- Dass Wilson seine Verbündeten praktisch zur Annahme der Vierzehn Punkte und zum raschen Waffenstillstand zwang, hat ihm immer wieder den Vorwurf eingebracht, er habe die Deutschen vor dem völligen militärischen Zusammenbruch und der bedingungslosen Kapitulation bewahrt und ihnen so die heilsame Erfahrung der totalen Niederlage erspart.
Was würdet ihr zu diesem Punkt sagen? Kann man Wilson diesen Vorwurf machen? Der Waffenstillstand war doch quasi eine Kapitulation.
So geht ja auch das Zitat von Manfred Berg weiter: "Umgekehrt wird ihm zugutegehalten, er habe Hunderttausenden das Leben gerettet, die noch gefallen wären, hätten die Alliierten den Krieg nach Deutschland getragen. Aber hätten die deutschen Truppen 1918/19 wirklich denselben fanatischen Widerstand geleistet wie die Wehrmacht 1945? Und war der Waffenstillstand, den der Zentrumsabgeordente Matthias Erzberger am 11. November in Compiègne unterzeichnete, nicht eine de facto Kapitulation?"
In seiner Note vom 23. Oktober 1918 erklärte Wilson, es käme nur ein Waffenstillstand in Frage, der es Deutschland verunmöglichen würde, die Feindseligkeiten wieder aufzunehmen:
"He deems it his duty to say again, however, that the only armistice he would feel justified in submitting for consideration would be one which should leave the United States and the powers associated with her in a position to enforce any arrangements that may be entered into and to make a renewal of hostilities on the part of Germany impossible."
(Deutsche Übersetzung des kompletten Textes siehe
Das Ende des Kaiserreichs: Militärischer Zusammenbruch und Revolution | bpb )
Die Oberste Heeresleitung reagierte darauf am Abend des 24. Oktober mit folgendem Armeebefehl (der wenig später gestoppt wurde, aber dennoch die Kommandostellen und die Öffentlichkeit erreichte):
"Zur Bekanntgabe an alle Truppen.
Wilson sagt in seiner Antwort, er wolle seinen Bundesgenossen vorschlagen, in Waffenstillstandsverhandlungen einzutreten. Der Waffenstillstand müsse aber Deutschland militärisch so wehrlos machen, daß es die Waffen nicht mehr aufnehmen könne. Über einen Frieden würde er mit Deutschland nur verhandeln, wenn dieses sich den Forderungen der Verbündeten in bezug auf seine innere Gestaltung völlig füge; anderenfalls gebe es nur die bedingungslose Unterwerfung.
Die Antwort Wilsons fordert die militärische Kapitulation. Sie ist deshalb für uns Soldaten unannehmbar. Sie ist der Beweis, daß der Vernichtungswille unserer Feinde, der 1914 den Krieg entfesselte, unvermindert fortbesteht. Sie ist ferner der Beweis, daß unsere Feinde das Wort 'Rechtsfrieden' nur im Munde führen, um uns zu täuschen und unsere Widerstandskraft zu brechen. Wilsons Antwort kann daher für uns Soldaten nur die Aufforderung sein, den Widerstand mit äußersten Kräften fortzusetzen. Wenn die Feinde erkennen werden, daß die deutsche Front mit allen Opfern nicht zu durchbrechen ist, werden sie zu einem Frieden bereit sein, der Deutschlands Zukunft grade für die breiten Schichten des Volkes sichert."
Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente
Meiner Ansicht nach war mit einer Bereitschaft zu einem "fanatischen Widerstand" 1918 nicht mehr zu rechnen, weder in der Zivilbevölkerung noch im Heer - von einigen Betonköpfen abgesehen.
Man denke an den "heroischen" Flottenbefehl vom 24. Oktober 1918...
Auch in der Regierung und der OHL sehe ich eine echte Bereitschaft nicht. Hindenburg und Ludendorff ging es bei der "heroischen" Verweigerung einer militärischen Kapitulation wohl vor allem darum, sich aus der Verantwortung zu stehlen und andere die Suppe auslöffeln zu lassen.