Wie weit in den Alltagleben reichte die Macht der Kirche(n)?

Bevor es im 11. Jhdt. im Rahmen der Kreuzzüge an der Rheinschiene zu den Judenpogromen kamen, hatten die Juden in Europa relativ unbehelligt gelebt, oft unter dem Schutz der Könige und Kaiser, meist aber de örtlichen Bischöfe. Römische Inquisitionsakten aus dem 15. Jhdt, verraten uns, dass es immer wieder Beschwerden gab, dass die Kirche und insbesondere die Inquisition die Juden schützte (während zeitgleich die Spanische Inquisition gezielt auf alles Jagd machte, was im Verdacht stand, jüdisch zu sein). Das jüdische Viertel in Rom liegt nicht zufällig direkt gegenüber Vatikan und Engelsburg.
Was man den Bischöfen entlang der Rheinschiene vorwerfen kann, ist, dass sie oft zu feige waren, beim Ansturm des Pöbels ihr Schutzversprechen auch einzulösen. Insofern veranschaulicht das oft eher die Ohnmacht als die Macht der Kirche. Vertreibungen von Juden aus Städten oder Regionen waren vor allem ein Phänomen des 13. bis 15. Jhdts. Wobei es gleichzeitig auch immer aufnahmebereite Regionen gab.
In Spanien gab es unter den Westgoten eine antijüdische Gesetzgebung, und in Granada kam es 1066 zu einem Pogrom, angeblich, weil der jüdische Großwezir Jehoseph ben Nagrela ha-Nagid den Thronfolger Buluggīn ibn Bādīs az-Zīrī beim Weintrinken vergiftet haben soll und sich mit Almería gegen den eigenen König verschworen haben soll. Ich denke aber, dass der Giftanschlag auf den Kronprinzen (wenn er denn tatsächlich vergiftet worden war und nicht an etwas anderem starb) durch andere Kräfte (Talkāta) im zīrīdischen Granada vollzogen wurden. Abū Ishaq al-Ilbīrī hatte allerdings bereits seit Jahren gegen die Juden in Granada agitiert. (Ilbīra < (Florentia Iliberritana/Iliberris) war eine von den Zīrīden weitgehend aufgelassene Siedlung, als sie die Bevölkerung von dort ins etwa 10 km entfernte Garnātah al-Yahūd brachten, das leichter zu verteidigen war.)
 
Insofern veranschaulicht das oft eher die Ohnmacht als die Macht der Kirche.
Das sehe ich auch so. Man muss bedenken, dass wir über eine Zeit sprechen, in der sich die Macht der Obrigkeit besonders in der Fähigkeit ausdrückte, unpopuläre Maßnahmen durchzusetzen. Insofern besaßen auch antijudaistisch eingestellte Kleriker oder Magnaten prinzipiell einen Anreiz, die Juden nicht einfach dem Mob zu überlassen – denn wer konnte schon wissen, wessen Auslieferung der Mob als Nächstes verlangen würde?

Ähnliche Ohnmachtsanfälle begegnen uns im Lauf des Mittelalters und der frühen Neuzeit noch häufig, seien es xenophobe Ausschreitungen (z.B. die Londoner May Day Riots) oder die zahlreichen Fälle vom Pöbel erzwungener Hexenprozesse. Städte wie Gent, London und Paris waren berühmt dafür, mindestens einmal pro Generation sogar mächtigen Fürsten die Zunge rauszustrecken und einfach mal ein kleines Massaker zu veranstalten.
 
Das Alhambraedikt vom März 1492, das von den RRCC (Kath. Könige) erlassen wurde, kann man auch dahingehend betrachten, wie viel Individualität in kirchlicher Beeinflussung steckte. Wir haben hier zum einen den Beichtvater von Isabel Hernando de Talavera, später (ab Dezember) Erzbischof von Granada, der eine tolerante Politik gegenüber den Juden vertrat und die Muslime Granadas behutsam missionieren wollte, gewissermaßen mit „den besseren Argumenten“. Als Isabel jedoch den Beichtvater wechselte, Francisco Jiménez de Cisneros, Erzbischof von Toledo (und somit der spanische Metropolit), wurde auch die Politik entsprechend verändert und die Krone beschloss, dass die Juden aus allen von den RRCC regierten Königreichen auszuwandern oder zu konvertieren hätten - dies war wiederum Grundlage dafür, dass man konvertierten Juden die Konversion nicht als aus vollem Herzen kommend abnahm.
Linguistisch haben wir das sogenannte Judenspanische oder Ladino als Erbe davon. Es wurde in den Niederlanden, Marokko und im Osmanischen Reich gesprochen, bewahrte weitgehend einen mittelalterlichen Lautstand und nahm natürlich Worte aus der Umgebung auf. Eine Kommilitonin von mir, Deutschtürkin, schrieb ihre Magisterarbeit über das Judenspanische in Istanbul. Da sie zudem SHK bei unseren Prof war, konnte sie einige Seminarsitzungen leiten. Es war ganz witzig die Texte zu lesen, die tw. im Spanischen nicht mehr existente Worte wie alkuniya erhalten hatten (eindeutig ein iberischer Arabismus), andererseits aber auch Turzismen oder türkische Arabismen in den Texten zu finden.
Heute ist das Judenspanische so gut wie ausgestorben, die jüdische Gemeinde von Saloniki ist in Holocaust großteils ermordet worden und auch von den Amsterdamer Juden haben die Shoa nur wenige überlebt. Die Hikitiyya in Marokko ist auch kaum noch zu hören weil die Juden aus der muslimischen Welt zum größten Teil nach Israel gegangen sind (interessanterweise gibt es im Iran noch einige zehntausend Juden, aber die sprechen kein Ladino), in Lateinamerika, v.a. Argentinien vermischt sich Ladino mit argentinischem Spanisch, die Interferenzen sind kaum noch aufzulösen. Und in Israel erfährt Ladino das gleiche Schicksal wie Jiddisch, es wird vom Hebräischen verdrängt.
 
Selbstredend war das christliche Zeitalter ein Zeitalter des Antijudaismus, und selbstredend hatten die Bibel und ihre Interpreten daran großen Anteil.

Ich bin nur sehr dagegen, die Kirche und das Christentum in historischer Zeit als monolithische antijüdische Kraft abzuhandeln.
Juden haben sich mehrheitlich? seit der Zerstörung des Tempels im Jahr 70, vor allem aber seit dem Ansiedlungsverbot in Jerusalem durch Kaiser Hadrian im Jahr 135 in alle Himmelsrichtungen zerstreut. Im römischen Reich wurden sie jedoch, anders als die Christen, toleriert. Doch das änderte sich, nachdem die christliche Religion zur Staatskirche avancierte und neben sich keine andere Religion mehr duldete.

