WK-1: "Deutschland trug zweifellos große Schuld am Kriegsausbruch"

@muheijo hat hier aber recht.

1815 haben die europäischen Mächte in Summa Frankreich diese Provinzen als Staatsgebiet zuerkannt und das anders als Frankreich 1871 nicht, als Kriegsverlierer, der durch Waffengewalt dadurch gezwungen war, sondern als Siegermächte im Konflikt mit dem Napoleonischen Frankreich.

Weder Preußen noch Österreich beanstandeten das seinerzeit.

Insofern diese Gebiete nie zu Preußen gehört hatten und es ein geintes Deutschland auch nicht gab, hätte allenfalls das Heilige Römische Reich, das inzwischen nicht mehr existierte Ansprüche geltend machen können.
Die weiterhin existierenden Teilststaaten des alten Reiches, die im Bereich Elsass und Lothringen vor den Revolutionskriegen über Territorin verfügt hatten (Österreich und Würtemberg) waren dafür 1815 mit anderweitiger Kompensation abgefunden worden und hatten verzichtet.


Damit waren historische Ansprüche welcher Art auch immer eigentlich vom Tisch.

Und du weißt auch sehr gut, dass auch 1871 Bismarck und Konsorten weder Beruf auf das Heilige Römische Reich, noch auf den nationalen Charakter (der wäre im Übrigen im Bezug auf Metz durchaus fraglich gewesen), für besonders gute Argumente hielten, sondern das die Annexion seinerzeit vor allen Dingen aus militärgeographischen Überlegungen (Vorfeld gegen Frankreich) vorgenommen wurde.

Ist ja gar nicht falsch, was du da ausführst. Nur wenn man eben ausführt, 1815 auf dem Wiener Kongress wurden die Provinzen eben bei Frankreich belassen, dann hat der Friede von Frankfurt doch da gleiche Recht auf Beachtung und Respektierung. Frankreich hat diesen Krieg formell eröffnet und diesen Krieg verloren. Annexionen waren in der damaligen Zeit nichts ungewöhnliches. Aber die französische Staatsspitze war da eben anderer Meinung. Was andere hinzunehmen hatten, sollte nicht für Frankreich gelten.

Frankreich hatte sich die Provinzen mit Gewalt genommen. Das ist eine Tatsache, die nicht weggeredet werden kann. Nur wurde und wird darüber nicht so ein Aufhebens gemacht, wie die dämliche deutsche Annexion der Provinzen. Frankreich kam ja schon mental nicht mit der Niederlage der Österreicher von 1866 klar. Der Ruf "Rache für Sadowa" geisterte in der Presse und den Köpfen der Staatsspitze.
 
Jedenfalls gab es keinen Bundesstaat mehr, der noch rechtmäßigen Anspruch darauf erheben konnte, nachdem alle Gliedstaaten des deutschen Bundes 1815 auf der Seite der Siegermächte stehend auf sämtliche historische Ansprüche im Elass und in Lothringen verzichtet hatten.

Im Übrigen wäre im Elsass (vor allem im Süden) wohl vor allem Österreich als ehemaliger Landesherr in Betracht gekommen, kaum aber Preußen.
Nur kann ich mich nicht erinnern, dass man 1871 das Elsass Österreich angegliedert hätte.

Deine Ausführungen ändern jedenfalls nichts daran, das Frankreich des Ludwig XIV. sich die Provinzen mit Gewalt genommen hat. Das wurde damals und wird auch heute recht generös gegenüber Frankreich betrachtet; so als ob es nicht weiter der Rede wert sei. So ganz anders als die deutsche Annexion von 1871. Die deutschen Bundesstaaten hatten auf dem Wiener Kongress längst nicht den Einfluss wie beispielsweise England und Russland. Wenn man eine Lösung hätte finden wollen, das gilt auch und insbesondere für die deutsche Frage , dann hätte man eine finden können. Das war aber gar nicht gewünscht. Europa wünschte weiterhin eine Ansammlung kleiner Staaten, auf die man sehr schön Einfluss nehmen konnte und von denen man nichts zu befürchten hatte. Man wollte eine tragfähigen Frieden und das ist in der Summe gut gelungen. Paris war trotzdem nicht zufrieden, trotz, das es so glimpflich davon gekommen war.

