Indogermanen, Konstrukt oder Wirklichkeit?


Das ist ein nicht ausrottbarer Mythos.

Die Herkunft der so genannten "Seevölker" ist bis heute ungeklärt. Aktuelle Hypothesen postulieren vieles, aber keine zerstörerische Invasion im Raum des Mittelmeers aus Nord- oder Zentraleuropa. Die Urnenfelderkultur selbst hat das bronzezeitliche Griechenland nie erreicht.
 
Zumindest, laut der Masterarbeit von Kristin Romey, sollen die Schiffe der Seevölker aus der Urnenfelderkultur stammen.

Vielen Dank für den Link.:winke:

Ich verstehe die Zusammenfassung so, dass nur sehr vorsichtig über Fundgegenstände spekuliert wird, die einen gewissen zentraleuropäischen Bezug haben, die Herkunft der Schiffe und anderen Gegenstände ebenso wie die Zusammensetzung der Seevölker aber offen bleibt.
 
Die Gen-Analysen zur Herkunft der Indoeuropäer sind widersprüchlich und lassen vielfach einen seriösen Hintergrund vermissen. Ich glaube nicht, dass wir diesem Geheimnis durch die Gentechnik auf die Spur kommen können.
Postulieren kann man viel, aber lässt sich das auch einigermaßen verlässlich beweisen? Indoarier und Indoiraner sind etwa Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. nach Nordindien und in den Iran eingewandert. Statt einen Ausgangspunkt in Europa anzunehmen läge es doch näher, diese halbnomadischen Immigranten etwa nördlich des Kaspischen und Schwarzen Meers zu verorten.
Warum nicht. Das ist auch Europa. Die Schwarzmeersintflut wurde ja widerlegt. Forschung: Die Sintflut ? ein Rinnsal - Wissen - Tagesspiegel
Aber es lässt sich nunmal nicht abstreiten, dass alle, die die LCT-13.910 C/T-Mutation, tragen einen gemeinsamen Vorfahren haben, und nach heutigem Kenntnissstand kommt dieser aus Zentraleuropa.

Es fällt mir sogar außerordentlich schwer, mir vorzustellen, dass Bevölkerungsgruppen vor 4000 Jahren von Mitteleuropa nach Indien zogen - allen Klimakatastrophen zum Trotz.
Du darfst dir das nicht in einem Rutsch vorstellen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Bei der Ausbreitung der Indogermanen bzw. indogermanischer Sprachen von der "Urheimat", wo auch immer diese zu verorten sein mag, gibt es die verschiedene Modelle, für die wir aus besser dokumentierten Zeiten Beispiele finden:

  • Unterwerfung der Urbevölkerung durch Indogermanen und deren Assimilierung
  • Friedliche Besiedlung durch Indogermanen und Assimilierung der Urbevölkerung im Laufe der Zeit.

Gibt es denn irgendwelche Beweise, welches Modell vorzuziehen ist? DNA-Untersuchungen scheinen keine eindeutige Ergebnisse zu liefern. Schriftliche Überlieferungen gibt es nicht. Eine Zuweisung bestimmter archäologischer Kulturen zu den Indogermanen scheint auch nicht vorzuliegen. :grübel:

Mir scheint, dass wir definitiv lediglich wissen, dass wir definitiv nichts wissen.:rofl:
 
Gibt es denn irgendwelche Beweise, welches Modell vorzuziehen ist? DNA-Untersuchungen scheinen keine eindeutige Ergebnisse zu liefern. Schriftliche Überlieferungen gibt es nicht. Eine Zuweisung bestimmter archäologischer Kulturen zu den Indogermanen scheint auch nicht vorzuliegen.

Die Forschung kommt schon seit über hundert Jahren zu keinem allseits akzeptierten Ergebnis und das dürfte sich auch in Zukunft nicht ändern. Weder die Archäologie noch die Sprachwissenschaft können die Ausbreitung der indoeuropäischen Sprachen und ihrer ursprünglichen Träger zufriedenstellend klären.

