Vorab eine Erklärung zum gelöschten IS-Thread:

Die von mir gestellte Frage bezog sich natürlich nicht auf eine religiöse Bewertung des Wahhabismus, sondern auf eine wissenschaftliche Bewertung seines Selbstanspruchs, den ursprünglichen Islam aus der Zeit des ersten Kalifen (aus wahhabistischer Sicht der "wahre Islam") eins-zu-eins abzubilden. Das müsste aus dem Kontext der Fragestellung eigentlich unmissverständlich hervorgehen. Ob dieser Selbstanspruch berechtigt ist, diese Frage ist so religionsgeschichtlich, wie es eine Frage nur sein kann. Jeder, der über ausreichende islamgeschichtliche Kenntnisse verfügt, kann darauf eine Antwort geben. In der Islamwissenschaft, aber auch in der Politik und allgemein bei allen Interessierten wird diese angesichts der politischen Lage durchaus dringliche Frage diskutiert und unterschiedlich beantwortet (was ich im Thread am Schluss auch andeutete). Manche, wie die Islamwissenschaftlerin Natana J. DeLong-Bas, bejahen sie, andere verneinen sie, alle Kommentatoren argumentieren dabei wissenschaftlich, auch wenn sie in Einzelfällen eine eigene religiöse Position haben. Den Text des Threads hatte ich übrigens in erster Linie für ein anderes, explizit religionswissenschaftlich ausgerichtetes Internet-Forum geschrieben und dort ohne negative Nachwirkungen gepostet; ins GF hatte ich ihn nur zusätzlich gestellt.

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@Muspilli:

Danke für deine sehr kenntnisreichen Ausführungen über Kernberg, die ich im Detail noch verarbeiten muss. Ich plane mittelfristig einen Versuch, die OBTh religionspsychologisch auf theistische Systeme (poly und mono) anzuwenden als Alternative zu Freuds religionspsychologischen Ansatz, was meines Wissens bisher noch nicht geschehen ist. Reiks und Fromms Arbeiten auf diesem Gebiet haben mich dazu angeregt. Ich werde in diesem Zusammenhang auf deine psychoanalytische Kompetenz noch zurückkommen.

Mich würde auch interessieren, wie du Lacans Theorie im Detail siehst. Man wirft ihm ja vor, das Affekt-Thema vernachlässigt zu haben. Ich zitiere anschließend als mögliche Diskussionsbasis ein paar Passagen aus einem eigenen älteren Text über Lacan und verlinke am Schluss eine Passage aus dem´Dictionary of Lacanian Psychoanalysis´ (siehe dort unter ´Affekt´) von Dylan Evans sowie eine englischsprachige Seite über die Affekt-Frage bei Lacan. In einem weiteren Post (erforderlich wg. Textbegrenzung) zitiere ich einige Passagen über Lacanianisches Begehren und Phantasma.

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„Das Spiegelstadium“, so Lacan, „ ist ein Drama, dessen innere Spannung von der Unzulänglichkeit auf die Antizipation überspringt und für das an der lockenden Täuschung der räumlichen Identifikation festgehaltene Subjekt die Phantasmen ausheckt, die, ausgehend von einem zerstückelten Bild des Körpers, in einer Form enden, die wir in ihrer Ganzheit eine orthopädische nennen könnten, und in einem Panzer, der aufgenommen wird von einer wahnhaften Identität, deren starre Strukturen die ganze mentale Entwicklung des Subjekts bestimmen werden. So bringt der Bruch des Kreises von der Innenwelt zur Umwelt die unerschöpfliche Quadratur der Ich-Prüfungen hervor.“ Lacan spricht hier Klartext über die Fadenscheinigkeit und fundamentale Pathologie des imaginären Ich. Dieses Bewusstseins-Ich, das nur denkt, dass es denkt, bezeichnet er mit der französischen Form des reflexiven Ich als ‘moi’, im Unterschied zur unmittelbaren Ichform des ‘je’, dem Subjekt des Unbewussten, das symbolisch strukturiert ist. Diese terminologische Differenzierung indiziert die grundlegende Gespaltenheit des Individuums in ein bewusstes Subjekt, welches den Modus der eigenen Existenz vollständig verkennt, und ein unbewusstes, welches hinter dem Rücken des imaginären Subjekts das Spiel des Begehrens treibt. Darüber hinaus ist für das imaginäre moi die eigene Gespaltenheit konstitutiv: weit davon entfernt, eine quasi substantielle Einheit darzustellen, ist das moi ein komplexer psychischer Prozess der kontinuierlichen Reflexion, Verschmelzung und Dissoziation von Bildern, genauer gesagt, von Vorstellungen, die sämtlich um einen archimedischen Punkt kreisen, den Lacan mit Freud als ‘Ideal-Ich’ bezeichnet.

(...)

Die dem Imaginären eigene Potentialität des Destruktiven lässt sich aus der spiegelbildlichen Spaltung des Bewusstseins-Ich ableiten. Der antike Mythos vom Jüngling Narziss illustriert die Grundsituation vortrefflich: beim Trinken aus einer Quelle vom eigenen Spiegelbild fasziniert, treibt ihn die Sehnsucht nach dem Einssein mit dem geliebten Gegenüber in den Tod. Denn da die Verschmelzung mit dem idealen Spiegel-Selbst im Realen nicht gelingen kann, bleibt als Ausweg nur die Vernichtung beider. Aus der Ausgangssituation ergeben sich nämlich folgende logische Möglichkeiten: erstens die Verschmelzung von Selbst und Imago; dies ist im Realen nicht möglich; zweitens ein Ablassen von diesem Streben; dies widerspricht der soghaften Dynamik der Faszination, die den Jüngling irreversibel an die ideale Imago ausliefert; drittens der Tod des Narziss, um im Spiegel-Selbst fortzubestehen; auch hier widersteht das Reale, denn mit dem einen würde auch das andere vergehen; und viertens eben der Untergang beider, des Narziss und seines Spiegelbildes, als Konsequenz aus der irreversiblen Dynamik der Faszination und der realen Zusammengehörigkeit von Original und Spiegelbild. Die Zerrissenheit des Subjekts resultiert auf der imaginären Ebene aus diesen vier Momenten des Spiegelbildkonflikts.

(...)

Das mythische Modell der destruktiven Eigenliebe liefert die Grundstruktur des Zusammenspiels von Sehnsucht und Aggression, die in allen narzisstisch-imaginären Operationen anzutreffen ist. Das Spiegel-Selbst - ein narzisstisches Ideal-Ich mit den Attributen der Ganzheit und Kontinuität - erscheint unter zwei Aspekten, die schlechthin unvereinbar sind und als solche die unaufhebbare Spannung der imaginären Beziehung begründen: zum einen als Bürge der eigenen Identität - mehr noch: als diese Identität an sich; zum anderen als ein Fremdes, als ein im Realen unerreichbares Anderes, getrennt durch eine fundamentale Differenz, die jede Identifikation ausschließt. Auf diese Weise gelangt das Subjekt in eine prekäre Rivalität zum Ideal-Ich, welches doch, als Wunschbild narzisstischer Allmacht, seine Stabilität und Einheit gewährleisten soll. Das Ideal-Ich wird durch seinen absolutistischen Anspruch letztlich zur Quelle des Hasses, oder, unmetaphorisch formuliert: zu dessen konstitutiver Bedingung. Die aus der imaginären Situation notwendig resultierende Dialektik von Anziehung und Abstoßung führt so die Dimensionen der Begierde und des Hasses in die Subjektivität ein.

(...)

Der Eintritt in die Symbolische Ordnung

War beim primären Bedürfnis und dessen halluzinatorischem Erfüllungsmodus die unmittelbare Erfüllung - gleich ob real oder fiktiv - das eigentliche Triebziel, so differenziert sich dieses auf der höheren Stufe zu einem unbedingten Anspruch auf mütterliche Präsenz. Natürlich ist der Wunsch nach realer Bedürfnisbefriedigung immer noch die treibende Kraft hinter dieser komplexeren Struktur. Indes hat das Kind bereits einen größeren Teil der Umweltkomplexität kognitiv erfasst und seinem Bewusstseinshorizont assimiliert: es hat gelernt, die Präsenz der Bezugsperson von ihrer Absenz zu unterscheiden und durch anspruchssignalisierende Äußerungen einzufordern, und dies, sofern das Bedürfnis auftritt, in aller Unbedingtheit. Die in ihrer unbedingten Präsenz gewünschte Person wird zum Garanten der eigenen narzisstischen Unversehrtheit, zum Objekt eines Anspruchs auf liebevolle Zuwendung und so zum Spender einer doppelbödigen Liebe, die zunehmend imaginäre Züge trägt. Was sich der Unbedingtheit des Liebesanspruchs an die Mutter schließlich entgegenstellt und entgegenstellen muss, ist die Symbolische Ordnung, die den imaginären Absolutismus in eine dritte und noch höhere Struktur integriert: in die Dimension der symbolisch vermittelten Intersubjektivität, die conditio sine qua non der menschlichen Kulturevolution.

