Ich finde es sehr gut dass die Beiträge hierher verschoben wurden. Es ist ja bezeichnend, dass es bisher keinen Thread zur Geschichte Österreichs zwischen 18 und 38 gab, von ein paar Orchideenthemen wie den Schwimmkünsten von Dollfuss mal abgesehen.
Dieser Thread wird aber gut moderiert werden müssen, ich bin ziemlich sicher dass die Emotionen bald extrem hochgehen werden.
Das Scheitern der Weimarer Republik und der Aufstieg des Nationalsozialismus dominieren natürlich den Blick auf die Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Ich könnte es daher durchaus nachvollziehen, wenn die Ereignisse im Nachbarland im generellen Geschichtswissen da etwas in den Hintergrund treten.
Was ich aber bisher im Diskurs mit auch historisch überdurchschnittlich gebildeten und interessierten deutschen Freunden erlebt habe war meist eine völlige Ahnungslosigkeit gegenüber der österreichischen Republiksgeschichte (gilt eigentlich auch für die II. Republik) - ist kein Vorwurf, Deutschland kann wirklich mehr als genug mit der eigenen beschäftigt sein (so turbolent wie diese ist).
Was mir vor allem aufgefallen ist dass die Bilder vom Heldenplatz 38 im kollektiven Bewusstsein angekommen sind, dh. die gesamte Betrachtung dieser Zeit wird davon überlagert. Warum und wieso es zu dieser Begeisterung kam wird schon deutlich seltener gefragt. Sehr oft kommt dann auch die Behauptung dass eigentlich die Österreicher ja die Nazis waren - Hitler ist dort geboren, und so eine Begeisterung wie am Heldenplatz hats ja in ganz Deutschland nicht gegeben. (Alles schon mal gehört Leute....)
Genauso dämlich (sorry) sind aber auch die Besetzungs- und Opferfantasien der Österreicher. Land und Staat gingen unter, viele österreichische Patrioten litten darunter, die Mehrheit aber nicht, sondern gliederte sich mit großer Begeisterung dem aufstrebenden Führerstaat ein und machte die Augen vor dessen verbrecherischen Zielen zu. Viele waren sogar beleidigt, dass Österreich nicht wieder zum Herz des Reiches wurde, so wie es vor 1866 war.
Aber zurück zur Vorgeschichte, die sollten wir mal diskutieren.
Der November 1918 war in Österreich eine Stunde Null. Die totale Auflösung. Der Schock war um ein vielfaches größer als im Reich - hier war der Kaiser weg und ein paar Provinzen. Österreich als politisch-kultureller Raum der seit fast einem halben Jahrtausend Mitteleruopa dominierte, existierte nicht mehr.
Was blieb war ein inhomogener Rumpf - sehr konservative, bäuerlich-katholisch geprägte Landgebiete und die 2 Millionen-Metropole Wien. Man stelle sich das vor! Man nimmt 3 Bezirke Oberbayerns und Berlin - und macht daraus eine verarmte Republik.
Der nächste Schock kam nach dem ersten Winter als sich herauskristallisierte dass jenes Friedensprogramm von Wilson - das jenes so strahlend klingende "Selbstbestimmungsrecht der Völker" beinhaltete - für Österreich nicht gilt. Die Republik, die sich Deutschösterreich nannte (schließlich setzte sie sich aus den deutschsprachigen Gebierten der Monarchie zusammen), wurde erheblich zusammengestutzt. Von einem Selbstbestimmungsrecht war nicht mehr die Rede.
Südtirol kam zu Italien, das ist wahrscheinlich bekannt. Südmähren und die Sudetengebiete sandten Abgeordnete in die verfassungsgebende Versammlung für die junge Republik in Wien, der Schock war groß als diese Gebiete dann nicht nur zur Tschechoslowakei kamen, sondern dass auch das junge Bundesland Niederösterreich Gebiete abtreten musste.
Ich könnte jetzt die Liste der Traumatisierungen noch weiterführen (sollen andere machen, ich muss bald los). ABER: genauso beginnt bereits in diesen Jahren die Entstehung eines neuen österreichischen Nationalbewusstseins. Nicht zufällig werden die Salzburger Festspiele von Anfang an stark gefördert, kulturelle Nationalhelden aufgebaut.
Dennoch, die ideologischen Gegensätze zwischen Stadt und Land sind nicht zu überbrücken. Die 20 Jahre zwischen 18 und 38 sind von permanenter Spannung und Misstrauen geprägt, die im Bürgerkrieg 34 eskalieren.