Schon in dieser Zeit, also in den ersten Hälfte des ersten Jahrtausends, geht es gegen Juden – Zitat (Fettschreibung durch mich):

1. Einführung
(…)
Die Trennung, das gegenseitige Schisma zwischen Judentum und Christentum war ein langer und sehr komplizierter Prozess, der je nach Ort unterschiedlich war und bis zum zweiten, dritten Jahrhundert, mancherorts vielleicht bis zum vierten, fünften Jahrhundert dauerte. Auch danach gingen die Dialektik zwischen den beiden Religionen sowie gegenseitige Abgrenzungen – auch im Bereich des Gottesdienstes – weiter. Seitens des Christentums entstanden leider eine Haltung der Herabwürdigung des Judentums sowie eine heftige antijüdische Polemik, die sich nicht nur in gelehrten Traktaten sondern auch in mehreren liturgischen Gesängen, Gebeten und Ritualhandlungen niederschlug und gelegentlich in drastische antisemitische Beschimpfungen ausartete.
Hinsichtlich der Liturgie stellt die antijüdische Polemik keine Erfindung der lateinischen und byzantinischen Liturgen und Hymnendichter dar, sondern sie hat ihre Wurzeln schon in der Frühkirche selbst.
(…)
Weiterhin stehen manche Schriften aus dem Neuen Testament, insbesondere das Johannesevangelium, denjenigen Juden und Jüdinnen, die Jesus nicht als den Messias annahmen, sehr polemisch gegenüber. Die lateinischen und byzantinischen Dichter beziehen sich auch auf die patristische Apologetik und auf gelegentliche Schimpftiraden gegenüber dem Judentum (u.a. Melito von Sardes, Ephräm der Syrer, Johannes Chrysostomos und Augustinus). Zudem spielt der gesellschaftliche Kontext eine Rolle, nämlich die Tatsache, dass das Judentum von der christlichen Übermacht – seit dem vierten Jahrhundert – herabgewürdigt und unterdrückt wurde.
(…)


2. Römisch-Katholische Kirche
(...)
Obwohl in den sich im Missale Romanum befindlichen Improperien weder die Juden und Jüdinnen namentlich genannt werden noch das angeklagte Volk verurteilt wird, ist der Text oft – statt auf die versammelte christliche Gemeinde – auf das jüdische Volk angewandt worden. Die vorausgegangene Johannespassion und ihre Dramaturgie, die vom Urteil Gottes über Juda und Efraim sprechende Lesung aus Hosea, die „Fürbitte“ für die Juden und Jüdinnen, die eher einer „Gegenbitte“ gleichkam, und der Brauch des Nicht-Kniens forcierten natürlich die Anwendung der Improperien auf das jüdische Volk. Vor diesem Hintergrund kam es im Lauf der westlichen Kirchengeschichte – vor allem im Hochmittelalter – mehrfach zu Pogromen am Karfreitag. Den Juden und Jüdinnen wurden nicht nur das Töten des Heilandes, sondern auch angebliche Hostienschändungen und Ritualmorde an christlichen Kleinkindern vorgeworfen. Volkstümliche, paraliturgische Passions- und Osterspiele beinhalteten nicht selten antisemitische Elemente, die den Judenhass schürten. Die Höhepunkte des christlichen liturgischen Jahres, die Karwoche und das Osterfest, waren also für Jüdinnen und Juden oft lebensgefährliche Zeiträume. Liturgischer Antijudaismus trug zum gesellschaftlichen gewalttätigen Antisemitismus bei.
(…)

3. Evangelische Kirche
(…)
Ebenso wenig wie die katholische Kirche, war die deutschsprachige evangelische Glaubensgemeinschaft immun gegen den Virus des Antisemitismus. Dazu trugen sowohl die im christlichen Abendland gängigen Vorurteile über Juden und Jüdinnen als auch die harten antisemitischen Verunglimpfungen Martin Luthers* bei. Zudem war die Judenmission
jahrhundertlang auch für den Protestantismus eine völlig „normale“ Sache.
(…)

4. Orthodoxe Kirche
(…)
Ich konzentriere mich jetzt auf den Antijudaismus, sogar Antisemitismus in den liturgischen Hymnen der Karwoche. Ein erstes Hauptthema in diesen Gesängen ist der „Gottesmord“. Die Juden und Jüdinnen werden als „der Schwarm der Gottesmörder und das frevelhafte Volk“, „die Verderbliche Gottesmördern“, „gottloses und verbrecherisches Volk“, „arrogantes Israel, mit Mord beflecktes Volk ...“, „neidisches, mörderisches und rachedurstiges Volk ...“ und „(zähne-
)knirschendes, allerbösartigstes Hebräergeschlecht ...“ bezeichnet.
Ein zweites Hauptthema ist die Absurdität des jüdischen Verbrechens. Die Juden und Jüdinnen töten nämlich ihren Wohltäter, der sich nicht nur immer um sie gekümmert und sie geheilt hat, sondern ihnen auch im Lauf ihrer Geschichte große Wohltaten erwiesen hat.
(…)
Ein Beispiel eines solchen Gesanges lautet: „Heute nagelten die Juden den Herrn ans Kreuz, der das Meer mit dem Stab spaltete und sie durch die Wüste führte. Heute durchstachen sie mit einer Lanze die Seite dessen, der um ihretwillen Ägypten mit Plagen heimsuchte, und sie gaben dem Galle zu trinken, der sie mit Manna als Speise überschüttete“.
Aufgrund ihrer Freveltaten werden die Juden und Jüdinnen zur Rechenschaft gezogen.
Wie im Westen begegnen wir auch hier den Anklagen Gottes gegen Sein Volk. Die Improperien sind in der Ostkirche in mehreren Formen schon seit der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends belegt. In den heutigen Gesängen erkennt man einen Stil, der dem der westlichen Improperien zwar sehr ähnlich, doch drastischer ist; außerdem – und dies ist sehr wichtig – spricht Christus das jüdische Volk nun wiederholt namentlich an. Dieser explizite Bezug auf die Juden und Jüdinnen erschwert es, dass die christliche Gemeinde die Klage Gottes auf sich selbst bezieht und sich zur Selbstkritik und Reue aufgefordert weiß.

Das alles spricht für die Macht der Kirchen, das einfache Volk zu indoktrinieren und ggf. aufzuwiegeln. Die drastische Sprache in den orthodoxen Kirchen macht mir jetzt, nachdem ich diesen Vortrag gelesen habe, verständlich, warum gerade im Einflussbereich dieser Kirche Pogrome so oft stattfanden mit der Folge, dass der Begriff Pogrom in unsere Sprache übergegangen ist.

* Auch der Theologe und Autor dieses Votrags (Basilius J. Groen) spricht vom Antisemitismus Luthers.
 
Die drastische Sprache in den orthodoxen Kirchen macht mir jetzt, nachdem ich diesen Vortrag gelesen habe, verständlich, warum gerade im Einflussbereich dieser Kirche Pogrome so oft stattfanden mit der Folge, dass der Begriff Pogrom in unsere Sprache übergegangen ist.
Inwiefern "im Einflussbereich dieser Kirche"?
Das wird man, denke ich, differenzieren müssen. Es kam im historischen Russland (teilweise die heutigen Nachfolgestaaten inkludierend) relativ oft zu antijudaistischen und antisemitischen Ausschreitungen und Pogromen.

Nach meinem Kentnisstand, lässt sich dass allerdings für den griechischen Raum, mit seinen ähnlichen lithurgischen Traditionen nicht so unbedingt nachvollziehen.