Als Medium dieser Vermittlung tritt, folgt man Lacan, der Vater in Funktion, er ist die Schaltstelle, an der das soziale Gesetz, ein gänzlich immaterielles Abstraktum, transformiert wird in psychische Struktur, in unbewusstes Subjekt-Sein. Nun entsteht endgültig jenes Subjekt, von dem Lacan behauptet, es sei, anders als das moi des schönen oder auch weniger schönen Selbstbetrugs, die eigentliche Quelle der subjektiven Aktivitäten. Um es gleich vorwegzunehmen: nicht der konkrete Vater ist per se der Initiator der kleinkindlichen Subjektbildung, denn er ist selbst nur ein historisches Produkt vorgängiger symbolischer Prozesse; als Repräsentant der väterlichen Funktion im ödipalen Dreieck vermag er aber die Position im intersubjektiven Netz einzunehmen, von der aus die Macht des Symbolischen auf den imaginären Absolutismus des Kindes negierend und strukturierend - in Lacans dramatischer Terminologie: kastrierend - einwirkt. Das Verhältnis des konkret-kontingenten Vaters zu seiner sozial vorgegebenen symbolischen Funktion kann mit einem wichtigen Ausdruck des Lacanschen Denkens als imaginäre Verdopplung der symbolischen Position verstanden werden.
lässt sich die Vaterfigur als die Instanz begreifen, welche den Strukturierungsprozess dynamisiert, so liefert die Sprache - im Sinne der langue Saussures - das strukturale und formale Moment dieses Prozesses, der zur unbewussten Subjektbildung führt.

Über den Effekt dieses Prozesses führt Lacan aus: „Die Sprachwirkung ist die ins Subjekt eingeführte Ursache. Vermöge dieser Wirkung ist dieses nicht Ursache seiner selbst; es trägt nur den Wurm der Ursache in sich, der es spaltet. Seine Ursache nämlich ist der Signifikant, ohne den kein Subjekt im Realen wäre.“ Was das unbewusste Subjekt also konstituiert, ist das System von Signifikanten und deren Differenzen rein in ihrer Formalität unter Absehung von jedem Signifikat - hier fließt Sausseres Synchroniedenken und Lévi-Strauss` Strukturbegriff ein -, welches von Lacan unter dem Begriff des Signifikanten vereinfachend subsumiert wird. Die fundamentale Bedeutsamkeit dieses Prozesses kann gar nicht überschätzt werden: „Dieses Erleiden, diese Passion des Signifikanten wird von da her zu einer neuen Dimension der Conditio humana: sofern nämlich nicht einfach der Mensch spricht, sondern Es in dem Menschen und durch den Menschen spricht; sofern seine Natur eingewoben ist in Wirkungen, in denen die Struktur der Sprache, zu deren Material er wird, wieder auftaucht, und sofern damit die Relation des Sprechens in ihm Resonanz findet, jenseits von allem, was dem Vorstellungsvermögen der Vorstellungspsychologie zugänglich ist.“

Der zuvor verwendete Term der Ursache (frz. cause) zeigt bereits, dass für Lacan der tiefste Seinsgrund der Subjektivität ineins fällt mit der symbolischen Struktur als reine Form; insofern man also dem unbewussten Subjekt - wenn schon nicht dem bewussten - Substanz zuschreiben wollte (eine Überlegung, die aufgrund der hier vertretenen Auffassung von der Irrigkeit des Substanzdenkens rein spielerisch ist), wäre diese gleichbedeutend mit der formalen Struktur des Sprachlichen. Für Lacan stellt sich jedoch die Frage, wie sich Subjektivität und Intersubjektivität gemeinsam denken lassen, ohne Subjektivität mit der symbolischen Ordnung vollständig identifizieren zu müssen. Seine Antwort indiziert eine seltsamen Status der Subjektivität, die zur differentiellen Signifikantenstruktur, die nunmehr die Form des Unbewussten ausmacht, in einem vexierbildartigen Verhältnis steht: das Subjekt hat die Seinsweise des Strukturalen und ist doch etwas anderes als dieses Strukturale, eine amorphe Kraft, die sich im Strukturalen nur äußert. In Lacans Worten: „Sprachwirkung darin, dass es aus diesem ursprünglichen Spalten [durch die strukturale Sprachordnung] entsteht, übersetzt das Subjekt eine signifikante Synchronie in jene ursprüngliche zeitliche Schwingung, die das konstituierende fading seiner Identifizierung darstellt.“ Dabei sind es die von Jakobson hervorgehobenen sprachlichen Operationen der Metapher und der Metonymie, in denen das Subjekt sich artikuliert und damit die synchrone, also zeitlose Struktur in zeitliches Dasein transformiert. So schreibt Lacan, dass „die [im vorletzten Zitat] zitierten Wirkungen wiedergefunden werden sollen in jenen Gesetzen, die den anderen ‘Schauplatz’ beherrschen, den Freud in bezug auf die Träume als Ort des Unbewussten bezeichnet hat, die Wirkungen, die offenbar werden auf der Ebene jener Kette aus materiell instabilen Elementen, die die Sprache konstituiert, und die determiniert sind durch jenes doppelte Spiel von Kombination und Substitution im Signifikanten nach den zwei Abhängen (versants), die das Signifikat erzeugen: Metonymie und Metapher, jene Wirkungen also, die bestimmt sind für die Einsetzung des Subjekts.“

Diese Struktur des menschlichen Unbewussten ergibt sich als Effekt einer spezifischen, der ödipalen Dynamik, die Freud mit seiner Theorie des Ödipuskomplexes vorgezeichnet hatte und die von Lacan noch radikaler ausformuliert wird. Die im Verlaufe der ödipalen Krise sich in den Vordergrund schiebenden Motive des Eltern-Kind-Dramas sind der Inzestwunsch gegenüber dem gegengeschlechtlichen Elternteil und der Wunsch nach dem Tod des Vaters, beides Bestrebungen, die dem Gesetz des Sozialen und damit dem Sozialen ‘an sich’ diametral zuwiderlaufen. Dieses Gesetz gründet ja gerade auf der Tabuisierung von Inzest und Vatermord, was Freud schon hinreichend erkannte und von Lévi-Strauss in seiner Verwandtschaftstheorie (in bezug auf das Inzestverbot) detailliert weitergedacht wurde. Beide Tabus sind konstitutiv für die Bildung und Reproduktion menschlicher Gemeinschaft: das Inzestverbot ist Quelle sozialer Strukturbildung und -kohärenz, das Tötungsverbot ist Garant einer verbindlichen moralischen Ordnung, die jedes Subjekt in das immaterielle Positionengefüge der Gemeinschaft einbindet. Erst die Unterwerfung unter das Gesetz konstituiert das Subjekt als „Unterworfenes“ vollständig.

Zum Thema ´Lacan und Affekte´ siehe:

http://www.turia.at/pdf/Evans_S27-38.pdf

What Does Lacan Say About… Affects? | LACANONLINE.COM
 
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Fortsetzung des vorigen Posts:

Wichtig für die Entstehung dessen, was Lacan das Begehren nennt, ist folgendes: Das ‘Nein des Vaters’ qua symbolisches Gesetz konstituiert in der Subjektivität des Kindes das Moment eines fundamentalen Mangels, der zum Motor eines steten, unersättlichen Sehnens - eben des Lacanschen Begehrens - wird nach Objekten, die niemals fähig sein können, den Mangel auszufüllen, da diesem gar nicht die Abwesenheit irgendwelcher kontingenten und prinzipiell erreichbaren Objekte zugrunde liegt. So „öffnet sich dem Subjekt die endlose Bewegung des Begehrens, die nur durch sich immer wieder verschiebende Ersatzobjekte zum vorläufigen Stoppen gebracht werden kann“, schreibt Lipowatz. „Das Begehren selbst ist als Bewegung in seiner Struktur unabhängig vom Vorhandensein oder der Beschaffenheit dieser Ersatzobjekte, die immer Ersatzobjekte sind, da das ‘eigentliche’ Objekt für immer verloren gegangen ist. Dieser Prozess erfasst auch alle sonstigen äußeren Objekte, zuerst die Objekte, die Mittel zur Befriedigung der Bedürfnisse sind. Das Bedürfnis ist nur auf der Ebene des Biologischen zu situieren, z.B. Nahrung. Dadurch, dass dem hilflosen Kleinkind die Nahrung durch jemanden (z.B. die Mutter) angeboten wird, entsteht jenseits der Bedürfnisbefriedigung der Anspruch nach der Präsenz der Mutter. Dieser Anspruch ist ein totaler, absoluter: das Kind verlangt nach der Dauerpräsenz der Mutter.“

Damit ist, um dies nochmals zu verdeutlichen, zunächst der Weg vom ursprünglichen Bedürfnis zum unbedingten Anspruch, der Etablierung der imaginären Mutter-Kind-Dyade, nachgezeichnet. Auf diesem Weg etabliert sich das Subjekt in einer narzisstischen Position, die ihre eigentliche Bedingung - die Intersubjektivität - fundamental verkennen lässt und in einem Selbstbild kulminiert, das auf dem Sockel eines gänzlich imaginären, also aus Spiegelungsbeziehungen gewobenen Anspruchs aufruht: das moi repräsentiert in seiner Selbstauffassung den Wert, der ihm aufgrund der Liebesbeweise des anderen, vor allem der Mutter, zukommt.

Aus dieser Phase tritt das Kind, indem ihm die Symbolische Ordnung die dyadische Beziehung zerreißt, ein in die differentielle Struktur der Gemeinschaft: die Mutter ist nicht nur Objekt des kindlichen Anspruchs, sondern auch Subjekt eines eigenen Begehrens und damit in ihrem Begehren ausgerichtet auf den Vater, der wiederum, wie jedes Subjekt, begehrend ist, behaftet mit dem Mangel, der die Erfüllung des Begehrens anderer unmöglich macht. So erhofft sich jedes Subjekt vom anderen das, was keines wirklich zu geben vermag - ein Mangel, der die Gemeinschaft konstitutiv strukturiert und endlos in ihr zirkuliert. Die Differentialität der Intersubjektivität erscheint damit als ein Analogon der Differentialität des Sprachlichen, der Signifikanten: so wie diese durch wechselseitige Verweise erst ihren Wert erlangen, konstituieren sich die sozialen Subjekte - als soziale - nur aufgrund ihres wechselseitigen Begehrens, eines stets auf den anderen abgeschobenen Mangels, der - paradoxerweise selbst ein Negatives - positiv als Ferment der Gemeinschaft fungiert.

