Zinnquellen in der Frühbronzezeit

Der von mir aufgeworfene Punkt von 65% zinnhaltigen Kupferlegierungen bei der Glockenbecherkultur in diesem Gebiet hat anscheinend niemand erregt, weil per Definition das Erzgebirge kein Zinnlieferant sein darf

Da irrst du aber. In meinem Beitrag # 23 sagte ich:

Dieter schrieb:
Ganz ohne Zinnerze war auch Mitteleuropa nicht, doch muss man von einer baldigen Erschöpfung der Minen ausgehen, sodass auch hier das zur Bronzeherstellung benötigte Zinn aus den oben genannten Regionen importiert werden musste. Das archäologische Fundmaterial deutet vor allem auf Zinnlager im Erzgebirge hin.

Allerdings halte ich die Ausweitung des Blickwinkels auch auf andere Regionen für nützlich, wie das rena oben angeschoben hat. So war mir bis dato nicht klar, dass die Andronovo-Kultur in Zentralasien auch als Zinnproduzent für die Hochkulturen Vorderasiens gilt, wie ich mir überhaupt keine Gedanken gemacht habe, woher Sumer, Akkad, Assyrien oder Babylon ihr Zinn für den Bronzeguss bezogen. Ich erinnere mich allerdings gelesen zu haben, dass auch Kleinasien über Zinnvorkommen verfügte und zwar in den östlichen Gebirgszonen.
 
Hallo Dieter,

Die Verneinung des Erzgebirges als Zinnlieferant bezog sich auf den Artikel/link
"zinnrausch in Zentralasien", weil es dort postuliert ist.
 
Aus aktuellem Anlaß möchte ich hier weitermachen, um dem Thema
Frühe Zinnquellen wieder näher zu kommen. Zwischenzeitlich sind mir weitere Äußerungen zum Thema in die Finger gelangt.

1. Die Verfolgung der bronzezeitlichen Zinnquellen Europas durch Zinnisotopie - eine neue Methode zur Beantwortung einer alten Frage - Mike Haustein u. Ernst Pernicka, in Jahresschrift für Mitteldeutsche Vorgeschichte/Bd 92/ 2008(2011)

2. Beiträge zur Urgeschichte des Vogtlandes, I.Archäologische Quellen (1989)
II. Kulturgeschichtliche Auswertung
(1991) - Klaus Simon
Arbeits u. Forschungsberichte zur sächsischen Bodendenkmalpflege.


Beide Autoren (Haustein u. Simon) dringen tief in das Problem ein. Haustein bearbeitet die Himmelsscheibe von Nebra und Simon untersucht Befunde und Bergbau im Vogtland (spezell an der Weißen Elster).

An der Südseite der Talsperre Pirk an der W. Elster gibt es eine geologische Besonderheit. Der Dockelsberg ca. 700 m hoch ist von einer Kupfer führenden Erzader durchzogen, am Fuß dieses Berges befinden sich im Elsterbett (heute innerhalb der Talsperre) und in höher liegenen Schotterterassen reiche Zinnlagerstätten. Hier ist also die sehr seltene Fall vorhanden, Kupfer und Zinn unmittelbar benachbart - aber in unterschiedlichen Lagerstätten vorkommend.
 
Welche archäologischen Fundstellen sind denn bekannt, für die das verwendete Zinn vom Dockelsberg durch die Zinnisotopie nachgewiesen werden konnte? Wie verteilt sich das geographisch?

Geben die beiden Publikationen dazu etwas her?
 
Welche archäologischen Fundstellen sind denn bekannt, für die das verwendete Zinn vom Dockelsberg durch die Zinnisotopie nachgewiesen werden konnte? Wie verteilt sich das geographisch?

Geben die beiden Publikationen dazu etwas her?

Hallo silesia,

Z.Z. gibt es noch keine Zinnisotopie aus dem Vogtland, aber es wird daran gearbeitet. K. Simon untersuchte insbesondere Grabhügel der mittleren Bronzezeit und stellt topographische Beziehungen zu den Kupfererzlager-stätten im Plauener Umfeld her. Natürlich fragte er sich, ob bereits in der Frühbronzezeit Erzabbau im Bereich der Weißen Elster erfolgt sein könnte. Da es keine Siedlungsspuren aber Werkzeug-Einzelfunde insbesondere an den Fernwegen über das Vogtland aus dieser Zeit gibt, schlußfolgerte Simon kampanienartige Erzbeschaffungen wärend der Frühbronzezeit, insbesondere bei nahe an Fernwegen liegenden und oberflächlich sichtbaren Erzgängen . Harte archäologische Fakten fehlen allerdings bisher. Sicher wurden auch Goldwaschversuche an Gewässern in dieser Zeit unternommen. Dabei fällt einem das Zinn bei Vorhandensein automatisch in die Hände.