Meine spontane Antwort auf die sich aufdrängende Frage, warum es dazu im historischen Russland so oft kam, würde vermutlich dahingehen, dass die Konflikte, in denen sich diese Gebiete befanden insgesamt oft eine religiöse Komponente hatten.

Man bedenke die Zeit der mongolischen Oberherrschaft über die alten "Rus"-Fürstentümer, man bedenke die Auseinandersetzungen mit dem katholischen Deutschen Orden und dessen Missionsbestrebungen.
Im späteren Verlauf der Geschichte, wird für das orthodoxe Russland im besonderen der polnische Katholizismus zu einem virulenten und kraftvollen Feindbild und auf der anderen Seite, steht natürlich noch die jahrhundertelange Auseinandersetzung mit dem Osmanischen Reich, den muslimischen Krim-Tartaren und den Steppenvölkern Sibiriens.

Das die meisten großen Konflikte der russischen Geschichte auch irgendwo eine religiöse Dimension gehabt haben und die meisten Feinde, mit denen man es zu tun hatte, sich in irgendeiner Form auf Grund ihrer religiösen Andersartigkeit verteufeln/verketzern ließen dürfte insgeamt einem gewissen religiösen Eifer durchaus förderlich gewesen sein.
Und ich könnte mir duchaus vorstellen dass das zur Gewaltbereitschaft gegenüber jüdischen Gruppen beigetragen haben mag.

Beispielhaft hätte ich da gerade vor allem den Chmelnyzkyi-Aufstand vor Augen (auch wenn das seinerzeit nicht Russland, sondern Polen-Litauen war, es ist natürlich der raum in dem die orthodoxe Kirche einflussreich war), der sich aus Sicht der Aufständischen nicht nur auf der Nationalen Ebene als ein Aufstand gegen die polnischen (oder polonisierten) Herren, sondern durchaus auch als Aufstand gegen deren Katholizismus und die zunehmende Diskriminierung orthodoxer Gläubiger im polnisch-litauischen Reich (der orthodoxe Glauben wurde nicht offiziell verboten, de facto wurden Angehörige des orthodoxen Glaubens aber weitgehend aus den Zentren der Macht ausgeschlossen) verstehen.
Ein Grund für die damit im Zusammenhang stehenden Pogrome könnte sein, dass sich Teile der Aufständischen ohnehin auf einer Art Kreuzzug (primär gegen den Katholizismus ) wähnten.

Aber das ist nur eine Vermutung.
 
Zuletzt bearbeitet:
Juden haben sich mehrheitlich? seit der Zerstörung des Tempels im Jahr 70, vor allem aber seit dem Ansiedlungsverbot in Jerusalem durch Kaiser Hadrian im Jahr 135 in alle Himmelsrichtungen zerstreut. Im römischen Reich wurden sie jedoch, anders als die Christen, toleriert. Doch das änderte sich, nachdem die christliche Religion zur Staatskirche avancierte und neben sich keine andere Religion mehr duldete.
Moment! Antijudaismus und nicht dulden sind zwei paar Schuh. Die Leute konnten deftigst antijüdisch vom Leder ziehen, das änderte aber nichts daran, dass die Juden (bis ins 11. Jhdt. und mit Ausnahme Spaniens seit Sisebut) geduldet wurden. Die Juden waren unfreiwillige Zeugen der Wahrheit der christlichen Lehre. Insofern waren sie wichtig, „Gottesmörder“ hin oder her. Du musst da schon unterscheiden zwischen grundsätzlicher Feindseligkeit und trotzdessen praktizierter Toleranz.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wären die Juden nicht toleriert worden, dann hätte die westgotische Gesetzgebung, dass Juden keine christlichen Sklaven kaufen, verkaufen oder besitzen durften, keinen Sinn gehabt, denn es hätte keine Juden gegeben.
Wären die Juden nicht toleriert worden, hätte Agobard nicht gegen Ludwigs des Frommen Judenpolitik agitieren ‘müssen’.
Wären die Juden nicht toleriert worden, und den Christen der Zinswucher verboten, den Juden aber Land zu besitzen und manches Handwerk, wäre das wirkmächtigste antisemitische Klischee nicht existent.
Wären die Juden nicht toleriert worden, hätte es keine jüdischen Gemeinden gegeben, welche Pogromen und Vertreibungen zum Opfer fielen.

Wir müssen uns als Historiker immer dessen gewahr sein, dass in vormodernen Zeiten das Außergewöhnliche, das Erwähnenswerte berichtet wird, nicht der Normalfall, der gewöhnliche Alltag. So viel zur Ereignisgrschichte.

Zur Ideengeschichte:
Wenn niemand einen Anlass hat, seine Unzufriedenheit auszudrücken, dann schreibt auch niemand. Erst wenn jemand einen Anlass hat, seine Unzufriedenheit auszudrücken, dann wird geschrieben. Samuel ibn Nagrelah war jahrzehntelang unbehelligt Großwesir (Dhū ‘l-wizaratayn) von Granada, er war sowohl ein guter Diplomat als auch ein guter General und obendrein ein Poet. Sein Sohn Jehoseph folgte ihm im Amt. Unter ihm lief es wohl nicht so gut und die Talkāta wollten iihre Machtposition zurück. Da half ein Gedicht von Abū Isḥāq al-Ilbirī eine antijüdische Stimmung anzufachen, es kam zum Pogrom.
 
Moment! Antijudaismus und nicht dulden sind zwei paar Schuh.
(…)
Du musst da schon unterscheiden zwischen grundsätzlicher Feindseligkeit und trotzdessen praktizierter Toleranz.
Wir haben das schon x-mal diskutiert – oder hast du vergessen den Disput zwischen Ambrosius von Mailand und dem Kaiser Theodosius über den Pogrom der Christen im Jahr 388 gegen Juden in Callinicum, bei dem u.a. auch die Synagoge zerstört wurde, die dann nach Kaisers Befehl von Christen wieder aufgebaut werden sollte, was Ambrosius aber durch eine Erpressung des Kaiser verhinderte.
Toleranz war gesetzlich vorgeschrieben, aber die Kleriker ignorierten sie ungestraft.
Das sprach sich wohl herum, so dass im Jahr 410 in Palästina wieder Synagogen brannten. Dann gab es den Bischof Kyrill von Alexandrien, der Juden aus Alexandrien vertrieb, und auf Menorca hat ein Bischof (Severus von Menorca) Juden gezwungen, sich taufen* zu lassen, wobei ihre Synagoge niedergebrannt wurde. Im 7. Jahrhundert ordnete Kaiser Herakleios Zwangstaufen von Juden an.

Und: Christinnen wurde auf der Synode von Elvira verboten, Juden zu heiraten. Als ich das las, musste ich gleich an die Gesetze der Nazis denken.

* Zwangstaufen waren zu der Zeit im RR verboten.
 