Das Kind wächst in diese dialektische Struktur hinein, indem es den steten Wechsel von Präsenz und Absenz der Mutter mit dem ihm zur Verfügung stehenden Material der Symbolischen Ordnung, dem Sprachlichen, in Übereinstimmung bringt. Es lernt daran das Symbolische - ursprünglich die verbale Sprache (Derrida pocht auf die Schrift) - und seine Erfahrung miteinander zu verschmelzen, so dass fortan Erfahrung durch die Matrix des Symbolischen vermittelt, vorstrukturiert wird. Freud hatte diesen Prozess der Symbolisierung anhand des Spiels seines Enkelkindes, eines eineinhalbjährigen Knaben, illustriert. Dieses Spiel wird von Lacan zum Ausgangspunkt eines wichtigen Theorems hergenommen und in der strukturalistischen Literatur so häufig zitiert, dass man sich unwillkürlich fragt, wie der geisteswissenschaftliche Stand der Gegenwart beschaffen wäre, hätte vor etwa einem Jahrhundert jenes Kind ein ganz anderes Spiel gespielt. Natürlich sind solche Fragen müßig. Jedenfalls hatte das Kind während der Abwesenheit seiner Mutter mit einer Holzspule hantiert, dergestalt, dass es diese, an einem Faden gehalten, über den Rand seines Bettchens warf, so dass sie darin verschwand, und dabei ein „o-o-o-o“ ausstieß. Beim Wiederherausziehen aber kommentierte es diesen Vorgang mit einem freudigen „Da“. Diese Handlungsfolge wiederholte das Kind unermüdlich, stets sein „o“ und „Da“ dazu skandierend. Hier bahnt sich das an, was Lacan den ‘Tod des Dings’ nennt, die Negierung des Gegenstandes dadurch, dass ihn der Signifikant substituiert: „Wir können heute daran begreifen, dass das Subjekt in diesem Vorgang nicht nur einen Verlust bewältigt, indem es ihn auf sich nimmt, sondern dass es sein Begehren durch ihn zur zweiten Potenz erhebt. Denn sein Handeln zerstört das Objekt, das es in der antizipierenden Provokation seiner Anwesenheit und Abwesenheit erscheinen und verschwinden lässt.“ In jenem Spiel geht es dem Kind weniger um die Substitution der abwesenden Mutter durch die Holzspule; dieses Objekt ‘ist’ nicht die Mutter, wie Freud annimmt. Vielmehr verschwindet das Objekt als Ding, wird es zerstört, indem das Kind es zum kontingenten Material des Symbolisierungsprozesses entdinglicht und dem als lustvoll empfundenen Handeln - dem Verschwinden- und Erscheinenlassen - radikal unterordnet. Begehrt wird im kindlichen Spiel nicht mehr das Objekt, sondern die Handlung, die ihre Lust aus dem evozierten Mangel schöpft: „Dieses Handeln negativiert damit das Kräftefeld des Begehrens, um sich selbst zum eigenen Objekt zu werden. Und dieses Objekt, das sogleich in dem symbolischen Paar zweier elementarer Stoßgebete Gestalt annimmt, verkündet im Subjekt die diachronische Intergration einer Dichotomie von Phonemen, deren synchronische Struktur eine bestehende Sprache ihm zur Assimilation anbietet; so beginnt das Kind sich auf den konkreten Diskurs seiner Umgebung einzulassen …“

Als soziales Subjekt konstituiert sich das Kind durch die Assimilation der synchronisch-oppositionalen Sprachstruktur an die Situation seines Begehrens, fällt sein Begehrens ineins mit der Möglichkeit, Präsenz und Absenz eines Objekts lustvoll zu antizipieren. Die spezifische Lust des Begehrens ergibt sich gerade aus diesem symbolischen Handlungsmuster der Erzeugung eines Mangels und dessen Aufhebung. Nicht diese Aufhebung ist das tatsächliche Ziel des Begehrens; von vornherein ohne konkretes adäquates Objekt, das den Mangel beheben könnte, ist Begehren nur ein kontinuierliches Fortschreiten des fort-da-Zirkels, die endlose Bewegung von Ersatzobjekt zu Ersatzobjekt, wie Lipowatz oben ausführt, die das gesuchte Ding selbst notwendig verfehlt, denn es ist, was immer es sein mag, vollständig verschwunden hinter dem Gerüst der Signifikanten. Lipowatz fasst dies so zusammen: „… die Mutter wird in einer doppelten Bewegung von Präsenz und Absenz situiert, die Ursprung der Symbolisierung und des Begehrens wird, denn sie transformiert jede Nahrung und jede Handlung zu einem Symbol der Präsenz und des Wunsches der Mutter. Das ist nur möglich, weil die Abwesenheit möglich ist, d.h. etwas wird begehrt, weil es fehlen, abwesend sein kann … Das Begehren wird durch die Frustration des Anspruchs auf Präsenz, Liebesbeweis aufrechterhalten.“

Präsenz und Absenz sind somit Erfahrungsmomente des Kindes, die sich fundamental in der Beziehung zur Mutter ausbilden und dem Feld des Symbolischen dessen strukturierende Kraft verleihen: denn Symbole haben da ihren ursprünglichen Sinn und ihre Kraft, wo Abwesendes, auf dessen unbedingte Präsenz der Anspruch und dahinter das Bedürfnis drängt, mit diesem Drängen vermittelt werden muss, was für die Handlungskompetenz des Subjekts zwingend erforderlich ist. Damit vollzieht sich der Schritt vom narzisstischen Lustprinzip zum sozial orientierten Realitätsprinzip, das dem Subjekt ermöglicht, in einer komplexen Realität zu überleben.

Im Unterschied zum Bedürfnis, das auf reale Befriedigung zielt, und zum Anspruch, der den ‘anderen’ und als dessen Prototyp die Mutter auf eine bedingungslose und stets präsente - und somit nie realisierbare - Liebe einzuschwören trachtet, ist das Begehren also auf den Mangel ausgerichtet, konstitutiv mit diesem verbunden, „ist das Begehren weder Appetit auf Befriedigung, noch Anspruch auf Liebe, sondern vielmehr die Differenz, die entsteht aus der Substraktion des ersten vom zweiten, ja das Phänomen ihrer Spaltung selbst.“ Aus dieser Rechnung ergibt sich, dass der Anspruch durch diese strukturelle Modifikation jeglichen Bezug auf ein bedürfnisstillendes Objekt - letztlich die Mutter - aufgegeben hat und sich, gezwungen durch das antidyadische Non du pére, in eine ziellos begehrende Bewegung verwandelt, in ein Oszillieren zwischen Präsenzen und Absenzen, das ineins Bewegung und selbstbezügliches Ziel dieser Bewegung ist. Die Rationalität, der Logos in Gestalt der Symbolischen Ordnung, ergreift vom Menschen Besitz und erlegt ihm das Schicksal des uferlosen Begehrens auf, zugleich aber auch die unbewusste Herrschaft des männlichen Lustorgans: „Der Phallus ist der privilegierte Signifikant dieser Markierung, in der der Part des Logos mit der Heraufkunft des Begehrens konvergiert.“ Als Signifikant des Mangels und als Dreh- und Angelpunkt des Symbolischen ist der Phallus ineins auch der Signifikant des Begehrens. Der Preis der sozialen Vernunft, so scheint´s, ist also die Befindlichkeit des Subjekts als ein Zerrissenes und ziellos Begehrendes, das um seine Unterworfenheit nicht einmal weiß und statt dessen sich narzisstisch als kontinuierliche, präsente Einheit und als Souverän seines Begehrens verkennt, nicht wissend, dass seine Identifikationen auf Trugbildern beruhen.

Auf der imaginären Ebene verkennt das Subjekt seine Objekte, sofern es ihrer als vermeintlich substantieller bewusst ist, als Ziele seines Begehrens, wobei imaginäre Substantialisierung und die Bewegung des Begehrens zusammenwirken: „Das unbewusste Begehren motiviert die Wiederholung des Anspruchs. Diese Wiederholung lässt das Objekt auf der imaginären Ebene erscheinen.“ Das moi verkennt, dass das tatsächliche Ziel die Differenz dieser Objekte ist, nicht nur ihre Differenz untereinander, sondern vor allem die immanente Differenz des Objektes selbst, sein Gespaltensein in Präsenz und Absenz. „Erst in einem Aufklaffen, einer Differenz, wird das Begehren manifest“, schreibt G. Pagel. „Diese Bedingung fanden wir bereits in der halluzinatorischen Wunscherfüllung, die die Abwesenheit des primären Befriedigungserlebnisses voraussetzt. Wir begegneten ihr wieder im imaginären Anspruch auf Liebe, der gegen die Bedürfnisbefriedigung aufbegehrt. Und wir finden sie jetzt im Begehren selbst, das durch den Verlust des absoluten Liebesanspruchs ermöglicht wird. Es ist also die Differenz, die Erfahrung des Mangels, die den Wunsch immer erneut nach Erfüllung treibt und in so in das Feld des Begehrens führt.“ Die so erfolgte Ausdifferenzierung der kindlichen Intersubjektivität fasst Pagel so zusammen: „Im wesentlichen sind es zwei Momente, die das intersubjektive Beziehungsgeschehen prägen: die duale Beziehung zum andern, die sich vorwiegend im Imaginären der narzisstischen Identifikation abspielt, und die trianguläre, vermittelnde Beziehung, die den Bereich des Symbolischen - des Gesetzes - kennzeichnet.“

