedauern ist der Abgang von K.W. Zwo schon deshalb, weil dieser ein "Orientierungs"-Vakuum in den Köpfen der Deutschen hinterließ. Das wollte ausgefüllt werden. Die Weimarer Regierung vermochte es mit ihren wechselnden Machtkonstellationen nicht.
 
Es ist wohl immer der letzte Eindruck, der zählt. Der Typ ist einfach "weggelaufen". Nicht sehr soldatisch, wobei er das ja gerne betonte.

Vielleicht ist dir nicht bekannt, daß es durchaus die Diskussion gab, daß er an der Spitze der treuen Truppen (wieviele das auch immer gewesen wären..?) zurück nach Berlin geht, um die Revolution zu bekämpfen. Nachdem ihm die Berater deutlich gemacht haben, daß dies zum Bürgerkrieg führen würde, in dem Deutsche auf Deutsche schiessen würden, hat er darauf verzichtet.

Was hatte er noch für eine Option? Sich den Siegern stellen um in einem Schauprozeß abgeurteilt zu werden? Okay, das wäre ein Gang mit offenem Visier ins Messer gewesen. Manche hätten das als heldenhafter angesehen...

Er hat sich dagegen entschieden. Vielleicht ging in seine Abwägungen auch sein Selbstverständnis als Repräsentant des Deutschen Reiches ein? Hätte man den Siegern diese zusätzliche Demütigung Deutschlands noch gewähren sollen? :fs:

Hitler hat sich in der Lage selbst getötet und seine Leiche verbrennen lassen, um in keinem Sowjet-Museum ausgestellt zu werden. Selbstmord kam für WII, als überzeugten Christen aber nicht infrage, obwohl er angeblich auch darüber nachdachte.
 
Die Daily-Telegraph-Affäre von 1908, Wilhelm hat sich in Gesprächen mit den Obersten Stewart Worseley zu den deutsch-britisch Beziehungen in ziemlich peinlicher Art und Weise ausgelassen, haben im Deutschen Reich für ein gewaltiges, negatives, Echo gesorgt. Es kam zu einer innenpolitischen Krise, das Image des Kaisers war beim Volk war schwer beschädigt und in der Folge hat dies Bülow auch seinen Job gekostet. Wilhelm musste einräumen, sich künfig mehr zurückzuhalten.


Zu Bedauern ist der Abgang von K.W. Zwo schon deshalb, weil dieser ein "Orientierungs"-Vakuum in den Köpfen der Deutschen hinterließ

Das deutsche Volk hat die Niederlage des Ersten Weltkrieges nie richtig verarbeitet. Die Bevölkerung ist in dem festen Glauben in dem Krieg gegangen, das es sich um einen gerechten Verteidigungskrieg handelt. Das hat die Reichsleitung einschließlich Kaiser dem Volk sehr erfolgreich verkauft. Ja, in weiten Kreisen wurde sogar der Dolchstoßlegende Glauben geschenkt. Die Demokraten in Weimar hatten es von Beginn an sehr schwer, da die erste deutsche Demokratie quasi unter einen erheblichen Geburtsfehler litt. Sie kam nämlich nicht zu letzt auf Druck von außen zustande und so wurde sie dann auch empfunden.
 
Was hatte er noch für eine Option? Sich den Siegern stellen um in einem Schauprozeß abgeurteilt zu werden? Okay, das wäre ein Gang mit offenem Visier ins Messer gewesen. Manche hätten das als heldenhafter angesehen...

Also erst einmal hätte er nicht so unbedingt auf Hindenburgs unzutreffende Einflüsterungen hören müssen. Vor allem weil Wilhelm um Hindenburgs Qualitäten besser Nichtqulitäten genau wußte.

Es war ja vorher schon ein Fehler gewesen, sich nach Spa azu begeben, weit vom Ort des Geschehens entfernt. Des Weiteren vielleicht den Gang der Dinge abwarten sollen, denn deren Verlauf hat ja gezeigt, da es letztlich nicht zu einer Auslieferung der von den Alliierten genannten Personen gekommen ist.
 
