Religiös und/oder kulturell geprägte Feindbilder

Genau, und die Gefahr von den Habsburgern "unterjocht" zu werden, war für Franzosen realer.

Von einer möglichen "Unterjochung" der Franzosen durch die Habsburger kann keine Rede sein. Frankreich fühlte sich lediglich von den Habsburgern umklammert, die Spanien im Süden sowie die spanischen Niederlande, Luxemburg und die Freigrafschaft Burgund im Norden besaßen, zudem Kaiser des Heiligen Römischen Reichs waren. Eine Eroberung Frankreichs durch die an ständiger Geldknappheit leidenden Habsburger lag nicht nur außerhalb des militärisch Erreichbaren, sondern auch außerhalb aller machtpolitischen Ziele Habsburgs.

Trotzdem hatten die orthodoxen Christen, auch auf dem Balkan, sich mit den Machtansprüchen der Osmanen abgefunden und müssen erkannt haben, dass es sich unter der Fahne des Propheten gar nicht so schlecht leben liess.

Die Christen beugten sich den Machtverhältnissen, denn etwas anderes blieb ihnen nicht übrig. Daraus eine freudige Bejahung des muslimischen Türkenjochs abzuleiten, ist widersinnig.

Ja, möglicherweise wäre den Konfessionen ein blutiger 30-jähriger Krieg erspart geblieben, hätten die Osmanen Wien 1529 erobern können :pfeif:.

Eine zynische Argumentation!
 
Trotzdem hatten die orthodoxen Christen, auch auf dem Balkan, sich mit den Machtansprüchen der Osmanen abgefunden und müssen erkannt haben, dass es sich unter der Fahne des Propheten gar nicht so schlecht leben liess.
Jener Teil, welcher konvertiert ist, ganz sicher.
Das war aber bei weitem nicht der Großteil.
Abseits jeglicher religiöser Prätention, verstehe ich diese Argumentation nicht, dass sich die Balkanvölker und eigentlich alle Untertanen hätten assimilieren sollen und dass dieses das beste gewesen wäre.
Wird ja schon fast als Frechheit angesehen, dass die kleinen Völker ihre Unabhängigkeit anstrebten und sich nicht zum Islam bekannt haben.
Wenn man also schlussfolgert, dass es im osmanischen Reich seitens Bestrafung und Knechtschaft nicht anders zuging als in anderen Teilen Europas und der Welt, was ja stimmt, kann man auch nicht die Freiheitsbestrebungen der einzelnen Völker in Abrede stellen, denn das existierte und existiert ja auf der ganzen Welt und wird immer existieren.
Meistens ist es halt eine Auslegungssache.
Hätte die Türkei in den Zwanzigern zulassen sollen, dass sie von der Großmächten und umliegenden Völkern parzelliert wird?
Sicher nicht, wirst du sagen.

Welchen Vergleich sollten die Völker im Mittelalter und später unter osmanischer Herrschaft gehabt haben, um sagen zu können "hier ist es eindeutig besser als dort"?
Das Kryptochristentum war zb im Kosovo oder in Albanien weit verbreitet.
Das ist schon ein bisschen haarspalterisch, immerhin entstammten die Türken einem vollkommen anderen Kulturkreis und besaßen obendrein eine andere konfessionelle Zugehörigkeit, und der Mensch hat meistens vor allem Angst, was er nicht kennt und was fremd für ihn ist.
Kann schon sein, dass im späteren Verlauf die ganzen Besiegten die Baklawa, Halwa und den Cevap zu schätzen wussten, doch am Anfang kann ich mir das einfach schwer vorstellen.
Es gab viele christliche Führer die mit den Osmanen gemeinsame Sache machten (eigentlich alle), doch das war mehr aus taktischen und politischen Gründen, und nicht weil die Osmanen so bezaubernd waren.
Daraus kann ich zumindest keinen sozailpsychologischen Trend herleiten.

Genau, und die Gefahr von den Habsburgern "unterjocht" zu werden, war für Franzosen realer.
...Genau das schreibe ich ja. Die Gefahr von den Habsburgern "geschluckt" zu werden, war 1529 für die Franzosen größer, als die osmanische Expansion es war. Und die Franzosen schreckten nicht vor einem Bündnis mit dem "Kettenhund Europas". Auch wenn sich hier Machtpolitik einmischt, schließt es die Relgionsgegensätze nicht aus.

