Hallo Paris, ich glaube, Deine Frage ist nicht ganz richtig gestellt.
Die Bayern sind erst einmal die Bewohner_innen des Bundeslandes Bayern bzw. mehr so die von Ober- und Niederbayern, denn die anderen werden bekanntlich böse, wenn man sie als Bayern bezeichnet, denn es sind ja Franken und Schwaben und Oberpfälzer ;-). Bayern mit y gibt es erst seit dem 20. Oktober 1825, als der bairische und dann bayerische König Ludwig I. die Schreibweise mit y anordnete.
Geschichte Bayerns ? Wikipedia
Deine Frage zielt wahrscheinlich auf das germanische "Volk" oder den "Stamm" der Bajuwaren ab (
Bajuwaren ? Wikipedia ). Auch da sollte man die Frage bisschen anders stellen. Die Bajuwaren waren ja keine Tierart, die sich in irgendwelche biologische Systematiken (
http://de.wikipedia.org/wiki/Systematik_(Biologie) ) einreihen lässt und wo dann irgendwelche Stammbäume mit immer weiteren Verästelungen entstehen. Ja, ich weiß, dass das lange so fast biologistisch gesehen wurde - alles etwas überspitzt formuliert - und man auf der Suche nach DEN Vorläufern, Vorfahren etc. war (und gelegentlich noch immer ist). Da hat sich aber in der Geschichtsforschung und Archäologie in den letzten sagen wir mal 20 Jahren sehr viel geändert. Das Stichwort ist Ethnogenese – als Einstieg auch hier wieder der Wikipedia-Artikel, auch wenn der noch nicht wirklich gut ist:
Ethnogenese ? Wikipedia
Noch besser ist es, die in dem Artikel unten genannten Bücher und Aufsätze mal anzuschauen, vor allem von Sebastian Brather für die Archäologie und für die Geschichte die sogenannte Wiener Schule der Frühmittel*alterforschung um Herwig Wolfram und Walter Pohl.
Das wichtige Buch von
Sebastian Brather, Ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie. Geschichte, Grundlagen und Alternativen. Ergänzungsbände zum Reallexikon der germanischen Altertumskunde 42 (Berlin 2004). ISBN 3-11-018040-5 gibt es übrigens bei
Ethnische Interpretationen in der ... - Google Bcher zum Anlesen und in jeder Uni-Bibliothek.
Keine Angst, das liest sich wirklich gut.
Die germanischen Stämme, Völker oder Ethnien, besser in der Sprache der zeitgenössischen Quellen mit
gentes zu benennen, waren keine festen und abgeschlossenen Einheiten, sondern - um mal einen soziologischen Begriff zu bemühen - Wir-Gruppen (dazu ganz kurz im www z.B. hier:
http://www.soziologie.phil.uni-erlangen.de/files/lehre/Handout Referat 5.pdf oder
http://ifbm.fernuni-hagen.de/lehrge...egriffe/Ethnie-Ethnozentrismus-Ethnizitat.pdf ).
Sebastian Brather hat das in dem oben genannten Buch auf S. 54 (
Archologie der westlichen Slawen ... - Google Bcher ) für die Slawen so ausgedrückt:
Neu entstehende Großverbände ... waren fragil und "polyethnisch", d.h. aus Leuten und Gruppen ganz unterschiedlicher Herkunft zusammengesetzt, die nicht durch eine gemeinsame Kultur oder gemeinsame Sprache, sondern durch verschiedene "Traditionskerne" mit dem Glauben an eine gemeinsame Abstammung und dem Glauben an eine gemeinsame Kultur zusammengehalten wurden.
Das gilt genauso auch für die Bajuwaren und andere germanischen
gentes. Man könnte nun fragen, welche älteren Gruppen, Stämme, Völker … so alles an der Ethnogenese der Bajuwaren beteiligt war. Dazu noch mal ein Zitat aus dem Wikipedia-Artikel zur Ethnogenese, der ganz wesentlich auf einen Artikel von Roland Steinacher aus der genannten Wiener Schule beruht.