Ich verstehe aber gut, dass es die Forschung stets reizen wird, neue Erklärungsmodelle vorzutragen, denn schließlich ist wissenschaftliche Neugier eine große Triebkraft bei ungelösten Problemen. Und so sind auch die aktuelleren Publikationen von David Anthony, Harald Haarmann und Alexander Häusler als ein Beitrag in dieser Richtung zu verstehen - auch wenn der erneut heftig umstritten ist.
 
In dieser aktuellen Veröffentlichung erläutern David W. Anthony und Don Ringe ihre Theorie zur indoeuropäischen Urheimat (Indo-European Homeland): An Error Occurred Setting Your User Cookie

[FONT=AdvOT0f8d4fe6.B][FONT=AdvOT0f8d4fe6.B][FONT=AdvOT0f8d4fe6.B]Abstract[/FONT][/FONT][/FONT]
Archaeological evidence and linguistic evidence converge in support
of an origin of Indo-European languages on the Pontic-Caspian
steppes around 4,000 years BCE. The evidence is so strong that arguments
in support of other hypotheses should be reexamined.
David W. Anthony and Don Ringe, The Indo-European Homeland from Linguistic and Archaeological Perspectives, Annu. Rev. Linguist. 2015. 1:199[FONT=AdvOTfe83be88+20][FONT=AdvOTfe83be88+20]–219

[/FONT][/FONT]
 
Auf jeden Fall waren die Steppenkrieger den Bauern in ihren isolierten Dörfern aufgrund ihrer Mobilität, ihrer hierarchischen Effektivität und vermutlich ihrer kriegerischeren Mentalität überlegen. Hätten sich die Bauern effektiv wehren können, wäre es nicht zur Ausbreitung der indoeuropäischen Sprachen gekommen. Also war die bäuerliche Bevölkerung anscheinend unterlegen.
Ist das nicht ein Zirkelschluss? Wir diskutieren doch insbesondere OB eine autochthone Bevölkerung die Sprache Weniger übernommen hat oder nicht.


Zu Gimbutas und Matriarchat möchte ich auch noch etwas sagen:
Die Vorstellung einer (geschlechtlich) "egalitären" Gesellschaft mit von der mütterlichen Abstammung abhängigem Eigentum und einer nur-weiblichen Priesterschaft klingt doch schon sehr nach feministischen Wunschvorstellungen einer besseren Welt, die auf die Vergangenheit projiziert werden. Dabei spricht aus einer nur-weiblichen Priesterschaft zudem doch eine weibliche Vorherrschaft, denn Religion ist ein starkes Herrschaftsinstrument. Aus welchen Fakten soll denn solch ein Szenario als tatsächlich so gewesen gefolgert werden?


Ein weiterer Aspekt der Sprachverbreitung kann auch das Angebot einer lingua franca sein. Wenn eine sesshafte bäuerliche Bevölkerung wenig Kontakt zu anderen Bevölkerungen umzu hat, werden sich die Sprachen immer weiter differenzieren, so dass eine Verständigung über einige Entfernung immer schwieriger wird. Als Beispiel möchte ich das mitunter wohl sehr unterschiedliche Plattdeutsch selbst in benachbarten Dörfern benennen. Wenn nun Eindringlinge kommen, die viel reisen, bietet sich deren Sprache als gemeinsame Sprache an, um so mehr, wenn sie neue Konzepte mitbringen, die man in den lokalen Sprachen gar nicht zu bezeichnen weiß und zugleich den Handel ankurbeln. Was spräche eigentlich gegen diese Ursache?
 
Ist das nicht ein Zirkelschluss? Wir diskutieren doch insbesondere OB eine autochthone Bevölkerung die Sprache Weniger übernommen hat oder nicht.