Ich habe ja auch nicht vom ganzen Elsass gesprochen, sondern vom überwiegenden Teil.
 
In dieser Frage drehen wir uns im Kreis, weil du wieder auf Grey abstellst.

Nenn mir doch einfach mal ganz konkret den Namen des britischen Außenpolitikers, der es sich hätte leisten können, das deutsche Flottenrüsten unbeantwortet zu lassen.
Ich kenne keinen, weil die Frage der Kräfteverhältnisse in der Nordsee für London einmal eine hochsensible war.

Wenn man das aber nicht ohne Reaktion laufen lassen konnte (mit der Folge sich hier tendenziell ausgleichender Kräfteverhältnisse), musste Gegenrüstung stattfinden, mit der Folge sich verschlechternder Beziehungen zu Deutschland und mit der Folge, dass das finanzielle Mittel benötigte, die für anderes nicht mehr zur Verfügung standen, so dass andere Konfliktfelder gelöst oder eingefrohren werden musssten ---------> entsprechende Abkommen mit Rivalen anderswo, deren Bruch man sich, so lange man im maritimen Wettrüsten mit Deutschland gebunden war, nicht leisten konnte.

Wenn du dich hier weiter über Grey echauffierst, echauffierst du dich im Grunde darüber, dass London nicht in einen Konflikt mit Russland wegen Persien steuerte, auf den es in keiner Weise vorbereitet war und für den es nicht hinreichend Ressourcen zur Verfügung hatte, nur um Deutschlands außenpolitische Situation zu entlasten.

Du betrachtest mir das Flottenrüsten, ich betone hier einmal das britische und deutsche, eben nicht nur das deutsche, zu isoliert. Ich habe dir die erheblich außenpolitischen Belastungen benannt und die sind es, die eine Annäherung praktisch nicht möglich machten.

Die Nordsee war kein britisches Meer. Es gab dort noch mehr Anrainer. Frankreich, Italien, Russland, Japan und auch die USA rüsteten ihre Flotte nicht zu knapp auf. Dort machten die Engländer allerdings nicht so ein Geschrei. Warum? Das liegt ja wohl auf der Hand. Der Bündnispartner oder zumindest freundlich betrachtete Partner "durfte" eine große Flotte haben; Deutschland nicht. Es bestand im Foreign Office gar kein Interesse an einer Übereinkunft mit Deutschland. Deutschland sollte aufhören zu rüsten oder zumindest das Bautempo deutlich drosseln, dann könne nachgedacht werden ob und welche englische Gegenleistung es gibt. Ein wenig sehr plump.

Übrigens echauffiere ich mich nicht; ich referiere lediglich Fakten.
 
Welche Fakten? Du hast meine vorigen Beiträge gelesen? Beispielsweise die gewaltsamen Annexionen eines Ludwig XIV.
Kompletter Unsinn? Sicher nicht! Eher, das mit zweierlei Maß messen. Wie kommst du jetzt auf 1918? Wir reden hier von 1815 und 1871.
 
Nur wenn man eben ausführt, 1815 auf dem Wiener Kongress wurden die Provinzen eben bei Frankreich belassen, dann hat der Friede von Frankfurt doch da gleiche Recht auf Beachtung und Respektierung.
Das würde ich aus dem genannten Grund nicht in einen Topf werfen.

In Frankfurt hat 1871 Frankreich den Verlust dieser Territorien unter dem Druck der preußischen Waffen zustimmen müssen. Die Freiwilligkeit dieser Abtretung wird man mit einigem Recht bestreiten dürfen.
1815 aber waren Österreich und Preußen die Sieger und verzichteten darauf gegenüber Frankreich Anspruch auf diese Gebiete geltend zu machen, ohne dazu gezwungen zu sein.

