Wo blieben die Westgoten?

Lieber Andronilos,
natürlich sind die vandalen durch das westliche Nordafrika gezogen, sind aber niemals ins Atlasgebirge gekommen, sondern bei Gibraltar übergesetzt und dann in der Nähe der Küste geblieben bis sie bei Tunis ankamen.
Was sollten sie auch im Atlasgebirge, da war nichts zu holen. :rolleyes:
 
Ich bin mit der ganzen Diskussion nicht ganz einverstanden:

Völkerschaften und Begriffe
Also Iberer, Kelten und Basken sind vorrömische Bevölkerungen, wobei die Basken bis heute als kulturell eigenständige Bevölkerungsgruppe bestehen geblieben sind. Die Iberer sind vermutlich eine mit den Berbern verwandte hamitische Volksgruppe gewesen, aber nichts genaues weiß man nicht....
Die Kelten sind klar, Keltiberer waren vermutlich Kelten die intensiven Handel mit Iberern getrieben haben (behaupten wenigstens die Archäologen), der Begriff stammt meines Wissens von Strabo, der eigentlich auch keine Ahnung hatte.
Sueben, Westgoten und Vandalen sind germanische Völker, Alanen ein iranisches Reitervolk, welches 406 gemeinsam mit Sueben und Vandalen über den zugefrorenen Rhein ins römische Reich gezogen ist. Die sesshafte Bevölkerung zur Zeit der germanischen Invasionen wird als römisch oder hispanorömisch bezeichnet.
Mauren sind Araber und islamisierte Berber aus der Provinz Mauretanien. Die Westgoten als politisch wichtiges Element fallen weg. Sie hatten sich in Kriegen mit Sueben, Byzantinern und untereinander auch weitgehend aufgerieben. Sie werden zusammen mit den Hispanorömern in die beiden Gruppen der muladíes und mozarabes aufgeteilt, dass heißt der Konvertiten zum Islam und der christlichen dhimmi in al-Andalus. Nichtsdestotrotz verschwinden sie nicht spurlos, so wurden hier im Thread schon die Banu Qasim genannt, ich ergänze um Theodemir (arab. Tudmir), der einen bis heute erhaltenen Kapitulationsvertrag mit 'Abd al-Azis Ibn Musa aushandelte, und der cordobesische Autor Ibn al-Qutiyya - 'Sohn der Gotin'.

Zahlen
Man schätzt die Bevölkerung der iberischen Halbinsel zum Zeitpunkt der Invasionen auf 5 - 6 Millionen Seelen. Die Sueben um 30.000 Seelen, Westgoten etwa 150.000 Seelen.

El Cid
El Cid war ein Kriegsgewinnler und Raubritter. Die überhöhte Figur im Poema/Cantar de Mio Cid hat wenig mit der realen Gestalt zu tun. Er hat sich sein Glück immer dort gesucht, wo es zu haben war und das mit Erfolg. Sein Beiname Cid (eigentlich Ruy Díaz de Vivar) stammt vom Arabischen sayyid - 'Herr'. Mio Cid ist von sayyidî (-î ist das arabische besitzanzeigende Pronomen 'mein') abgeleitet, das vermutlich durch regressive I-Assimilation zu sîdî geworden ist. In Sevilla war er im Auftrag Alfons VI. wo er Tribute einfordern sollte, von den Abbadiden ließ er sich aber zu einem Feldzug gegen die Ziriden (Granada) überreden. In der Schlacht nahm er einen anderen Gesandten Alfons VI., der den gleichen Auftrag in GR hatte gefangen und verlangte Lösegeld, was ihm letztendlich seine Stellung bei Hof kostete, woraufhin er sich bei Ma´mun von Zaragoza einstellte. Letztlich sammelte er ein Heer um sich und eroberte auf eigene Faust das Königreich Valencia, Protektorat Alfons VI. und etablierte dort ein eigenes Königreich (1092). 1099 starb er (nicht in der schlacht) und 1102 wurde sein Königreich von den Almoraviden erobert. Further information you will get here: Fletcher, Richard: The Quest for El Cid. London 1989.