M. Haustein findet für das Zinn aus der Himmelscheibe starke isotopische Hinweise für eine heute grenzüberschreitende Lagerstätte in Zinnwald/ Graupen (Krupka CZ). Die Frühbronzezeit dürfte sich ausschließlich aus Zinn-Wascherzen an den Flußläufen bedient haben. Eine Spurenelementeanalyse hilft da nicht weiter. Richtige Zinnisotopenforschung beginnt erst nach 2000. Hauptproblem ist die Beschaffung von Zinnerzproben aus Bachläufen o.ä. Fundstellen. Dazu fehlt es an Spezialisten. Auch wenn Gold ebenfalls aus Waschlagerstätten stammt, gibt es immer Probleme mit Spurenelementen, da jahrmillionenlange Wasser-Umlagerung die Zusammensetzung unedlerer Bestandteile verändert.
 
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Was sind denn "starke isotopische Hinweise" im Einzelnen? Welcher Vergleich zu "schwach" liegt da zugrunde?

Die anderen Ausführungen verstehe ich so, dass es Vorkommen gibt, keine Hinweise auf deren Erschließung in der Frühbronzezeit, und eine Hypothese zu deren Ausbeute wegen der Nähe zu Fernhandelswegen.

Dass an Fernhandelswegen Werkzeuge aufgefunden werden und dies in einen Kontext zu Lagerstätten gestellt wird, überzeugt nicht allerdings nicht recht. Werkzeuge dürften Handelsgegenstände gewesen sein, so dass die Funde an Handelswegen nicht überraschend wirken können.
 
Auf S. 413 seines Artikels zeigt Haustein ein Diagramm, auf der Y-Achse sind die Isotopenverhältnisse 117-Sn/119-Sn und auf der X- Achse die Isotopen-verhältnisse 122-Sn/116-Sn aufgetragen. dort sind eine Anzahl von Lagerstätten aufgetragen:
Meßstandard; Ehrenfriedersdorf, Geyer; Schlagenwald; Zinnwald; Altenberg; Auersberg; Gottesberg; Graupen und die Himmelsscheibe. Haustein trennt die grenzüberschreitende Lagerstätte Znnwald/Graupen auf und stellt die nächste Annäherung der isotopischen Verhältnisse der Himmelsscheibe zu Graupen (Krupka) fest.
" Abb. 15 zeigt das Vierisotopendiagramm der untersuchten Erzproben. Die offensichtlich als Ausreißer erkannten vier Meßwerte [aus Abb.13 Dreiisotopendarstellung - Brahmenauer] mit den laufenden Nummern 9,30,36und 47 wurden nicht in die Darstellung einbezogen. Die anderen Punkte sind die mittelwerte der einzelmessungen von Proben einer Lagerstätte mit 1-sigma fehler. Zusätzlich wurden die isotopischen Zusammensetzung der Himmelsscheibe von Nebra eingefügt,die hiermit erstmals veröffentlichr wird."
 
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Vielen Dank.

Von der Isotopen-Analyse selbst habe ich keine Ahnung, deshalb die Nachfrage zu den statistischen Verfahren (die mich interessieren): welche Qualitäten weisen denn in diesen Fällen die statistischen Mittelwerte hinsichtlich Varianz und Standardabweichung auf, bzw. welche Auswirkung haben die von ihm eliminierten offensichtlichen Ausreißer der dagegen gestellten Proben?

Sind bislang Erfahrungen zur Trennschärfe der Zinn-Isotopen-Diagamme mit den Relationen 117/119 und 122/116 bekannt, zB zu den Fehlertoleranzen?
 
Die bisher nicht nachgewiesene Nutzung der Mittelgebirgslagerstätten ist ein nicht wirklich überzeugendes Argument, wenn im Mittelelbe-Saale-Gebiet die Glockenbecherleute im -3. Jtsd bereits über zinnlegierte Kupfergegenstände verfügten. Das betrifft ca. 65% aller Funde für dieses Gebiet (Das Neolithikum im Mittelelber-Saale Gebiet und in der Altmark, 2006, S. 298). Für Cornwall gibt es meines Wissens auch nur eine nachgewiesene antike Nutzung. Wenn ich aber als Metallurge die Rohstoffe vor der Haustüre habe, werde ich sie wohl eher nicht aus entfernten Gebieten beziehen.
Dieser Punkt beschäftigt mich auch bei kobaltblauem Glas. Dieses soll eine ägyptische Erfindung sein und aus dem -14. Jh. stammen (siehe z.B. Glassammlung Wolf im internet). Nun ist Kobalt wesentlich seltener als Zinn, Erzgebirge und Vogtland verfügen aber über Kobaltvorkommen. Bei uns tauchen Funde aus Gräbern seit der Hallstttzeit auf. Das Schiff von Uluburun transportierte neben einer Menge Kupfer (aus Zypern) auch eine Tonne Zinn und ich glaube 300 kg Rohglas mit einen großen Anteil von Kobaltglas. Deshalb soll dieses phönizische Schiff von Ägypten kommmend vor Botrum gesunken sein. Ist es nicht denkbar, dass es eher nach Ägypten fahren sollte um dort nicht vorhandenes Barren-Zinn und Kobalglas abzuliefern? Dann müßte man über die Datierung dieses Schiffs neu nachdenken.
 
