1912 war Deutschland zu einer Verringerung der Flotte bereit. Gegen Zugeständnisse natürlich. Diese wurden von England abgelehnt. Man verlangte ein einseitiges Geschäft. Darauf konnte keine (Reichs-)regierung eingehen
1912 wurde eine Verlangsamung des Bautempos angeboten, nicht eine Reduzierung des vorhandenen Bestandes. Die Ernsthaftigkeit mit der Wilhelm und Tirpitz die Verhandlungen zu führen gedachten, wird schon dadurch dokumentiert, das ein Tag bevor Lord Haldane in Berlin ankam, die Flottennovelle bekannt gemacht wurde.
Ich will nur sagen: Anlaß und Grund sind streng zu unterscheiden.
Ursachen und Wirkungen verdienen es betrachtet zu werden.
Zu Großbritannien:
Meines Wissen nach gehörte beispielsweise auch Lord Balfour zu den Befürwortern einer Annäherung in Deutschland. Großbritannien ging es 1898 um eine Verbesserung des Verhältnisses zu dem Deutschen Reich und um weltweite Zusammenarbeit, vor allem in China. Das war doch für den Anfang erst einmal schon gar nicht schlecht und selbstverständlich auch entwicklungsfähig. Das Deutsche Reich aber wollte lieber neutral zwischen den beiden Weltmächten Russland und Großbritannien bleiben, die Politik der freien Hand eben. Das Deutsche Reich erwartete von Großbritannien, das es seine Splendid Isolation aufgab und ein formales Bündnis abschloss. Man wollte gleich zu viel haben. Diese Haltung war mit dem britischen Anliegen unvereinbar. Die Reichsleitung hätte die Möglichkeiten der Zusammenarbeit erst einmal austesten sollen. Dann ist für 1898 auch noch erwähenswert, das Wilhelm meinte aus dem Angebot Chamberlains gleich bei seinem Cousin Nikolaus auf überaus peinliche Art und Weise Kapital zu schlagen versuchte.
Das Ergebnis unter dem Strich war denn, das man sich über die Aufteilung der Kolonien Portugals einigete, wenn dies nicht mehr in der Lages sein sollte, sein Kolonien zu halten.
1900 schlossen dann Deutschland und Großbritannien, das für Deutschland vorteilhaft war, das Jangtse-Abkommen über ihre wirtschaftlichen Interessensphären in China. Dies war ein Erfolg, das wurde auch im Reichstag so begriffen, und ein Ansatzpunkt für ein weiteres Vorgehen in diese Richtung. Die anderen Mächte wurden eingeladen, diesen Abkommen beizutreten.
1901 fragte dann der britische Außenminister Lansdowne in der Wilhelmstr. an, ob diese gemeinsam mit Großbritannien bereit sein, Frankreich, den Bündnispartner Russlands, im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung, daran zu hindern Russland militärisch zu unterstützten. Die Antwort von Bülow lautete nein. Wihlem hat Nikolaus ja Russland auch zum Krieg gegen Japan ermutigt.
Der deutsche Botschafter Hatzfeld hat dann den Bogen endgültig überspannt, als er die Forderung ventilierte, Großbritannien müsse nicht nur mit dem Deutschen Reich ein Bündnis abschließen, nein es müsse auch mit dem Dreibund zu einer Vereinbarung gelangen.(1)
Aber schon um diese Zeit 1898 - 1901 war man in der Wilhelmstr. der eigenartigen Ansicht, das Großbritannien "schon kommen würde bzw. müsse" und dann zu entsprechenden Zugeständnissen bereit sei.
1901 hat Chamberlain unmissverständlich deutlich gemacht, wenn eine Einigung mit dem Deutschen Reich nicht gelänge, würde sich Großbritannien mit Frankreich und Russland einigen. Man hat im AA schlicht geweigert zu glauben, das Großbritannien über alternative Handlungsmöglichkeiten verfügt. Großbritannien verfügte einfach über einen größeren weltpolitischen Handlungsspielraum als das Deutsche Reich. Die französische und auch die russische Diplomatie haben die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit bzw. Einigung mit Großbritannien jedenfalls besser erfasst, als die Herren der Wilhelmstr.
Es wäre für das Deutsche Reich sehr vorteilhaft gewesen, wenn man denn schon Weltpolitik betreiben und Weltmacht werden wollte, mit der Weltmach Großbritannien gute Beziehungen zu unterhalten. Aber man war der meinung, dass das Konzept der Politik der freien Hand aufgehen könnte. Frei nach dem Motto, wenn Großbritannien jetzt schon zu solchen Erörterungen bereit ist, ist später noch mehr herauszuholen. Welch ein Irrtum!
Im Jahre 1901 war in Deutschland auch schon der Ausbau der Flotte im vollem Gang.
(1) Hildebrand, Das vergangene Reich, S.219, Stuttgart 1995