Ich kann zwar nachvollziehen, dass ein konservativ ausgelegtes Gesellschaftssystem, das an den tatsächlich oder vermeintlich von der Religion vorgegebenen Lebensweisen festhält, technischen Entwicklungen ablehnend gegenüber steht.
Aber entschuldigt bitte die Nachfrage: Müsste jeder technische Fortschritt durch einen Imman auf seine Vereinbarkeit mit dem Koran überprüft werden?
Nein, natürlich nicht. Aber die Prioritäten werden in den Köpfen der Menschen anders gesetzt. Die Universität von Kairo macht ja mehr durch die Ausbildung von Imamen von sich reden, als durch andere, wissenschaftliche Leistungen. Ich kenne deren Fakultäten nicht. Aber sie gibt eher das Bild einer theologischen Hochschule ab.
Und noch eins: Selbst die härtesten Diktaturen haben für ihre Wissenschaftler oft ein Ghetto errichtet, innerhalb dessen sie Freiheiten genossen, die dem Normalbürger normalerweise verwehrt waren. Solschenitzyn beschreibt das in seiner "Krebsstation". Das war Innenpolitik. In einer religiös verfassten Gesellschaft ist das nicht machbar. In einem von der Kirche betriebenen Krankenhaus wird kein muslimischer Arzt tätig sein können. Wenn aber der ganze Staat über Generationen so verfasst ist, dass Zweifel an bestimmten Koran-Aussagen zur Gotteslästerung werden, dann schlägt das natürlich auf das ganze Denken durch.
Wenn der Befehl Jesu "Sucht zuerst das Reich Gottes, alles andere wird euch dann dazugegeben werden" im Abendland auf Gebetsübungen beschränkt wörtlich genommen worden wäre, dann würden wir uns heute noch zu Pferde davonbewegen. Und die Sure 9,18 geht ja in diese Richtung. Wenn man, wie im Islam, alles, aber auch wirklich alles in Allahs Hände legt, dann vertrocknet allmählich die Eigeninitiative - außer im Dschihad. Wenn die Bekämpfung der Armut auf das im Koran immer wieder gebotene Almosengeben beschränkt wird, dann kommt der Gedanke der "Hilfe zur Selbsthilfe" nicht auf. Wieviele Menschen wie Albert Schweitzer oder Karl-Heinz Böhm bringt denn der Islam auf die Beine?
Was das damit zu tun hat?
Man gibt Geld, aber die Initiative zur Lösung von Problemen scheint auf breiter Front zu fehlen, zumindest, wenn sie keinen unmittelbaren Nutzen abwerfen (Staudamm), sondern eher einen sich nicht in Heller und Pfennig sich auszahlenden gesellschaftlichen Nutzen erbringt.
Desweiteren sehe eigentlich eher, dass Staaten mit islamischer Staatsreligion ab dem Zeitpunkt wieder weltpolitische Bedeutung erlangen, wo sie einen für die moderne Industrieproduktion unentbehrlichen Rohstoff haben, das Erdöl.
Und dabei denke ich an die OPEC und ihre Preispolitik, auf die der Westen in den 70er Jahren wie das Kaninchen auf die Schlange gestarrt hat und es auch heute noch tut.
Es geht nicht um weltpolitsche Bedeutung. Es geht um die Lebensverhältnisse. Ich glaube, es war Quatar, wo hier in der Presse gemeldet wurde, dass eine Frau erstmalig einen Führerschein machen durfte.
@El Quijote: "Ausgerechnet der Wahhabitismus als wirtschaftsfeindlich? Der Wahhabitismus wird doch vorwiegend durch das saudische Königshaus getragen und bei denen dürfte es sich weltweit um eine der reichsten Familien halten."
1. hält sich die Führungsschicht der Saudis nicht an den Wahhabitismus, sehr zum Unmut der Gläubigen.
2.Probleme mit Geld zu erschlagen, führt ja nicht weiter. Die Saudis unterhalten auch wohltätige Stiftungen. Der Gefangenenfreikauf (Geiseln) gehört zu deren Aufgaben. Denn das ist im Koran geboten. Sie bauen Flughäfen in die Wüste, zu deren Standardausstattung auch Schneeräumer gehören.:rofl: Aber sie produzieren selbst keinen gesellschaftlichen Fortschritt in Bezug auf die täglichen Lebensumstände. Die Prügelstrafe bleibt - und wer am Strand Tennis in kurzen Hosen spielt, wird hart bestraft. Daran will ich nun nichts unmittelbar festmachen. Aber dahinter steht ein Geist der Reglementierung, der - weil ubiquitär - für Fragestellungen (ohne Fragen, ohne "taumazein" keine geistige Bewegung) lähmend werden muss - auf die Dauer und über Generationen.
Der Fortschritt, wie auch immer man ihn definiert, braucht eine bestimmte "Luft", um sich überhaupt entwickeln zu können. Was Avicenna und die anderen oben genannten Muslime in früher Zeit geleistet haben, hatte ja nichts mit Märkten und Rohstoffen zu zu tun. Das waren Philosophen und Ärzte. Wenn jetzt muslimische Philosophen Fragen an den Islam stellen, die sich nach Auffassung der Mullahs mit den Koran nicht vereinbaren oder beantworten lassen, dann müssen sie auswandern.