Wirtschaftsnationalismus und Globalisierung

Während der 1. Phase der sogenannten Globalisierung, vor 1914, kann die ökonomische Bedeutung, der wirtschaftliche Stellenwert der Kolonialgebiete des Deutschen Reiches als unbedeutend oder gering eingestuft werden.

So zeigt das Statistisches Jahrbuch für das Deutschen Reich, Ausgabe für 1914, Band 34, S. 257-258 die Import- und Exportanteile der Kolonialgebiete an der reichsdeutschen Wirtschaft, Stand 1913.

Der Export aus dem Deutschen Reich in die Kolonialgebiete betrug rund 0,5% am Gesamtexport, der Import aus den Kolonialgebieten ins Deutsche Reich erreichte anscheinend einen noch geringeren Anteil. Siehe auch Torp, Die Herausforderung der Globalisierung. Wirtschaft und Politik in Deutschland 1860-1914 (2005), S. 78.

Bismarck hatte sehr lange Zeit den Besitz von Kolonien abgelehnt, u.a. mit den Argumenten:

Einerseits beruhen die Vortheile, welche man sich von Colonien für den Handel und die Industrie des Mutterlandes verspricht, zum größten Theil auf Illusionen. Denn die Kosten, welche die Gründung, Unterstützung und namentlich die Behauptung der Colonien veranlaßt, übersteigen (…) sehr oft den Nutzen, den das Mutterland daraus zieht, ganz abgesehen davon, daß es schwer zu rechtfertigen ist, die ganze Nation zum Vortheile einzelner Handels- und Gewerbszweige, zu erheblichen Steuerlasten heranzuziehen. (…)

Zitiert nach Jürgen Zimmerer, Bismarck und der Kolonialismus (20.03.2015), in: Aus Politik und Zeitgeschichte 13/2015, online frei zugänglich.
 
Die stark wachsende weltwirtschaftliche Verflechtung und Abhängigkeit des Dt. Reiches bis 1914 lässt sich mit einigen Zahlen prägnant zeigen.

Export in Mio. Mark (laufende Preise)
1872: 2353
1913: 10097
Vor allem nach der Jahrhundertwende, besonders in den letzten Jahren vor Kriegsbeginn, stiegen die Exportzahlen steil an, während sie davor recht konstant langsam wuchsen.

Import in Mio. Mark (laufende Preise)
Gleiches gilt für den Import.
1883: 3221
1913: 10770

Der Import lag stehts über dem Export, und beide Entwicklungen machen eine zweiseitige Abhängigkeit von der Weltwirtschaft deutlich, wenn auch in unterschiedlichen Warenbereichen.
Der Zollindex beim Gesamtimport wie beim zollpflichtigen Import bewegte sich zwischen 1889 und 1913 nur wenig, der Zoll in % vom Gesamtimport sank leicht von 9 auf 8%, der Zoll beim zollpflichtigen Import stieg leicht von 17 auf 19%.

Einen Hochprotektionismus mit entsprechenden Zöllen beim Gesamtimport, welcher einen ausgeprägten und umfassenden Wirtschaftsnationalismus wohl begleiten würde, ist damit für das Dt. Reich nicht erkennbar. Diesen findet man 1909/1913 für die USA (21,4%) und Russland (29,5%), bei 8,6% für das Dt. Reich.

Q: C. Torp, Die Herausforderung der Globalisierung. Wirtschaft und Politik in Deutschland 1860-1914 (2005). S. 368, 372-379.
 
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Während der 1. Phase der sogenannten Globalisierung, vor 1914, kann die ökonomische Bedeutung, der wirtschaftliche Stellenwert der Kolonialgebiete des Deutschen Reiches als unbedeutend oder gering eingestuft werden.

So schreibt die Deutsch-Ostafrikanische Zeitung, Daressalam, 12. April 1902, in der Titelgeschichte 'Unsere Bodenschätze' eingangs:

'Die Ablehnung auch der Bahn Daressalam-Morogoro ist nach den uns zugegangenen Nachrichten in dieser Reichstagssession bedauerlicherweise zu erwarten. Die antikoloniale Tendenz, welche den Reichstag beherrscht, und welche ihn sogar die Verlängerung unseres Telegraphen bis zum Tanganika zum Anschluß an die belgischen Linien und an die Linien Cap-Kairo, sowie den unbedingt nötigen Ausbau der Usambarabahn bis an den Fuß an den Gebirges, bis Mombo, ablehnen ließ, wird voraussichtlich auch bei der Linie Daressalam-Morogora als der Hemmschuh unserer kolonialen Entwicklung auftreten.' [...]