Objekt und Phantasma

Lacan hat zu den tieferen Zusammenhängen in der Beziehung des Subjekts zu seinem Objekt interessante Thesen entwickelt, die den von Freud aufgedeckten Partialtrieben eine zentrale Bedeutung für das imaginäre Sein der Objekte zusprechen. Was ist ein solches Objekt, dem sich das Subjekt interessiert oder mit Leidenschaft zuwendet, tatsächlich? Erkenntnistheoretisch ist es ein Unbestimmbares, sofern man sein An-sich ins Visier nimmt - diese Kantische Einsicht gilt auch für Lacan. Vielmehr konstituiert sich auch für den Psychoanalytiker das Objekt allein aus den transzendentalen Bedingungen heraus, die mit der Struktur der Subjektivität gegeben sind und allem Aposteriorischen, den Gegenständen des Empirischen, dessen Form vorschreiben. Juranville vergleicht das Denken Kants in diesem Punkt mit dem Lacans: „Wir stehen damit einem Denken und einer Denkbewegung gegenüber von großer Ähnlichkeit zu dem, was man bei Lacan findet: gegen den Empirismus und das Festhalten allein am in der Erfahrung sinnlich gegebenen Realen die Entdeckung einer apriorischen Ordnung, von apriorischen Strukturen, die konstitutiv sind für das menschliche Subjekt … Und darüber hinaus weisen beide den Übergang von einer absoluten Bedingung (den Subjektstrukturen) zum Unbedingten, zum Eins-Sein der totalen Wahrheit, zur metaphysischen Wahrheit, zurück.“

Natürlich ist diese Parallele kein Zufall, schließlich fungiert Lévi-Strauss, der ‘Kantianer ohne Subjekt’, wie ein Relais zwischen Königsberg und dem strukturalistischen Paris. Was Lacan von Kant unterscheidet - aber gerade in diesem Punkt traf Kants Auffassung regelmäßig auf Kritiker -, ist die strikte Ablehnung eines hinter dem nur scheinhaften Objekt verborgenen unbedingten Objekts, eines Dings-an-sich, dessen Erscheinung das phänomenale Objekt sei. Nur als Konstrukt der Projektion verdrängter Partialobjekte, als das sogenannte Objekt a hat das Objekt Konsistenz, also Realität im Sinne Lacans. Die Beziehung, die das Subjekt zu diesem Objekt a unterhält, ist das Phantasma; dieses hat an seiner Oberfläche die Struktur eines Mythos und kann nach den Transformationsregeln, die Lévi-Strauss in seiner Mythenforschung entdeckt hat, seine jeweilige Gestalt als Transformation eines der fünf Urphantasmen erhalten. In seiner Tiefenstruktur erweist es sich als eine komplexe Funktion, die Imaginäres und Symbolisches ineinander verwebt. Sozusagen das Hypokeimenon, das allen phantasmatischen Verkleidungen ursprünglich zugrundeliegende absolute Objekt des Begehrens ist indes für Lacan ein Objekt, das unvermeidlich vom Begehren verfehlt wird, da es definitiv abwesend ist: das Ding. Bevor die anderen neuen Begriffe geklärt werden, zunächst einige Worte dazu.

Das Lacansche ‘Ding’ (frz. la chose) ist ein diskutabler, jedoch verwirrender, weil keineswegs klar konturierter Begriff. In Juranvilles Darstellung ist spürbar, wie vage dieses Konzept, wortreicher Erläuterungen zum Trotz, in der Lacanschen Theorie bleibt. Relativ konkret aber schreibt er: „… jedes Ding ist das Ding. Das heißt der ursprüngliche Andere des Begehrens, der reale Andere - die Mutter (aber nicht als Frau des Vaters).“ Und an anderer Stelle: „Das Ding ist dieses, was unablässig immer wieder für das absolute Objekt des Begehrens gehalten wird.“
 
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Hinweis der Moderation

@Muspilli:

Ich gehe die nächsten Tage auf deine Antworten ein. Bis dahin muss ich erst mal meine Enttäuschung über die völlig unverständliche Fehlentscheidung der Moderation verarbeiten, meinen IS-Thread abzuschließen.

Vorab eine Erklärung zum gelöschten IS-Thread:

Die von mir gestellte Frage bezog sich natürlich nicht auf eine religiöse Bewertung des Wahhabismus, sondern auf eine wissenschaftliche Bewertung seines Selbstanspruchs, den ursprünglichen Islam aus der Zeit des ersten Kalifen (aus wahhabistischer Sicht der "wahre Islam") eins-zu-eins abzubilden. Das müsste aus dem Kontext der Fragestellung eigentlich unmissverständlich hervorgehen. Ob dieser Selbstanspruch berechtigt ist, diese Frage ist so religionsgeschichtlich, wie es eine Frage nur sein kann. Jeder, der über ausreichende islamgeschichtliche Kenntnisse verfügt, kann darauf eine Antwort geben. In der Islamwissenschaft, aber auch in der Politik und allgemein bei allen Interessierten wird diese angesichts der politischen Lage durchaus dringliche Frage diskutiert und unterschiedlich beantwortet (was ich im Thread am Schluss auch andeutete). Manche, wie die Islamwissenschaftlerin Natana J. DeLong-Bas, bejahen sie, andere verneinen sie, alle Kommentatoren argumentieren dabei wissenschaftlich, auch wenn sie in Einzelfällen eine eigene religiöse Position haben. Den Text des Threads hatte ich übrigens in erster Linie für ein anderes, explizit religionswissenschaftlich ausgerichtetes Internet-Forum geschrieben und dort ohne negative Nachwirkungen gepostet; ins GF hatte ich ihn nur zusätzlich gestellt.

@Chan

Du hast bei deiner Anmeldung im GF die Forenregeln akzeptiert, darin steht ganz klar folgendes:

Für Diskussionen über aktuelle politische Themen ist das Geschichtsforum nicht der richtige Platz. Ebensowenig ist das Forum eine Plattform für politische, religiöse und sonstige weltanschauliche Glaubensbekenntnisse.

Wenn du dich bei deinen Beiträgen daran haltest, werden auch keine geschlossen oder gelöscht. Wenn du aber weiter über aktuelle Themen diskutieren möchtest, dann ist das GF nicht das richtige Forum für dich.
 
Ich glaube gerne, daß Damasio mit seiner Kritik an der wohl einflußreichen Geistesphilosophie Descartes' richtig liegt, allerdings ist höchst bedauerlich, daß er diese Kritik nicht konkret an dessen Passionslehre (die gemäß meines flüchtigen Eindrucks gemäß die Wiedersprüche deutlich offenlegen würde) verdeutlicht. Ich glaube auch gerne, daß die Geistes- und Emotionsphilosophie eines Spinozas sich möglicherweise besser eignet, um im Einklang mit heutigen Emotionstheorien zu stehen. Wenn es sich tatsächlich als korrekt erweist, daß die Humanwissenschaften der Neuzeit eher einer cartesianischen Anthropologie als einer spinozischen anhingen, wäre dein Fazit gewissermaßen nicht ohne Berechtigung, aber für die Zeit davor wäre mir das doch etwas sehr pauschal formuliert und vor allem auch eingehender zu prüfen.

Sowohl Descartes, die James-Lange-Theorie, wie auch Damasio bieten die ideelle sowie die klinische Reduzierung der Emotionen auf die Empfindung oder Wahrnehmung organischer Veränderungen. Mit dieser Reduktion wird beispielsweise verfehlt: Die adäquate Erkenntnis der Einzeldinge sowie die adäquate Erkenntnis der Affektionen, der Emotionen des menschlichen Körpers.

Descartes definiert die Leidenschaften „als Vorstellungen oder Empfindungen oder Erregungen (emotions) der Seele, die man besonders auf sich selbst bezieht und die durch irgendeine Bewegung der Lebensgeister verursacht, unterhalten oder verstärkt werden.“ Über die Leidenschaften der Seele, 1911.

Bei Descartes fallen Vorstellung und Empfindung mit den Emotionen zusammen, die mit dem Begriff der Seele gefasst werden. Passiv sind die Emotionen, die erst durch die Bewegung der Lebensgeister verursacht werden. Die Lebensgeister fasst Descartes als materielle Teilchen, die nach dem Gesetz der Mechanik in den Organen Empfindung und Bewegung erzeugen, etwa aus dem Herzen zum Gehirn, in den Nerven und Muskeln. Zu diesem körperlichen Prinzip: Descartes: Erklärung des Herzmechanismus, in: Von der Methode.

Der einzige empirische Anhaltspunkt sind bei Descartes die Affektionen, die Leidenschaften, auf die die Erkenntnis des gemeinsamen Leben von Geist und Körper angewiesen ist.

Auch die James-Lange-Theorie bietet eine organische Lehre der Emotionen. Auch James und Lange lehren, dass körperliche Affekterscheinungen nicht von einer seelischen Bewegung abhängig sind, sondern physiologisch verankert sind. Sowohl bei Descartes, James und Lange fallen die Wahrnehmungen und die Empfindungen mit den Emotionen zusammen.

Bereits W.B. Cannon (1927) lieferte experimentelle Befunde, dass durch körperliche Veränderung - durch erhöhte Adrenalinausschüttung der Nebennierenrinde, die durch injiziertes Adrenalin ausgelöst wurde -, Erregungszustände hervorgerufen werden.