* Zwangstaufen waren zu der Zeit im RR verboten.
Zwangstaufen waren im Prinzip immer verboten, da Glauben nicht erzwungen werden kann. Dennoch wurden sie immer wieder durchgeführt und Renegation war ebenso verboten, was ein Widerspruch ist und die Kirche oft in Bedrängnis brachte. Es gibt da einen Fall aus Italien: Ein Bischof ließ die Kinder einer jüdischen Familie entführen und gegen den Willen der Eltern taufen. Die jüdische Gemeinde wandte sich an die Inquisition, die nun vor dem Problem stand, dass Zwangstaufen nicht licit waren, Renegatentum aber auch nicht. Also fällte die Inquisition ein aus ihrer Sicht salomonisches Urteil - aus unserer Sicht oder der der Eltern freilich ein höchst unbefriedigendes: es gab die Hälfte der Kinder in die Obhut des Bischofs zur christlichen Erziehung, die andere Hälfte zurück an ihre Urspungsfamilie, damit diese sie in ihrem Sinne erziehe.

Christinnen wurde auf der Synode von Elvira verboten, Juden zu heiraten. Als ich das las, musste ich gleich an die Gesetze der Nazis denken.
Weil du, wie immer, nicht differenzierst. Die Gesetze der Nazis waren rassistisch motiviert. Die Synode von Elvira hingegen fand in einer Zeit statt, als der pater familias die Geschicke der Familie bestimmte. Auch wenn das rabbinische Judentum die Regel kennt, dass eine jüdische Mutter - mater semper certa erst - ein Kind zum Juden macht, war für die im römischen Recht lebenden Menschen klar, dass der Vater das Schicksal der Familie bestimmte. Heiratete eine Christin einen Juden waren nach diesem römischen Rechtsdenken die Kinder für das Christentum verloren. Es wäre völlig gleichgültig gewesen, wenn die Christin einen jüdisch geborenen Christen geheiratet hätte. Denn dann wären auch die Kinder nach römischer Vorstellung christlich gewesen.
Etwas ganz anderes dagegen die Rassegesetze der Nazis.

Wir haben das schon x-mal diskutiert – oder hast du vergessen den Disput zwischen Ambrosius von Mailand und dem Kaiser Theodosius über den Pogrom der Christen im Jahr 388 gegen Juden in Callinicum, bei dem u.a. auch die Synagoge zerstört wurde, die dann nach Kaisers Befehl von Christen wieder aufgebaut werden sollte, was Ambrosius aber durch eine Erpressung des Kaiser verhinderte.
Toleranz war gesetzlich vorgeschrieben, aber die Kleriker ignorierten sie ungestraft.
Das sprach sich wohl herum, so dass im Jahr 410 in Palästina wieder Synagogen brannten. Dann gab es den Bischof Kyrill von Alexandrien, der Juden aus Alexandrien vertrieb, und auf Menorca hat ein Bischof (Severus von Menorca) Juden gezwungen, sich taufen* zu lassen, wobei ihre Synagoge niedergebrannt wurde. Im 7. Jahrhundert ordnete Kaiser Herakleios Zwangstaufen von Juden an.
Du kannst noch hunderte weitere solcher Beispiele finden, sie ändern aber nichts daran, dass Juden im großen und ganzen unbehelligt in den christlichen Herrschaften bis ins 11. Jhdt. leben konnten.

Wenn es die Duldung nicht gegeben hätte, dann hätte es auch beim Konzil von Elvira keine Notwendigkeit gegeben, Juden zu verbieten, christliche Sklaven zu kaufen, zu verkaufen oder zu besitzen oder Christinnen die Eheschließung mit Juden zu verbieten. Etc.

Natürlich gab es Verfolgung, das stellt doch niemand in Abrede. Aber diese Zivilisationsbrüche sind - historisch betrachtet - punktuelle Ereignisse. Es sind eben die Ausnahmen und nicht die Regel, denn: Nur wo eine jüdische Gemeinde existiert, kann sie auch angegriffen werden. Hätte es nicht prinzipiell die Duldung gegeben, könntest du all deine häßlichen Beispiele für den Zivilisationsbruch gar nicht aufzählen.

Ich wies im vorherigen Beitrag daraufhin, dass Quellen in vormodernen Zeiten das Wichtige/Außergewöhnliche berichten. Wenn der Mob die Synagoge in Brand gesteckt hat oder ein übereifriger Pope gegen alle theologischen Richtlinien Leute zwangstaufte, kommt das in den erzählenden Quellen vor. Aber der normale Alltag ist eben nicht historiographisch in Traditionsquellen dokumentiert. Der ist in Überrestquellen dokumentiert. In einer Straße, in der über mehrere Jahrzehnte Juden lebten, in einer Synagoge, die gebaut wurde, in Rechts- und Geschäftsdokumenten, die nie tradiert wurden (weil sie dafür nicht geschaffen waren!). Solche Archivalien sind überhaupt erst gegen Ende des 19. Jhdts. als historische Quellen wirklich entdeckt worden und sind oft für die Auswertung sehr sperrig. Eine Liste mit ein paar Namen drauf über Steuerzahlungen ist selbst für viele ausgebildete Historiker ein sowohl trockenes als auch unzugängliches Schriftstück, das muss man im Archiv finden und seinen Wert für die richtige historische Fragestellung erkennen.
Und weil die Traditionsquellen im doppelten Sinne zugänglich, die Überrestquellen aber im doppelten Sinne unzugänglich sind, siehst du am Ende nur die Geiferer, weil die von sich Reden machten, aber du übersiehst die Friedfertigen, welche ein Zusammenleben über Jahrhunderte ermöglichten. Kein Ereignis - kein Bericht.
 
Juden haben sich mehrheitlich? seit der Zerstörung des Tempels im Jahr 70, vor allem aber seit dem Ansiedlungsverbot in Jerusalem durch Kaiser Hadrian im Jahr 135 in alle Himmelsrichtungen zerstreut.

Du erwähnst die Tempelzerstörung des Jahres 70 und gehst kommentarlos drüber. Ist Dir klar, dass das das einschneidendste Ereignis in der Geschichte der jüdischen Religion war? Da wurde nicht etwa halt ein besonders wichtiges Heiligtum der jüdischen Religion zerstört, sondern der einzige Ort, an dem dem einzigen Gott Anbetung und Opfer dargebracht werden konnten. Mit der Zerstörung des Tempels wurde das jüdische Priestertum aus der Geschichte ausradiert.

"Mit der Zerstörung des Zweiten Tempels von Jerusalem im Jahr 70 n. d. Z. begann eine neue Ära in der Entwicklung des Judentums, die sich tiefgreifend auf seine sämtlichen Formen, die bis heute überlebt haben, auswirkte. Wahrscheinlich konnte damals kein Jude auch nur ahnen, wie tiefgreifend sich seine Religion infolge der Tempelzerstörung verändern sollte.
[...]
Die Einnahme Jerusalems im Jahr 70 n. d. Z. veränderte die Beziehungen zwischen dem römischen Staat und den Juden unwiderruflich. Gleichgültig, ob der Tempel absichtlich oder aus Versehen zerstört wurde - als es geschehen war, behandelte die neue kaiserliche Dynastie unter ihrem Oberhaupt Vespasien die Zerstörung als Wohltat für den Frieden im römischen Reich. [...] Juden erhielten künftig von Rom nicht mehr die Erlaubnis, in Jerusalem Gott mit Opfern und Gaben zu verehren. Sämtliche Juden waren stattdessen ab jetzt verpflichtet, der kaiserlichen Staatskasse eine Sondersteuer zu entrichten, deren ursprünglicher Verwendungszweck der Wiederaufbau des Tempels des Jupiter Capitolinus in Rom war. Einst hatten die Juden Privilegien für die Ausübung ihrer angestammten Religion genossen; jetzt blieb ihnen nur noch der schwache Trost, die Teilnahme an religiösen Riten ablehnen zu dürfen, die sich an andere Götter richteten."