Eigentlich nicht. Wenn man mal von Ausrottungsphantasien absieht, sind sich eigentlich alle einig, dass eine alteuropäische Bevölkerung indoeuropäisiert wurde. (Außer natürlich irgendwelchen Phantasten, die meinen, die meinen, dass ihre Kultur der Nabel der Welt sei und schon immer dort hockte, wo sie heute auch noch hockt.)
Man kann ggf. sogar die Vereinzelsprachlichung neben der räumlichen Trennung über Zeiträume hinweg als Folge eines wie auch immer gearteten sprachlichen Sub- oder Adstrats sehen. Ist halt schwierig bis unmöglich das ohne erhaltene Sprachtrümmer irgendwie zu belegen.

Das Problem dieses Threads sind die verschiedenen ideologischen Aufladungen. Da werden die Indoeuropäer zum einen als grausames Volk gesehen, welches eine Bevölkerung friedlicher Autochthoner überwältigt und umgedreht hat, zum anderen unterstellt man der alteuropäischen Bevölkerung eine nicht beweisbare ethische Haltung.

D.h., obwohl sich die Kenntnis der vorschriftlichen Geschichte im Prinzip auf einige wenige Knochen-, Keramik-, Metall- und Feuersteinfunde bezieht, und ein klein wenig auch auf eine historiolinguistische "Archäologie" wird hier ethisch gewertet. Weil man unterstellt, dass eine Gruppe A Alteuropäer von einer Gruppe B Indoeuropäer brutal unterworfen wurde. Auf Basis dieser Unterstellung, nicht auf Basis belastbarer Belege, findet diese Wertung statt.
 
Ist das nicht ein Zirkelschluss? Wir diskutieren doch insbesondere OB eine autochthone Bevölkerung die Sprache Weniger übernommen hat oder nicht.

Wie ElQ schon sagte, entspricht das nicht einem klassischen Zirkelschluss. Wenn wir - wie viele - davon ausgehen, dass indoeuropäische Gruppen eine alteuropäische autochthone Bevölkerung überschichteten, so müssen sich die Immigranten zumindest sprachlich durchgesetzt haben. Inwieweit das auch kulturell erfolgt ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Manche vermuten, dass es sich bei den Indoeuropäern um eine patriarchale, hierarchische Gesellschaft gehandelt habe, während die Alteuropäer sozial wenig geschichtet gewesen seien.

Der Beweis für solche Überlegungen ist allerdings schwer zu erbringen. Er stützt sich auf die vermutete Dominanz eines männlich ausgerichteten Götterhimmels, auf die Annahme einer hierarchisch gegliederten indoeuropäischen Gesellschaft und auf bessere Bewaffnung und ausgeprägte Mobilität. Basis für solche Hypothesen ist der Wortschatz der nur hypothetisch erschlossenen indoeuropäischen Grundsprache sowie Grabfunde in Kurgangräbern, die von Anhängern der Kurgan-Hypothese als typisch indoeuropäisch angesehen werden.
Da diese Beweislage dünn ist, hat sie seit jeher Kritiker herausgefordert.

Zu Gimbutas und Matriarchat möchte ich auch noch etwas sagen:...

Ein neolithisches Matriarchat hat Marija Gimbutas nie postuliert. Dazu war sie als renommierte Wissenschaftlerin viel zu klug. Man darf nicht vergessen, dass sie eine hochdekorierte Archäologin war, die jahrzehntelang Ausgrabungen in Jugoslawien, Griechenland und Italien leitete. Was die Gimbutas allerdings postuliert hat, ist eine im europäischen Neolithikum zwischen den Geschlechtern ausgewogene Gesellschaftsform mit matrilinearer Deszendenz - was nicht auf ein Matriarchat hinausläuft.