Erst mit der Verlagerung von der mechanistischen Ideen-Organ-Spekulation, von der Alltagsbeobachtung zur experimentellen und klinischen Untersuchung der Affekterscheinungen kristallisierte sich beispielsweise heraus: Bilden die organischen Veränderungen bei Emotionen das Hauptphänomen, wird deren Auftreten im Bewusstsein nur ein Epiphänomen sein. Oder. Ist das bewusste Erleben der Emotionen das Hauptphänomen, stellen die begleitenden körperlichen Veränderungen nur ein Epiphänomen dar.


„Unter Affekt verstehe ich die Affektionen des Körpers, durch die die Wirkungskraft des Körpers vermehrt oder vermindert, gefördert oder gehemmt wird, und zugleich die Idee dieser Affektion.“ „Das erste, was das wirkliche Sein des menschlichen Geistes ausmacht, ist nichts anderes als die Idee eines wirklich existierenden Einzeldinges.“ Spinoza: Ethik.

Bei Descartes sind die Affektionen, die Emotionen keinesfalls gerichtet weder auf wirklich existierende Einzeldinge noch auf unseren Körper; sie sind und bleiben - aufgrund seiner Substanzen-Lehre -, subjektiv, so das sein „Ich“ keine Eigenschaften bestimmter Objekte kennt, also auch keine adäquate Erkenntnis, beispielsweise der Einzeldinge kennt.

Damasio bietet „eine Variation der Emotionstheorie von Wilhelm James“ und damit „einen automatischen Rückgriff auf emotionale Erfahrungen“ Muspilli, Beitrag #5.

Damasio geht aufgrund seiner klinischen Untersuchungen auf Spinoza zurück? Wohl nicht! Spinoza bietet anderes als beispielsweise Damasio. Descartes, die James-Lange-Theorie und Damasio bieten die ideelle und die klinische Reduktion der Emotionen auf die Empfindung oder Wahrnehmung organischer Veränderungen. Spinoza gibt - aufgrund der Zurückweisung der Descartschen Substanzen-Lehre -, die adäquate Erkenntnis der Einzeldinge sowie die adäquate Erkenntnis der Affektionen, der Emotionen des menschlichen Körpers.

"Ich weiß allerdings auch nicht mehr so recht, warum ich behauptet habe, daß Descartes sich die "Verschiebung" nicht vorstellen konnte, schließlich ist das ja sein Vorschlag: Durch Übung die Lebensgeister in die Hirnporen zu lenken, so daß sie beispielsweise anstatt der Traurigkeit eine Freude hervorbringen. Identifiziert man die Lebensgeister mit einer libidbösen Energie gemäß Freud, würde der Idee der Sublimierung theortisch zunächst nicht im Wege stehen." Muspilli, #19.

Bei Spinoza wird nicht auf die "Lebensgeister" zurückgegangen, bei ihm ist die Gesetzlichkeit der Emotionen zu finden, etwa die Übung: "Ein Affekt kann nicht anders gehemmt oder aufgehoben werden als durch einen Affekt, der dem zu hemmenden Affekt entgegengesetzt ist und der stärker ist als dieser". Von menschlicher Knechtschaft, in: Ethik.
 
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Lacan I

Die Geschichte der Psychoanalyse hält doch regelmäßig Überraschungen für mich parat! Die gegenwärtige: Lacan hatte, bevor er zum Freudianer wurde, Subklassifikationen schizophrener Störungen von sprachlichen, aphasieanalogen Phänomenen her beschrieben, und zwar "mit kühlem klinischen Blick als Psychopathologie [...] das Changieren des Sinns beim Übergang zwischen gleich klingenden Wörtern, Phrasen oder Sätzen" (Nicolas Langlitz, 2005). Es wirkt, als vollzog Lacan eine Freudsche Bewegung rückläufig nach - von der Sprachstörung zur Psychoanalyse, denn die Freuds Theorie des pa Apparates basiert gewissermaßen auf aphasiologischen Grundüberlegungen in neurologischer Hinsicht. Es liegt die Vermutung nahe, daß man Freuds Aphasiestudie seinerzeit auch in Frankreich studierte, als der "buchstäblich" agrégierte Claude Lévi-Strauss bald in São Paulo seine soziologische Gastprofessur antreten durfte, in der sich der junge Jean Paul Sartre noch an einer "Legende der Wahrheit" versucht hatte und in der die einflußreiche Hegel-Rezeption in Frankreich gerade erst begann. Es war übrigens auch die Zeit, in der französischer Surrealismus für die Psychoanalyse warb, wie Nicolas Langlitz (Die Zeit der Psychoanalyse mit Auszug in http://www.hjlenger.de/reader/LacanReader1.pdf) berichtet.
Wie dem auch sei, die Beschäftigung mit Jacques Lacan wirft zahlreiche Fragen auf, die mich immer wieder über seine psychoanalytische Theoriebildung hinaus führen - abgesehen von seiner Hegelinterpretation etwa das theoretische Verhältnis zu anderen Strukturalisten (s. unten). Beim Lesen des Artikels über Das Spiegelstadium, in dem sich Lacan besonders gegen die existenzialistische Bewußtseinsphilosophie des frühen Sartre wendet, freilich ohne bei seiner vom Begriff des primären Narzißmus ausgehenden Diskussion dessen Namen zu nennen, wurde mir erst klar, daß eine von mir bei Gelegenheit erwähnte Behauptung Sartres (http://www.geschichtsforum.de/717059-post3.html) im Grunde polemisch gegen Lacan gerichtet war, der eine zeitlang sicherlich als Begründer der französischen Psychoanalyse schlechthin angesehen wurde und sein Einfluß kann wohl nicht überschätzt werden. Woran das liegt, könnte man ggf. für einen ersten Eindruck bei Edith Kurzweil über die Schulbildungen des Freudismus (Freud & die Freudianer) nachlesen.
Was die Strukturalisten betrifft, frage ich mich, ob sich das spezifisch Linguistische in Lacans Theorie nicht stillschweigend verflüchtigt, was (so ließe sich spontan historisch hypothetisieren) zur allgemeinen Tendenz zum Poststrukturalismus begtragen haben könnte.

Mich würde auch interessieren, wie du Lacans Theorie im Detail siehst. Man wirft ihm ja vor, das Affekt-Thema vernachlässigt zu haben. Ich zitiere anschließend als mögliche Diskussionsbasis ein paar Passagen aus einem eigenen älteren Text über Lacan [...] In einem weiteren Post [...] zitiere ich einige Passagen über Lacanianisches Begehren und Phantasma.

Lacan fasziniert. Ich wurde mit seinem Zugang erstmals im Kontext feministischer Kritik vertraut - vornehmlich in der Lesart Judith Butlers, die eine ambitionierte Positionen im Diskurs einnahm. Sie wird von Slavoij Zizek für ihre Lacan Kritik gelegentlich gerügt, aber das soll nicht das Thema sein. Immerhin faßt er den kritischen Punkt so schön zusammen: "Lacan elevates the symbolic into a kind of transcendental position of a fixed normative order" (Slavoj Zizek-Bibliography/From "Passionate Attachments" to Dis-Identification/Lacan Dot Com).
Die Einführung in die Affektproblematik durch Dylan Evans ist ebenso hilfreich wie die Behandlung der Affektfrage bei LacanOnline. Ich würde aus theread-thematischen Gründen auch später versuchen wollen, darauf einzugehen, aber dies neben einer Diskussion des grundlegenden Theoriegebäudes zu bewerkstelligen, ist mir unmöglich, so daß ich es aufschieben muß; besonders gefällt mir übrigens der Hinweis auf Thanos Lipowatz, der den Lacanianismus gewissermaßen für das politische Feld aktualisiert. Und meine neueren Recherchen zeigen, daß man Lacan auch für die Spracherwerbsforschung entdeckt hat.

Ich bin bisher noch nicht ganz dahinter gekommen, warum es eigentlich zu Streitigkeiten innerhalb der psychoanalytischen Vereinigung gekommen ist. Im Marienbadener Kongreßvortrag, der im LacanReader (a. a. O.) dem Spiegelstadium-Artikel vorangestellt ist, formuliert er freilich Kritik, die den Bruch andeutet; eine weitere Schwierigkeit mit Lacan liegt für mich darin, daß sich seine Theoriebildung nur mit großer Mühe rekonstruieren läßt, so etwa betreffs der Konzeption des sog. Spiegelstadiums: die soll auf die 1930er Jahre zurückgehen, also bevor es zur Abspaltung kam; der Vortrag wurde aber erst Jahre später publiziert (vgl. JSTOR: An Error Occurred Setting Your User Cookie).