Vandalen in Nordafrika
Das die Vandalen nicht durch den Atlas gekommen seien, halte ich für schwierig zu beweisen. Allein der Weg von Marokko nach Karthago führt durch den Atlas, selbst dann, wenn man sich immer in Küstennähe aufhält. Die römischen Reichsstraßen z.B. sind durch den Atlas unterbrochen worden.

So genug des Klugscheißens :still: :p
 
Hi El Quijote,

schön dich auf diesem verwaisten Pfad anzutreffen, den ich vor geraumer Zeit einmal eröffnet habe.

Dein Beitrag ist gewiss interessant, doch wurde hinsichtlich der von dir genannten Völker und ihrer Genese von den Beteiligten nie etwas gegenteiliges behauptet. Warum also bist du mit der damals gelaufenen Diskussion nicht ganz zufrieden? Willst du das bitte kurz erläutern?
 
“Dieter“ schrieb:
Dein Beitrag ist gewiss interessant, doch wurde hinsichtlich der von dir genannten Völker und ihrer Genese von den Beteiligten nie etwas gegenteiliges behauptet. Warum also bist du mit der damals gelaufenen Diskussion nicht ganz zufrieden? Willst du das bitte kurz erläutern?

Gerne. Ich hatte den Eindruck, in diesem Thread würde teilweise zu undifferenziert mit bestimmten Begriffen umgegangen, vor allem, wenn von Kelten oder Iberern gesprochen wurde bzw. davon, dass die germanischen Bevölkerungsgruppen etwa keltische oder iberische Bevölkerungsgruppen überlagerten. Denn dazwischen sind 700 Jahre römische Präsenz auf der iberischen Halbinsel zu setzen, welche die alte Bevölkerungsstruktur völlig verwischt hat (die späteren Kerngebiete der frühen Reconquista*-Reiche vielleicht ausgeschlossen - wobei die Sprachen, die sich hier entwickelten Nachweis genug dafür sind, dass auch diese Gegenden nachhaltig romanisiert waren). D.h. natürlich nicht, dass Kelten und Iberer aus dem Gen-Pool der iberischen Halbinsel verschwunden wären.

*Eigentlich lehne ich den Begriff Reconquista – obwohl ich ihn selber zwangsläufig benutze – als die Geschichte verzerrend ab.
 
Vom Westgotenreich zu den nordspanischen Christenreichen - Bruch oder Kontinuität?

Ja, aber die Gebiete in Nordspanien, aus denen das heutige Spanien sich entwickelte, sind doch direkt aus dem Westgotenreich entstanden.

Die Quellen, die alles andere als zeitgenössisch sind, widersprechen sich. Die eine (die Albedense) sagt, Pelagius sei Gote gewesen, die andere sagt, er sei Hispanoromane gewesen. Das Problem ist, dass seit Alfons III. eine propagandistische Maschinerie eingesetzt hat, die versucht hat, die asturisch-leonesischen Könige in die westgotische Tradition zu stellen, so dass wir rein historiographisch kaum die Möglichkeit haben, dahinter zu schauen. Aber spanische Historiker haben beobachtet, dass die Traditionen der asturischen Krone sich weniger am untergegangenen Westgotenreich sondern viel mehr am fränkischen Reich orientierten.


Du hast schon recht, daß die Unterscheidung zwischen Westgoten und Romanen während der "Reconquista" verschwanden. Wie zeitgleich auch die Unterschiede zwischen Franken und Romanen.

Ich hatte hier v.a. an die andalusische Bevölkerung gedacht, die ja bis ins 11. Jhdt. mehrheitlich aus Hispanogoten und Hispanoromanen bestand, nur dass die Unterschiede eben nicht mehr Gote oder Romane waren, sondern Christ oder Konvertit. Die Bevölkerung, die aus Andalusien nach der Eroberung durch die Christen vertrieben wurde, war in erster Linie der Rest der alteingesessenen Bevölkerung, viel weniger zugewanderte Araber oder Berber.
 