Auch hier ist die Beweislage schwierig, wenn nicht unmöglich. Einziger Anhaltspunkt sind reichhaltige Funde weiblicher Statuetten und Idole bei nahezu völliger Abwesenheit männlicher Figuren. Ferner die Überlegung, dass es im neolithischen Europa (vor Ankunft der Indoeuropäer) keine feudale Kriegerkaste und keine großräumigen Eroberungen gab, sondern lediglich verstreute und meist in der Wildnis isolierte winzige Dörfer. Dort, so die Gimbutas, waren die Frauen in gleichem Maße wie die Männer an der Existenzsicherung beteiligt, denn an Aussaat, Ernte und Pflege des Bodens hatten sie entscheidenden Anteil. Daher - so die Folgerung - waren die Geschlechter im Rang gleichestellt.Archäologische Untersuchungen und Funde aus Gräbern sollen belegen, dass keine Hierarchien existierten, sondern eine sozial egalitäre Gesellschaft.

Dennoch bleibt auch hier die Beweislage für ein matrilinear organisiertes neolithisches Europa dünn und hat demzufolge massive Kritik herausgefordert.

Ein weiterer Aspekt der Sprachverbreitung kann auch das Angebot einer lingua franca sein.

Eine lingua franca nur durch eine Kulturtrift vom Rhein bis Indien ist schwer vorstellbar, noch dazu vor 5000 oder 4000 Jahren. Eher wäre eine Kulturtrift von Babylonien oder von Ägypten nach Europa denkbar.
 
Ist das nicht ein Zirkelschluss? Wir diskutieren doch insbesondere OB eine autochthone Bevölkerung die Sprache Weniger übernommen hat oder nicht.
Eigentlich nicht. Wenn man mal von Ausrottungsphantasien absieht, sind sich eigentlich alle einig, dass eine alteuropäische Bevölkerung indoeuropäisiert wurde.
Es macht doch einen wesentlichen Unterschied, ob nun ganz viele Indoeuropäer auf ganz wenige Alteuropäer getroffen sind, oder ganz wenige Indoeuropäer auf viele Alteuropäer. Mit dem Wort "Weniger" habe ich mich auf diese Mengenverhältnisse bezogen. Zunächst einmal erstaunlich wäre es doch, wenn zahlenmäßig weit unterlegene Zuwanderer es geschafft haben sollten, die Sprache einer großen Gruppe von Menschen durch die mitgebrachte Sprache zu ersetzen. Von Ausrottung habe ich nicht gesprochen. Ich wollte lediglich das Szenario beschreiben, was ich hier projiziert sehe.


Ein neolithisches Matriarchat hat Marija Gimbutas nie postuliert. Dazu war sie als renommierte Wissenschaftlerin viel zu klug. Man darf nicht vergessen, dass sie eine hochdekorierte Archäologin war, ... . Was die Gimbutas allerdings postuliert hat, ist eine im europäischen Neolithikum zwischen den Geschlechtern ausgewogene Gesellschaftsform mit matrilinearer Deszendenz - was nicht auf ein Matriarchat hinausläuft.

Wie gesagt, matrilinear plus Priesterfunktion fest in weiblicher Hand, bedeutet doch wohl eine signifikante weibliche Dominanz.


Auch hier ist die Beweislage schwierig, wenn nicht unmöglich. Einziger Anhaltspunkt sind reichhaltige Funde weiblicher Statuetten und Idole bei nahezu völliger Abwesenheit männlicher Figuren.

Als Hinweis finde ich das zwar tauglich, aber nicht zwingend als Beweis. Es gibt ja auch andere Deutungsmöglichkeiten für diese Statuetten.


Ferner die Überlegung, dass es im neolithischen Europa (vor Ankunft der Indoeuropäer) keine feudale Kriegerkaste und keine großräumigen Eroberungen gab, sondern lediglich verstreute und meist in der Wildnis isolierte winzige Dörfer.