Roland Steinacher, Ethnogenese, Gens, Regnum. Die historische Ethnographie. Latein-Forum. Zeitschrift für Latein-, Griechisch- und GeschichtelehrerInnen 50/51.
http://www.latein-forum.tsn.at/Downloads/13_steinacher ethnogenese.pdf
Gerade die Bayern wären ein Paradebeispiel für eine recht spät entstandene neue Identität. Germanische und nichtgermanische Gruppen, Zuwanderer nach Raetien, germanisch-romanische Provinzialen, naristische, skirische, erulische, donausuebische und alamannische Elemente, sowie Thüringer und Langobarden formierten sich zu den Bayern. Keine Spur von Wanderungen germanischer Bajuwaren aus Böhmen, die anhand ihrer unverwechselbaren Keramik seit der Bronzezeit zu greifen wären. Es gab vor allem im inneralpinen Bereich Romanen, die der bayerischen Rechtsgemeinschaft angehörten. Vom achten Jahrhundert an kennen die Quellen auch slawische Bayern.
Zwar weiß ich, worauf Ronald Steinacher hinaus will, aber die Verwendung des Begriffs Bayern in dem Zusammenhang halte ich für unglücklich, den von den Bajuwaren über die Baiern zu den Bayern war es noch ein sehr langer und steiniger Weg. Außerdem würde ich als Archäologe dem Satz mit „
keine Spur von Wanderungen … aus Böhmen“ insofern widersprechen wollen, als das die Einflüsse aus West- und Südböhmen mit der Keramik von Friedenhain-Přestovice auf das Gebiet am Zusammenfluss von Donau, Altmühl und Regen etwa zwischen Ingolstadt und Straubing nun mal nachweisbar sind. Das hat aber natürlich nichts mit Bronzezeit oder dem Boier-Namen zu tun.
Die Entstehung der Bajuwaren.
Die Entstehung der Bajuwaren:
Baiuvarii. Archäologischer Beitrag zur Siedlungsgeschichte der Region Ingolstadt von der späten Römerzeit bis ins frühe Mittelalter.
Baiuwaren - 1
Insofern sind die viele der von Ashigaru und El Quijote genannten Ansichten nicht falsch – manche sind allerdings auch völlig absurd -, aber eben auch nicht ganz richtig. Das gilt insbesondere für die von megatrend genannte Habilitation von Günther Moosbauer.
Günther Moosbauer, Kastell und Friedhöfe der Spätantike in Straubing. Römer und Germanen auf dem Weg zu den ersten Bajuwaren. Passauer Universitätsschriften zur Archäologie 10 (Rahden/Westf. 2005). ISBN 3-89646-177-X
Inhaltsverzeichnis:
http://www.gbv.de/dms/bsz/toc/bsz250622882inh.pdf
pnp.de
Moosbauer ist Althistoriker und provinzialrömischer Archäologie und hat sich daher besonders intensiv mit den Romanen und ihrem Anteil an der Ethnogenese der Bajuwaren beschäftigt:
Archäologie - Publikationen Dr. Günther Matthias Moosbauer
Dem wäre nun eine weitere Habilitationsschrift aus dem Bereich der Frühmittelalterarchäologie von meinem lieben Kollegen Hans Losert (
Otto-Friedrich-Universität Bamberg: PD Dr. Hans Losert ) gegenüberzustellen:
Hans Losert / Andrej Pleterski, Altenerding in Oberbayern. Struktur des frühmittelalterlichen Gräberfeldes und "Ethnogenese" der Bajuwaren (Berlin 2003). ISBN 3-931278-07-7
Als Ergebnis seiner Forschungen zitiere mal etwas länger aus der Buchbeschreibung des Scrîpvaz-Verlags:
scrpvaz-verlag katalog Hans Losert / Andrej Pleterski: Altenerding in Oberbayern
Die Struktur sowie Funde und Befunde des für die bairische Landesgeschichte so wichtigen Gräberfeldes belegen weitreichende Verbindungen, die auf vielfältige internationale Einflüsse zurückgehen. Die hier bestattende Bevölkerung hatte Zugang zu Erzeugnissen aus dem Bereich der Ostsee, dem südosteuropäischen und mittleren Donaugebiet mit seiner zunächst ostgermanischen und provinzialrömischen, später langobardischen sowie awarischen und slawischen Bevölkerung, dem alpinen Raum mit der christianisierten Romanitas sowie germanischen Stämmen im Westen (Alamannen, Burgunder und Franken) und Norden (Thüringer und Sachsen). Bestattungsbräuche und Funde spiegeln gleichermaßen typisch germanisch-merowingerzeitliche wie gemeineuropäische Vorstellungen wider. Die Ergebnisse beider Untersuchungen mit ihren verschiedenen methodischen Ansätzen sind daher einerseits von allgemeiner Bedeutung für die Forschung zu frühmittelalterlichen Gräberfeldern Süddeutschlands, andererseits in vielen Bereichen übertragbar auf benachbarte Gebiete.
