Das ist meines Erachtens eher ein durchgehendes Merkmal der fortgeschrittenen Neuzeit. Früher ehrte man die Alten (wenigstens gab es diese Tendenz). Mit dem Beginn der Moderne und der sie leitenden Idee des unendlichen Fortschritts (Alain de Benoist) ergab sich eine andere Konstellation: nun wähnten sich die Jungen als fortgeschritten und die Alten als rückständig.
Der Umstand, das die Intellektuellen der Rennaissance/der FNZ den Begriff des "Mittelalteraltes" prägten um sich deutlich von dem Alten abzugrenzen und teilweise ziemlich über die vorherigen Verhältnisse und früheren Denkweisen vorheriger Generationen heruziehen, zum Teil mit deutlich übertriebenen Darstellung um sich selbst in ein besseres Licht zu stellen, wiederspricht mindestens mal der Vorstellung dass in dieser Beziehung ein qualitativer Umbruch erst im letzten Jahrhundert stattgefunden habe.
Ich würde sagen, wenn man von diesem Modell ausgehen möchte (ich für meinen Teil halte eher wenig davon) dann fand der Bruch spätestens im 16. Jahrhundert statt.
Das Problem, dass ich mit diesem Modell habe, ist allerdings das der Fiktionen Vergangenheit.
Denn über weite Teile der Geschichte stand dem Großteil der Bevölkerung ja Blick in die Vergangenheit über die eigene Lebenserfahrung hinaus, lediglich in Form erzählter Überlieferung und Mythen zur Verfügung, die überhaupt nicht verifizierbar waren.
Teils weil es einfach keine Aufzeichnungen gab, teils, weil die Bevölkerung zum Großteil Iilliterat war oder die alten Sprachen in denen über die Vergangenheit berichtet wurde nicht verstanden.
Also ehrteen sie nicht eigentlich die Vergangenheit und ihre Ahnen, sondern ihre Vorstellungen und Legendenbilder, wie die Vergangenheit und die Ahnen wohl gewesen sein mögen.
Nun könnte man aber einwenden, das Verehrung einer spekulativen, nicht mehr erleb- und erfassbaren Vergangenheit sich im Grunde auf einer ähnlichen Ebene bewegt oder bewegen kann, wie etwa die Faszination für fiktive Romanfiguren in der modernen Belletristik, Sci-fi und Fantasy, jedenfalls wenn es über sakrale Dinste für die unmittelbaren eigenen Vorfahren in Form von Totenritualen etc. hinausgeht.
Aber auch die sind im Prinzip kein auf die Vormoderne beschränktes Phänomen.
Auch wenn das in Europa, wenn man von Dingen, wie der reinen Grabpflege mal absieht eher keinen Platz mehr hat, wirf mal einen Blick auf diverse asiatische Kulturen, in denen das bis heute praktiziert wird. Z.B. Japan, wo Ahnenkult in gwissen Grenzen noch heute Teil der Shinto-Traditionen ist.
Über die Verbreitung gibt es sehr verschiedene Zahlen, zumal sich diese Traditionen auch mit anderen religiösen/philotophischen/kultischen Auffassungen verbinden kann aber es findet dort in einer Gesellschaft, die definitiv in der Moderne angekommen und durchaus auch recht fortschrittsbejahend ist, weiterhin statt.
Dadurch ließen sie es an Respekt vermissen. Dies hat Peter Sloterdijk in seinem Werk "Die schrecklichen Kinder der Neuzeit" meisterhaft beschrieben.
Also das ist definitiv kein neues Phänomen, dass jedenfalls Teile der Jugend wenig Respekt vor bestimmten Konventionen hatte.
Schau dir die Gebräuche und Sitten der studentischen Burschenschaften, im 19. Jahrhundert und zum Teil auch die studentische Kultur früherer Zeiten mal an.
Im 19. Jahrhundert gehörte es für einen Studenten als eine Art inoffizielles Ehrenzeichen mehr oder weniger dazu, sich mindestens ein paar Duellnarben eingefangen zu haben.
So Ereignisse wie das "Wartburgfest" inklusive reichlich nationalistischen Getöses und angeschlossener Bücherverbrennung gingen irgendwie auch gegen den Comment und die überliefeerten Traditionen oder die Vorstellung von sakralem Respekt vor dem Althergebrachten.
Mit ein Grund, warum bereits in den Karlsbader Beschlüssen 1819, die Universitäten unter strenge Aufsicht gestellt, studentische Burschenschaften verboten und Turnplätze geschlossen wurden.
Das hatte sich damals der alte Metternich noch ausgedacht, dem genau wie den Herren in Berlin das Verhalten der studentischen Jugend zutiefst suspekt war und der fürchtete, dass Unruhe und Revolution davon ausgehen könnten.
Aber damit wir nicht zu weit von Thema abkommen: die Frage nach "Wiederholungen der Geschichte" gewinnt an Brisanz, wenn man sie mit der Idee des Fortschritts kontrastiert oder kreuzt. Dann weitet sich die Zyklik zur spiralförmigen Entwicklung. Das passt dann zur Idee eines historischen Lernprozesses und des "Fortschritts der Vernunft", an den Hegel und seine Nachfolger glaubten.
Da wäre erstmal die Frage zu klären, was ist Fortschritt überhaupt?
Bei diversen Dingen die gerne als Fortschritt gesellschaftlicher Art verstanden werden, handelt es sich, wenn man das im weiteren historischen Kontext betrachtet häufig auch um Dinge, die früher mal ganz ähnlich geregelt waren.
Z.B. wenn du eine heute lebende Person jüngeren oder mittleeren Semesters fragen würdest, ob man es für fortschrittlich halten sollte, dass Frauen einer Erwerbsarbeit nachgehen, würden die Meisten dem wahrscheinlich zustimmen.
Wenn man die gleiche Frage einer Person aus dem Kleeinbürgrtum der ausgehenden viktorianischen Epoche stellen würde, würde diese vermutlich geantwortet haben, dass das ein Rückschritt wäre, wo man es doch durch fortschrittliche Neuerungen gerade erst zustande gebracht hatte, dass Frauen- und Kinderarbeit außerhalb des Haushalts weitgehend unnötig geworden und vom Gesetzgeber verboten oder stark reglementiert worden war, eben um die Frauen zu schützen.
Was Technik angeht, kann man Fortschritt vielleicht objektiv messen. in vielen gesellschaftlichen Fragen ist das schwierig, weil Dinge eben umgewertet werden.
Wenn im ausgehenden 19. Jahrhundert die Ehefrau eines Kleinbürgers sich um den Haushalt kümmern und nicht einer Erwerbstätigkeit nachgehen musste und der Ehemann auch darauf bestand, konnte das als Zeichen sozialen Aufstiegs gelten und gereichte dem Mann, der die Versorgung der eigenen Familie selbst bestreiten und die Familie schonen konnte zu Ansehen und Ehre.
Ein Jahrhundert später, gilt der Ehemann, der sich so verhält als unzivilisierter, ewiggestriger Familientyrann, weil die Erwerbstätigkeit der Frau eben nicht mehr mit Belastungen oder Gefahren der Arbeitswelt assoziiert wird, sondern mit Selbstbestimmung und Freiheitsrechten der Frau.
Was aber heute aus Ausdruck persönlicher Freiheit gilt, die Berufstätigkeit der Frau, konnte vor 100 oder 150 Jahren als Ausdruck ökonomischer Unfreiheit gelten.