Gegen Ende des Artikels wird u.a. notiert:

[...] 'Leider fehlt es den unternehmenderen Elementen in der Kolonie an Kapitalkraft, um die fast zu Tage liegenden Schätze zu heben, und das heimatliche Kapital steht auch dieser Aufgabe, wie den meisten kolonialen Unternehmungen, gleichgültig oder mißgünstig gegenüber.' [...]
 
Die beiden Initiatoren zur Gründung der Deutschen Bank, Adelbert Delbrück und Ludwig Bamberger, hatten bereits vor der Gründung des Deutschen Reiches (1871) die Idee einer Außenhandelsbank mit dem Namensteil 'deutsch' postuliert - für 'überseeischen' Handel musste damals noch weitgehend auf britische Banken & Kredite in London zurück gegriffen werden. Die Deutsche Bank selbst wurde im März 1870 in Berlin gegründet. (Q: Gall u.a., Deutsche Bank, S. 4f.)

Während Delbrück, Bankier, die Gründerkrise und die nachfolgende so genannte Große Depression unbeschadet überstand, bekam Bamberger, 1848er Revolutionär & international vernetzter Bankier & nationalliberaler (Währungs-) Politiker wie auch Vertreter des so genannten Manchesterkapitalismus, aufgrund seiner Herkunft aus Mainzer Familie jüdischen Glaubens jenen Antisemitismus ab 1879 deutlich zu spüren. Als typischer 1848er hatte er in den 1860er Jahren schließlich einen spürbaren deutschen Patriotismus entwickelt, ein echter Nationalliberaler.

Für die Deutsche Reichsbank, die am 1.1.1876 die Arbeit aufnahm auf Basis der im März 1875 vom Reichstag verabschiedeten Gesetze und der Umwandlung der Preußischen Bank, kann Bamberger, auch Reichstagsabgeordneter, anscheinend ebenfalls als wesentlicher Anreger/Initiator betrachtet werden.

Die Reichsbank wurde als private Aktiengesellschaft organisiert, die an der Börse notiert war, das Grundkapital von 120.000.000 M. wurde auf Basis von 40.000 Anteilsscheinen durch private Kreditgeber aufgebracht. Sie wurde übrigens, trotz gesetzlich verankerter Möglichkeiten, später nicht verstaatlich - zumindest bis 1914, soweit ich sehe.

Die Anteilsscheine konnten sowohl In- wie Ausländer erwerben, die Angestellten waren aber Beamte des Reiches und der Reichsbankpräsident unterstand dem Reichskanzler. Doch die staatliche Lenkung zielte anscheinend lediglich auf die Einhaltung des Goldstandards und auf die Banknoten-Konvertabilität. Davon abgesehen, hat sie eine aktive, etwa nationalökonomische bzw. volkswirtschaftliche Rolle im Auftrag der Reichsregierung vor 1914 nicht ausgeübt.

Unter den Anteilseignern fanden sich auch mehr oder weniger bekannte deutsch-jüdische Namen (Privat-Bankhäuser usw.) und schon Ende Juni 1875, noch vor der Arbeitsaufnahme der Reichsbank, erschienen polemisch-kritische Artikel zu werdenden Reichsbank mit antijüdischen/ antisemitischem Elementen.

So polemisierte ein Publizist namens Franz Perrot unter dem Pseudonym Hilarius Bankberger in der Kreuzzeitung, [...] 'Unsere beiden israelitischen Mitbürger Bamberger und Lasker haben sich im Reichstage um das Zustandekommen dieses Institutes die hervorragendsten Verdienste erworben'. [...] Bank- Aktien- und Börsenprivilegien seien Judenprivilegien, die von der jüdischen Presse, den jüdischen Gelehrten und den jüdischen Volksvertretern nach allen Kräften schützt wie gefördert würden. Perrot veröffentliche 1876 eine Broschüre gleich mit dem Titel 'Die sogenannte deutsche Reichsbank, eine privilegierte Actien-Gesellschaft von und für Juden'.

