Cheruskisch und Niedersächsisch

Fazit meines Geschwafels: erst wenn wir den Lebensraum der Germanen besser umschreiben, nachkonstruieren können, desto näher dran sind wir bei der Lebensweise dieser Völker. Okay, ist eine Binsenweisheit.
 
Im Spanischen scheint das "v" auszusprechende "b" einfach dass "p" ersetzt zu haben.
Da muss ich reingrätschen. Also erstmal: ob <-v-> oder <-b->, die Aussprache ist /b/ oder /β/. Und b hat nicht einfach p ersetzt, sondern das ist ein in der Westromania und Teilen der Italoromania typischer Prozess der Lenisierung bzw. Sonorisierung: p-t-k wird zu b-d-g (im Übrigen in der Hochdeutschen Lautverschiebung genau umgekehrt), im Spanischen kommt dann noch aufgrund der gleichen Aussprache des Konsonanten v mit dem Konsonanten b und dem Gleichschreiben von u und v eine Verwechslung der Phoneme /u/ und /b/ dazu:
capitellum > cabdiello/cavdiello > caudillo
Septem Fratres > Sabta > Çebta/Çevda > Ceuta
Caput Aquae > Cabdag/Cavdag > Caudete/Alcaudete
Civitas > çivdad/çibdad > ciudad
Im Portugiesischen reflektieren <-v-> und <-b->, anders als im Spanischen, wo man eine meist etymologisierende Schreibung verwendet sofern das phonetisch zu rechtfertigen ist, zwei verschiedene Laute.
 
@Zwiebel : Vielleicht haben sie auch mehrere Pflanzen als Lauch bezeichnet und es später dann praktisch gefunden, den lateinischen Ausdruck zu übernehmen.
Im Russischen ist Zwiebel Luk, was ich, wie Bakenbart oder Apelsin für ein Lehnwort halte (ob es nicht doch ein indoeuropäisches Erwort ist, weißlich nicht).
 
Z. B. sind deutsche Worte wie Spiegel (< speculum), Zwiebel (<cepola < cepa) oder Kirsche (< ceresia) aus dem Lateinischen als Fremdwort übernommen worden (ob bereits in der Antike oder erst im FrühMA vermag ich nicht zu beurteilen).

Der Spiegel kann nicht aus dem antiken speculum entlehnt sein, sonst hätte ihn die Lautverschiebung erfasst:

bicarius > Becher
*cacalus > Kachel
calix
/calicem > Kelch
coquus/cocus > Koch
draco
> Drache
fructus > Frucht
pactus > Pacht (oberdeutsch Pfacht)
persicus > Pfirsich
radix/radicem
> Rettich
spicarium
> Speicher
tunica
> Tünche
 
@Zwiebel : Vielleicht haben sie auch mehrere Pflanzen als Lauch bezeichnet und es später dann praktisch gefunden, den lateinischen Ausdruck zu übernehmen.

Der Gemeine Lauch wird auch Welschzwiebel genannt: Lauch – Wikipedia
Dieser Ausdruck war mit nicht geläufig. Das Synonym Porree stammt nicht, wie der Wiki-Artikel suggeriert, direkt aus dem Lateinischen, sondern aus dem Französischen.

Im Althochdeutschen gab es aber auch schon die Form phorro, die geht aufs Lateinische zurück:
Porree – Schreibung, Definition, Bedeutung, Etymologie, Synonyme, Beispiele | DWDS
 
Der Spiegel kann nicht aus dem antiken speculum entlehnt sein, sonst hätte ihn die Lautverschiebung erfasst:

danke für den Hinweis: da muß es noch einen Zwischenschritt gegeben haben


Spiegel [...] ist über vorauszusetzendes vlat. *spēglum entlehnt aus lat. speculum n. ‘Spiegel, Abbild’

Spiegelbild – Schreibung, Definition, Bedeutung, Etymologie, Synonyme, Beispiele | DWDS .




... und für die Pfanne (lat. patina > vulgärlatein panna)

Danke, das war für mich neu.
 
Als Süddeutscher versteht man das hochmittelalterliche 'zwibolla' für Zwiebel recht einfach. Schneebolla=Schneeball oder besser Wurzelbolla=Wurzelballen. Mit dem zwi für zwei ergibt sich dann "2 Ballen". Schaut man sich Zwiebelgewächse an, so haben wir öfters "Doppelzwiebeln", die sich unter der äußeren Schale befinden. Siehe Scharlotten. Das wurde bestimmt oft weggezüchtet.
Oder mach ich mirs zu einfach ? :)
 
