florian17160 schrieb:
Eigendlich sollten alle Schulen mal Klassenfahrten zu ehemaligen KZ`s veranstalten.
Als ich 14 war mussten wir uns Sachsenhausen anschauen. Grauenhaft. Zumal der Leichenkeller, mit der Rutsche neben der Treppe, da noch erhalten ist. Werde ich nie vergessen.
Das nächste Konzentrationslager bei uns ist Dachau. In der Nähe liegt eine Jugendherberge, die gleichzeitig als "Jugendbegegnungsstätte" ein pädagogisches Programm für Klassen bzgl. Nationalsozialismus und Konzentrationslager anbietet - und zwar eigentlich ein mehrtägiges.
Die Schule, an der ich unterrichte, hat dieses Programm als erste "getestet" und von daher gibt es enge Verbindungen zwischen Schule und Begegnungsstätte.
Seit ich an dieser Schule unterrichte, bin ich jedes Jahr mit allen 10. Klassen, die ich unterrichtete, mindestens zwei Tage dort hin gefahren (Teil des Programms war auch immer ein Zeitzeugengespräch, auch Herr Höllenreiner war schon mal da ... und der beeindruckendste aller Zeitzeugen, dich ich persönlich bisher erlebt habe).
Ich bin persönlich absolut von der Notwendigkeit und auch der Sinnhaftigkeit einer solchen Veranstaltung überzeugt (Reaktionen der Schüler bestätigen mich auch darin), musste aber in den letzten Jahren die Erfahrung machen, dass die Widerstände und Probleme sich häufen.
- Der Begegnunsstätte wurden vom Staat Finanzmittel gestrichen. Das hat zwei Folgen: einmal kann sie weniger Termine anbieten (unsere Schule allein hat meist fünf 10. Klassen, die Kapazität der Begegnunsstätte liegt bei zwei Klassen gleichzeitig => wir allein bräuchten jedes Jahr 3 Termine ... und zwar möglichst außerhalb der "heißen" Schulaufgabenzeiten). Außerdem muss die Stätte nun höhere Unkostenbeiträge erheben.
Damit kommen wir zum nächsten Problem:
- Es gab immer mehr Kritik der ELTERN, dass diese zweitägige Aktion zu teuer wäre. Das kann ich auch verstehen, aber billiger oder gar umsonst geht halt nicht (mehr).
- um beim finanziellen Aspekt zu bleiben: Es mag vernachlässigbar erscheinen und ist sicher kein gewichtiges Argument, aber ich möchte erwähnen, dass den Lehrern, die solche Aktionen organisieren und begleiten für den zeitlichen und finanziellen Aufwand (es gibt keine "Freiplätze") nicht der geringste Ausgleich gewährt wird - heißt, ich fahre jedes Jahr auf eigene Kosten (Fahrt, Unterkunft, Verpflegung - und nein, ich kann nicht erkennen, dass mein Gehalt diese Unkosten von vornherein abdecken soll) und habe zeitlich eine nicht geringe Zusatzbelastung, die nicht angerechnet wird.
- Es gab vermehrt Kritik der ELTERN, dass die Schüler mit dieser Thematik doch bitte nicht mehr so stark belastet werden sollten. Es müsse endlich Schluss damit sein, ihnen Schuldgefühle einzureden (!). Im letzten und vorletzen Jahr wurde je einem Schüler die Teilnahme von den Eltern mit dieser Begründung sogar nicht gestattet (soviel zur Problematik der "Pflichtveranstaltung) ...
- Die Lehrpläne sind in den meisten Fächern voll. Mit Einführung des G8 in Bayern werden sie noch voller. Es ist bereits jetzt kaum möglich, das Pensum zu schaffen. Jede Stunde, die "ausfällt", ist eigentlich kostbar. Jeder Kollege steht unter immer größer werdenden Druck, sein Pensum zu schaffen, die geforderte Anzahl (plus X ... Mindestzahl ist immer schlecht) von möglichst objektiven Noten von allen Schülern zu bekommen etc ... Von daher kann ich auch verstehen, dass Kollegen oft nicht begeistert sind, wenn der Geschichtslehrer (auch für eine sehr sinnvolle Aktion), die Klasse für einen oder zwei Tage "entführt". Denn nicht nur der Geschichtslehrer soll sinnvolle Aktionen durchführen, auch der Kunstlehrer, der Deutschlehrer etc ... mit dem Ergebnis, dass einem in den Klassen häufiger eine Stunde fehlt (das zu den "rumzickenden" Lehrern - der Zeitzeuge "kostet" ihnen eine Stunde, die Sportveranstaltung nächste Woche wieder eine, der Abi-Streich die nächste und die Erdkundeexkursion danach wieder eine ... und der Chef fragt, warum sie den Lehrplanstoff nicht durchkriegen).
Die Lehrplangestaltung und damit verbundene Stoff-Fülle liegt nicht in der Verantwortung der Lehrer - wenn die Politik da weniger reinpacken würde, hätten auch die Lehrer weniger Anlass, "zickig" ihre Stunden zu verteidigen.
- mit der Änderung zum G8 und der damit verbundenen Lehrplanänderung liegt der Nationalsozialismus am Anfang der 9. Klasse (bisher kam der Stoff am Ende der 9., wurde sowieso nicht geschafft und dann bei uns an der Schule in der 10. Klasse nachgeholt). Das Einschulungsalter wird heruntergesetzt. Damit sind die Schüler, denen dieser Stoff vermittelt werden soll - und die dann nach Dachau fahren, die Fotos dort sehen und mit Zeitzeugen sprechen sollen - knapp 15 Jahre alt ... da muss ich doch glatt mal schauen, wie die Altersfreigabe für bestimmte Filme ist ... ob ich die im Unterricht dann überhaupt zeigen darf ... nein, sind alle ab 12 (Moment mal, "Im Westen nichts Neues", "Der Untergang", "Schindlers Liste" ... ab 12? Gut, ich bin da wohl etwas konservativ, aber das erscheint mir ja - in Anbetracht der Diskussion über Höllenreiners Buch - doch etwas früh).
Ich will nicht bestreiten, dass es faule und zickige Lehrer gibt, aber vielleicht sollte man doch auch mal andere Informationen suchen, bevor man pauschal immer auf eine Berufsgruppe draufhaut. Ich find's übrigens auch traurig, wenn ein Großteil der Schüler die freiwillige Möglichkeit einer solchen Veranstaltung nicht nutzt. Sollen wir Schüler zu solchen Veranstaltungen tatsächlich ZWINGEN? Was bringt es, wenn sie zu so einem Gespräch mit einer Abwehrhaltung gehen ... dann vielleicht sogar stören ... oder desinteressiert aus dem Fenster schauen? Wie mag sich dann der Zeitzeuge (für den eine solche Verantstaltung eine große Belastung sein kann) fühlen?