Diesen Verzicht auf Forderungen und die Anerkennung dieser Grenze wird man durchaus als freiwillig betrachten können und darin untrscheiden sich die beiden Ereignisse eben voneinander.

Nachdem Frankreich 1815 dieeser Besitz freiwillig bestätigt worden war, obwohl hier Österreich und Preußen zu den Siegern gehörten und gegenübeer Frankreich durchaus anderes hätten durchsetzen können, wird man die Annexion von 1871 nicht als irgendeine Form von gerechtfertigter Rückforderung von Territorien bezeichnen können, die sich Frankreich mal angeeignet hatte.

Das es sich diese angeeignet hatte, ist nnicht zu bestreiten und es bestreitet ja auch niemand, aber spätestens mit 1815 waren sämtliche Rückforderungsansprüche erledigt und angesichts dessen, wie das zu stande gekommen ist, wird man auch nicht einwenden können, dass dieser Verzicht durch Waffengewalt erzwungen und daher als ungültig zu betrachten wäre.
Deine Ausführungen ändern jedenfalls nichts daran, das Frankreich des Ludwig XIV. sich die Provinzen mit Gewalt genommen hat. Das wurde damals und wird auch heute recht generös gegenüber Frankreich betrachtet; so als ob es nicht weiter der Rede wert sei. So ganz anders als die deutsche Annexion von 1871. Die deutschen Bundesstaaten hatten auf dem Wiener Kongress längst nicht den Einfluss wie beispielsweise England und Russland.

Der Unterschied besteht nicht darin, was irgendwann mal in welcher Form genommen wurde, sondern dass Ansprüche an Frakreich wegen der Eroberungen Ludwig XIV. seit 1815 als erledigt zu betrachten sind.
Demgegenüber hat aber Frankreich nie auf die 1871 abgetretenen Gebiete in einem Vertrag verzichtet, dessen Zustandekommen man in irgendeiner Form als "freiwillig" betrachten könnte.


Vor den 1920er Jahren war es durchaus kein Konsens, dass Krieg als Mittel für die Durchsetzung von Interessen nicht infrage käme, das Prinzip der Souveränität war aber durchaus bekannt und anerkannt und die Annexionen von 1871 wird man als Verletzung dieses Prinzips betrachten müssen.

An dem Anspruch, dass mit aufgezwungene Grenzeänderungen, keine rechtliche Bindungskraft haben hat man ja von deutscher Seite her selbst nach 1918 festgehalten.
Ohne dem hätte es ja überhaupt keine irgendwie vorstellbare Untermauerung für Bestrebungen gegeben den Versailler Vertrag von 1918 in territorialer Hinsicht zu revidieren.

Wer mit dem erzwungenen Charakter der Abtretungen in Westpreußen und Oberschlesien argumentierte um deren Rechtsgültigkeit zu bestreiten und eine Revision anzustreben, der konnte doch gar nicht umhin, den Franzosen in dieser Hinsicht betreffend Elsass-Lothringen recht zu geben.
 
Die deutschen Bundesstaaten hatten auf dem Wiener Kongress längst nicht den Einfluss wie beispielsweise England und Russland.

Noch eben kurz dazu:

Das wird man nicht von alleen Bundesstaaten sagen können, mindestens Österreich gehörte zu den bestimmenden Akteuren der Wiener Verhandlungen und wenn sich Österreich und Preußen hier einig gewesen wären, dass entsprechendes in Sachen Elsass und Lothringen zu fordern wäre, dann hätten sie sicherlich genügend Gewicht gehabt, dass durchzusetzen, zumal, wenn sie dafür auf andere Forderungen verzichtet hätten.