Es war ja vorher schon ein Fehler gewesen, sich nach Spa azu begeben, weit vom Ort des Geschehens entfernt.

Dort war meines Wissens das Militärhauptquartier-West. Hätte ein (nomineller) Oberbefehlshaber besser zuhause in Berlin, in seiner Badewanne sitzen sollen? :S


Des Weiteren vielleicht den Gang der Dinge abwarten sollen, denn deren Verlauf hat ja gezeigt, da es letztlich nicht zu einer Auslieferung der von den Alliierten genannten Personen gekommen ist.

Ja, wäre möglich gewesen, aber nachher ist man bekanntlich immer klüger.
 
Dort war meines Wissens das Militärhauptquartier-West. Hätte ein (nomineller) Oberbefehlshaber besser zuhause in Berlin, in seiner Badewanne sitzen sollen? :S

Vielleicht nicht unbedingt in der Badewanne.:fs:

Wilhelm hat Berlin verlassen und sich damit der Möglichkeit beraubt direkt auf Entwicklung und Stimmung im Entscheidungszentrum einzuwirken. Das war ein Fehler. Des Weiteren beschädigte sie das Ansehen des Kaisers, weil die Abreise am 29.Oktober als Flucht verstanden wurde. Wilhelm hat sich mit seiner Abreise keinen guten Dienst erwiesen.
 
Was hättest du in seiner Lage getan?
Ich klaue mir mal die Frage.
Er hätte sich der Lage stellen und operativ entscheiden sollen. Soldatisch ist, auch den eigenen Tod in Kauf zu nehmen. Schließlich sind viele seiner Untertanen auch für ihn an den Fronten verreckt.
Die Nummer mit dem Christentum klingt schon eher nach einer Schutzbehauptung.
Er war eben mit der ganzen Situation einfach nur heillos überfordert.
 
Was hatte er noch für eine Option? Sich den Siegern stellen um in einem Schauprozeß abgeurteilt zu werden? Okay, das wäre ein Gang mit offenem Visier ins Messer gewesen. Manche hätten das als heldenhafter angesehen...

Am 10.November 1918, also das Datum an dem Wilhelm in die Niederlande übergetreten ist, waren die Bedinungen des Versailler Vertrages ja noch gar nicht überreicht worden. Bekanntermaßen war die Grundlage für das Auslieferungsbegehren im Sommer 1919 der Artikel 227 des Versailler Vertrages.

Als Wilhelm II. in die Niederlande übertrat ging es auschließlich um die befürchtete angebliche Ankunft revolutinärer Truppen aus Aachen, den, so Hindenburg, nichts entgegengesetzt werden könne. Und das hat Wilhelm einfach geschluckt und schließlich seine Koffer gepackt. Bei so einer bedeutenden Frage, hätte Wilhelm vielleicht sich von den Wahrheitsgehalt dieser eigentümlichen Information persönlich überzeugen müssen.
 
Am 10.November 1918, also das Datum an dem Wilhelm in die Niederlande übergetreten ist, waren die Bedinungen des Versailler Vertrages ja noch gar nicht überreicht worden. Bekanntermaßen war die Grundlage für das Auslieferungsbegehren im Sommer 1919 der Artikel 227 des Versailler Vertrages.

Da wurde nur schriftlich fixiert, was bereits einige Zeit vorher von den Kriegsgegnern gefordert wurde. In der britischen, französischen und amerikanischen Öfffentlichkeit wurde doch beständig danach gerufen, den Kaiser als Hauptkriegsschuldigen vor Gericht zu stellen.