(Martin Goodman, Die Geschichte des Judentums: Glaube, Kult, Gesellschaft)

Vgl. Ingomar Weiler: Titus und die Zerstörung des Tempels von Jerusalem – Absicht oder Zufall? In: Klio 50 (1968).

"fertur Titus adhibito consilio prius deliberasse, an templum tanti operis everteret. etenim nonnullis videbatur, aedem sacratam ultra omnia mortalia illustrem non oportere deleri, quae servata modestiae Romanae testimonium, diruta perennem crudelitatis notam praeberet. at contra alii et Titus ipse evertendum in primis templum censebant, quo plenius Iudaeorum et Christianorum religio tolleretur"


("Es wird berichtet, Titus habe einen Kriegsrat einberufen, um zu erwägen, ob er ein so großartiges Bauwerk wie den Tempel zerstören solle. Etlichen schien es zwar, dass es nicht anginge, ein über alles Sterbliche berühmtes Gotteshaus zu vernichten, welches als Zeugnis römischer Mäßigung dienen könnte, als Ruine jedoch ein bleibendes Zeichen der Grausamkeit böte. Andere hingegen, und auch Titus selbst waren der Meinung, dass der Tempel vor allem zerstört werden müsse, um die Religion der Juden und Christen möglichst vollständig wegzuraffen.")

(Dass Sulpicius Severus die Christen hier noch mit unterbringt, dürfte seiner spätantiken Sichtweise geschuldet sein; er muss aber ältere Quellen zur Verfügung gehabt haben.)



Im römischen Reich wurden sie jedoch, anders als die Christen, toleriert. Doch das änderte sich, nachdem die christliche Religion zur Staatskirche avancierte und neben sich keine andere Religion mehr duldete.

Quatsch mit Soße.

"Die Kaisergesetze gewährleisteten körperliche Unversehrtheit, Schutz vor Beraubung und Schutz der Privatwohnung. Parallel zur christlichen audientia episcopalis ist auch ein jüdisches Schiedsgericht in Zivilsachen erlaubt bei Einverständnis beider Prozessparteien. In religiösen Fragen hatten die jüdischen Vorsteher (primates, patriarchae) das alleinige Entscheidungsrecht. Den Juden verboten waren Ehen mit Christen sowie die Polygamie. Testamente, deren Erblasser zum Judentum konvertiert war, hatten keine Rechtswirkung und konnten, allerdings nur innerhalb von fünf Jahren, angefochten werden. Die Religionsausübung betreffende Regelungen bestanden meistens in Privilegien: Judentum war eine religio licita mit Versammlungsfreiheit; der jüdische Klerus wurde steuerlich wie der christliche behandelt; hier spielte vor allem die Kuriatspflicht eine Rolle: Waren Kleriker anfangs unter Konstantin von Kuriatslasten befreit, mussten sie ab 383 u. Z.vorher ihre Verpflichtungen erfüllt haben, bevor sie Kleriker werden konnten. Der jüdische Patriarch war vor übler Nachrede geschützt und durfte, mit einer kurzen Unterbrechung im Westen, die „Patriarchensteuer“ einziehen, ähnlich also der alten Tempelsteuer, bis nach Aussterben des Patriarchats das Geld in die Staatskasse floss. Synagogen genossen staatlichen Schutz und waren frei von Einquartierungen; der Sabbat und andere jüdische Feiertage wurden respektiert. Dem stehen beschränkende Vorschriften entgegen, die verstärkt nach der Entmachtung des Patriarchen Gamaliel 415 u. Z. auftraten: Apostasie vom Christentum zum Judentum ist verboten [...] Die schiedsrichterliche Funktion des Patriarchen ist ab 415 u. Z. auf Juden beschränkt. [...] Der Neubau von Synagogen wird verboten, und jüdische Feste wie das Purimfest durften nicht in Verspottung des Christentums ausarten. [...] Unter den wirtschaftlichen Maßnahmen ist der Besitz und die Beschneidung von Sklaven ein zentrales Thema. [...] Beschneidungsverbot an nichtjüdischen Sklaven, eine bereits in vorchristlicher Zeit bestehende Vorschrift [...] Kauf- und Beschneidungsverbot von nichtjüdischen Sklaven [...] Grundsätzlich existierte also ein Besitzrecht an christlichen Sklaven, sofern diese sich zum Zeitpunkt des betreffenden Gesetzes bereits in jüdischem Besitz befanden und ihren Glauben weiterhin ausüben konnten. [...] Zu Beginn des 5. Jahrhunderts beginnt die Reihe der Berufsverbote für Juden im Staatsdienst."

Karl Leo Noethlichs, Der rechtliche Status der Juden im römischen Reich - Tradition und Wandel in der römischen Judengesetzgebung vom 2. Jahrhundert v. u. Z. bis zum 6. Jahrhundert u. Z., in: "Religio licita?" Rom und die Juden, hrsg. Görge K. Hasselhoff und Meret Strothmann, Berlin 2017
 
@El Quijote und @Sepiola haben bereits alles Notwendige gesagt, insbesondere zur Situation der Christen bis ins Hochmittelalter und zur rechtlichen Rolle des Judentums nach der konstantinischen Wende. Nur ein Nachsatz von mir: Der Begriff der "Toleranz", der durchaus in mittelalterlichen Quellen auftaucht und für verschiedene als Toleranzedikte beschreibbare Rechtsakte Relevanz besitzt, ist nicht mit unserem heutigen Toleranzverständnis gleichzusetzen. Das Verb tolerare bedeutet "ertragen", "erleiden", "erdulden". Mittelalterliche Toleranz ist keine Tugend, die man einfordern kann, sondern meint letzten Endes die Gewährung eines Privilegs, für das der Privilegierte gefälligst dankbar zu sein hatte: Ich lasse dich in Ruhe, obwohl ich dich auf den Tod nicht ausstehen kann. Judenhass und mehr oder weniger konfliktarme Koexistenz sind in diesem Sinne keine Gegensätze.
 
Du kannst noch hunderte weitere solcher Beispiele finden, sie ändern aber nichts daran, dass Juden im großen und ganzen unbehelligt in den christlichen Herrschaften bis ins 11. Jhdt. leben konnten.
(…)
Natürlich gab es Verfolgung, das stellt doch niemand in Abrede. Aber diese Zivilisationsbrüche sind - historisch betrachtet - punktuelle Ereignisse.
Hunderte Beispiele, aber alles nur "punktuelle Ereignisse", sprich Einzelfälle. Na, wenn du meinst.