Das unterließ man ganz bewusst und nicht weil England oder Russland etwas dagegen gehabt hätten, sondern um einen Ausgleich auch mit Frankreich zu schaffen und Frankreich in eine einigermaße stabile Nachkriegsordnung einbinden zu können.

Auch die anderen Bundestaaten schlossen sich dem Wiener Friden letztendlich an.

So weit ich das überblicke wäre der einzige süddeutsche Staat, der nach 1815 noch existiete und größere Ansprüche geltend hätte machen können, Würtemberg gewesen.
Nur empfand dessen König den Umstand, dass er seine von Napoléon erfundene Krone und die ehemaligen österreichischen Besitzungen und freien Städte im Süden Würtembergs behalten durfte, wenn er auf Möpelgard und die die relativ kleinen elsässischen Territorien verzichtete, die Würtemberg mal besessen hatte offensichtlich als hinreichend vorteilhaft um dagegen nicht zu protestieren.

Österreich war in Wien für den Verlust seiner Vorlande und Ansprüche auf ehemalige Besitzungen im Elass mit der linksrheinischen Pfalz abgefunden worde, die es 1816 beim Königreich Bayern gegen Salzburg eintauschte.


Und Preußen, dass sich in Wien 1815 vehement gegen eine Wiederaufrichtung des alten Reiches und ein damit verbundenes habsburgisches Kaisertum gewehrt hatte, konnte sich nun 1871 wirklich kaum als Sachwalter dieses ungebliebten, von Preußen nicht mehr gewollten Reiches aufspielen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Deutschen haben die Teile der Provinzen sicher auch nicht freiwillig herausgegeben. Und es ist die offene Frage, ob Preußen und Österreich, ich weiß es jetzt nicht, diesen Verzicht vollständig freiwillig aussprachen oder ob dieses Anliegen bei den anderen, größeren, Siegern nicht durchsetzbar gewesen war.

Wir haben einen unterschiedlichen Blickwinkel. Ich sehe, das Frankreich sich die Provinzen mit Gewalt genommen hatte. Du siehst, das vor allem Preußen und Österreich etliche Jahre später, unter welchem Umständen auch immer, auf diese Provinzen verzichtet haben.

Was bleibt und nicht ungeschehen zu machen ist, bleibt eben die Anwendung von Gewalt durch Frankreich.

Ich bin kein Anhänger der Annexion von 1871! Sie war ein Fehler! Nur, wie schon ausgeführt. Wer begann formell den Krieg? Und eine Annexion war durchaus nichts unübliches im 19.jahrhundert. Und ich sehe nicht, das Frankreich einen Titel auf etwas hat, was es eigentlich selbst gestohlen hatte; auch wenn der Diebstahl hinterher auf dem Wiener Kongress akzeptiert worden war. Und deine Argumentation mit dem Zwange durch Preußen bezüglich des Frankfurter Friedens, dann kannst du diese Rechnung noch viel stärker für 1919 aufmachen. Aber das führt hier zu weit.
 
Beispielsweise die gewaltsamen Annexionen eines Ludwig XIV.
Kompletter Unsinn? Sicher nicht! Eher, das mit zweierlei Maß messen. Wie kommst du jetzt auf 1918? Wir reden hier von 1815 und 1871.
Wenn wir nicht den Wiener Kongress und die damit verbundenen Grenzziehungen als Ausgangspunkt nehmen, wird es plötzlich schwierig, nicht auch das linke Rheinufer mit Köln und Mainz als "Raub" der Preußen an französischem Gebiet anzusehen... Schließlich war das alles per Friedensvertrag den Franzosen zuerkannt worden.
1815 gab es den seltenen Fall einer europäische Absprache, mit der sich auch alle anfreunden konnten.
Alle anderen Friedenschlüsse und Vereinbarungen, sei es nach dem pfälz.Erbfolgekrieg, Lunéville, Reichsdeputationshauptschluss oder 1871 waren immer basiert auf der militärischen Übermacht einer Seite und musste fast zwangsläufig die Revanche der anderen Seite bei passender Gelegenheit herausfordern.
 