Zeigt für mich also, dass man in puncto Religion auf christlicher, wie auf muslimischer Seite durchaus pragmatisch Vorgehen konnte.
Die waren alle irgendwie miteinander verwandt, da ging es ja auch um Erbstreitigkeiten, Dieters Argument mit der Machtpolitik kann ich nur beipflichten.

Ja, möglicherweise wäre den Konfessionen ein blutiger 30-jähriger Krieg erspart geblieben, hätten die Osmanen Wien 1529 erobern können :pfeif:.
Hätte man Hitler irgendwie umgebracht, hätte es auch vielleicht keinen zweiten Weltkrieg gegeben.
Aber vielleicht hätte dann die Sowjetunion einen angezettelt.
Hätte sich das römische Reich nicht geteilt, gäbe es heute keine Serben und Kroaten und Bosniaken und Bulgaren (und was weiß ich noch alles) sondern eventuell nur Jugoslawen.
Doch wäre diese Einigkeit zustande gekommen, hätten es vielleicht die Osmanen nie über den Bosporus geschafft...:p, dann wäre es zur Belagerung von Wien nie gekommen.:rofl:
 
...Die Christen beugten sich den Machtverhältnissen, denn etwas anderes blieb ihnen nicht übrig. Daraus eine freudige Bejahung des muslimischen Türkenjochs abzuleiten, ist widersinnig.

Eine zynische Argumentation!

Nicht nur.

Siehe hier:

http://www.geschichtsforum.de/f303/1492-ff-als-reaktion-auf-1453-a-14951/#post237911

Punkt 4. z.B.:
"In seiner Beurteilung klafften die Meinungen jedoch auseinander. Kaiser, Fürsten und Klerus, Vertreter der sozialen Ordnung, sahen in den Türken mehr als nur einen Feind, der auf Eroberungen aus war. Trotz aller Greueltaten, die man den Türken zuschrieb, [...] übte das Osmanische Reich eine große Anziehungskraft auf Bauern, Handwerker und Soldaten aus. Die hoffnungslose Situation der Bauern, ihre harte Besteuerung in den Feudalgesellschaften, führte um 1520 zu Bauernaufständen und im 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts dazu, daß viele Bauern ins Osmanische Reich abwanderten. Dort mußten sie keine Fronarbeit leisten, die Steuern waren klar definiert, die Ernte wurde nicht durch durchziehende Armeen zerstört und, was schwerer wog, sozialer Aufstieg war möglich."
weiter im Link oben....

Komisch, dass Bauern, Handwerker, Soldaten sich freiwillig unter ein "Joch" begeben....
Zumindest in einem Teil der osmanischen Geschichte des Balkans.

Ein veralteter Ausdruck!
 
Zuletzt bearbeitet:
Komisch, dass Bauern, Handwerker, Soldaten sich freiwillig unter ein "Joch" begeben....
Zumindest in einem Teil der osmanischen Geschichte des Balkans.

Man darf doch die Realitäten nicht aus den Augen verlieren. Da erobert ein muslimisches Imperium den Balkan und unterwirft in blutigen Feldzügen alle Völker. Ich habe nie gehört, dass ein ethnisch, kulturell und religiös völlig fremder Agressor bei den Unterworfenen freudige Begeisterung auisgelöst hätte.

Sobald es machtpolitisch angängig war, haben sich diese Balkanvölker ja auch gegen die türkische Herrschaft erhoben und ihre Freiheit erkämpft.

Natürlich könnte man zynischerweise sagen: Sie waren lieber unter ihren eigenen Potentaten unglücklich, als unter den muslimischen Türken.
 
Erstmal herzlichen Dank an lynxxx und seine Links! :winke:

Man darf doch die Realitäten nicht aus den Augen verlieren. Da erobert ein muslimisches Imperium den Balkan und unterwirft in blutigen Feldzügen alle Völker. Ich habe nie gehört, dass ein ethnisch, kulturell und religiös völlig fremder Agressor bei den Unterworfenen freudige Begeisterung ausgelöst hätte.
Auch ich bin ein großer Fan einer realitätsnahen Betrachtung und gewiß, dass es sich auf dieser Grundlage gut diskutieren lässt.