Setzt so etwas wie eine "Kriegerkaste" nicht eine weiträumige Kommunikation voraus? Die verstreuten kleinen Dörfer kann ich mir, wie bereits gesagt, gut als ursächlich für die Bereitschaft eine gebietsfremde Sprache als lingua franca zu akzeptieren, vorstellen. Womöglich haben die Zuwanderer Bewegung in die Bevölkerung gebracht, die sich nun zwar begegnete, aber nicht in der Lage war, in gebietsansässigen Sprachen miteinander zu kommunizieren. Da springt nun die mitgebrachte Sprache der Zuwanderer ein, von der Menschen in den verschiedenen Dörfern schon ein bißchen gelernt haben. Ich sage nicht, dass es so gewesen sei; ich will nur mal diese Möglichkeit mit ins brainstorming einführen.


Dort, so die Gimbutas, waren die Frauen in gleichem Maße wie die Männer an der Existenzsicherung beteiligt, denn an Aussaat, Ernte und Pflege des Bodens hatten sie entscheidenden Anteil. Daher - so die Folgerung - waren die Geschlechter im Rang gleichestellt.
Diese Folgerung kann ich so nicht nachvollziehen. Ist es nicht in vielen streng patriarchalen Kulturen so, dass die Frauen ganz erhebliche Teile der Feldarbeit leisten? Seit wann führt harte körperliche Arbeit zu besseren politischen Rechten? (praktisch betrachtet, nicht moralisch)


Archäologische Untersuchungen und Funde aus Gräbern sollen belegen, dass keine Hierarchien existierten, sondern eine sozial egalitäre Gesellschaft.
Das könnte aber auch ein Zeichen dafür sein, dass soziale Unterschiede im Diesseits nicht in Grabbeigaben für das Jenseits fortgesetzt wurden. Wenn ich an die Begräbnisse unserer Zeit denke, würde es vermutlich schwerfallen, einen Bundespräsidenten von einem Hilfsarbeiter zu unterscheiden. Beide liegen in ähnlichen Särgen oder Urnen. Die unterschiedliche Zahl der Gäste der Trauerfeier ist archäologisch nicht feststellbar, der Unterschied zwischen einem ökonomischen Imbiß und einer aufwändigen Feier in einem teuren Hotel auch nicht.



Eine lingua franca nur durch eine Kulturtrift vom Rhein bis Indien ist schwer vorstellbar, noch dazu vor 5000 oder 4000 Jahren. Eher wäre eine Kulturtrift von Babylonien oder von Ägypten nach Europa denkbar.
Von einer sprachlichen Trift habe ich nicht gesprochen.
 
Zunächst einmal erstaunlich wäre es doch, wenn zahlenmäßig weit unterlegene Zuwanderer es geschafft haben sollten, die Sprache einer großen Gruppe von Menschen durch die mitgebrachte Sprache zu ersetzen.

Genau das haben wir aber in der Weltgeschichte mehrfach erlebt. Einige Beispiele wurden im Thread genannt: Römer, Araber, Slawen, Türken, Spanier.

Wie gesagt, matrilinear plus Priesterfunktion fest in weiblicher Hand, bedeutet doch wohl eine signifikante weibliche Dominanz.
Gimbutas macht das nicht ungeschickt; in The Goddesses and Gods of Old Europe. Myths and Cult Images von 1984 erwähnt sie genau einmal, in den Schlussfolgerungen, in der Form eines Zitates eines Buches von 1971, dessen Verfasser Niemeyer aber in der Bibliographie nur in einer Publikation von 1954 vorkommt (dies halte ich für ein Versehen, nicht für Absicht), ein "psychologisch-matriarchales Alteuropa".