Die eine (die Albedense) sagt, Pelagius sei Gote gewesen, die andere sagt, er sei Hispanoromane gewesen.
Dann wird er wohl Mischling gewesen sein ;-)

Will sagen: Die persönliche Herkunft von Pelagius finde ich eigentlich weniger wichtig, auch wenn er natürlich eine wichtige Persönlichkeit war und auch wenn die späteren Könige sich mit ihm eine tolle Vorfahrenreihe aufgebaut haben.

Insgesamt war es doch aber wohl so, daß sowohl Westgoten wie Hispanoromanen ihre bisher gepflegten gesellschaftlichen Unterschiede nach der arabischen Eroberung in die Tonne treten mußten und in den noch nicht eroberten Gebieten ein christliches Königreich weiterführten, so gut es eben ging. Daß sie sich in Folge auch stark am starken fränkischen Nachbarn orientierten, ändert m. E. auch nichts daran.

In Andalusien gab es natürlich eine solche durchgehende Tradition nicht, aber die Transformationsgeschichte des modernen Spanien geht eben über die christlich gebliebenen nordspanischen Gebiete.
 
Apropos Pelagius: Gibt es eigentlich Informationen darüber, ob die maurischen Eroberer zwischen 711 und ~722 die gesamte Halbinsel beherrschten, oder verblieb ein Teil unabhängig?
 
Insgesamt war es doch aber wohl so, daß sowohl Westgoten wie Hispanoromanen ihre bisher gepflegten gesellschaftlichen Unterschiede nach der arabischen Eroberung in die Tonne treten mußten und in den noch nicht eroberten Gebieten ein christliches Königreich weiterführten, so gut es eben ging. Daß sie sich in Folge auch stark am starken fränkischen Nachbarn orientierten, ändert m. E. auch nichts daran.

Inwieweit die altansässige romanische Bevölkerung um das Jahr 700 die Westgoten bereits assimiliert hatte, wird nicht ganz einheitlich beurteilt. Vielfach ist man aber der Meinung, dass dieser Prozess bei der Eroberung durch die Araber 711 bereits weit fortgeschritten war. Nach der arabischen Inbesitznahme der Iberischen Halbinsel spielten die Westgoten als sichtbares ethnisches Element jedenfalls keine Rolle mehr. Das hielt freilich die Könige der christlichen Teilreiche nicht davon ab, gotische Stammbäume ihrer Dynastien zu beanspruchen und die Reconquista mit dem einst ganz Spanien umfassenden Westgotenreich zu begründen, dessen Rechtsnachfolge sie postulierten (Neogotizismus).

Alfons III. (Asturien) ? Wikipedia
 
Apropos Pelagius: Gibt es eigentlich Informationen darüber, ob die maurischen Eroberer zwischen 711 und ~722 die gesamte Halbinsel beherrschten, oder verblieb ein Teil unabhängig?

Sagen wir so, es gab herrschaftsfreie Räume, die erst allmählich eigene Herrschaften herausbildeten, bzw. in den andalusischen Machtbereich integriert wurden.
 
Apropos Pelagius: Gibt es eigentlich Informationen darüber, ob die maurischen Eroberer zwischen 711 und ~722 die gesamte Halbinsel beherrschten, oder verblieb ein Teil unabhängig?
Auch nach Roderich beherrschten noch seine Nachfolger Agila II. und Ardo einige Rückzugsgebiete, bis auch diese unterworfen wurden.
 
Apropos Pelagius: Gibt es eigentlich Informationen darüber, ob die maurischen Eroberer zwischen 711 und ~722 die gesamte Halbinsel beherrschten, oder verblieb ein Teil unabhängig?