Die antijüdischen, aber durchaus noch nicht rein antijüdischen/antisemitischen Polemiken erschienen ab 1874 vor dem Hintergrund des Börsenkraches 1873 und der einsetzenden 'Großen Depression' im Deutschen Reich, beides wesentlich weltwirtschaftlich verankert. Schon ab Dezember 1874 hatte in der Gartenlaube der Journalist Otto Glagau in einer überaus erfolgreichen Reihe von Artikeln den 'Gründer- und Börsenschwindel' angegriffen und u.a. behauptet, 90% aller Gründer und Börsenspekulanten seien Juden.


Quellen:
Peter Pulzer, Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867 bis 1914, Göttingen 2004, S. 134 f.
Benedikt Koehler, Ludwig Bamberger. Revolutionär und Bankier, Stuttgart 1999, S. 199-202.
Holger-René Bruckhoff, Zur Entwicklung der Zentralbanken und der Bankaufsicht in Deutschland und in den Niederlanden. Ein Rechtsvergleich aus rechtshistorischer und zeitgeschichtlicher Perspektive, Frankfurt /M 2010, S. 11-13.
 
Teil 1
Die Reichsgründung von 1871 im Rahmen der „Klein-Deutschen-Lösung “ stellte eine Zäsur dar, in deren Folge nicht nur das europäische Machtgleichgewicht neu austariert werden mußte. Es bildete auch den Startpunkt für einen sozialdarwinistischen Nationalismus, die zweite industrielle Revolution in Kombination mit einer globalen Zunahme der Handelsbeziehungen (vgl. Berend) und einen intensiven globalen Wettbewerb der großen Nationalstaaten, im Zuge eines sich von Kolonialismus zum Imperialismus wandelnden außenpolitischen Konzepts.

Gleichzeitig stellte es vor allem die Monarchien vor die Aufgabe, den sozialen Wandel so zu organisieren, dass neben dem Adel auch anderen Gesellschaftsschichten, und da unter anderem auch das zunehmend politische Proletariat, in diese neue Gesellschaftsordnung integrierbar wurden. Und so das schwierige Projekt der „inneren Reichsgründung“ zum einen die Monarchie stabilisierte, indem wichtige gesellschaftliche Gruppen an sie gebunden werden, und zum anderen die wirtschaftliche Integration gelang und dem Deutschen Reich auf der Basis seiner militärischen Leistungsfähigkeit, also primär der Schwerindustrie, die Position im Konzert der Großmächte sichern sollte.

Diese divergierenden und teilweise auch antagonistischen Zielsetzungen verfolgte Bismarck während seiner Kanzlerschaft mit unterschiedlichen Schwerpunkten, wobei die Sicherung der Monarchie immer die höchste Priorität hatte. Und die Konzentration auf bestimmte Ziele – die aus der Perspektive von Bismarck der Staatsräson dienten bzw. dem nationalen Interesse – den wertebasierten Konsens wichtiger gesellschaftlicher Gruppen zur Voraussetzung hatte.

Dieses Konzept von „Staatsraison“ widerspricht dabei der „Mystifizierung des Staates“. Bei der politische Entschlüsse der höheren Notwendigkeit preußischer Staatsraison entsprangen und nicht selten mit den Erfordernissen des „Primats der Außenpolitik“ begründet wurden (Wehler, S.30). Vielmehr ist in Anlehnung an Schumpeter analytisch zu fordern: “Der Staat tut das oder jenes. Immer kommt es darauf an zu erkennen, wer oder wessen Interesse es ist, der oder das die Staatsmaschine in Bewegung setzt und aus ihr spricht……nur diese Auffassung wird der Wirklichkeit gerecht; denn der Staat reflektiert jeweils die sozialen Machtverhältnisse. (Wehler, S. 32).

Dass dabei ein autokratischer Herrscher im Sinne Machiavellis idealtypisch die Staatsraison in seinen Zielen verkörpert und das „nationale Interesse“ definiert, ist unstrittig. Erst auf der Ebene einer differenzierten und komplexen Gesellschaft, deren Integration auf der Legalität und Legitimität staatlichen Handelns – also im Kern auf einer Bürokratie bzw. Administration – stellt sich die Frage nach verallgemeinerungsfähigen Werten und Normen. In diesem Sinne formuliert M. Weber: „Auf dem Gebiet der staatlichen Verwaltung speziell gilt gerade ….als höchster und letzter Leitstern seiner Gebarung der spezifisch moderne, streng sachliche Gedanke der Staatsraison. In die Kanonisierung dieser abstrakten und sachlichen Idee untrennbar eingeschmolzen sind dabei natürlich vor allem die sicheren Instinkte der Bürokratie für die Bedingungen der Erhaltung ihrer Macht im eigenen Staat (und durch ihn, anderen Staaten gegenüber). (M. Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Abschnitt, Wesen, Voraussetzung und Entfaltung bürokratischer Herrschaft, Pos. 22904)