Was nun die "freudige Begeisterung" betrifft, so habe ich Lynxxx' Argumente dreimal gelesen und nichts dergleichen gefunden. Die von ihm erwähnten Bauern, die sich offenbar freiwillig ins osmanisch beherrschte Territorium begaben, handelten mE rational (pragmatisch), indem sie sich von der Erkenntnis der elenden Lage leiten ließen, in der sie sich und ihre Angehörigen sahen, und zogen daraus eine Konsequenz. ("Wirtschaftsflüchtlinge" in moderner Terminologie? Gern auch das.)

Das Osmanische Reich änderte sich, damit auch seine Wirtschafts-, Ansiedlungs- und Religionspolitik - und das möglicherweise sogar mehrmals - ebenso wie sich diese Rahmenbedingungen bei den christlichen Nachbarn änderten. So what? - wie manche hier zu fragen belieben?
 
Es gab im Osmanischen Reich viele orthodoxe Christen (Griechen, Bulgaren, Rumänen, Serben, Armenier). In Istanbul hatten sie ihre Kirchen und waren geduldet. Da erscheint es nicht unlogisch, wenn diese sich beim Sultan besser aufgehoben fühlten. Aber wie ist es mit Kroaten, Ungarn gewesen usw.? Ich vermute mal stark, für Katholiken und Protestanten gab es diese Möglichkeit einer freien Religionsausübung nicht, jedenfalls nicht außerhalb Istanbuls. Man muss da also wohl zu den Ostkirchen differenzieren.
 
Es gab protestantische Flüchtlinge auf osmanisches Territorium, die wegen ihrer Religion verfolgt wurden. Von katholischen Flüchtlingen weiß ich nichts.

Es gab hingegen bei den christl. Herrschenden die Angst, dass dieses Schule machen könnte. Deshalb auch die enorme Kriegspopaganda jener Zeit, die unsere frühere Historiker alles für bare Münze genommen hatten, und deren Echo wir immer noch hier im Forum gelegentlich antreffen.


"Die Perhorreszierung der Türken durch die Obrigkeiten hatte auch
sozialpolitische Gründe - man sah durchaus die Gefahr, dass die
Untertanen im Fall einer osmanischen Eroberung Deutschlands sich
relativ schnell an die neue Herrschaft gewöhnen könnten, oder, wie
Salomon Geßler 1597 in der Schlosskirche von Wittenberg abmahnend
predigte, manche meinten wohl „sie könten doch mit weniger oder ja
nicht grösserer beschwerung unter dem mahumetischen bluthundt sein
und leben.“33 (erg.: als unter kursächsischer Landesherrschaft)."

aus:
Hans-Heinrich Nolte:
Neuzeitlicher Kulturtransfer von der Islam- zur Christenwelt : Politik, Militär, Religion
http://www.vgws.org/Texte/Kulturtransfer_Islam_Christenheit.pdf

PS: Natürlich hatten es die Untertanen der Osmanen in einigen Reichsteilen zu bestimmten Zeiten nicht leicht. Manchmal im Verhältnis zu den christl. Nachbarn weniger schwer, manchmal schwerer, zudem auch unterschiedlich, je nach Bereich den man sich anschaut, z.B. mehr religiöse Freiheiten als unter christl. Nachbarn, dafür höhere Abgaben, oder auch andersrum, oder Kombinationen daraus. Es gab schließlich auch genügend Aufstände z.B. in Anatolien aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen. Eben genauso wie in anderen christl. Reichen es solche mal gab. "Deutschenjoch? "Habsburgerjoch"? "Polen-Litauenjoch"? Nie gehört... ;)
 
Zuletzt bearbeitet:
@lynxxx, ich mag nicht so recht glauben, dass Protestanten in nennenswerter Zahl zu den Türken flüchteten.
Es ist ja bekannt, was Luther dazu gesagt hat.
Und wie müssen solche Flugblätter erst auf das meist analphabetische Volk gewirkt haben...
Dass christliche Potentaten ihm Umgang mit den Osmanen auch keine Waisenknaben waren (Vlad Dracul), wissen wir doch alle.
 