Unabhängig blieb eine kleine Region im Kantabrischen Gebirge ganz im Borden Spaniens, die im 8. und 9. Jh. zum Ausgangspunkt der Reconquista wurde. Der dort der Legende nach von Pelayo begründete Staat war das Fürstentum bzw. Königreich Asturien, aus dem sich nach weiterer christlicher Expansion das Königreich Asturien-Leon herausbildete, dem weitere christliche Königreiche folgten.
 
Ja, aber bei Pelayo/Pelagius ist doch von einem muslimischen Statthalter die Rede (Munuza), was zumindest für eine maurische Oberhoheit spricht, auch wen diese natürlich nicht jede Bergschlucht kontrollieren konnten.
 
Ja, aber bei Pelayo/Pelagius ist doch von einem muslimischen Statthalter die Rede (Munuza), was zumindest für eine maurische Oberhoheit spricht, auch wen diese natürlich nicht jede Bergschlucht kontrollieren konnten.

Es gibt da verschiedene Versionen. Die eine lautet, dass ganz Spanien, also auch das Gebiet des späteren Königreichs Asturien, muslimisch wurde. Eine andere besagt, ein kleines Tal in den Kantabrischen Bergen sei frei geblieben. Es gibt hierzu einen schönen Link, der von einer kompletten Besetzung Spaniens ausgeht, der einige Jahre später eine Erhebung des Pelayo in Asturien folgte.

Königreich Asturien ? Wikipedia
 
Inwieweit die altansässige romanische Bevölkerung um das Jahr 700 die Westgoten bereits assimiliert hatte, wird nicht ganz einheitlich beurteilt. Vielfach ist man aber der Meinung, dass dieser Prozess bei der Eroberung durch die Araber 711 bereits weit fortgeschritten war. Nach der arabischen Inbesitznahme der Iberischen Halbinsel spielten die Westgoten als sichtbares ethnisches Element jedenfalls keine Rolle mehr.
Also ähnlich wie im Frankenreich. Da hat auch die altansässige romanische Bevölkerung die Franken assimiliert, die Franken spielen als sichtbares ethnisches Element bald keine Rolle mehr - und trotzdem ist klar, daß es eine ungebrochene Kontinuität des Frankenreichs gibt.
Die Romanen sind also beim Assimilieren "erfolgreich", setzen auch ihre Sprache durch. Aber fühlen sich hinterher selber als Franken.

Und ziemlich genauso ist es wohl auch in Spanien gelaufen. Denn wenn sich die Spanier nach Reconquista selber als Westgoten sehen, dann ist das m. E. ungeachtet irgendeiner genetischen Abstammung das wesentliche Zeichen für Kontinuität.

Oder umgekehrt: Es wäre ja eigentlich naheliegend gewesen, daß die Romanen sich wieder auf ihre römische Abkunft zurückbesinnen. Das römische Reich war ja immer noch mit höchstem Prestige verbunden. Es wäre also denkbar gewesen, daß die spanischen Könige bewußt an diese Tradition anknüpfen und Westgoten und Araber als Zwischenphasen abtun, mit denen sie erfolgreich fertig geworden sind.
Aber das haben sie eben nicht gemacht, sondern die westgotische Tradition betont. Das ist für mich ein Beleg, daß diese Tradition auch immer bewußt geblieben ist.

Das hielt freilich die Könige der christlichen Teilreiche nicht davon ab, gotische Stammbäume ihrer Dynastien zu beanspruchen ...
Das wird wohl auch nicht falsch gewesen sein. So ein Stammbaum über einige Generationen hinweg hat ja viel Platz, da werden natürlich auch einige Westgoten dabei gewesen sein. Denn diese Könige stammten ja auch nicht in erster Linie von namenlosen Ziegenhirten der kantabrischen Küste ab, sondern mindestens von Kleinadligen der westgotischen Provinz - mit ab und zu auch einer Verbindung in den Hochadel.
Das ist Basis genug, um von einer westgotischen Abstammung zu sprechen und dann nötigenfalls auch noch eine direkte Verbindung zum westgotischen Königshaus dazu zu finden.