Hallo Silesia,

an die analytischen Verfahren komme ich möglichesweise ran. Aber von Statistik verstehe ich nun wieder sehr wenig. Ich habe diesen Hinweis wörtlich von Haustein übernommen- wie man an den Anführungszeichen sehen kann. Ich habe keine Ahnung was 1-sigma Fehler sind.
 
Für die Güte der Analyse muß die Elementauswahl sinnvoll und die Analysemethode angepaßt sein. Archäometrisch weisen in diesem Zusammenhang viele archäologische Projekte Mängel auf. Ich rate in diesem Zusammenhang als Datenbasis zur Reihe des Stuttgarter Metallanalysenprojektes (SMA). Freilich sollte man kritisch die verwandte Clusteranalyse aufgrund des Parent-tree-Problems betrachten. Trotzdem eine gute Datenbasis.
Aus der Nähe von Regensburg stammt ein frühbronzezeitliches Grab mit 243 Zinnperlen (Reinzinn). Ob dazu auch schon Metallanalysen vorliegen entzieht sich meiner Kenntnis.
 
Hallo delcyros,

wenn ich das Stuttgarter Metallanalysenprojekt richtig verstehe, bezieht es sich auf die Begleitelemente eines Bronze-Fundstückes. Diese sagen aber fast nichts über die Zinnherkunft in einem Bronzegegenstand aus, da Zinn fast überall ein Importgut darstellte und sich analytisch eigentlich nur über die Zinn-Isotopenverhältnisse innerhalb der Probe im Vergleich zu potentiellen Lagerstätten zu erkennen gibt. Das Kassiterit dürfte aus-schließlich aus sogenannten Wascherzen stammen, wobei sich dadurch die Begleitelemente drastisch reduzieren und beim Legierungsvorgang bei ca. 1000°C auch noch zusätzlich abdampfen. Da aber kaum Zinn-Lagerstätten-Isotopenverhältnisse (bei Wascherzen) bisher untersucht wurden, wird wohl noch einige Zeit bis zum besseren Durchblick vergehen, woher das Zinn aus der Frühbronzezeit stammt. Das Hauptproblem ist die fehlende "menpower" bei der Aufarbeitung solcher Wascherzlagerstätten für solche Untersuchungen. Dafür fehlen die Mittel.
 
Antiken Quellen* wie auch jüngster Zinnisotopie- und Spurenelementuntersuchungen zufolge, scheint vieles dafür zu sprechen, dass die Zinnvorkommen in Cornwall bereits in der frühen Bronzezeit von überregional großer Bedeutung waren, und bis weit in den östlichen Mittelmeerraum verhandelt wurden (s. die links in #54).

Umfangreiche Zinnvorkommen sind auch im Nordwesten der iberischen Halbinsel gelegen, Spanien und Portugal bilden im europäischen Kontext aktuell die bedeutendsten Zinnproduzenten. Aktuell läuft dort ein internationales Forschungs-Projekt**, dessen Ziel wie folgt umrissen wird:
"In Europe tin sources are restricted to a few regions, being the NW Iberian Peninsula the region with the most extensive area with tin deposits (the Iberian tin belt is three times the length of the Cornish-Devonian field). The cassiterite in Iberia was easily available in primary and secondary deposits. In the present project we will study selected archaeological and tin mining sites from Late Bronze Age / Phoenician colonization to Roman times, to produce an integrated study combining archaeological, geological, metallurgical and historical data. We will deliver data on the role of this commodity in local economies and in far-distance trade routes. The final aim is to valorise the Iberian tin production by delivering scientific content of international relevance."
Die Untersuchungen fokussieren zwar bekannte Zinnabbaugebiete beginnend ab der späten Bronzezeit, doch vielleicht werden im Zuge derer Entdeckungen gemacht, die zeitlich weiter zurück reichen (s. Threadtitel: frühe Bronzezeit), mittels möglicher Nachweise für die Nutzung von Zinnseifen.

* ein zusammenfassender Artikel von Jörg H. Daumer:
https://www.zobodat.at/pdf/Abh-Naturhist-Ges-Nuernberg_43_0009-0022.pdf

** Logbuch-Seite des Projekts:
Iberian Tin. Ancient production, uses and circulation of tin in NW Iberia
 
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