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Luthers Polemik ist meiner Erinnerung nach erst so richtig in Fahrt gekommen, nachdem ihm seine Schäflein abhanden kamen. Es waren aber keine "Völkerwanderungen", wenn du das mit nennenswerten Zahlen meinst. Keine Ahnung mehr, wieviele nun geschätzt wurden. Es waren sicherlich nicht seeeehr viele, aber immerhin genügend, dass die heutigen Historiker entgegen ihren evtl. Erwartungen davon mitbekommen haben.
Vielleicht komme ich nochmal dazu, in meinen Bücher danach zu suchen. Solange musst du halt glauben, anstatt zu wissen. ;)
 
Gab es im orthodox geprägten östlichen Europa nicht den Spruch: "Lieber Türkenturban als Peters Schlüssel!" als Reaktion für die Intriegenspielchen des katholischen Westeuropa in den voran gegangen Jahrhunderten?
 
Man darf doch die Realitäten nicht aus den Augen verlieren. Da erobert ein muslimisches Imperium den Balkan und unterwirft in blutigen Feldzügen alle Völker. Ich habe nie gehört, dass ein ethnisch, kulturell und religiös völlig fremder Agressor bei den Unterworfenen freudige Begeisterung auisgelöst hätte.

Sobald es machtpolitisch angängig war, haben sich diese Balkanvölker ja auch gegen die türkische Herrschaft erhoben und ihre Freiheit erkämpft.

Natürlich könnte man zynischerweise sagen: Sie waren lieber unter ihren eigenen Potentaten unglücklich, als unter den muslimischen Türken.


Da waren ja die Türken ganz geschickt sie liesen einfach Volksweisen regieren.

De Facto katte ein Bauer mit dem osmanischen Reich überhaupt kein Kontakt.
 
Es gab im Osmanischen Reich viele orthodoxe Christen (Griechen, Bulgaren, Rumänen, Serben, Armenier). In Istanbul hatten sie ihre Kirchen und waren geduldet. Da erscheint es nicht unlogisch, wenn diese sich beim Sultan besser aufgehoben fühlten. Aber wie ist es mit Kroaten, Ungarn gewesen usw.? Ich vermute mal stark, für Katholiken und Protestanten gab es diese Möglichkeit einer freien Religionsausübung nicht, jedenfalls nicht außerhalb Istanbuls. Man muss da also wohl zu den Ostkirchen differenzieren.

Die orthodoxe Kirche hatte einige vorrechte im Vergleich zu den Katholiken. Was man vorallem an Bosnien und auch an Serbien sieht.

In Bosnien werden die orthodoxen die Mehrheit und in Serbien, Montenegro setzt sich die orthodoxe Kirche endgültig durch (hat ja auch über 300 Jahre gedauert aber andere Geschichte erzähl ich anderes mal).

Insgesamt war die "Griechen" im Vergleich zu den "Lateinern" bevorzugt.
 
PS: Natürlich hatten es die Untertanen der Osmanen in einigen Reichsteilen zu bestimmten Zeiten nicht leicht.

Das ist sehr euphemistisch formuliert!

Nichtmuslime zahlten zunächst über die regullären Abgaben hinaus die allseits bekannte Kopfsteuer. Bis zum Ende des 17. Jh. wurde diese manchmal von einem ganzen Dorf als Kollektivzahlung eingezogen, aber im Prinzip war jeder arbeitsfähige Mann cizyepflichtig.

Rechtlich gesehen waren die Christen bzw. Nichtmuslime unterprivilegiert. So konnten sie nicht vor Gericht gegen Muslime aussagen. Im Geschäftsleben war das ein ernstes Problem, das viele dadurch zu lösen suchten, dass sie ihre Transaktionen in die Register des Kadis eintragen ließen und damit beweiskräftige Dokumente schufen

Die Häuser der Nichtmuslime durften nicht höher sein als die ihrer muslimischen Nachbarn. Es konnte vorkommen, dass eine Kirche, auch wenn die osmanische Eroberung schon lange zurücklag, ihrer Gemeinde weggenommen und in eine Moschee umgewandelt wurde.Um einer Moschee zu den nötigen Betern zu verhelfen, konnten Nichtmuslime, die in der Nähe einer Moschee lebeten, sogar gezwungen werden, ihre Häuser zu verkaufen und umzuziehen.