Dieter schrieb:
Auch hier ist die Beweislage schwierig, wenn nicht unmöglich. Einziger Anhaltspunkt sind reichhaltige Funde weiblicher Statuetten und Idole bei nahezu völliger Abwesenheit männlicher Figuren.
Als Hinweis finde ich das zwar tauglich, aber nicht zwingend als Beweis. Es gibt ja auch andere Deutungsmöglichkeiten für diese Statuetten.
Die berühmten Damen, wie die Venus von Willendorf sind in ihrer Funktion sicher vielschichtig. Gimbutas präsentiert allerdings in Goddesses and Gods einige sehr abstrahierte anthropomorphe Figuren, die man kaum als PinUps interpretieren kann, die aber recht eindeutig weibliche Attribute haben. Wir wissen natürlich nicht, ob es sich um Göttinnendarstellungen handelt, aber mit der Interpretation wird es hier schwierig.
Gimbutas präsentiert allerdings auch eindeutig männliche Figuren, die sie aber auch als solche identifiziert. Wie sie zu der Auffassung kommt, dass die "Große Göttin" wichtiger gewesen sei, als die männlichen Figuren, das wird nicht deutlich. Vielen Figuren, die nichts weibliches an sich haben, dichtet sie auch Weiblichkeit an, etwa einer Hybridfigur aus Mensch und Vogel, welche sie als Vogelgöttin erkennen will.
Was ihr hätte auffallen können, ist, dass auch eindeutig männliche Figurinen z.T. ein ausladendes Gesäß haben und es daher keine Veranlassung gibt, Figuren, deren Gesäß als ausladend zu beschreiben ist, zwingend als weiblich zu interpretieren, wenn ansonsten keine Geschlechtsmerkmale zu erkennen sind.

Diese Folgerung kann ich so nicht nachvollziehen. Ist es nicht in vielen streng patriarchalen Kulturen so, dass die Frauen ganz erhebliche Teile der Feldarbeit leisten? Seit wann führt harte körperliche Arbeit zu besseren politischen Rechten? (praktisch betrachtet, nicht moralisch)
Das ist ein wichtiger Punkt. Es gibt auch heute noch Kulturen, in denen die Feldarbeit an den Frauen hängen bleibt, sie aber rechtlich den Männern deutlich nachgestellt sind; selbst wenn das normierte Recht der jeweiligen Länder etwas anderes besagt.
 
Zunächst einmal erstaunlich wäre es doch, wenn zahlenmäßig weit unterlegene Zuwanderer es geschafft haben sollten, die Sprache einer großen Gruppe von Menschen durch die mitgebrachte Sprache zu ersetzen.
Genau das haben wir aber in der Weltgeschichte mehrfach erlebt. Einige Beispiele wurden im Thread genannt: Römer, Araber, Slawen, Türken, Spanier.
Und eben das wollte ich weder abstreiten noch übersehen. Ich habe nur gesagt, dass es erstaunlich ist. Es ist nämlich einer der Umstände, der an der These, eine ganz andere Sprache sei durch wenige Experten und/oder wenige überlegene Krieger mitgebracht worden und habe dann die Sprache(n) der autochthonen Bevölkerung ersetzt, Kopfzerbrechen macht. Eben dieses Szenario macht uns ja denken, dass es ganz besonderer Umstände dazu bedurft haben müsste. Dabei scheidet z.B. wohl aus, dass die neue Sprache schriftlich war, während die verdrängten Sprachen keine Schrift kannten, da wir keinerlei Spuren für eine Schriftlichkeit des damaligen Indogermanischen haben. Die Frage ist also, welche anderen Mechanismen geeignet sein könnten, solche eine Sprachverdrängung entgegen den Mengenverhältnissen der Mischbevölkerung zu bewirken.


Gimbutas macht das nicht ungeschickt; in The Goddesses and Gods of Old Europe. Myths and Cult Images von 1984 erwähnt sie genau einmal, in den Schlussfolgerungen, in der Form eines Zitates eines Buches von 1971, dessen Verfasser Niemeyer aber in der Bibliographie nur in einer Publikation von 1954 vorkommt (dies halte ich für ein Versehen, nicht für Absicht), ein "psychologisch-matriarchales Alteuropa".
Und eben diese "Geschicklichkeit" mit der sie offenbar (ich habe sie selbst nicht gelesen, bin also auf eure Berichte hierüber angewiesen) Dinge suggeriert, ohne sie "sagen" zu wollen, spricht für eine gewisse Voreingenommenheit, die ich eben auch in einer "feministischen 'Geschichtsforschung'" [für mich ein Widerspruch in sich, weil ein dogmatisches Adjektiv mit dem Begriff Forschung verknüpft wird] sehe. Für mich ist Wissenschaft eine Denkweise, die die Ergebnisse niemals vorwegnimmt, nicht versucht eine bestimmte Annahme zu beweisen, sondern möglichst unvoreingenommen und in alle Richtungen offen, Thesen entwickelt und danach falsifiziert, so dass übrig bleibt, was die Falsifizierung übersteht.