Und diese Administration des Deutschen Reichs bzw. von Preußen war in ihren Spitzengliederungen dominiert durch den preußischen Adel, mit Ausnahme des AA, in dem auch Nicht-Preußen einen gewissen Zugang zu den Top-Positionen fanden. Und spiegelte in hohem Maße das preußische adelige Weltbild.

Eine wichtige ideologische Fundierung für den Nationalstaatsgedanken wurde durch die erfolgreichen „Einigungskriege“ gegen Dänemark, Österreich-Ungarn und gegen Frankreich gelegt. Und die gezielten staatlichen Interventionen in die militärökonomische Infrastruktur, die u.a. mit zur Modernisierung West-Europas beitrug verstärkte die wechselseitige Zunahme nationalistischer Stimmungen. „ Diese Interventionen verliehen dem Nationalismus und der Reichsbildung am Ende des 19. Jahrhundert …eine aggressive Seite. Aber die „Blut und Eisen“ Staatsmänner nach 1848 hatten einen weiteren Vorteil, den sie nutzen konnten: die nationalistischen Bestrebungen ihrer Untertanen, die sich im Krieg geformt hatten und durch Druckerzeugnisse verbreitet sowie durch Propaganda verstärkt wurden. (Bayly, S. 247)

Der Aufstieg des Deutschen Reichs als wirtschaftlicher Großmacht ist eng verbunden mit der sprunghaften Steigerung der Leistungsfähigkeit als global agierender Exporteur, nicht selten auf Märkten von Staaten, die ihrerseits bereits industriealisiert waren. Gleichzeitig wurden Theorien wirkungsmächtig, die sozialdarwinistische Bestrebungen thematisierten und die kleinen Volkswirtschaften der Leistungsfähigkeit durch die „Economy of scale“ der großen Mächte aussetzen. Und im Ergebnis schlussfolgerte man, dass nur der Übergang von einer abhängigen Großmachtstellung zu einer autarken Position einer Weltmacht, die Lösung des Problems sei. Diese autarke Position sah man bei den Weltmächten USA, Russland und dem britischen Empire als gegeben an, da sie relativ autark bei den Beschaffungs- und Absatzmärkten waren und so durch den zunehmenden Protektionismus in ihrer Entwicklung nicht behindert werden konnten (vgl. Neitzel, 2000)

Der Ausgangspunkt: Die Abhängigkeit Preußens in den 1860er Jahren vom Finanzmarkt in London beschreibt Plumpe ausführlich im Rahmen der Begründung zur Gründung der „Deutschen Bank“ (vgl. Plumpe, 4. Patriotische Phantasien). Im Rahmen des Gründungsprozesses schickte man am 08.02.1870 an den Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes und Preußischen Ministerpräsidenten Graf Otto v. Bismarck ein „erklärendes Schreiben“. „ihren Ausgangspunkt aus der Neugestaltung des nationalen Verhältnisse genommen, ihren tieferen Sinn aus der Gründung eines im Weltverkehr unter der Schutzmacht des Norddeutschen Bundes und des Zollvereins einig und stark dastehenden Deutschlands geschöpft zu haben. Bismarcks Politik….habe damit auch zum großen Aufstieg der deutschen Wirtschaft beigetragen, deren Erfolge sie nur eingeschränkt ernten könne, da Deutschlands internationale Finanzbeziehungen ….von französischen und britischen Banken abgewickelt würden.“ Die Zielsetzung war vor allem die Stärkung der Unabhängigkeit des deutschen Handels und der Vorstellung, die Gewinne aus der Finanzierung von Auslandsprojekten aus London abzuziehen.