Man kann ja schwer etwas propagieren, was völlig ohne Substanz ist. Die westgotische Herkunft incl. Herrschaftsanspruch auf Spanien ist ja weithin akzeptiert worden. Er war also vielleicht etwas ausgeschmückt, aber wohl nicht aus der Luft gegriffen.

Es gibt da verschiedene Versionen. Die eine lautet, dass ganz Spanien, also auch das Gebiet des späteren Königreichs Asturien, muslimisch wurde. Eine andere besagt, ein kleines Tal in den Kantabrischen Bergen sei frei geblieben.
Wahrscheinlich ist das gar kein Widerspruch. Bzw. wird nur zu einem, wenn man falsche moderne Maßstäbe an "frei bleiben" vs. "Teil werden" anlegt.

Aus Sicht des Kalifen war Spanien komplett von ihm beherrscht. D.h. er hatte in allen wichtigen Zentren Statthalter und Garnisonen installiert und vor allem bekam er Tribute von dort. Und es gab niemanden, der seinen Herrschaftsanspruch auf ganz Spanien offen in Frage stellte.
Und da störte es ihn überhaupt nicht, daß in allen möglichen abgelegenen Ecken die Eingeborenen nicht in direktem Kontakt mit seiner Herrschaftsstruktur lebten - das war in dieser Zeit völlig normal.
Und auch noch normal, wenn auch lästig, wenn im letzten Eck des Landes ein Provinzadliger keinen Tribut abliefert oder sich irgendwelche Scharmützel mit dem zuständigen muslimischen Statthalter liefert.


Während umgekehrt dieser Provinzadlige für sich in Anspruch nehmen kann, daß er frei geblieben ist. Und solange der Kalif es nicht für nötig hält, eine Armee gegen ihn in Marsch zu setzen, muß ein Pelayo nur den Statthalter auf Distanz halten und kann sich als letzter Außenposten des westgotischen Reichs fühlen.

Erst in der Rückschau, wenn nach vielen Generationen aus diesem kleinen Außenposten das Königreich Spanien geworden ist - da wird es plötzlich spannend, ob es jemals einen Moment gab, wo auch dieses Gebiet formal mal dem Kalifen unterstand. Aber eigentlich ist das ein müßiger Streit.
 
Und ziemlich genauso ist es wohl auch in Spanien gelaufen. Denn wenn sich die Spanier nach Reconquista selber als Westgoten sehen, dann ist das m. E. ungeachtet irgendeiner genetischen Abstammung das wesentliche Zeichen für Kontinuität.

Dass sich die Spanier als "Goten" fühlten, kann man sicher nicht behaupten. Das Westgotische Reich, das die Iberische Halbinsel umfasst hatte, wurde lediglich dazu benutzt, den Anspruch der christlichen Königreiche auf das gesamte Territorium und somit das Vorgehen gegen die muslimischen Herrscher zu begründen. Dieser "Neogotizismus" wurde besonders von Alfons III. von Asturien begründet.

Alfons III. (Asturien) ? Wikipedia
 
Also ähnlich wie im Frankenreich. Da hat auch die altansässige romanische Bevölkerung die Franken assimiliert, die Franken spielen als sichtbares ethnisches Element bald keine Rolle mehr - und trotzdem ist klar, daß es eine ungebrochene Kontinuität des Frankenreichs gibt.
Die Romanen sind also beim Assimilieren "erfolgreich", setzen auch ihre Sprache durch. Aber fühlen sich hinterher selber als Franken.

Und ziemlich genauso ist es wohl auch in Spanien gelaufen. Denn wenn sich die Spanier nach Reconquista selber als Westgoten sehen, dann ist das m. E. ungeachtet irgendeiner genetischen Abstammung das wesentliche Zeichen für Kontinuität.