Die berühmten Damen, wie die Venus von Willendorf sind in ihrer Funktion sicher vielschichtig. Gimbutas präsentiert allerdings in Goddesses and Gods einige sehr abstrahierte anthropomorphe Figuren, die man kaum als PinUps interpretieren kann, die aber recht eindeutig weibliche Attribute haben. Wir wissen natürlich nicht, ob es sich um Göttinnendarstellungen handelt, aber mit der Interpretation wird es hier schwierig.
Gimbutas präsentiert allerdings auch eindeutig männliche Figuren, die sie aber auch als solche identifiziert. Wie sie zu der Auffassung kommt, dass die "Große Göttin" wichtiger gewesen sei, als die männlichen Figuren, das wird nicht deutlich. Vielen Figuren, die nichts weibliches an sich haben, dichtet sie auch Weiblichkeit an, etwa einer Hybridfigur aus Mensch und Vogel, welche sie als Vogelgöttin erkennen will.
Was ihr hätte auffallen können, ist, dass auch eindeutig männliche Figurinen z.T. ein ausladendes Gesäß haben und es daher keine Veranlassung gibt, Figuren, deren Gesäß als ausladend zu beschreiben ist, zwingend als weiblich zu interpretieren, wenn ansonsten keine Geschlechtsmerkmale zu erkennen sind.
Auch das spricht nicht für die Unvoreingenommenheit von Frau Gimbutas. Ich denke, wir sollten mit ihren Arbeiten so umgehen, wie mit anderen auch: Respektvoll der Leistung gegenüber, die ich ihr keinesfalls absprechen will. Aber stets kritisch alles hinterfragend. Und stets eingedenk dessen, dass jeder von uns durch seine eigenen Vorurteile und Wünsche in seiner Objektivität beschränkt ist. Gerade um diesen Effekt zu verringern, ist es wichtig, alles zu hinterfragen. Voreingenommenheit ist nicht schuldhaft. Problematisch wird sie, wenn man wider besseren Wissens daran festhält, Beweise und eigene Zweifel unterschlägt.


Das ist ein wichtiger Punkt. Es gibt auch heute noch Kulturen, in denen die Feldarbeit an den Frauen hängen bleibt, sie aber rechtlich den Männern deutlich nachgestellt sind; selbst wenn das normierte Recht der jeweiligen Länder etwas anderes besagt.

Danke hierfür.
 
Mir ist nur bei diesen Ausführungen nicht ganz klar, was das spezifisch Neue an Anthony ist. Im Prinzip decken sich Anthonys historiolinguistische Angaben mit dem, was seit dem 19. Jhdt. in der Indogermanistik weitgehend Konsens ist.

Die Frage drängt sich natürlich auf, wenn Chan Anthony auf die Homeland-Debatte reduziert und damit wieder gegen den Strich bürstet (#425, durchsichtigerweise als cherry picking abgestellt auf eine Gimbutas-Apoletik).