Diskussionsgegenstand ist Wilhelm II., nicht meine Wenigkeit.:winke:

Drückeberger =)
 
Was verstehst du darunter? Kämpfend untergehen? Selbstmord?
Selbstmord nicht und auch nicht an der Spitze einer treuen Truppe die Aufständischen niedermachen.
Er hätte in seinem Land bleiben und die Staatsgeschäfte, soweit es seine Fähigkeiten zuließen, regeln sollen. Wie zu handeln ist, hätte man operativ und mit kühlem Kopf entscheiden müssen. Letztendlich hat sich z.B. die sozialistische Revolution nicht durchgesetzt. Es wäre vieles möglich gewesen. Die Leute wollten doch eigentlich nur, dass der elende Krieg endlich aufhörte. Sozialismus und anderen fiktiven Kram wollten die wenigsten. Am Ende hätte sich das Kaisertum eventuell in eine konstitutionelle Macht retten und in der Zukunft stabilisierend wirken können. Ob das funktioniert hätte, kann man natürlich nicht sagen, aber versuchen hätte der schneidige Wilhelm es müssen. Das wäre meiner Meinung nach seine Pflicht gewesen.
 
Am 26.Oktober wurde das Deutsche Reich durch Veränderung der Verfassung in eine parlamentarische Monarchie umgewandelt. Die Verfassungsänderung trat am 28.Oktober 1818 in Kraft. Und ein Tag später, am 29.Oktober 1918, verläßt Wilhelm Berlin.

Wilhelm II. hat sich gegen den ausdrücklichen und eindringlichen Rat seines Reichskanzlers nach Spa begeben, weil man ihm vor dort beispielsweise über den Verbindungsoffizier von Berg, suggerierte,, das auf seine Person ein Mordanschlag geplant sei. Das hat ausgereicht, um das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches, die neue parlamentarische Monarchie, zu veranlassen, die Regierungszentrale Berlin in diesen wichtigen Tagen zu verlassen. Seine Person hätte sicher auch in Berlin entsprechend geschützt werden können. Für mich ist das Vorgehen Wilhelm nicht verständlich.

Auf jeden Fall sah sich die OHL schon wenige Tage später,gemäß der unzutreffenden Ausklunft Hindenburgs, nicht mehr in Lage den Kaiser zu schützen.

Das Wilhelm das nicht reichlich befremdlich vorkam, ist irgendwie schon verwunderlich. Am gleichen Tage hat die Seekriegsleitung den Befehl zum Auslaufen der Hochseeflotte erteilt, ohne Wissen der Regierung. Wilhelms Abreise hat ihm nicht nur die Möglichkeit genommen, auf Entscheidungsprozesse der Regierungszentrale in Berlin persönlich einzuwirken, es schwächte diese auch. Stattdessen begab er sich in der Obhut des Militärs. Dsa Ergebnis ist bekannt.
 
Hier [in der Bewertung der Person Wilhelms II:] wechselte wohl auch das Publikum
Zweifellos. Wie aus seiner eigenen Rechtfertigungsschrift (Gestalten und Ereignisse 1878-1918, Leipzig: Koehler 1922) hervorgeht, war er aber besonders enttäuscht, dass gerade jene "Leute, die mir früher in übertriebenem Maße [sic] Weihrauch gestreut haben, mich heute mit Schmutz bewerfen" (S. 287). Hier klingt mE ein Quäntchen von Selbstkritik an, die im Übrigen vollständig fehlt. Gleichwohl noch ein paar Zitate Wilhelms zu den Optionen im November 1918 (aaO, S. 245 f.).

1. "Die Einen sagen: Der Kaiser hätte sich zu einem Truppenteil der Kampffront begeben, mit ihm auf den Feind stürzen und in einem letzten Angriff den Tod suchen sollen."
Seine eigene Antwort: "Dadurch wäre aber nicht nur der vom Volke heiß ersehnte Waffenstillstand, über den bereits die von Berlin zum General Foch entsandte Kommission verhandelte, unmöglich gemacht, sondern auch das Leben vieler, und gerade der besten und treuesten Soldaten, nutzlos geopfert worden."

Entgegen Rurik ("Der Typ ist einfach 'weggelaufen'. Nicht sehr soldatisch... Soldatisch ist, auch den eigenen Tod in Kauf zu nehmen.") bin ich hier voll auf Wilhelms Seite. Die Frage nach dem Nutzen weiterer Opfer hätte ihm allerdings schon früher einfallen können.