Es ist ja gerade nicht so gelaufen. Im 19. Jhdt. hat man geglaubt, die Goten seien vor den Mauren geflohen und hätten nach und nach, al-Andalus von Norden aufrollend zurückerobert. Ist aber nicht so: genau wie dir römische Bevölkerung blieb die gotische Bevölkerung zuhause und schloss mit den Eroberern Verträge ab. Allmählich islamisierte sich die Bevölkerung und erst ab dem 12. Jahrhundert kam es zu nennenswerten Bevölkerungsverschiebungen, insbesondere aus dem Raum Granada/Málaga nach Aragón.
Im 14. Jhdt., also unter dem Einfluss der beginnenden Renaissance, begann der spanische Adel sich als Godos zu verstehen.

Oder umgekehrt: Es wäre ja eigentlich naheliegend gewesen, daß die Romanen sich wieder auf ihre römische Abkunft zurückbesinnen. Das römische Reich war ja immer noch mit höchstem Prestige verbunden. Es wäre also denkbar gewesen, daß die spanischen Könige bewußt an diese Tradition anknüpfen und Westgoten und Araber als Zwischenphasen abtun, mit denen sie erfolgreich fertig geworden sind.
Aber das haben sie eben nicht gemacht, sondern die westgotische Tradition betont. Das ist für mich ein Beleg, daß diese Tradition auch immer bewußt geblieben ist.

In den Quellen werden die Goten eher als Barbaren gesehen.



Man kann ja schwer etwas propagieren, was völlig ohne Substanz ist. Die westgotische Herkunft incl. Herrschaftsanspruch auf Spanien ist ja weithin akzeptiert worden. Er war also vielleicht etwas ausgeschmückt, aber wohl nicht aus der Luft gegriffen.

Die Franken wollten von den Trojanern abstammen, Caesar und die gens Julia sahen sich als Kinder der Venus, die Welfen sahen sihch als Nachfahren der Trojaner etc. Adelig sein heißt, eine Familiengeschichte zu haben, je älter, desto edler.



Aus Sicht des Kalifen war Spanien komplett von ihm beherrscht. D.h. er hatte in allen wichtigen Zentren Statthalter und Garnisonen installiert und vor allem bekam er Tribute von dort. Und es gab niemanden, der seinen Herrschaftsanspruch auf ganz Spanien offen in Frage stellte.
Und da störte es ihn überhaupt nicht, daß in allen möglichen abgelegenen Ecken die Eingeborenen nicht in direktem Kontakt mit seiner Herrschaftsstruktur lebten - das war in dieser Zeit völlig normal.
Und auch noch normal, wenn auch lästig, wenn im letzten Eck des Landes ein Provinzadliger keinen Tribut abliefert oder sich irgendwelche Scharmützel mit dem zuständigen muslimischen Statthalter liefert.


Während umgekehrt dieser Provinzadlige für sich in Anspruch nehmen kann, daß er frei geblieben ist. Und solange der Kalif es nicht für nötig hält, eine Armee gegen ihn in Marsch zu setzen, muß ein Pelayo nur den Statthalter auf Distanz halten und kann sich als letzter Außenposten des westgotischen Reichs fühlen.

Erst in der Rückschau, wenn nach vielen Generationen aus diesem kleinen Außenposten das Königreich Spanien geworden ist - da wird es plötzlich spannend, ob es jemals einen Moment gab, wo auch dieses Gebiet formal mal dem Kalifen unterstand. Aber eigentlich ist das ein müßiger Streit.

Vorsicht, die Kalifen saßen in Damaskus und dann hatte al-Andalus zwischen 756 und 926 keinen Kalifen.
 
Don Quijote, der irrende Ritter von der traurigen Gestalt, aus dem bekannten, frühneuzeitlichen Roman, wird ein echter Gote genannt.

Der Sonnenritter an Don Quijote von der Mancha

Nie hat mein Schwert so kühn wie deins gedroht,
Du span'scher Phöbus, du voll Lieb und Witz,
Und deinem Arm weicht meiner, der als Blitz
In Ost und West viel Feinde schlug zu Tod.

Den Thron verschmäht ich, den die Welt mir bot,
Verließ im Orient den Königssitz
Für Claridianas Anblick, denn mich litt's
Nur, wo ich sah mein holdes Morgenrot.