Abgesehen von Ausnahmen konnten die christlichen Bewohner des Balkan keinen höheren sozialen Rang erklimmen, es sei denn, sie konvertierten zum Islam.

Das Problem der Knabenlese, bei welcher männliche Jugendliche meist gewaltsam aus ihren Familien herausgerissen, verschleppt und islamisiert wurden, um dem osmanischen Imperium Dienste zu leisten, wurde bereits an anderer Stelle ausführlich diskutiert.
 
kannst auch die Quelle deiner Zitate angeben: Die Geschichte des Osmanischen Reiches von Suraya Faroqhi, siehe hier das Original:
http://www.geschichtsforum.de/f42/osmanisches-reich-ungarn-14346/#post230582 ;)

Hättest auch den nächsten Satz zitieren können, oder passt das dann nicht mehr in das Joch-Klischee? Zitat: "Aber die Praxis war oft toleranter als Rechtssätze und Sultansbefehle..."

Es ist doch so, dass Aussagen, dass z.B. rechtlich eine Kopfsteuer gezahlt werden musste, Häuser nicht höher gebaut werden durften, usw. nicht im luftleeren Raum gestellt werden sollten, um nicht eine Schieflage zu erhalten.
Sie gehören in den historischen Kontext, und müssen um die Realität erweitert werden, wie die rechtlichen Bestimmungen in der Praxis tatsächlich ausgesehen haben. Ausserdem gibt es Jahrhunderte und Gebiete, in denen es schlechter oder besser gelang, ein gedeihliches Miteinander zu gestalten.

Ich habe obige Aussage welche du von mir zitiertest gar nicht deshalb gesagt, und als PS nachträglich eingefügt, weil ich etwas beschönigen wollte, sondern im Gegenteil anfügen wollte, dass ich nichts beschönigen wollte. Nun kommst du mit "Euphemismus"? Wärst du zufriedener gewesen, ich hätte deinen Terminus anno dazumal genutzt und geschrieben: "Natürlich wurden die Untertanen der Osmanen in einigen Reichsteilen zu bestimmten Zeiten unterjocht."
Damit ist im Übrigen noch gar nichts darüber gesagt, von wem sie unterdrückt wurden, warum, und was der Auslöser war.

Wenn wir z.B. einfach mal die Dschizya/cizye anschauen, dann stellen wir fest, dass in einigen Zeiten die gesamten Abgaben, inkl. Dschizya der Bauern geringer war, als unter den Bauern der christl. Nachbarn. Beim Osm. Reich brauchten die nichtmuslimischen Bauern auch keinen Militärdienst leisten, konnten also im Gegensatz zu ihren muslimischen Bauernnachbarn ihre Arbeitskraft voll der Landwirtschaft widmen.
Und was passierte im 19. Jahrhundert, als unter den Nichtmuslimen die Kopfsteuer abgeschafft wurde, sie den Muslimen gleichgestellt wurden, und ebenfalls zum Militärdienst eingezogen werden sollten? Die meisten Nichtmuslime zahlten lieber eine Befreiungsgebühr nicht zum Militär zu müssen, und stattdessen ihre Felder bestellen zu können, wählten also "freiwillig" eine neue Art der Kopfsteuer.

Siehe auch hier die 4. Vorlesung zur Konversion:
http://www.geschichtsforum.de/372256-post18.html

Und wenn wir den historischen Kontext erweitern um die christliche Nachbarn der Osmanen, wie wurde denn dort mit Minderheiten umgegangen?

Da gab es meistens gar keine größeren Minderheiten mehr!
Eine solche große heterogene bunte Mischung, wie manch faszinierter christl. Reisende in Aleppo, Damaskus, Alexandria, Izmir, Istanbul oder Saloniki vorfand, war den meisten christl. Städten fremd.