Spiegelstadium & Narzißmus

Du steigst sehr schnell in den Text Lacans ein. Zunächst fällt natürlich die inhaltlich schwierige Vorstellung des zerstückelten Körperbildes auf, das erlebensmäßig u. a. mit einer "inneren Spannung von [...] Unzulänglichkeit" einhergeht - vorher spricht Lacan vom "Aufspringen (déhiscence) des Organismus in seinem Innern [...], eine ursprüngliche Zwietracht [Discorde], die sich durch die Zeichen von Unbehagen und motorischer Inkoordination in den ersten Monaten des Neugeborenen" (Schriften I, S.66) zeige; daß er an der klassischen Narzißmustheorie festhält, wird dabei nicht sehr deutlich: In seiner Einführung heißt es explizit, daß er mit der "Spiegelrelation [...] der bei Freud grundlegenden Theorie des Narzißmus" die "dominierende Stellung in der Funktion des Ichs wiederzugeben" versuchte (Schriften I, S.53). Es besteht eine massive Kluft dem gegenüber, was durch die Spiegelerfahrung ("Täuschung der räumlichen Identifikation") hervorgebracht wird.
Durch diese wird eine illusionäre Vereinheitlichung inauguriert, die noch in dem steckt, was Psychoanalytiker mit dem Begriff der Omnipotenz umschreiben, die alles andere als ein reales Faktum ist, insbesondere dann, wenn es um die früheste Entwicklung geht, was in psychoanalytischen Theorien leider zu wenig berücksichtigt wird. Hier gelangt meiner Ansicht nach jede psychoanalytische Theorie an ihre Grenzen, sofern sie sich anmaßt, Kleinstkindern ein solches Erleben zu unterstellen. Der Status dieses Versatzstück infantilen Omnipotenzerlebens bei Lacan ist mir bisher noch nicht vollständig deutlich geworden ist. Sein Konzept des Spiegelstadiums läßt aber eine alternative Lesart zu, insofern im Hintergrund eine Verbindung zum Freudschen Konzept vom sekundären Narzißmus steht, als dessen Kehrseite wohl auch Manifestationen der "imaginären Aggressionen" (Schriften I: "Ausrichtung der Kur" [1958], Abschnitt V.13 in Schriften I) angesehen werden könnten (und worauf Du in Überleitung zur Narziß-Mythe anspielst).
Jedenfalls ist seine Rede von einer "wahnhaften Identität" auch nicht zufällig und gründet auch hierin in der Freudschen Narzißmustheorie, insofern die Psychose als sekundärer Narzißmus definiert wird, weshalb sich im Artikel auch der Begriff des Ideal-Ichs ("je-idéal") findet, zu dem Lacan allerdings angemerkt, daß er ihn nicht später aufgab, obwohl der späte Lacan auch dazu seine Theorie weitergebildet haben soll (vgl. zur Ichidealproblematik: Ich - Idealich - Ichideal - Lacan entziffern). An der Behauptung einer Ichform als "Stamm der sekundären Identifikationen" (S.64), die er auch als "die Funktionen der libidinösen Normalisierung" (mod. Übers.) bezeichnet, dürfte er freilich festgehalten haben, was ihn in keinster Weise später daran hindert, im Begehren einen "Akzent von Perversion" (Lacan, a. a. O. [1958], Abs. V.2) zu identifizieren, hier ganz der Freudschen Auffassung vom polymorph-perversen Säugling verpflichtet, wenn auch in spezieller Lesart.

Merkwürdig erscheint übrigens im Zusammenhang (bspw. der psychasthénie légendaire) der Intertext-Hinweis zur paranoischen Strukturierung (die sich nach Seitenangabe auf Bemerkungen zur Witz-Theorie und zum Übertragungsgeschehen beziehen), mit dem ich mich aber nicht zu sehr belasten will, insofern ein intratextueller Zusammenhang mit einer angedeuteten Abwehrlehre (mit Hinweis auf Anna Freud) gegeben ist:
Die "Methode der symbolischen Reduktion" verlege die "Abwehrhandlungen des Ich (défenses du moi)" in ein frühes (archaisches) Stadium; Lacan will sogar die "hysterischen Verdrängung" ins oder sogar vor das Spiegelstadium verlegen, wenn ich ihn richtig verstehe. Damit setzt er sie nicht nur vor die Firxierungsstelle des Zwangsneurose, sondern auch vor die der der "paranoischen Entfremdung", die mit mit "der Wendung vom Spiegel-Ich (je spéculaire) zum sozialen Ich (je social)" (S.68) zusammenhänge. (Auch bei diesem Zitat neige ich dazu, Lacan nachzutragen, daß eine Revision der Begriffe später nicht erfolgte.)

Zwischen der fragmentierten Selbsterfahrung und den Selbstidentifikationen der sich imaginär ausbildenenden Subjektform besteht eine große Kluft, die Lacan mit dem Bruch des Kreises von der Innenwelt zur Umwelt bezeichnet. Hier blieb mir lange unklar, was eine "Quadratur der Ich-Prüfungen" heißen soll: "la capture de cercle de l’Innenwelt à l’Umwelt engendre t-elle la quadrature inépuisable des récolement du moi" (stade miroir lacan formateur fonction je psychanalyse formation psychologie).

Diesen Gedanken scheint mir Lacan später im Schema L weiter ausgebaut zu haben, in dem "Unbewußtes" und "imaginäre Relationen" als Objektivierungsbegriffe dargestellt werden, wie er sie im Spiegelstadium hervorgehoben haben will. In dieses Schema ist bereits das ominöse "objet a" integriert, das Ellie Ragland-Sullivan (J. Lacan & Phil. PA) so charakterisiert, daß es "einerseits in der Art & Weise von eindringenden Bildern & Vorstellungen funktioniert und es andererseits den mimetischen Übergang, der das Spiegelstadium markiert, symbolisiert; ferner, daß es für das letzte Stadium der Substitute nach dem Spiegelstadium steht." (1989, S.109) Von dem Schema gibt es verschiedene Versionen (s. angehängte Graphik).
Eine vereinfachte Version zieht eine Z-Linie vom Subjet zum Anderen; es gibt noch eine dritte Version, die ich bspw. bei Kersten Reich (Die Ordnung der Blicke) finde: Google-Ergebnis für http://www.uni-koeln.de/hf/konstrukt/reich_works/buecher/ordnung/band1/lacan
Bemerkenswert an dieser Graphik erscheint mir wenigstens die Markierung der Subjektgespaltenheit, die Du als Lacans Klartext ansprichst, den ich freilich bezogen auf das Gesamtwerk nicht sehe, wenn ich auch nicht in Abrede stellen will, daß sich ein Ich vermittels identifikatorischer Fusionen konstituiere, wie man im Anschluß an E. Ragland-Sullivan formulieren könnte, die jegliche Unmittelbarkeit verstellt.
Deswegen halte ich es für irreführend, von einer "unmittelbaren Ichform des ‘je’ [...]" (Chan) zu sprechen, gerade weil bei Lacan das "Subjekt des Unbewussten [...] symbolisch strukturiert ist." (Chan) Dieses ist höchstens ein allgemeines, das den Name Es trägt:
Die Ichform der grammatischen Subjektposition ("je") ist im Gegensatz zur "Instanz des Ich (moi)" (Lacan, Schriften I, S.64) durch eine "Nichtübereinstimmung mit der eigenen Realität" (ebd.) gekennzeichnet, so daß von einer Unmittelbarkeit keine Rede sein kann, wenn es auch zu stimmen scheint, zumindest so würde auch ich Lacan (vgl. Schriften I, S.65) verstehen wollen, daß es durch eine unbewußte Symbolstruktur präfiguriert wird, was zugleich aber dessen Entfremdung bestimmt: "de partir de la définition strictement linguistique du Je comme signifiant: où il n'est rien que le shifter ou indicatif [...]. l désigne le sujet de l'énonciation, mais qu'il ne le signifie pas." (Lacan, Subversion du Sujet = http://staferla.free.fr/Lacan/Subversion du sujet.pdf)
 

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Lacan II

objet a

Es gibt also das Konzept vom object petit a, das für eine Objetbeziehungstheorie Lacanscher Prägung höchst relevant sein dürfte. Du führst es erst ganz zum Schluß deines zweiten Beitrages ein:

Was Lacan von Kant unterscheidet - aber gerade in diesem Punkt traf Kants Auffassung regelmäßig auf Kritiker -, ist die strikte Ablehnung eines hinter dem nur scheinhaften Objekt verborgenen unbedingten Objekts, eines Dings-an-sich, dessen Erscheinung das phänomenale Objekt sei.
Nur als Konstrukt der Projektion verdrängter Partialobjekte, als das sogenannte Objekt a hat das Objekt Konsistenz, also Realität im Sinne Lacans. Die Beziehung, die das Subjekt zu diesem Objekt a unterhält, ist das Phantasma; dieses hat an seiner Oberfläche die Struktur eines Mythos und kann nach den Transformationsregeln, die Lévi-Strauss in seiner Mythenforschung entdeckt hat, seine jeweilige Gestalt als Transformation eines der fünf Urphantasmen erhalten. In seiner Tiefenstruktur erweist es sich als eine komplexe Funktion, die Imaginäres und Symbolisches ineinander verwebt. Sozusagen das Hypokeimenon, das allen phantasmatischen Verkleidungen ursprünglich zugrundeliegende absolute Objekt des Begehrens ist indes für Lacan ein Objekt, das unvermeidlich vom Begehren verfehlt wird, da es definitiv abwesend ist: das Ding. [...]
Das Lacansche ‘Ding’ (frz. la chose) ist ein diskutabler, jedoch verwirrender, weil keineswegs klar konturierter Begriff. In Juranvilles Darstellung ist spürbar, wie vage dieses Konzept, wortreicher Erläuterungen zum Trotz, in der Lacanschen Theorie bleibt. Relativ konkret aber schreibt er: „… jedes Ding ist das Ding. Das heißt der ursprüngliche Andere des Begehrens, der reale Andere - die Mutter (aber nicht als Frau des Vaters).“ Und an anderer Stelle: „Das Ding ist dieses, was unablässig immer wieder für das absolute Objekt des Begehrens gehalten wird.“

Mir ist an dieser Stelle nicht klar, ob die Zitate von Lacan oder z. B. von A. Juranville (Lacan et la philosophie, Paris: 1984/ dt. Lacan und die Philosophie, München: 1990) stammen - aber wie es auch ist, erscheinen sie mir als Charakteristika eines so zentralen Konzepts bei Lacan unglücklich, obwohl sie natürlich wichtige Punkte ansprechen.