Das Weltbild, das sich in dem patriotischen Anspruch zur Stärkung der Weltgeltung des Deutschen Reichs manifestiert, wäre in der Folge seit den siebziger Jahren in seiner äußeren Manifestation als „Wirtschaftsnationalismus“ zu beschreiben. Die Kernvorstellung des Wirtschaftsnationalismus entspringt einerseits der Vorstellung, das der individuelle Akteur bzw. das Unternehmen ein genuin kapitalistisches Interesse verfolgt, das Expansion, Wirtschaftswachstum und einen möglichst hohen Return of Investment beinhaltet. Zum anderen aber das Wechselspiel im Rahmen des „organisierten Kapitalismus“ zwischen Staat und Wirtschaft bejaht und die ordnende und schützende Funktion des Deutschen Reichs durch einen staatsbejahenden patriotischen Nationalismus erwidert. Und so die schnelle wirtschaftliche Entwicklung und die Ausweitung des Handels ein zentraler Faktor war für die nationale Identität der Wirtschafts- und Finanzeliten.

Das entsprechende Weltbild konservativer Kräfte umreißt Neitzel folgendermaßen: „Die Masse der bürgerlichen und konservativen Kräfte im Kaiserreich war von der Überzeugung durchdrungen, daß das Deutsche Reich in den exklusiven Klub der Weltreiche einziehen müsse. Dabei handelte es sich allerdings nicht um ein einfaches Wiederkäuen eines Schlagwortes. Vielmehr stand dahinter die weitverbreitete sogenannte Weltreichslehre, eine Theorie, nach der nicht die militärische Auseinandersetzung von Nationalstaaten, sondern der wirtschaftliche Konflikt gewaltiger Riesenreiche und Handelsblöcke das 20. Jahrhundert bestimmen werde.“ (Neitzel 2002, S. 56)

Die schnelle und teilweise aggressive Expansion deutscher Handelsinteressen nach 1871 im Rahmen des Wirtschaftsnationalismus orientierte sich dabei an unterschiedlichen Überlegungen. Zum einen folgten die Kapital- und Handelsströme des Deutschen Reichs primär den traditionellen Vorstellungen zur Eroberung von globalen Märkten und der Maximierung des wirtschaftlichen Gewinns. Die Hochphase dieser imperialen Periode liegt nach 1896 und verläuft bis zum Beginn des WW1. Das Interesse an der Eroberung von Märkten folgte dabei eher Vorstellungen zur Errichtung von „informellen Machtstrukturen“ über die Märkte kontrolliert werden können.

Diese Haltung wurde in starkem Maße durch das liberale Bürgertum transportiert und griff die vielfältigen globalen Ideen und Vorstellungen auf und verstärkte durch eine entsprechende weltwirtschaftliche Expertise die Sichten innerhalb der Berliner Administration. Eine zentrale Rolle bei der transnationalen Vermittlung kam, so Grimmer-Solem, den akademischen Netzwerken zu. Und herausragend wurden beispielsweise die Jahrbücher, die Schmoller herausgegeben hat, zur Plattform der Formulierung des theoretischen Gerüsts für die Formulierung der globalen Handelsstrategie und der „Weltpolitik“.

Parallel dazu, verstärkt durch die „Afrika-Konferenz“ in Berlin intensivierte sich der Übergang vom „klassischen Kolonialismus“ und seiner Betonung informeller Herrschaftsstrategien hin zu einer manifesten Kontrolle von Territorien, die im „Scramble for Africa“ (vgl. Pakenham) und entsprechend auch für Asien ihren Niederschlag fand und als die Phase des eigentlichen modernen „Imperialismus“ zu kennzeichnen ist. Für die USA schlug sich diese Sicht in der Formulierung einer Ideologie des informellen Handels-Imperialismus als „Monroe-Doktrin“ nieder und der Verfolgung einer „Open door“ – Politik.
 
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Teil 2
In diesem Sinne schreibt Canis : „Gewiß griff ein solcher Kolonialenthusiasmus in Deutschland um sich. Doch noch blieb es eine Minderheit, die er erfaßte. An den zahlreichen Organisationen, die sich die Bewegung gab, fällt allerdings auf, dass sie die Eliten der deutschen Gesellschaft einbezogen: die meisten Großindustriellen und Großbankers, bekannte Magnaten und Professoren, hohe Beamte. Das galt besonders für den 1882 gegründeten Deutschen Kolonialverein.“ (Canis, S. 211)