Zum sozialen Rang auf dem Balkan, mit deinem obigen Satz hast du Recht, wenn du es nur auf das militärische beschränkst, ansonsten wurde ein sozialer Aufstieg ohne Konversion ermöglicht, ein christl. Großmarktvorsteher, ein Bänker, ein Leinenmanufakturbesitzer war durchaus sozial höherstehend in der Stadt, als ein musl. osmanischer Offizier einer Garnison.

Übrigens wurden nicht nur Kirchen enteignet und umgewandelt (oft gegen Entschädigung), sondern auch welche gebaut und restauriert.

Aber vielleicht setzen wir unsere Diskussion lieber in osmanischen Threads fort? Denn hier geht es ja mehr um Feindbilder.
:winke:
 
Es ist doch so, dass Aussagen, dass z.B. rechtlich eine Kopfsteuer gezahlt werden musste, Häuser nicht höher gebaut werden durften, usw. nicht im luftleeren Raum gestellt werden sollten, um nicht eine Schieflage zu erhalten. Sie gehören in den historischen Kontext, und müssen um die Realität erweitert werden ...

Diese Ge- und Verbote stehen überhaupt nicht im luftleeren Raum, sondern sind als Verordnungen oder Gesetze auch ernst zu nehmen. Es wäre in der Tat euphemistisch, diese Tendenz mulimischer Herrschaft klein zu reden, nach dem Motto: "War doch alles nicht so schlimm, ist auch nicht immer umgesetzt worden."

Ich habe obige Aussage welche du von mir zitiertest gar nicht deshalb gesagt, und als PS nachträglich eingefügt, weil ich etwas beschönigen wollte, sondern im Gegenteil anfügen wollte, dass ich nichts beschönigen wollte. Nun kommst du mit "Euphemismus"? Wärst du zufriedener gewesen, ich hätte deinen Terminus anno dazumal genutzt und geschrieben: "Natürlich wurden die Untertanen der Osmanen in einigen Reichsteilen zu bestimmten Zeiten unterjocht."

Man muss die Herrschaft der Türken über die Balkanvölker auch als das bezeichnen können, was sie war: eine Fremdherrschaft. Dass der osmanische Staat Gesetze zur Förderung des Handels und der Landwirtschaft erließ, ändert an dieser Tatsache nicht das mindeste.

Wenn wir z.B. einfach mal die Dschizya/cizye anschauen, dann stellen wir fest, dass in einigen Zeiten die gesamten Abgaben, inkl. Dschizya der Bauern geringer war, als unter den Bauern der christl. Nachbarn ...

An der grundsätzlichen Lage der von den Türken beherrschten Völker ändern positive Maßnahmen zur Hebung von Handel, Landwirtschaft oder Gewerbe nicht das geringste. Die Aufstände der Serben 1593 und 1689 stehen exemplarisch dafür, wie die osmanische Fremdherrschaft trotz "gütiger Gesetze" wirkte.
 
Diese Ge- und Verbote stehen überhaupt nicht im luftleeren Raum, sondern sind als Verordnungen oder Gesetze auch ernst zu nehmen. ..
Klar muss man sie ernst nehmen. Was ich mit "luftleeren Raum" meinte, Aussagen zu treffen, die Laien, die keine Ahnung haben, zu bestimmten Schlüssen kommen zu lassen.
Z.B. zu sagen, die Bleichgesichter haben den Indianern Alkohol geschenkt, ohne weitere Informationen, so dass ein historisch unbefleckter denken könnte, dass sei aber nett von denen gewesen. Ohne den komplexen historischen Background.

Man muss die Herrschaft der Türken über die Balkanvölker auch als das bezeichnen können, was sie war: eine Fremdherrschaft.
Logisch war sie eine Fremdherrschaft, bestreitet es jemand? Übrigens könnte man durchaus auch die Herrschaft der Osmanen über die musl. Karamaniden, über die Aydiniden, über die ägyptischen Mamluken, usw. als Fremdherrschaft bezeichnen. Also alles, was ausserhalb ihrer ursprünglichen Weidegebiete hinausging. Gilt auch für andere Reiche.