Im gröbsten Kontext spielt das Konzept auf die infantile Amnesie an: Die gelebten Erfahrungen der frühesten Kindheit sind nicht erinnerbar, die eben auch die primären Objektbeziehungen beinhalten, und worauf sich die Formulierung der Ursprünglichkeit eines realen Anderen, den er als Mutter anspricht, bezieht. Wenn nicht irreführend, so doch wenigstens paradox ist dabei wiederum, daß die (frühe) Mutter eben nicht als die Frau des Vaters aufzufassen wäre. Das dürfte sich nur darauf beziehen, daß der uranfängliche Kontakt zwischen Mutter und Kind von der Psychoanalyse her eben als eine primäre Dyade verstanden wird. Es widerspricht freilich einer Erkenntnis von der symbolischen Effektivität bspw. des abwesenden Phallus "bereits in der maternalen Beziehung" (Lang, Sprache des Ubw, Suhrkamp: 1986); mit Eintritt ins Symbolische jedenfalls gibt es kein zurück:
"When the subject accedes to the symbolic, he [Lacan] repeats, the Real of aspired-to incestuous union, and the sexualized transgressive enjoyment or*jouissance*it would afford, is necessarily debarred." (Lacan, Jacques[Internet Encyclopedia of Philosophy])

Für die postspekuläre Zeit jedenfalls könnte man von einer doppelten Objekthaftigkeit sprechen; ich selbst würde dabei zwischen dem imaginären und einem phantasmatischen Bereich unterscheiden,womit ich durchaus an die Lacansche Theorie anschlösse, "daß das 'Objekt a' gerade bei der Signifikation durch ein Subjekt entsteht, nämlich als Verlust. Das Subjekt und das 'Objekt a' zusammengenommen bezeichnet Lacan als Phantasma" ( Google-Ergebnis für http://members.aon.at/kdobl/diss/bilder/Image53.gif - Abschnitt: Das Imaginäre). Allerdings macht Lacan diese Unterscheidung nicht. Und das erscheint mir als eine Schwäche.

Lacan formulierte auch ein Mehrwertaxiom zum Begehrenstheorem, das Guido Meyer in seiner Versuch einer Anwendung der strukturalistischen PA wie folgt wider gibt: Das Objekt klein a sei "das jeweils schwächste Glied in der Signifikantenkette, das ein Mehr an psychischer Energie freisetzt." (http://www.kt.rwth-aachen.de/wp-content/uploads/2012/01/Begeh_Meyer.pdf) Oder gemäß Klaus Doblehammer (http://othes.univie.ac.at/845/1/das_sprechen_der_sprache.pdf):: es sei "die Mehrlust, die Ursache des Begehrens" - "der Abfall, der bei der Symbolisierung entsteht und all das beinhaltet, was sich nicht symbolisiert ist/sich nicht symbolisieren läßt. Es gehört unmittelbar zum Subjekt [...]" ...
Nur kann es in einem strengen Lacanschen Sinne meiner Ansicht nach gar kein Subjekt geben, das solche Unmittelbarkeit erführe, wenn es so etwas in präspekulärer Phase ggf. gegeben haben mag. Im Lacanschen System denke ich dabei an die Jouissance, eine Art fusionärer Lusterfahrung infolge der Bedürnisbefriedigung durch die primäre Bezugsperon, deren Reproduktion aufgrund der Entstehung eines Anspruches später als unmöglich gilt.

Ich möchte meine Bedenken gegen dieses Entwicklungsmodell nicht im einzelnen darstellen, zu sehr halte ich die psychoanalytische Theorie der halluzinatorischen Wunscherfüllung bis zur Ödipustheorie aus verschiedensten Gründen für problematisch, wenn ich freilich an der klinischen Relevanz damit in gewisser Weise zusammenhängender Phänomene nur bedingte Zweifel hegen will. Und mein Eindruck ist, daß Lacan eigentlich in seinen Arbeiten, soweit ich sie kursorisch gelesen habe, durchaus häufig genug die psychoanalytische Erfahrung betont, in der eben - auf adulter Stufe - das "Lacansche Begehren" (Chan) virulent sein dürfte als "endlose Bewegung des Begehrens, die nur durch sich immer wieder verschiebende Ersatzobjekte zum vorläufigen Stoppen gebracht werden kann“ (Lipowatz - zit. nach Chan)
So würde ich bspw. Lipowatz dahingehend korrigieren, daß das ‘eigentliche’ Objekt [schon] immer verloren [war]. Ein vermeintlicher "[totaler, absoluter] Anspruch nach der [...] Dauerpräsenz der Mutter“, wie Du wohl Lipowatz ohne Quellenanagabe zitierst, ist selbst sozial hergestellt und meiner Ansicht nach sogar m. E. pathologisch; denn es wäre albern, zwar der Mutter ein eigenes Begehren zuzugestehen, aber gemäß theoretischer Vorgabe davon auszugehen - wie im zweiten Post weiter dargestellt wird -, es sei lediglich auf den Vater ausgerichtet, weshalb man von einem "Phallogozentrismus" (Derrida) der Lacanschen Symboltheorie sprechen...

Ich beende an dieser Stelle meine Befassung mit Lacan, auch wenn ich mir nicht darüber sicher bin, meine Kritik hinreichend vermittelt zu haben. Und ich habe auch viele Punkte gar nicht angesprochen, insofern würde ich mich über Widerspruch freuen, um mich von mir vernachlässigten Aspekten ggf. noch eingehender widmen zu müssen :pfeif:
 
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Danke für deine sehr kenntnisreichen Ausführungen über Kernberg, die ich im Detail noch verarbeiten muss. Ich plane mittelfristig einen Versuch, die OBTh religionspsychologisch auf theistische Systeme (poly und mono) anzuwenden als Alternative zu Freuds religionspsychologischen Ansatz, was meines Wissens bisher noch nicht geschehen ist. Reiks und Fromms Arbeiten auf diesem Gebiet haben mich dazu angeregt. Ich werde in diesem Zusammenhang auf deine psychoanalytische Kompetenz noch zurückkommen.

Immer gerne! In religionspsychologischer Hinsicht hat übrigens (in kritischer Würdigung Drewermanns Deutung der Apokalypse des Joh.) übrigens Hartmut Raguse den kleinianischen Zugang instruktiv aufgegriffen: Psychoanalyse und biblische Interpretation (Johannesoffenbarung - Apokalypse des Johannes)
Insgesamt auch sehr empfehlenswert!
 
Descartes, Spinoza; James & Damasio

Vorab möchte ich mich herzlich für die Herausforderung bedanken!

Sowohl Descartes, die James-Lange-Theorie, wie auch Damasio bieten die ideelle sowie die klinische Reduzierung der Emotionen auf die Empfindung oder Wahrnehmung organischer Veränderungen. Mit dieser Reduktion wird beispielsweise verfehlt: Die adäquate Erkenntnis der Einzeldinge sowie die adäquate Erkenntnis der Affektionen, der Emotionen des menschlichen Körpers.

Mit dem letzten Satz, so wie am Ende Deines Beitrages deutlich wird, spielst Du auf Spinoza an. Ich will hier nicht vorgreifen, aber in Ignorierung dieser Tatsache, möchte ich einen Kantianischen Einwand andeuten mit einer Frage: was garantiert denn eine angemessene Erkenntnis von Einzeldingen und Affektionen? Und wären diese überhaupt mit dem, was körperliche Emotionen sein sollten, zu identifizieren?

Ich habe mir die Orientierung in der Literatur über die Emotionen nicht leicht gemacht, mich aber ebensowenig bald nicht mehr gewundert, daß mich mein Interesse für Emotionen nach der begriffsgeschichtlichen Aufsuchung der Quellen, zunehmend für die Emotionsphilosophie zu interessieren begann, die sich gelegentlich um die Klärung solcher Fragen bemüht. Man könnte fast vermuten, daß zeitgenössische Emotionstheorien sich geradezu in die historische Anbindung drängten, um sich allein eine Legitimationsbasis für ihre Theoreme zu verschaffen. Ich will auch gleich zugeben, daß ich mittlerweile wenig Begeisterung für Damasio hege, seitdem mir seine größen Verdienste nur noch als Affirmationen erscheinen; seine Kritik an Descartes ist, wenn nicht unaufrichtig, so doch inkonsequent, wie ich längst anzudeuten versuchte, und seine Anbindung an Spinoza zeitgemäß; geradezu bedenklich erscheint mir sein Anklang, den er in der Philosophie des Geistes fand. Wenn sich tatsächlich eine Traditionslinie von Cartesius zu William James ziehen ließe, könnte sich auch von dieser Seite gewisse Widersprüche bei Damasio identifizieren lassen.

Wie dem auch sei, wäre unabhängig der Klärung solcher Vorbehalte schließlich noch zu fragen, was gegen eine Reduktion "der Emotionen auf die Empfindung oder Wahrnehmung organischer Veränderungen" (fredi) spricht. Tatsächlich gibt es eine starke Tendenz in der zeitgenössischen Emotionsphilosophie, sich für eine wahrnehmungsnanaloge Sichtweise infrage stehehender Phänomene einzusetzen, ohne zu ignorieren, daß Emotionen mehr Komponenten beinhalten als rein physiologische Körpersensationen. Hierin könnte der Reiz liegen, überhaupt an Spinoza anknüpfen zu wollen, was - wie ich in meinem Ausgangspost ansprach - eben bereits vor Damasio geschehen war.