Du betrachtest mir das Flottenrüsten, ich betone hier einmal das britische und deutsche, eben nicht nur das deutsche, zu isoliert. Ich habe dir die erheblich außenpolitischen Belastungen benannt und die sind es, die eine Annäherung praktisch nicht möglich machten.
Vor allen Dingen verkehrst du in meinen Augen Ursache und Wirkung, was das betrifft.

Das Flottenwettüsten mit Deutschland zwang London andere Konflikte einzufrieren und Veerträge einzugehen, die das ermöglichten, nicht umgekehrt.

Die Nordsee war kein britisches Meer.
Die Nordsee war ein Meer, in dem britische Dominanz für die britische Sicherheitskonzeption ein herausragende Rolle spielte.
Und das war nicht erst seit Grey so, sondern spätestens seit den Tagen des hundertjährigen Krieges, wenn nicht seit Hastings.

Das konnte man wissen.
Und wenn man daran rührte, musste man wissen, dass das Konsequenzen haben würde.
 
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Wir haben einen unterschiedlichen Blickwinkel. Ich sehe, das Frankreich sich die Provinzen mit Gewalt genommen hatte. Du siehst, das vor allem Preußen und Österreich etliche Jahre später, unter welchem Umständen auch immer, auf diese Provinzen verzichtet haben.

Ich sehe vor allem auch, von wem Frankreich diese Gebiete genommen hatte.

Und da könnte man argumentieren, hätte vielleicht Österreich gewisse Ansprüche geltend machen können, aber sicher nicht Preußen, dass in der Gegend schon einmal überhaupt nichts zu suchen hatte.

Preußen als treibender Kraft in den Friedensverhandlungen 1871 irgendwelche rechtmäßigen Ansprüche andichten zu wollen, würde auf die Vorstellung einer "translatio imperii" und damit einer Übertragung der Rechte des 1806 untergegangenen Reiches auf das Bismarck-Reich voraussetzen.
Eine solche Vorstellung ist von den Zeigenossen (siehe Frage nach dem Kaisertitel) und auch von Bismarck aber abgelehnt worden (auch wenn es König Wilhelm, dem nachmaligen Kaiser sicherlich sehr gefallen hätte).

Ich bin kein Anhänger der Annexion von 1871! Sie war ein Fehler! Nur, wie schon ausgeführt.

Naja, auch Front hatten wir ja schonmal geklärt, ich bin da nach wie vor anderer Ansicht, weil ich der Meinung bin, dass selbst ohne die Annexion von französischer Seite die Reichsgründung nicht so ohne weiteres akzeptiert worden wäre ("revanche pour sadova"), auch wenn diese einen Gewaltakt darstellte.
Für mich liegt der strategische Fehler eher darin, dass man vor allem im Bereich des Elsass mit Rücksicht auf Frankreich 1871 zu wenig nahm und die westlichen Vogesen als geographisches Hindernis bei Frankreich beließ, was dann vor dem Ersten Weltkrieg erheblich zum Schliefenplan und den damit verbundenen Handlungszwängen führte.

Das die Beziehungen zu Frankreich sich ohne diese Annexion sich vernünftig hätten gestalten lassen, glaube ich nicht, weil für Frankreich das Haptproblem der Verlust von Frankreichs Hegemoniestellung in Europa durch die Reichsgründung war, nicht der Verlust der drei West-Départements.
Dementsprechend hätte ein Verzicht darauf spätere Verwicklungen wahrscheinlich nicht verhindert, hätte man demgegenüber etwas mehr genommen und wäre ohne geographische Behinderung durch die Vogesen später nicht militärisch auf den Weg über Belgien angewiesen gewsen, hätte man hier wesentlich gelassener sein können und möglicherweise wäre später der Weltkrieg dann leichter verhinderbar gewesen.