Dieses doppelte Expansionsbestreben wurde in fast allen westlichen Industrienationen und auch in besonderem im Deutschen Reich einerseits angeregt durch die sich immer stärker abzeichnenden realen Probleme der Überproduktion und der Suche nach zusätzlichen zollfreien Absatzmärkten und ebenso motiviert durch den Wunsch, zusätzliche Rohstoffvorkommen zu erschließen bzw. „Kolonialwaren“ als Handelsgut zu gewinnen (vgl. Wehler, S. 61ff)

Andererseits waren im Hintergrund Theorien wirkungsmächtig, die entweder im Mahan`schen Sinne das maritime Weltreich betonte oder im Mackinder`schen Sinne Varianten („Mitteleuropa-Konzept“ etc.) der „Herzland-Theorie“ anhingen. Und vor allem dieser ideologische Überbau in der Ausformung eines militanten Tirpitz`schen Navalismus mit Betonung der „Risikoflotte“ oder in der Frontstellung gegen die „pan-slawistische Dampfwalze“ den Gedanken der Expansion in Richtung einer militärischen Konfrontation weiter dachte. Und dieser Gedanke via entsprechende Vereine zur Militarisierung und mentalen Mobilisierung von Teilen der Gesellschaft beitrug und über die „Alldeutschen“ seine politische Manifestation fand.

Wichtig an dieser Argumentation ist aber, dass das Wertesystem eines kapitalistischen Wirtschaftsnationalismus in seinem Patriotismus zwar aggressiv wirtschaftlich expansionsorientiert war, er sich gleichzeitig aber deutlich gegen die Nutzung von militärischen Mitteln opponierte und sehr deutlich vor den verheerenden Folgen eines Krieges für die wirtschaftliche und politische Situation für das Deutsche Reich warnte.

Rathenau beispielsweise argumentierte: „War,…, was not something to be treated lightly. Don`t believe, if Germany loses a war, that it will receive any favors… On the contrary, it will have to pay what it can. …only industry will have to pay, that is, the victors will become purchasers of our industry … Contrary to Fischer`s and Berghahn`s contentions, most industrialists and bankers seem to have assumed that increased interlinking of economic interests, …., served to prevent conflict rather than leading to military struggles for scarce resources.“ Eine ähnliche Sicht nahm der Centralverband Deutscher Industrieller ein (CDI) Und selbst Stinnes kritisierte Heinrich Class und seine Kriegsagitation im Jahr 1912. (Hewitson, Kap 2)

Das führt zu der Feststellung, dass die Bereiche der Wirtschaft, die am stärksten von der zweiten industriellen Revolution profitiert haben, einerseits am aggressivsten die Durchdringung des Weltmarkts verfolgt haben und gleichzeitig zur Mäßigung bei Rüstungsprojekten und der Machtprojektion mahnten. Andererseits die – häufig ostelbischen – aristokratischen Großagrarier, die aufgrund einer unrentablen Produktion in der der Landwirtschaft, ohne Einfuhrzölle im Vergleich zum Angebot der russischen und US-amerikanischen Lebensmittelerzeugung, nicht mehr konkurrenzfähig waren. Auch weil die deutschen Großagrarier über keine Mittel, um eine expansive und aggressive Marktbearbeitung vor zunehmen und ihre wirtschaftliche Situation zu stbilisieren. Dieser wirtschaftliche defensiven Haltung stand im Gegensatz dazu eine hochgradig bellizistische Haltung gegenüber, die auch an die Hoffnung gebunden war, durch einen Krieg die zunehmenden sozialen Spannungen im Sinne der Aristokratie zu lösen.

Abschließend und weiterführend: Die Rolle der Banken, insbesondere der Deutschen Bank und der Internationalen Bank ist besonders aufschlussreich und zentral für die Industriealisierung des Deutschen Reichs und der Ausweitung des Handels im Sinne des Wirtschaftsnationalismus (vgl. Plumpe, Reitmeyer S. 282ff, Böhme 1966 S. 345ff und 1974) Sie ist als nächstes näher zu beleuchten.