Wenn der Mob die Synagoge in Brand gesteckt hat oder ein übereifriger Pope gegen alle theologischen Richtlinien Leute zwangstaufte, kommt das in den erzählenden Quellen vor.
Bei mir war es Bischof, der zwangstaufte, bei dir ist es nur ein übereifrigen Pope.

Und der Mob hat sich nicht aus heiterem Himmel zusammengerottet, sondern wurde zuvor vielfach von Klerikern mit Hassreden dazu gebracht – ich zitiere noch einmal Basilius J. Groen:

Seitens des Christentums entstanden leider eine Haltung der Herabwürdigung des Judentums sowie eine heftige antijüdische Polemik, die sich nicht nur in gelehrten Traktaten sondern auch in mehreren liturgischen Gesängen, Gebeten und Ritualhandlungen niederschlug und gelegentlich in drastische antisemitische Beschimpfungen ausartete.

Wer glaubt, dass alles hätte keine oder kaum Wirkung auf das gläubige Volk gehabt, der irrt oder will diese Hassreden relativieren.

Im römischen Reich wurden sie jedoch, anders als die Christen, toleriert. Doch das änderte sich, nachdem die christliche Religion zur Staatskirche avancierte und neben sich keine andere Religion mehr duldete.
Quatsch mit Soße.
Du negierst also, dass es im RR Christenverfolgungen gab, während Juden in dieser Zeit weiter geduldet/toleriert wurden?

Das Regime änderte sich, wie oben von mir schon gesagt, als das Christentum ans Ruder kam: Christen wurden privilegiert und Juden marginalisiert, d.h. sie wurden ihrer Rechte, die sie auch nach der Zerstörung des Tempels noch hatten, nach und nach beraubt. So wurde z.B. der jüdische Patriarch Gamaliel VI. im Jahr 415 abgesetzt und das Patriarchat selbst im Jahr 429 vom Kaiser Theodosius II. beendet. Es ist dokumentiert, dass etwa zu gleicher Zeit Juden nicht in den Staatsdienst eintreten dürfen, worauf zu schließen ist, dass sie vorher das durften.

"Die Kaisergesetze gewährleisteten körperliche Unversehrtheit, Schutz vor Beraubung und Schutz der Privatwohnung.
Wieviel diese Gesetze wert waren, sah man am Beispiel Ambrosius von Mailand: Nach dem Pogrom in Callinicum, von einem Bischof initiiert, sollte nach dem Willen des Gesetzes und des Kaisers der Bischof bestraft und die Synagoge wieder aufgebaut werden, aber Ambrosius "redete" mit dem Kaiser so lange, bis dieser davon Abstand nahm.

Auch Kyrill von Alexandrien wurde für seine Untaten nicht bestraft – Zitat:

Kyrillos’ erstes Opfer wurden die Juden Alexandrias. Den Boden dafür hatte der berühmte Patriarch von Konstantinopel Johannes Chrysostomos bereitet, der Ende des 4. Jahrhunderts gepredigt hatte: „Die Synagoge ist nicht nur ein Bordell … sie ist eine Räuberhöhle, eine Behausung für wilde Tiere.“
In diesem Sinn stürmten die Parabalani und der ihnen folgende Mob die Viertel der Juden, vertrieben die Bewohner und raubten ihren Besitz.
(…)
Kyrillos blieb unbehelligt, amtierte bis zu seinem Tod 444 und wird heute noch als Kirchenlehrer verehrt.


Übrigens: In der Wikipedia steht über den im Zitat erwähnten Johannes Chrysostomos u.a. Folgendes:

In den östlich-orthodoxen Kirchen wird er seit dem 10. Jahrhundert als einer der drei heiligen Hierarchen verehrt, zusammen mit Basilius dem Großen und Gregor von Nazianz. Für das westliche Christentum ist er einer der vier Kirchenlehrer des Ostens (zusammen mit Athanasius von Alexandria und den erwähnten Basilius und Gregor).

Was lernen wir daraus? Auch damals schon gab es Schreibtischtäter, die aber weiter als ökumenische Heilige verehrt werden, d.h. im Osten wie im Westen.
 
Du negierst also, dass es im RR Christenverfolgungen gab, während Juden in dieser Zeit weiter geduldet/toleriert wurden?
Der nächste Quatsch. Was willt Du mit derart kindischen Ablenkungsmanövern erreichen?
Wir diskutieren doch hier nicht, ob es im Römischen Reich Christenverfolgungen gegeben hat, ich habe lediglich Deine Behauptung, das Judentum sei unter der spätrömischen Staatskirche nicht mehr geduldet worden, widerlegt.
Es ist dokumentiert, dass etwa zu gleicher Zeit Juden nicht in den Staatsdienst eintreten dürfen, worauf zu schließen ist, dass sie vorher das durften.
Auch da wäre zu fragen, in welchem Zeitraum und in welchem Umfang. Im Jahr 321 erließ Kaiser Konstantin ein Gesetz, das es Stadträten erlaubte, Juden in den Rat zu berufen...
 
Hunderte Beispiele, aber alles nur "punktuelle Ereignisse", sprich Einzelfälle. Na, wenn du meinst.

Gehen wir mal vom kirchlichen Antijudaismus weg, einfach nur mal, um die Problematik zu verdeutlichen.

Im Schatten des Vesuvs gibt es eine ganze Reihe Städte und Dörfer. Am bekanntesten sind Neapel und Pompei.
Was fällt uns ein, wenn wir am Pompei denken?
Der Vesuvausbruch von 79.
Was fällt uns ein wenn wir an Neapel denken?
- der griechische Ursprung
- Hauptstadt des Königreichs beider Sizilien und der Konfl8kte zwischen verschiedenen Dynastien,
- Mafia
- Pizza (Napoli, Magarita)
- Verkehrschaos
- Müllchaos
- Leben mit dem Risiko (Vesuv, phlegräische Felder)

Obwohl auch Pompei eine lange Geschichte hatte, nehmen wir diese nur von ihrem katastrophalen Ende her war. Bzw. den archäologischen Glücksfall, dass durch den Vulkanausbruch das römische Leben von Herculaneum, Pompei und benachbarten Ortschaften eingefroren und versiegelt wurde.

Und so ist das auch bei den Pogromen, auf die du rekurrierst: Wir wissen dass in Köln spätestens seit dem 3. Jhdt, eine jüdische Gemeinde existierte, wahrscheinlich bereits früher und in den anderen Rheinstädten wird es kaum anders gewesen sein. Du siehst aber nur den Zivilisationsbruch, der wenige Stunden bis Tage dauerte, aber die Jahrhunderte vor dem Zivilisationsbruch finden bei dir praktisch nicht statt, sie sind nicht existent.
Das ist so ähnlich, wie wenn islamophobe Christen auf die Zerstörungen von Kirchen im Orient rekurrieren und diese verabsolutieren, obwohl diese ebenfalls die Ausnahme und nicht die Regel waren.
Du verabsolutierst in einer Tour die Ausnahme und bemerkst dabei nicht einmal den Widerspruch, in den du dich verstrickst. Wenn das Christentum immer und überall so intolerant gewesen wäre, dann hätte es in Europa keine jüdische Bevölkerung gegeben, gegen die sich antijüdische Gesetze oder Pogrome hätten richten können.