Vom rechtlichen und moralischen Standpunkt her, meine ich, war man auf französischer Seite, im Hinblick auf die Elsass-Lothringen-Frage durchaus im Recht, wie ich meine.


Wer begann formell den Krieg?

Wir wissen doch beide, dass obwohl Frankreich 1870 und Deutschland 1914 formell den Krieg erklärten beide Seite an beiden Konflikten ordentlich Aktien hatten.
Und ehrlich gesagt, finde ich es etwas inkonsequent, wenn du dich bei 1870 exklusiv auf die formale Kriegserklärung kaprizierst, im Hinblick auf die Vorgeschichte von 1914 aber nicht müde wirst zu beetonen, wo Poincaré, Paleologue, Delcassé usw. usw. überall Öl ins Feuer gegossen hatten.

Natürlich hatten sie das. Natürlich hat aber 1870 mit der Emser Depesche auch Bismarck massiv Öl ins Feuer gegossen und nicht unbedingt etwas dafür getan, aktiv den Krieg zu verhindern.
Und deine Argumentation mit dem Zwange durch Preußen bezüglich des Frankfurter Friedens, dann kannst du diese Rechnung noch viel stärker für 1919 aufmachen


Jedenfalls nicht im Hinblick auf Elsass-Lothringen.

Und wenn du dir die historische Rezeption des Friedens von 1919 auf deutscher Seite anschaust, ist es doch so gewesen, dass für den ganz überwiegenden Teil derer, die eine Revision dessen wollten, die Ostgebiete eine ganz andere Thematik mit deutlich höherer Priorität waren, als Elsass-Lothringen, mit dessen Verlust man sich auf deutscher Seite einigermaßen schnell abfinden konnte (abgesehen von der Schwerindustrie, für die der Verlust des lothringischen Erzreviers zunächst mal ein Problem darstellte).

Kritik an der Annexion von Elsass-und Lothringen hatte es schon 1871 gegeben.

Im Übrigen, wenn ich das sagen darf, es fällt mir ein wenig schwer deine Position zu verstehen, wenn du auf der eine Seite die Annexion von 1870/1871 als einen Fehler betrachtest, deren Rückabwicklung 1918 und davor das französische Interesse daran aber als eine fiedensstörende Ungeheuerlichkeit betrachtest.
 
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Wenn wir nicht den Wiener Kongress und die damit verbundenen Grenzziehungen als Ausgangspunkt nehmen, wird es plötzlich schwierig, nicht auch das linke Rheinufer mit Köln und Mainz als "Raub" der Preußen an französischem Gebiet anzusehen... Schließlich war das alles per Friedensvertrag den Franzosen zuerkannt worden.

Ich denke, man könnte noch weitergehen:

Wenn man sich dazu versteigen wollte das Kaiserreich von 1871 als Rechtsnachfolger des alten Heiligen Römischen Reiches und Sachwalter von dessen Interessen zu betrachten, dann hätte man damit ja im Prinzip auch die von diesem Reich losgelöste unabhängige Existenz Österreichs, Italiens, der Schweiz, und der BeNeLux-Staaten infragestellen müssen, immerhin existierten ja auch diese Staaten ganz oder zum Teil auf ehemaligem Territorium des alten Reiches, die sich irgendwann mal verselbstständigt hatten oder abgetreten wurden.
 
Der größte Teil der beiden Provinzen, die eben nicht zu Frankreich gehört haben, waren von Ludwig XIV. in der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts nach und nach scheibchenweise annektiert worden. das läßt sich wohl nicht bestreiten. Kulturell blieben die Provinzen lange deutsch geprägt. Erst nach dem Wiener Kongress, als klar war, das es eine Rückkehr zu Deutschland in nächster Zeit nicht geben wird, orientierte sich die Bevölkerung um.