Die Aufstände der Serben 1593 und 1689 stehen exemplarisch dafür, wie die osmanische Fremdherrschaft trotz "gütiger Gesetze" wirkte.
Was war denn die Ursache der Aufstände? Hatten die Aufstände vielleicht dieselben Gründe, wie die Aufstände in Anatolien im 17. Jh., wo meist Muslime dran beteiligt waren?
 
Erstmal herzlichen Dank an lynxxx und seine Links! :winke:


Auch ich bin ein großer Fan einer realitätsnahen Betrachtung und gewiß, dass es sich auf dieser Grundlage gut diskutieren lässt.

Was nun die "freudige Begeisterung" betrifft, so habe ich Lynxxx' Argumente dreimal gelesen und nichts dergleichen gefunden. Die von ihm erwähnten Bauern, die sich offenbar freiwillig ins osmanisch beherrschte Territorium begaben, handelten mE rational (pragmatisch), indem sie sich von der Erkenntnis der elenden Lage leiten ließen, in der sie sich und ihre Angehörigen sahen, und zogen daraus eine Konsequenz. ("Wirtschaftsflüchtlinge" in moderner Terminologie? Gern auch das.)

Das Osmanische Reich änderte sich, damit auch seine Wirtschafts-, Ansiedlungs- und Religionspolitik - und das möglicherweise sogar mehrmals - ebenso wie sich diese Rahmenbedingungen bei den christlichen Nachbarn änderten. So what? - wie manche hier zu fragen belieben?

Damit stimme ich 100%ig mit dir überein! Man tut dem Osmanischen Reich Unrecht, wenn man in ihm ein kosmopolitisches Idyll sieht. Von einer wirklichen religiösen Gleichberechtigung der Dhimmies konnte keine Rede sein, und die praktische Durchführung der Devsirme war nackte Gewalt, mag dieses System der Kaderschmiede auch in Bosnien Befürworter gehabt haben, die eine Beibehaltung der Knabenlese befürworteten. Die Herrschaft über den Balkan war eine Fremdherrschaft wie die der Engländer in Irland, und diese Tatsache bleibt bestehen, auch wenn ein Zyniker durchaus zu Recht einwenden könnte, dass das Osmanische Reich als kosmopolitischer Universalstaat in seiner besten Zeit durchaus ein Garant des Friedens war und die christlichen Balkanvölker daran gehindert hat, sich einer traditionsreichen Beschäftigung zu widmen und Krieg gegeneinander zu führen. Die Osmanen haben ebensowenig aus purer Philanthropolie Bauern ins Land geholt, ebensowenig wie die protestantischen Fürsten von Brandenburg oder Hessen- Kassel aus reiner Menschenfreundlichkeit die Hugenotten ins Land holten und ihnen Privilegien wie die Freiheit von Einquartierungen verliehen. solche Maßnahmen sehe ich als eine osmanische Form der Peuplierungspolitik. Maßnahmen wie die Devsirme muten archaisch und barbarisch an, vergleicht man sie aber mit parallelen Maßnahmen, die in Westeuropa zu verbreiteten (Un)- Sitten gehörten, relativiert sich manches, und man wird so manche Gemeinsamkeit denken müssen.

Die Praktiken der Soldatenwerbung waren oft kaum von Kidnapping und nackter Gewalt zu unterscheiden, besonders berüchtigt waren die Preußen, die sich in unzähligen deutschen Ländern im 18. Jahrhundert wegen ihrer eskapaden nicht mehr blicken lassen durften. In Hessen- Kassel, das wegen seiner Subsidienverträge, vor allem mit Großbritannien während des Unabhängigkeitskrieges einen schlechten ruf hat, war gewaltsame Werbung verboten, was natürlich nicht heißt, dass sie nicht stattfand, und die Geschichte des Zeitzeugen Johann Gottfried Seume, den in Vacha die Werber des Landgrafen schnappten und ihm sein Studienbuch abnahmen, mag durchaus glaubhaft sein.