Heiß liebt ich sie, das hehre Wunderbild;
Als sie mich kalt verstieß, griff ich die Rotte
Der Höllen an, die ich mit Schrecken schlug.

Doch du, ein echter Gote, wild und mild,
Bist ewig groß durch Dulcinee, Quijote,
Und sie durch dich berühmt als keusch und klug.​

Die Goten spielten als Abstammungsmythos des Adels eine besondere Rolle. In Spanien bewertete man Menschen nach ihrer Abstammung oder erfand die entsprechende Abstammung passend zu bewerten. Da sind alle edlen Helden nunmal edle Goten und die finsteren Schurken sind Mohren. Spanier hingegen sind sie alle, aber das ist nichts besonders.
Klar ist ist nur, dass Iberer, Kelten, Romanen usw. in der mittelalterlichen und neuzeitlichen Rezeption keine Rolle spielen und nicht als Eigenbezeichnung auftauchen. Da ist es völlig gleich, dass jene antiken Völker den Spaniern ihren mutmaßlichen genetischen Stempel aufgedrückt haben und die Spanier noch immer eine romanische Sprache sprechen.

Nationalität und Ethnie beruhen vor allem auf Einbildung, die Traditionslinien mögen imiganiär sein, aber so lange sie geglaubt wurden...
Die Spanier hielten sich lieber für Goten als für Iberer, Kelten, Römer, Mauren, Kartharger, Sueben, Alanen, Vandalen ... (eine kleine Auswahl von Völkern, die mal auf der iberischen Halbinsel heimisch oder zu Besuch waren)
Dass das vor allem eine gelehrte Einbildung ist, ist natürlich klar. (Ebenso wie Polen von Vandalen, Franken von Trojanern, Deutsche von Teutonen...) Interessanter ist die Frage, warum sie sich ausgerechnet die Wahlverwandtschaft zu den Goten aussuchten. Die Goten hatten im Mittelalter nämlich einen äußerst schlechten Ruf. Sie galten als Barbaren und schlimmer noch als Ketzer wegen ihres Festhaltens am arianischen Christentum, quasi das erklärte Feindbild einer römischen und katholischen Kultur.
 
Zuletzt bearbeitet:
Interessanter ist die Frage, warum sie sich ausgerechnet die Wahlverwandtschaft zu den Goten aussuchten. Die Goten hatten im Mittelalter nämlich einen äußerst schlechten Ruf. Sie galten als Barbaren und schlimmer noch als Ketzer wegen ihres Festhaltens am arianischen Christentum, quasi das erklärte Feindbild einer römischen und katholischen Kultur.

Die Goten waren aber die einzigen, die in Spanien ein zusammenhängendes, unabhängiges Königtum errichtet hatten? Auf was sollten sich die Asturischen Herrscher sonst berufen? Im römischen Reich war Spanien nur eine Provinz, die Iberer waren mehr oder weniger vergessen und hatten auch nie ein einheitliches Reich gebildet.
Wenn es also ein Vorbild für ein neues spanisches Königtum geben sollte, konnte dies logischerweise nur in der Tradition der Westgoten geschehen.
Und sooo schlecht scheint ihr Ruf in Spanien im 6./7.Jhd. nicht mehr gewesen zu sein, es hatte eine durchaus erfolgreiche Annäherung an die Romanen gegeben, beispielhaft Rekkeswinths einheitliches Gesetzbuch für Goten und Romanen.
 
Sie galten als Barbaren und schlimmer noch als Ketzer wegen ihres Festhaltens am arianischen Christentum, quasi das erklärte Feindbild einer römischen und katholischen Kultur.

Reccared I. trat 587 zum Katholizismus über. Rebellionen schlug er nieder, die arianischen Bischöfe gewann er, indem sie Ämter und Pfründe behalten durften. Die Westgoten in Spanien 711 waren nicht mehr die des Jahres 410 in Rom.
 
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