Diese entspricht nicht dem Kern von Anthonys Darstellung, sondern ist für ihn lediglich Ausgangspunkt für Folgendes:

1. Widerspruch zu Gimbutas Chronologie

2. Widerspruch zu Gimbutas Verbreitungs"modell" (besser wohl: Vorstellungen), sowohl
(a) geografisch, als auch
(b) in den kausalen "Mechanismen", und natürlich
(c) Widerspruch zu ihren Kurgankultur-Migrationsvorstellungen

3. Widerspruch zu Gimbutas "Manipulation" der Proto-IE-Debatte mit kausalen und kultischen Aufladungen (patriarchiale "warlike invaders", die ein utopisches prehistorisches Europa "of feminine peace and beauty" zerstört hätten)

Die "homeland"-Debatte (in der Chan einen befriedigenden Gleichklang Anthonys mit Gimbutas homeland-Vorstellungen entdeckt hat) ist damit für Anthony zwar nicht gerade eine Nebensächlichkeit, aber nur Ausgangspunkt für die Diskussion der Aus- und Verbreitung der Sprache. Da ein Ausbreitungsmodell vorschlägt, setzt er logischerweise ein "homeland" voraus. Hier schließt er sich alten Vorstellungen an.
 
@Silesia:
So ganz ohne "homeland" kommt mir die Sache aber noch seltsamer vor. Wenn sich wo auch immer eine Sprache entwickelt, dann doch unter konkreten Menschen in ihrer tagtäglichen Kommunikation und mithin (in der pre-Internet-Zeit) in irgendeinem geografischen Gebiet. Nachdem sich eine SPrache entwickelt hat, mag sie sich ja auf die eine oder andere Weise in andere Gebiete ausdehnen oder, in recht ungewöhnlichen Fällen, mag die ganze Sprachbaevölkerung das Gebiet wechseln. Aber wir sprechen ja die ganze Zeit vom aufnehmenden Gebiet (Alt-Europa). Habe ich jetzt irgendwas völlig falsch verstanden? Dieser Eindruck drängt sich mir auf.
 
@Silesia:
So ganz ohne "homeland" kommt mir die Sache aber noch seltsamer vor. ...Habe ich jetzt irgendwas völlig falsch verstanden? Dieser Eindruck drängt sich mir auf.

Ja, das hast Du falsch verstanden, und insofern wäre auch Dein Einwand völlig richtig, wäre das nicht Grundlage der Ausbreitungsüberlegungen.

Die Ausbreitungsmodelle übernehmen eine "Homeland"-Vorstellung, kommen denklogisch gar nicht ohne aus. So auch Anthony, der hier - was auch nicht kontrovers diskutiert wurde - mit Gimbutas bzw. ihren älteren Vorgängern der These geografisch übereinstimmt. Auch die Begrifflichkeit "old-Europe" wird übernommen und fortgeführt.
 
Als stiller Mitleser drängen sich mir ein paar Fragen auf, wovon zumindest erstere wohl nur sehr schwer zu beantworten sein wird.

Von welcher Anzahl an Menschen spricht man, wenn man das Indoeuropäische Urvolk meint? Und ist dann damit wirklich ein Volk, also eine Art loser Stammesverband gemeint oder viel mehr dutzende, hunderte Kleinstämme, welche schon untereinander kleine Unterschiede aufweisen, aus welchen sich dann später die einzelnen indoeuropäischen Völker herausbilden? (Oder geschieht das erst mit den größeren Wanderbewegungen, ua im Zuge der Vermischung mit der Urbevölkerung (Europas, Nordindiens)

Und gibt es eigentlich außerdem irgendwelche Anhaltspunkte, weshalb gewisse Völker wie die Kelten und Illyrer doch um einiges früher als die Italiker, oder gar Germanen und Slaven in Europa ankamen?
 
Wenn es stimmt, dass wir in Europa von nur 7 Müttern stammen (7 von insgesamt 13, die die eine Frau, aus Afrika kommend, hatte), dann könnte es sein, dass die ganze Population Europas – mit Ausnahme der Neandertaler – anfangs die gleiche Sprache sprach.

Was spricht dagegen, dass das schon die indogermanische Sprache war, d.h. dass es keine andere alteuropäische Sprache gegeben hat?
 
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