Wir entfernen uns zwar zeitlich von den unmittelbaren Ursachen des 1. Weltkriegs, aber hier möchte ich doch noch etwas einwerfen. Das französische Nationalgefühl in den Provinzen Elsaß und (Deutsch-)Lothringen würde ich aber schon mit der Revolution und der Schaffung des französischen Nationalstaats in Verbindung sehen. Vorher war Frankreich eine Monarchie, wo der Souverän der Monarch (a deo gratia) war, nach der Revolution war der Souverän die Nation.
 
Was hier praktisch ausgeblendet wird, ich weiß ich wiederhole mich, ist die ganz einfache und simple Tatsache, dass das Frankreich Ludwig XIV. sich den größeren Teil der Provinzen gewaltsam einverleibt hat.
 
Was hier praktisch ausgeblendet wird, ich weiß ich wiederhole mich, ist die ganz einfache und simple Tatsache, dass das Frankreich Ludwig XIV. sich den größeren Teil der Provinzen gewaltsam einverleibt hat.

Die Behauptung es würde ausgeblendet ist zurück zu weisen.
Wenn man auf dem Standpunkt steht, dass der Umstand das es kein Heiliges Römisches Reich mehr gab, was hier Ansprüche hätte geltend machen können und dass diese spätestens mit der einvernehmlichen Entscheidung von 1814/1815 durch die Sieger, Frankreich diese Provinzen zu belassen, als erledigt zu betrachten sind, ist das kein Ausblenden.

Nur nur weil andere Diskussionsteilnehmer zu einem anderen Schluss kommen als du, ignorieren sie nicht dein Argument.
 
Das französische Nationalgefühl in den Provinzen Elsaß und (Deutsch-)Lothringen würde ich aber schon mit der Revolution und der Schaffung des französischen Nationalstaats in Verbindung sehen. Vorher war Frankreich eine Monarchie, wo der Souverän der Monarch (a deo gratia) war, nach der Revolution war der Souverän die Nation.
Die Revolution und ihre Folgen scheinen im Elsass seinerzeit durchaus nicht nur positiv aufgenommen worden zu sein:

"Die Revolutionszeit war von dem Bestreben Frankreichs geprägt, den bereits annektierten elsässischen Gebieten des Heiligen Römischen Reichs auch noch die bis dahin unter Reichshoheit verbliebenen elsässischen Territorien anzugliedern.[5][6] Die von Landgier getriebenen Bemühungen der revolutionären Machthaber, weitere Teile des Elsass unter ihre Kontrolle zu bringen und in den französischen Zentralstaat zu integrieren, sowie ihr grausamer Umgang mit Oppositionellen lösten im Elsass zwischen 1789 und 1793 eine Konterrevolution aus.[7] Noch 1794 wurde in Paris der im benachbarten Lothringen in dem Dorf Elwingen wohnhafte Archäologe und Numismatiker Dominik de Mory (1738–1794) hingerichtet.[8] "

Auch wenn mir das Zitat und die Begründung etwas reißerisch erscheit und ich diese Begründungen, wie "Landgier" nicht so ohne weitere übernehmen würde, ein entsprechendes Aufbegehren gegen die nachrevolutionären Verhältnisse scheint wohl jedenfalls teilweie stattgefunden zu haben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Revolution und ihre Folgen scheinen im Elsass seinerzeit durchaus nicht nur positiv aufgenommen worden zu sein:

Das mag sein, aber auch in anderen Teil der neuen République gab es durchaus Widerstand gegen die Révolution und ihre Neuerungen. Das ist kein Spezifikum des Elsaß bzw. der deutschsprachigen Gebiete.

Ich habe schon häufiger gesehen, dass viele der wichtigen Verwaltungsbeamte und auch Bischöfe während der Franzosenzeit in den annektierten Gebieten Deutschlands, aber auch in den Staaten des Rheinbundes, deutsche Namen trugen. Das waren zumeist Elsässer, die als treue Citoyens Frankreichs zweisprachig waren und somit für die Positionen prädestiniert waren.