2. "Andere meinen, der Kaiser hätte an der Spitze des Heeres in die Heimat zurückkehren sollen."
Antwort: "Eine friedliche Rückkehr war aber nicht mehr möglich. ... Ich hätte ... zwar die Rückkehr erzwingen können. Aber damit wäre der Zusammenbruch Deutschlands besiegelt gewesen. Denn zum Kampfe mit dem zweifellos nachdrängenden Feinde wäre noch der Bürgerkrieg getreten."

Ob Hindenburgs "Einflüsterungen" tatsächlich "unzutreffend" waren (Turgot), ist selbst von heute aus nicht völlig klar. Und wie hätte sich Wilhelm, über Hindenburg hinweg, vom "Wahrheitsgehalt ... persönlich überzeugen" (Turgot), wen hätte er fragen sollen? Wenn es der "Held von Tannenberg" (und bis Oktober faktischer Machthaber in Deutschland) nicht besser wusste, wer sonst? Ob man aus dem Brief, den Wilhelm am 5.4.1921 an Hindenburg schrieb, einen versteckten Vorwurf heraushören kann?
Wie Sie wissen, habe ich mich zu dem schweren, furchtbaren Entschluß, außer Landes zu gehen, nur auf Ihre und meiner übrigen berufenen Ratgeber dringende Vorstellung durchgerungen, daß es nur allein auf diesem Wege möglich sei, unserem Volke günstigere Waffenstillstandsbedingungen zu verschaffen und ihm einen blutigen Bürgerkrieg zu ersparen. Das Opfer ist umsonst gewesen. (S. 254)
3. "Wieder Andere meinen: Der Kaiser hätte sich selbst den Tod geben sollen."
Antwort: "Das war schon durch meinen festen christlichen Standpunkt ausgeschlossen. Und würde man nicht gesagt haben: Wie feige? Jetzt entzieht er sich aller Verantwortung durch den Selbstmord."
Arne zufolge hat er "angeblich" darüber nachgedacht, und Rurik meint, "die Nummer mit dem Christentum [sic] klingt schon eher nach einer Schutzbehauptung" - ich habe keinen Anlass, W. zu verteidigen und frage deshalb nur, was ihn derart unglaubwürdig macht. :scheinheilig:
Was die Verantwortung betrifft, so sehe ich freilich nicht, wie er sich dieser in den mehr als 22 Jahren des Exils gestellt hat.

Er hätte in seinem Land bleiben und die Staatsgeschäfte, soweit es seine Fähigkeiten zuließen, regeln sollen. ... Ob das funktioniert hätte, kann man natürlich nicht sagen, aber versuchen hätte der schneidige Wilhelm es müssen. Das wäre meiner Meinung nach seine Pflicht gewesen.
Ehe sich Wilhelm aber dazu entschließen konnte, hatte sein Reichskanzler ihn freilich schon für abgesetzt erklärt, d. h. die Entscheidung hätte deutlich früher fallen müssen. Ich bezweifle auch, dass das eine realistische Option war.

Die Leute wollten doch eigentlich nur, dass der elende Krieg endlich aufhörte. Sozialismus und anderen fiktiven Kram wollten die wenigsten.
Ob die Sozialisten oder gar die Kriegmüden Wilhelm nach Berlin hätten fahren lassen? Er war nun allerdings, trotz eigener Unschuldsbeteuerungen, das Symbol schlechthin für das "alte Regime", dessen Krieg und dessen Niederlage. Und bezüglich der These, dass "die wenigsten" [sic] den "Sozialismus und anderen fiktiven Kram" gewollt hätten, wäre ich für belastbare Daten dankbar.

Am Ende hätte sich das Kaisertum eventuell in eine konstitutionelle Macht retten und in der Zukunft stabilisierend wirken können.
Völlig auszuschließen ist das nicht, aber das Glaubwürdigkeitsproblem Wilhelms bestand ja nicht nur nach innen, sondern auch nach außen. Bei einem anderen GF-Thema ist hinlänglich dargestellt worden, dass die Alliierten einen Friedensschluß mit dem "alten Regime" nicht wollten.
 
Zurück
Oben