Bei mir war es Bischof, der zwangstaufte, bei dir ist es nur ein übereifrigen Pope.
Lies doch bitte die Beiträge korrekt, bevor du dich echauffierst:
Es gibt da einen Fall aus Italien: Ein Bischof ließ die Kinder einer jüdischen Familie entführen und gegen den Willen der Eltern taufen. Die jüdische Gemeinde wandte sich an die Inquisition, die nun vor dem Problem stand, dass Zwangstaufen nicht licit waren, …

Und der Mob hat sich nicht aus heiterem Himmel zusammengerottet, sondern wurde zuvor vielfach von Klerikern mit Hassreden dazu gebracht – ich zitiere noch einmal Basilius J. Groen:

Seitens des Christentums entstanden leider eine Haltung der Herabwürdigung des Judentums sowie eine heftige antijüdische Polemik, die sich nicht nur in gelehrten Traktaten sondern auch in mehreren liturgischen Gesängen, Gebeten und Ritualhandlungen niederschlug und gelegentlich in drastische antisemitische Beschimpfungen ausartete.
Dem, was Groen schreibt, widerspreche ich doch gar nicht, im Gegenteil, ich habe sinngemäß dasselbe geschrieben:

Die Leute konnten deftigst antijüdisch vom Leder ziehen,
Das führte aber dennoch nicht zu einer permanenten Bedrohungssituation. Denn sonst hätte es keine jüdischen Gemeinden, keine jüdischen Synagogen, keine Mikwen, keine Friedhöfe gegeben und selbst das heute bekannteste und immer noch wirkmöchtige antisemitische Klischee hätte keine Grundlage, da diesem erst im Mittelalter durch das Verbot von Zinswucher für Christen und dem Verbot von vielen ehrlichen Berufen für Juden eine Grundlage geschaffen wurde. Das gäbe es alles nicht, denn es hätte keine Juden in Europa gegeben.

Wer glaubt, dass alles hätte keine oder kaum Wirkung auf das gläubige Volk gehabt, der irrt oder will diese Hassreden relativieren.
das ist populistischer Unsinn! Niemand hier relativiert Antijudaismus oder Pogrome etc.
Es wird im Großen und Ganzen nicht einmal negiert, dass die von die gebrachten Fakten stimmen. Die Grundlage dieser Diskussion ist, dass du die Fakten einseitig verzerrst (und eben die langen Friednsphasen ignorierst und lediglich die Zivilisationsbrüche sehen WILLST).

Nach dem Pogrom in Callinicum, von einem Bischof initiiert, sollte nach dem Willen des Gesetzes und des Kaisers der Bischof bestraft und die Synagoge wieder aufgebaut werden, aber Ambrosius "redete" mit dem Kaiser so lange, bis dieser davon Abstand nahm.
Das ist, so wie von dir dargestellt nicht korrekt, das hatten wir auch im November schon. Bei aller Kaltschnäuzigkeit, die Ambrosius an den Tag legt (Verursacherprinzip und so), kritisiert er das Urteil des Kaisers in einem Punkt berechtigt. Der Bischof müsse gehört werden. Wir wissen de facto nicht, ob der Bischof etwas mit der Zerstörung der Synagoge zu tun hatte, wie du es darstellst, wir wissen nur, dass Ambrosius (dies seine Kaltschnäuzigkeit) gegen die Wiederherstellung der Synagoge durch die Kirche war (und seine Gründe dafür) und, dass er verlangte, dass der Bischof gehört werden müsse.

Edit: Formatierungsfehler behoben.
 
Zuletzt bearbeitet:
An @Sepiola und @El Quijote

Was ich sagen wollte und auch sagte, ist: Sobald das Christentum im RR an die Macht kam, änderte sich die Lage für alle anderen Religionen zum Schlechten: Die Toleranz des RR war keine mehr, von ursprünglich vielen legitimen Religionen gab es nur noch eine: Die christliche.

Alle anderen wurden verfolgt oder marginalisiert. Und das steigerte sich langsam, die Missionäre bekehrten Heiden zum "richtigen" Glauben, wenn nicht auf friedlichem Weg, dann halt mit Gewalt, wie das mit den Sachsen geschah und später in Kreuzzügen gegen Albigenser und Litauer, wobei man das Wüten in Afrika und der Neuen Welt nicht vergessen sollte.

Und wer sich später, also nach den Kreuzzügen, nicht bekehren ließ, der musste, wie die Juden, Verfolgungen mit Todesdrohungen hinnehmen, wie Luther es auf Deutsch, also für das einfache Volk, so plastisch beschrieb, aber nicht in die Tat umsetzte, weil, so ein User dieses Forums mal, man Synagogen damals nicht anzünden konnte, ohne die Nachbarhäuser oder die ganze Stadt zu gefährden.

Na ja, die Zeiten ändern sich und Nazis konnten dann das, was Luther vorschlug, umsetzen, wobei sie es dabei nicht beließen, sondern weiter gingen in ihrem Wahn. Warum? Weil sie es konnten, weil niemand sie daran hinderte.

O ja, es wurde mit brennender Sorge ein Schreiben verfasst, aber die abscheuliche Tat und die Täter nicht mit Namen genannt, obwohl man nichts befürchten musste, denn gegen die Hälfte des deutschen Volkes hätten auch Nazis nichts unternehmen können, ohne sich selbst zu schwächen.

Natürlich wird es weiter Konflikte geben, auch zwischen den Religionen, die Welt ist eben keine friedliche, wahrscheinlich noch nie gewesen. Doch es ist eine Sache, sich durch Kriege zu bereichern und/oder sich ein vermeintlich besseres Leben verschaffen zu wollen, und eine andere, Kriege und Verfolgung zu betreiben, nur weil man keine andere Meinung duldet. Das ist an sich schon verwerflich, aber umso mehr ist es das, wenn Kriege und Verfolgungen von führenden Vertretern einer Religion initiiert, forciert und mitunter auch selbst durchgeführt werden, die von sich behauptet, eine friedfertige zu sein. Diese Scheinheiligkeit ist es, die ich nicht ertragen kann.
 
Was ich sagen wollte und auch sagte
Gesagt hast Du, dass die Juden im römischen Reich toleriert worden seien (korrekt), dies habe sich geändert, als die Staatskirche keine andere Religion mehr duldete (Quatsch, denn die Religion der Juden wurden auch weiterhin gedultet = toleriert).

Wenn Du das nicht sagen wolltest, was Du gesagt hast, dann ist für mich die Sache erledigt.
 
Stimmt: In Bezug auf die jüdische Religion war meine Aussage "keine andere Religion mehr duldete" nicht korrekt.
 