Zu 1815: Frankreich (nach der Restauration) wurde mehr oder weniger wieder auf den Gebietsstand zurückversetzt, den es 1790 hatte. Kleinere Grenzkorrekturen gab es im Grenzgebiet des heutigen Saarland, Rheinland-Pfalz und Belgien (sowie der Schweiz). Im frz. Wiki-Artikel sieht man auf der Karte die Gebietsverluste ggü. 1790: Traité de Paris (1815) — Wikipédia
 
Das mag sein, aber auch in anderen Teil der neuen République gab es durchaus Widerstand gegen die Révolution und ihre Neuerungen. Das ist kein Spezifikum des Elsaß bzw. der deutschsprachigen Gebiete.

Natürlich nicht, Lyon, Toulon, von der Vendée nicht zu reden........... natürlich gab es auch anderswo Erhebungen, die ähnlich heftig zum Teil auch deutlich problematischer für Frankreich waren.

Ich möchte das durchaus nicht zum Spezifikum erklären, nur spricht das für mich ein Bisschen gegen die Vorstellung, dass mit der Revolution im Elsass ein flächendeckendes französisches Nationalgefühl ausgebrochen wäre.
Hätte sich die Bevölkerung von der revolutionären Regierung besser vertreten oder als Teil der Nation mehr wertgeschätzt gefühlt, als unter dem König, hätte es dagegen keinen Aufstand geprobt.

Da wäre ich dann eher bei @Turgot, dass sich eine dezidiert französische Identität wahrscheinlich erst später im Elsass festsetzte.

Ich habe schon häufiger gesehen, dass viele der wichtigen Verwaltungsbeamte und auch Bischöfe während der Franzosenzeit in den annektierten Gebieten Deutschlands, aber auch in den Staaten des Rheinbundes, deutsche Namen trugen. Das waren zumeist Elsässer, die als treue Citoyens Frankreichs zweisprachig waren und somit für die Positionen prädestiniert waren.

Ja, aber was sagt das über die Selbstidentifikation der einfachen Bevölkerung aus?

Das in Multiethnischen Reichsverbänden in der Verwaltung und in der Geistlichkeit auch lokale Eliten zum Zuge kommen, deren ethnischer Hintergrund sich von demjenigen des Herrschers oder der Mehrheit der Bevölkerung unterscheidet, ist ja durchaus keine französische Besonderheit.
 
Da wäre ich dann eher bei @Turgot, dass sich eine dezidiert französische Identität wahrscheinlich erst später im Elsass festsetzte.

Es ist natürlich eine Entwicklung, die abgelaufen ist. Man wird nun kaum einen Zeitpunkt zwischen 1648 (Verlust des Elsaß für das HRR durch den Frieden von Münster) und 1871 (Rückgewinnung des Elsaß für das Deutsche Reich durch den Frankfurter Friedensvertrag) als den identitätstiftenden Faktor bestimmen können, der aus Deutschen Franzosen gemacht hat. Aber ein wichtiger Punkt ist nun die Revolution von 1789 mit ihrer Idee der französischen Nation.

Ja, aber was sagt das über die Selbstidentifikation der einfachen Bevölkerung aus?

Die einfache Bevölkerung wird auf das gehört haben, was die lokalen Autoritäten (sei es Staat oder Kirche) ihnen gesagt haben. Zwar hatte die Revolution zunächst einen Kurs der Verfolgung gegen die Kirche gefahren, die als Teil des Ancien Régime galt, aber nach einigen Jahren wurden die extremen antikirchlichen Maßnahmen wieder zurückgenommen. Gerade die mehrheitliche katholische Bevölkerung in Elsaß-Lothringen (die Generationen zuvor wieder rekatholisiert wurde) konnte sich ab 1871 mit dem preußisch (und protestantisch) dominierten Deutschen Reich nicht anfreunden.
 
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