Bayly, Christopher Alan (2008): Die Geburt der modernen Welt. Eine Globalgeschichte 1780-1940
Berend, Iván T.; (2007): Markt und Wirtschaft. Ökonomische Ordnungen und wirtschaftliche Entwicklung in Europa seit dem 18. Jahrhundert. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
Böhme, Helmut (1966): Deutschlands Weg zur Großmacht. Studien zum Verhältnis von Wirtschaft und Staat während der Reichsgründungszeit 1848-1881. 2. Aufl. Köln: Kiepenheuer & Witsch
Böhme, Helmut (1974): Bankenkonzentration und Schwerindustrie, 1873—1896. Bemerkungen zum Problem des „Organisierten Kapitalismus". In: Hans-Ulrich Wehler (Hg.): Sozialgeschichte heute. Festschrift für Hans Rosenberg zum 70. Geburtstag. Unter Mitarbeit von Hans Rosenberg. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht,S. 432–451.
Canis, Konrad (2008): Bismarcks Aussenpolitik 1870 bis 1890. Aufstieg und Gefährdung. 2., durchges. Aufl. Paderborn, München, Wien, Zürich: Schöningh
Grimmer-Solem, Erik (2019): Learning Empire. Globalization and the German Quest for World Status, 1875-1919. Cambridge: Cambridge University Press.
Hewitson, M. (Hg.) (2014): Germany and the Causes of the First World War: Bloomsbury Publishing
Neitzel, Sönke (2000): Weltmacht oder Untergang. Die Weltreichslehre im Zeitalter des Imperialismus. Paderborn: F. Schöningh.
Neitzel, Sönke (2002): Außenpolitische Zukunftsvorstellungen in Deutschland um 1900. In: Sönke Neitzel (Hg.): 1900. Zukunftsvisionen der Großmächte. Paderborn, München: Schöningh, S. 55–80.
Plumpe, Werner (2020): Im Zeitalter der ersten Globalisierung 1870-1914. In: Werner Plumpe, Alexander Nützenadel und Catherine R. Schenk (Hg.): Deutsche Bank. Die globale Hausbank 1870 - 2020. Berlin: Propyläen.
Reitmayer, Morten (2011): Bankiers im Kaiserreich. Sozialprofil und Habitus der deutschen Hochfinanz. Göttingen: Vandenhoeck et Ruprecht
Wehler, Hans-Ulrich (1976): Bismarck und der Imperialismus. 4. Aufl. München: dtv
 
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Ich glaube Ihr seid alle zu spät. Der Merkantilistische Ansatz zu Zeiten von Ludxig XIV von Frankreich entspricht doch schon voll dem Wirtschtsnationalismus.
 
Ich glaube Ihr seid alle zu spät. Der Merkantilistische Ansatz zu Zeiten von Ludxig XIV von Frankreich entspricht doch schon voll dem Wirtschtsnationalismus.

Nein, dem würde ich widersprechen. Im Prinzip sprechen wir bei historischen Entwicklungen von einer "Pfadabhängigkeit" und meinen, dass jede Entwicklung konkrete historische Voraussetzungen hatte. In diesem Sinne hatte Napoleon seine "Pfadabhängigkeit", die auch durch Ludwig XIV definiert worden ist und sein hegemoniales französisches Weltbild mit geprägt hat.

Dennoch weist sein Verhalten über die historische Determinierung hinaus und zeigt rudimentär die Aspekte, die wichtig für das lange 19. Jahrhundert werden sollten.

Im Kern geht es dabei um die Frage, in welchem Zusammenhang staatliche und wirtschaftliche Interessen stehen. Im Zuge des Konflikts von Frankreich mit GB wird in großem Stil deutlich, wie Napoleon politische, militärische und wirtschaftliche Ziele verschränkte. Verkürzt diente dabei die Kontinentalsperre dazu, den Export von britischen Waren auf den Kontinent zu verhindern und damit den Export französischer Waren zu erleichtern. Das Motiv und die Umsetzung war in seinen zentralen Momenten die Blaupause für spätere Konstellationen, in denen die nationalen Interessen zur Hegemonie in Europa erweitert werden sollten.

Die Situation nach 1890 definierte quantitativ und qualitativ eine neue Situation und war komplex durch ein Bündel neuer Entwicklungen beeinflußt. Schlagwortartig waren es qualitativ ein militanter Nationalismus, ein starker Sozialdarwisnismus in Kombination mit einem Denken in autarken Imperien, eine Veränderung des klassischen Kolonialismus in einen "modernen" Imperialismus, die die zweite industrielle Revolution in Kombination mit einem globalisierten Handel.

Und diese Situation hatte keine Vorläufer, da sich im politischen, im gesellschaftlichen und ökonomischen Bereich neue Phänomene zeigten und Lösungen erforderten. Und das definierte eine komplett neue Situation wie zur Zeit Ludwig XIV. .
 
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