Als Süddeutscher versteht man das hochmittelalterliche 'zwibolla' für Zwiebel recht einfach. Schneebolla=Schneeball oder besser Wurzelbolla=Wurzelballen. Mit dem zwi für zwei ergibt sich dann "2 Ballen". Schaut man sich Zwiebelgewächse an, so haben wir öfters "Doppelzwiebeln", die sich unter der äußeren Schale befinden. Siehe Scharlotten. Das wurde bestimmt oft weggezüchtet.
Oder mach ich mirs zu einfach ? :)
Es ist durchaus möglich, dass ein aus einer Fremdsprache entlehntes Wort mit einem einheimischen Wort interferiert. Sepiola hatte das Bsp. hamaca/hammock gebracht, das mit niederländisch hangen (dt. hängen) interferierend zu hangmat (Hängematte) umgebildet wurde. So etwas ist möglich.
Allerdings ist Zwiebel feminin, Ball und Bällen maskulin, abgesehen von dem nur schwach betonten Schwa [tsvi:bl, tsvi:bəl]
 
Dann vergleiche doch mal aus deinen Beispielen die Zwiebel und die Kirsche miteinander.


wobei die Orange im Arabischen noch die Bitterorange (Pomeranze) ist und burtuqāl (< Portugal) die Süßorange.

...und meinte ursprünglich die nicht verwandte Süßkartoffel. Als die Spanier in die Anden kamen, übertrugen sie aufgrund der oberflächlichen äußeren Ähnlichkeit der Knollen den in der Karibik erlernten Namen auf das andine Produkt.

Vorschlag, wer zu den Namen von Früchten die aus dem asiatisch und altpersischen Raum nach Westen transferiert wurden recherchieren möchte, sollte sich um den Text des Festvortrages von Prof. Robert Rollinger bemühen den er anlässlich der an ihn ergangenen diesjährigen Ausonius Preis Verleihung im Trier Campus gehalten hat.
War sehr interessant.

Professor Robert Rollinger erhält den Ausonius-Preis 2023 .
 
Hallo liebe Leute,
noch einen kurzen Einschub meinerseits. Ihr seid doch sprachwissenschaftlich recht gut unterwegs.
Gibt es denn irgendein Wort, bei dem man zweifelsfrei nachweisen kann, dass es Cheruskisch ist? Irgendein Wort, wo man sich ziemlich sicher ist, dass es aus der römischen Eisenzeit stammt und einer bestimmten Region zuzuordnen ist?
Oder ist Cheruskisch eine zu 100% tote und vergessene Sprache, von der Null Komma Nichts mehr übrig ist?

Oder springt die Geschichtswissenschaft erst dann zu dem Zeitpunkt ein, wo man zwischen Gotisch, Alemannisch oder Fränkisch unterscheiden kann? Und alles, was davor war, bleibt für immer im Dunkel?

In der Wikipedia wird das aufgedröselt: Germanische Sprachen – Wikipedia Germanische Sprachen
Westgermanisch (Südgermanisch)
Rhein-Wesergermanisch
Altfränkisch und das fängt erst im 3. Jhrdt. an

Ich gehe das jetzt mal praktisch an:
Sippe A aus dem Leinetal spricht 100 v.Chr. und 100 n.Chr Cheruskisch. Dann gibt es Bewegung, die Cherusker gehen in den Stammesverband der Sachsen auf und lernen eine komplett neue Sprache? Ich denke mal nicht.
Die Sachsen werden besiegt und sprechen danach nur noch Fränkisch. Sippe A ist aber immer noch da und die wird, egal was passiert, bestimmte Begriffe oder was auch immer überliefert haben.

Irgendwo habe ich einen Denkfehler, würde mich über eine Aufklärung sehr freuen.

Grüße

Bei der Debatte kommt mir die Frage nach den keltischen Spracheinflüssen zu kurz. Die vorgermanischen Kulturen (Jastorf und Harpstedt-Nienburger Gruppe) stießen am Nordrand der Mittelgebirge auf sie. Cheruskisch als Vorläufer des Fälischen dürfte aus allem bestanden haben. Vorsicht ich spekuliere: Niedersachsen blieb davon verschont.
 
In der Frage, ob Cheruskisch der Vorläufer des Niedersächsischen sei - oder des Ost- oder Westfälischen (fälisch ist kein linguistischer Begriff, fälisch ist eine Bezeichnung aus der NS-Rassenlehre) - ist die Frage, ob es ein keltisches Adstrat im Cheruskischen gab, irrelevant. Und nebenbei, da wir das Cheruskische nicht kennen, unbeweisbar.

Im Deutschen gibt es ein paar Wörter, die ursprünglich aus dem Keltischen stammen, die aber oft über das Lateinische vermittelt wurden. Nebenbei sind natürlich sowohl das Keltische als auch das Germanische Teil der indoeuropäischen Sprachfamilie und ein gemeinsamer Grundwortschatz (Körperteile, enge Verwandte, Flora und Fauna des Raums, wo sich die gemeinsamen Vorfahren [Sprecher, nicht unbedingt biologisch] aufhielten, bevor es zur sprachlichen Trennung kam) ist gegeben.

Hinzu kommt noch, dass Träger archäologischer Kulturen, die wir als keltisch ansprechen (La Tène), nicht zwingend keltisch sprechen mussten.
 
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