Damit kommen wir auch wieder zu den Sachsen zurück. Da sind natürlich die Altsachsen im heutigen Niedersachsen und Westfalen gemeint:
http://de.wikipedia.org/wiki/Sachsen_(Volk)
Mit den heutigen Sachsen im gleichnamigen Freistaat haben diese Sachsen nichts zu tun und wohl auch die Bajuwaren nicht. Zur Zeit der Ethnogenese der Bajuwaren war im heutigen Freistaat weitgehend nur Wald. Es gab bis wohl bis in das 5./6. Jahrhundert auch noch germanische Gruppen, die man wohl zu den Thüringern, fußlahmen und auf der Wanderung nach Pannonien hängengebliebenen Langobarden und vielleicht auch den Warnen zählen kann. Die im WWW oft zitierte Begründung mit dem
Hwerenofeld an der Elbe ist in der Forschung aber sehr umstritten:
Reallexikon der germanischen ... - Google Bcher Vielleicht sind einige Gruppen und einzelne Menschen auch aus dem heutigen Sachsen ins heutige Altbayern abgewandert, aber das ist nur sehr schwer belegbar, zumal der Forschungsstand zur Völkerwanderungszeit im heutigen Sachsen nicht gerade berauschend ist.
Bleiben zum Schluss noch die in Deiner Frage genannten „Baioren“. Da der Thread noch unter „Die Kelten“ steht, meinst Du vermutlich die keltischen Boier (
Boier ? Wikipedia ). Ich bin kein Sprachwissenschaftler und kann daher nichts zu der langen Debatte sagen, ob der Name der Bojer etwas mit dem Namen der Bajuwaren zu tun hat. Wenn, dann ist es auch keine direkte Beziehung, sondern oft findet sich die Erklärung, dass der Name (!!!) über einen Umweg zurück nach Bayern kam.
Der bairische bzw. bajuwarische Name leitet sich vermutlich von der keltisch-germanischen Bezeichnung baio-wariōz ab und bedeutet etwa Leute aus Böhmen bzw. Männer aus Böhmen. Das Bestimmungswort geht auf das Gebiet Böhmens zurück, das seinen Namen dem keltischen Volk der Boier verdankt.
Bairische Dialekte ? Wikipedia
Ob das heutzutage noch gültige Lehrmeinung ist oder ob die Wikipedia da mal wieder Jahrzehnte hinter der aktuellen Forschung hinterherhinkt, weiß ich nicht. Da musst Du Sprachwissenschaftler_innen fragen und vermutlich gibt es dann auch keine einfache Antwort ;-). Wenn danach in dem Wikipedia-Artikel allerdings steht:
Es wird angenommen, dass sich das keltische Volk der Boier mit der römischen Restbevölkerung und den germanischen Einwanderern vermischte und der Name auf das gesamte neu entstandene Volk überging so kannst Du das wohl getrost vergessen. Es gab sicherlich solche Ansichten, aber meines Wissens werden sie heute nicht mehr vertreten. Die Bojer erscheinen letztmals um die Zeitenwende in den Schriftquellen und dann sind sie komplett verschwunden. Es kann also keinen direkten Weg zu den Bajuwaren geben.
Und daher würde ich vorschlagen, dass die Mods den gesamten Thread von „Die Kelten“ zu „Völkerwanderung und Germanen“ verschieben. Danke!
Roman