Ich zitiere aus dem - recht verstörenden - Bericht von Schlomoh bar Schimon über die Massaker ab dem 29. Mai 1096 in Köln:

Es war am 5. Siwan, (29. Mai 1096) dem Vortag des Schawuotfestes, als die Botschaft von Speyer, Worms und Mainz nach Köln kam, der schönen Stadt, der Stätte der Gerechtigkeit, aus der Recht und Fürsorge ausgingen für unsere nach allen Winden zerstreuten Brüder. Und auch hier begann das Morden und währte vom Schawuotfest bis zum achten Tage des Tammus (1. Juni 1096).
Als sie hörten, dass die Gemeinden erschlagen seien, flüchteten sie, ein jeglicher zu seinem christlichen Bekannten, und verweilten da die beiden Tage des Festes. Aber am Morgen des dritten Tages brach der Sturm los. Die Feinde zerstörten jüdische Häuser, raubten und plünderten, rissen das Bethaus nieder, holten die Torahrollen heraus, schändeten sie und verstreuten sie auf den Straßen. An demselben Tage, da einst die Erde erbebte und ihre Säulen wankten, weil die Torah gegeben wurde, wurde diese jetzt von Frevlern zerrissen, verbrannt, zertreten, entweiht.​
Einen Frommen, Mar Izchak ben R. Eljakim, der wegen des Festes nicht hatte flüchten wollen und lieber freudig das Urteil des Himmels annahm, trafen die Feinde eben, da er aus seinem Hause trat. Sie ergriffen ihn und führten ihn in die Kirche. Er aber spie vor ihnen und ihren Bildern aus und schmähte sie. Da erschlugen sie ihn, und er starb und heiligte den göttlichen Namen. Auch eine angesehene Frau, namens Riwkah, hatte das gleiche Los. Sie wollte zu ihrem Mann, R. Schlomo, der schon vordem bei einem christlichen Bekannten Zuflucht gefunden hatte, und trug goldenes und silbernes Gerät in den Händen. Die Feinde nahmen ihr das Gut und erschlugen sie. So starb sie in Heiligkeit, und gleicherweise noch eine Frau, namens Matrona. Die übrigen der Gemeinde wurden verschont; sie blieben bei ihren christlichen Bekannten, bis sie Bischof Hermann am 10. Siwan (3. Juni 1096) in sieben seiner Ortschaften verteilte, um sie zu retten.
Es folgen dann die Berichte über viele Einzelschicksale, von Menschen die gemartert und ermordet wurden oder, um Zwangstaufen zuvorzukommen, Selbstmord begingen etc.
 
Martin Luthers Bibelübersetzung war mitnichten die erste deutschsprachige oder die einzige Bibelübersetzung. Luther war lediglich der Erste, der die Originalschriften aus dem Griechischen und Hebräischen übersetzte und nicht die lateinische Vulgata. Die ersten deutschen Bibelübersetzungen gab es schon im frühen 9. Jahrhundert, und es gab vor der Reformation nicht weniger als 70 deutsche Bibelübersetzungen.

Bibelübersetzung – Wikipedia

Ich habe an anderer Stelle schon mal das Bild von der omnipotenten Kirche in Frage gestellt, es gab gewisse Lehrmeinungen, die sich durchsetzten, grundsätzlich aber war in der Kirche durchaus Raum für Kontroverse, Raum für unterschiedliche Interpretationen. Davon künden nicht zuletzt auch das Froße Abendländische Schisma und jede Menge Päpste und Gegenpäpste.
Das ist ein Zitat aus einem anderen Faden, das aber besser hier passt, weil die Macht der Kirche doch größer war, als der von @Scorpio verlinkte Artikel suggeriert.

Während @Scorpio einen Link auf Wikipedia-Artikel über die Zahl Bibelübersetzungen verweist, die ich übrigens nicht anzweifle, verweise ich hier auf Bibelverbote. Daraus geht hervor, dass es zwar Bibelübersetzungen in den Landessprachen gab, diese aber von Laien nicht gelesen durften.

Die Zahl dieser Verbote (da waren übrigens Ferdinand II. und Isabella I. auch dabei, deren Verbot galt in Spanien bis 1778) ist zu groß, um sie hier alle zu behandeln, deswegen möchte ich nur eines zitieren, aus dem hervorgeht, dass die Angabe @Scorpios, "es gab vor der Reformation nicht weniger als 70 deutsche Bibelübersetzungen" zwar richtig sein mag, aber von dieser großen Anzahl der Übersetzungen durfte ein gläubiger Mensch keinen gebrauch machen.

Warum? Weil Bischöfe und Päpste dagegen waren – Zitat: Ebenso wurde eine Übersetzung der Bibel vom Lateinischen in die Volkssprache unterdrückt, da – so Henneberg [Erzbischof und Kurfürst von Mainz, im Jahr 1485] – „die Ordnung der heilige Messe“ durch die Übersetzung ins Deutsche „geschändet“ würde. Papst Leo X. (1475-1521) bestärkte 1515 dieses Verbot, da er eine wild wuchernde Verbreitung von „Glaubensirrtümern“ befürchtete. Würde auf einmal jeder die Bibel lesen können, werde diese entweiht und die alleinige Vormachtstellung des Klerus zur Auslegung der heiligen Schrift gefährdet.

Man wusste also schon damals: Wissen ist Macht.

Und 44 Jahre später kam der Index Librorum Prohibitorum.

Quelle: Digitale Kommunikation: Vernetzen, Multimedia, Sicherheit; by Christoph Meinel, Harald Sack. Digitale Kommunikation

Siehe dazu auch die 3 vorherigen Seiten.
 
Man kann es natürlich, ganz im Sinne eines wohlgepflegten und liebgewonnenen hypothesengeleiteten Verzerrungsfehlers immer nur negativ sehen ("Wissen ist Macht"), man kann aber auch mal einsehen, dass den Menschen bewusst war, dass Übersetzungen Probleme bargen. Tradutore tradittore. Der Übersetzer ist ein Verräter am Text, jede Übersetzung ist Interpretation und kann mitunter den Originaltext verfälschen. Im europäischen Mittelalter arbeitete man schon mit einer Übersetzung, der Vulgata, die (das bedeutet Vulgata), volkssprachlich sein wollte (sie war freilich weniger volkkssprachlich, als die beiden vorhergehenden lateinischen Bibelübersetzungen Itala und Afra).

Du wirst jetzt sicher wieder eine Suada auf mich niederpasseln lassen, dass ich "Wissen ist Macht" ignorierte oder auf den hiesigen Sachverhalt nicht anwenden wollte, aber dem ist gar nicht so, die Betonung liegt auf dem nur. Du hast völlig recht damit, dass Wissen Macht ist und dass es natürlich in der Kirche immer Leute gab (und die gibt es inner- und außerhalb der Kirche bis heute), welche eine Demokratisierung des Wissens aus welchen Gründen auch immer nicht wollten. Was mich stört, ist, dass du die Ambivalenz solcher Regelungen in dubio contra reo ignorierst. Will sagen: Du siehst nur "Wissen ist Macht", aber ignorierst tradutore tradittore, also die zweite Seite der Medaille. Zu einer gerechten, dem Sachverhalt angemessenen Bewertung kann man aber nur dann kommen, wenn man alle Sachverhalte berrücksichtigt und eben nicht auf die selbstgestrickte cognitive bias hereinfällt.
 
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