Die Aushebung von Soldaten nach der Kantonatsverfassung in Preußen, später auch in Hessen- Kassel und anderen deutschen Ländern, war nach dem Gesetz rechtens, de facto aber Zwang und für die Landbevölkerung, der wichtige Arbeitskräfte entzogen wurden, eine schwere Belastung. Es existieren aber zuwenig Berichte von Zeitzeugen aus der einfachen Bevölkerung, aus den Mannschaften wie die lebensgeschichte Ulrich Bräkers, des "armen Mannes von Tockenburg", als das sich das Szenario der Soldatenwerbung, des Szenarios, wenn die Werber in ein Dorf einrückten, aus dem jemand desertiert war so stark ins Bewußtsein eingeprägt hätte wie die "Türkengreuel", das "Türkenjoch", das Szenario der devsirme, die Ivor Andric so unnachah,mlich in "Die Brücke über die Drina" beschrieben hat.

Was scherte Bauern aus Thüringen und arbeitslose Frankfurter die Kasse des Landgrafen von Hessen, was kümmerte gepresste Bauernjungs aus Sachsen oder dem Rheinland Preußens Gloria, die preußische Staatsräson und der Ruhm seines Monarchen, der in der ihm manchmal eigenen Ehrlichkeit offen zugab, dass er den 1. Schlesischen Krieg nur vom Zaun gebrochen hatte, um sich einen Namen zu machen, um der"gloire" willen?

In gewisser Weise können die Dhimmies im Osmanischen Reich mit den Hof- und Schutzjuden in europäischen staaten vergklichen werden. Ihre Religion und ihr Besitz wurde geschützt, sie konnten als Hoffaktoren oder -Juweliere Karriere machen und profitierten z. T. von Förderung, von einer religiösen Gleichberechtigung konnte allerdings keine Rede sein, und Schutz genossen auch nur die, die sich einen schutzbrief leisten konnten. Die vorsichtigen Toleranzbemühungen von Friedrich II. oder Joseph II., der in der Judenemanzipation viel weiter ging, als der Preußenkönig, können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die meisten Juden Untertanen zweiter Klasse waren, die auch Ausbeutungsobjekte der Obrigkeiten waren, denn der Schutzbrief war teuer und zeitlich befristet. Der Schutz der Obrigkeit schütz(e) eben nicht gegen die Obrigkeit selbst, die sich diesen Schutz, hier wie dort, teuer bezahlen ließ.
 
Z.B. zu sagen, die Bleichgesichter haben den Indianern Alkohol geschenkt, ohne weitere Informationen, so dass ein historisch unbefleckter denken könnte, dass sei aber nett von denen gewesen. Ohne den komplexen historischen Background.

So "komplex" ist der historische Background in diesem Fall nicht gewesen. Die Christen hatten sich vor den Moslems unter Androhung von Strafen zu ducken, es sei denn, sie konvertierten zum Islam.

Logisch war sie eine Fremdherrschaft, bestreitet es jemand?

Auf dieser Basis könnten wir gute Freunde werden, lynxxx! Ich hatte stets den Eindruck, dass du die osmanische Herrschaft auf dem Balkan als das Beste ansehen würdest, was den betroffenen slawischen Völkern passieren könne! :D

Übrigens kö nnte man durchaus auch die Herrschaft der Osmanen über die musl. Karamaniden ...

Genau das kann man nicht!

So wie auch die Herrschaft der Preußen über die Rheinprovinz oder die der Habsburger über süddeutsche Gebiete keine "Fremdherrschaft" war. Kultureller, religiöser und dynastischer Hintergrund bildeten eine Familie, die lediglich in machtpolitischer Hinsicht zerstritten war. Ein Gefühl der "Fremdheit" kam dabei kaum auf.

Was war denn die Ursache der Aufstände? Hatten die Aufstände vielleicht dieselben Gründe, wie die Aufstände in Anatolien im 17. Jh., wo meist Muslime dran beteiligt waren?

Es waren Aufstände gegen die türkische Fremdherrschaft, nicht mehr und nicht weniger!
 
...Es waren Aufstände gegen die türkische Fremdherrschaft, nicht mehr und nicht weniger!
Hast du seriöse Belege dafür? Bevor ich nun im meiner Literatur blättere...

PS: Es gab durchaus Aufstände/Rebellionen auf dem Balkan, sehr wenige an der Zahl, aber waren es diese Jahre?
 
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