Ich will nichts gegen Deinen Abriß der Emotionstheorie von René Dascartes einwenden (wenn ich auch mit der gelieferten Abschlußbemerkung zum vermeintlichen Anhaltspunkt in der Empirie zunächst nichts anfangen konnte); nachdem ich mich mit ihm befaßt hatte und gelegentlich weiter befaßte, beschlich mich zunehmend der Verdacht, das der Einfluß seines Leib-Seele Modells gerade aufgrund seiner wissenschaftlichen Unhaltbarkeit so einflußreich wurde - und ich denke an eine merkwürdig krude Vergleichbarkeit dieser Stellung mit Antonio Damasio.

Auch die James-Lange-Theorie bietet eine organische Lehre der Emotionen. Auch James und Lange lehren, dass körperliche Affekterscheinungen nicht von einer seelischen Bewegung abhängig sind, sondern physiologisch verankert sind. Sowohl bei Descartes, James und Lange fallen die Wahrnehmungen und die Empfindungen mit den Emotionen zusammen.

Provisorisch will ich nur einwenden, daß Emotionsbegriff bei Descartes gemäß meiner Erinnerung eher ein Konzept andeutet, für das im 20. Jh. der Begriff des Arousals eingeführt wurde. James wiederum fokussierte auf den Primat der Physiologie; ich meine, meine Lektüre der Jamesschen Theorie (s. S.2) müßte gezeigt haben, daß es ein Irrtum wäre, ihm zu unterstellen, er ignoriere so etwas wie seelische Aspekte: Er zieht nur deutlich in Erwägung, diese an physiologische Mechanismen gebunden zu betrachten.

Bereits W.B. Cannon (1927) lieferte experimentelle Befunde, dass durch körperliche Veränderung - durch erhöhte Adrenalinausschüttung der Nebennierenrinde, die durch injiziertes Adrenalin ausgelöst wurde -, Erregungszustände hervorgerufen werden.

Cannons überholte Einwände gegen eine Empfindungstheorie der Emotionen einzuführen, verfehlt zwar nicht die wissenschaftshistorische Fragestellung, aber massiv die Inhalte der infrage stehenden Phänomene. Längst weiß man, daß adrenerge Modulation - zudem peripher nervös- nur einen Aspekt emotionaler Reaktionen abdeckt und damit den Jamesschen Ansatz völlig verfehlt. In bezug auf die Geschichte der Emotionstheorien leitete Cannon freilich eine Verdopplung der Forschungsrichtungen ein: Zum einen entwarf er einen zentralnervöse Theorie, auf die Papez & McLean aufbauen konnten, zum anderen gilt er als Mitbegründer der Streßtheorie, an die der Kognitivismus, vertreten durch Richard Lazarus etwa prominent, anknüpfen konnte.

Damasio bietet „eine Variation der Emotionstheorie von Wilhelm James“ und damit „einen automatischen Rückgriff auf emotionale Erfahrungen“ Muspilli, Beitrag #5.
Damit wird meine Zusammenfassung allerdings um einiges verkürzt; zum Vergleich:

Damasio vertritt nun bekanntlich eine Variation der Emotionstheorie von William James, indem er dessen Postulat von unabdingbaren Körperreaktion für das Erleben von Emotionen aufgreift und eine wissenschaftlich überprüfbare Theorie der somatischen Marker formuliert hat, die besagt, daß jede Entscheidung sozusagen einen automatisierten Rückgriff auf emotionale Erfahrungen erfordere.
Diese Theorie wird in dem Zitat [siehe Beitrag # 5] rezipiert: Körper -> Interpretation -> Ratio

fredi schrieb:
Damasio geht aufgrund seiner klinischen Untersuchungen auf Spinoza zurück? Wohl nicht! Spinoza bietet anderes als beispielsweise Damasio.

Auch hier wußte ich zunächst nicht recht, worüber Du streiten wolltest. Tatsache ist: Damasio sucht die philosophische Anbindung an Spinoza; daß sie nicht überzeugend ist, wurde u. a. von der Spinozaforscherin Ursula Renz verschiedentlich herausgearbeitet - Literatur müßte ich raussuchen: vgl. vielleicht in: V. Waibel (Hg.), Affektenlehre und amor Dei intellectualis: Die Rezeption Spinozas im Deutschen Idealismus, in der Frühromantik und in der Gegenwart (2012); vgl. Spinoza's Ethics: A Collective Commentary - Google Books

[...] Spinoza gibt - aufgrund der Zurückweisung der Descartschen Substanzen-Lehre -, die adäquate Erkenntnis der Einzeldinge sowie die adäquate Erkenntnis der Affektionen, der Emotionen des menschlichen Körpers.

"Ich weiß allerdings auch nicht mehr so recht, warum ich behauptet habe, daß Descartes sich die "Verschiebung" nicht vorstellen konnte, schließlich ist das ja sein Vorschlag: Durch Übung die Lebensgeister in die Hirnporen zu lenken, so daß sie beispielsweise anstatt der Traurigkeit eine Freude hervorbringen. Identifiziert man die Lebensgeister mit einer libidbösen Energie gemäß Freud, würde der Idee der Sublimierung theor[e]tisch zunächst nicht im Wege stehen." Muspilli, #19.

Bei Spinoza wird nicht auf die "Lebensgeister" zurückgegangen, bei ihm ist die Gesetzlichkeit der Emotionen zu finden, etwa die Übung: "Ein Affekt kann nicht anders gehemmt oder aufgehoben werden als durch einen Affekt, der dem zu hemmenden Affekt entgegengesetzt ist und der stärker ist als dieser". Von menschlicher Knechtschaft, in: Ethik.

Ich wäre mir hier nicht sicher, ob die Lebensgeister hier entscheidend sind: man könnte sogar soweit gehen, zumindest vor dem Hintergrund, wie Du mich hier explizit zitierst, zu behaupten, daß Spinoza von Descartes auf der pragmatisch-psychotechnischen Ebene ziemlich nahe steht (s. unten); aber eine Widerlegung meines Gedankens würde ich begrüßen. Damasio (2003) jedenfalls rezipiert diese Stelle einleitend und interpretiert sie dualistisch und damit ggf. auch miß, daß Spinoza empfehle, "eine negative Emotion mit einer noch stärkeren, aber positiven Emotion zu bekämpfen, die durch Vernunft & intellektuelles Bemühen erzeugt wird." (Spinoza-Effekt, S.21) Ein Rezensent (Hartmann) wies übrigens einmal ironisch darauf hin, daß Damasio sein drittes Buch quasi im Urlaub schrieb ;-)

Aus Verlegenheit griff ich spontan zu Dominiks Perlers Darstellung von Spinozas Philosophie, wo es explizit heißt, daß Spinoza Descartes so verstanden hätte, daß jener es im Prinzip für möglich gehalten hätte, "durch wilentliche Anstrengungen direkt körperliche Prozesse zu steuern." (Transformationen der Gefühle. Ffm: S. Fischer, 2011, Kp.V.1) Ich hatte hingegen in meiner Rezeption seiner Theorie es so verstanden, daß er Einübung für möglich halte, die zur Veränderungen der emotionalen Reaktion führe. So interpretiert, bin ich mir über einen notwendig resultierenden Unterschied beider Positionen nicht sicher.

Erst mit der Verlagerung von der mechanistischen Ideen-Organ-Spekulation, von der Alltagsbeobachtung zur experimentellen und klinischen Untersuchung der Affekterscheinungen kristallisierte sich beispielsweise heraus: Bilden die organischen Veränderungen bei Emotionen das Hauptphänomen, wird deren Auftreten im Bewusstsein nur ein Epiphänomen sein. Oder. Ist das bewusste Erleben der Emotionen das Hauptphänomen, stellen die begleitenden körperlichen Veränderungen nur ein Epiphänomen dar.

„Unter Affekt verstehe ich die Affektionen des Körpers, durch die die Wirkungskraft des Körpers vermehrt oder vermindert, gefördert oder gehemmt wird, und zugleich die Idee dieser Affektion.“ „Das erste, was das wirkliche Sein des menschlichen Geistes ausmacht, ist nichts anderes als die Idee eines wirklich existierenden Einzeldinges.“ Spinoza: Ethik.

Bei Descartes sind die Affektionen, die Emotionen keinesfalls gerichtet weder auf wirklich existierende Einzeldinge noch auf unseren Körper; sie sind und bleiben - aufgrund seiner Substanzen-Lehre -, subjektiv, so das sein „Ich“ keine Eigenschaften bestimmter Objekte kennt, also auch keine adäquate Erkenntnis, beispielsweise der Einzeldinge kennt.

Wie angedeutet, sehe ich diese starken Kontraste zwischen Descartes & Spinoza noch nicht, wenn ich mich auch gerne einer ausgefeilteren Ansicht belehren ließe. Persönlich sehe ich zwar - nach Durchsicht bei Perler (a. a. O.) - in der basisemotionstheoretischen Grundlegung Spinozas einen systematisch gehaltvolleren Ansatz (vor allem in entwicklungspsychologischer Perspektive und vielleicht sogar aktualgenetischer Hinsicht) als in der cartesischen Willkürklassifikation. Aber mir scheint doch auch Descartes allgemeine Kategorisierung der Gefühle/Emotionen als Gedanken durchaus überhaupt eine Voraussetzung zu sein, wenn ich etwa lese, daß Spinoza (etwa Ethik III, Appendix) einen "Affekt" als "Leidenschaft des Gemüts" auch als "verworrene Idee" bezeichnet (zit. nach Perler, a. a. O., S.387).
 
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