Teil 2
Da diese in Kalkriese ausgegrabene Münzverteilung allenfalls als ein Indiz für eine Varusschlacht in der Niewedder Senke taugt, waren die Archäologen an diesem Ausgrabungsort bemüht weitere Beweise für den Untergang der Varuslegionen zu finden. Einer der Beweise der die Kalkriesetheorie untermauern sollte, war die Lokalisierung mehrerer Erdwälle, die zur Zeit der Kampfhandlungen den Kalkrieser Berg auf etwa zwei Kilometern Länge umschloss, und ihn von dem staunassen Bereich der Niewedder Senke abgrenzte. Nach Aussage der Kalkrieseausgräber dienten diese Wälle als Ausgangspunkt des germanischen Angriffs, auf die Varuslegionen. Von diesen Wällen sollen sich die germanischen Krieger auf die langgestreckte römische Marschkolonne gestürzt haben, um dann nach erfolgter Attacke hinter diesen Erdmauern Schutz, vor den gegebenenfalls nachsetzenden Römern zu suchen. Gleichzeitig sollten diese Wälle verhindern, dass die Römer in die dahinter liegenden germanischen Stellungen eindringen, und dabei die nicht allzu dicht stehende Schlachtreihe der Germanen durchbrechen. Soweit die scheinbar gut argumentierten Interpretationen der Kalkrieseausgräber. Aber gerade diese Erdwälle bringen bei genauer Betrachtung diese Erklärungsversuche ins wanken. Wie allgemein bekannt und nicht in Frage gestellt, ist die Tatsache, dass Varus mit seinem Heer in einem Hinterhalt vernichtet wurden. Damit ein Hinterhalt, oder besser gesagt, eine Falle zuschnappen kann, muss, und das wird jeder Militärfachmann bestätigen, der Hereinzulegende bis zum letzten entscheidenden Moment ahnungslos über die ihn bedrohenden Vorraussetzungen sein. Wenn er merkt das er in eine Falle getappt ist, muss es schon zu spät für eine erfolgversprechende Gegenreaktion sein. Bei den Schlachttheorien die sich für Kalkriese aussprechen, wird oftmals der Eindruck erweckt, dass Varus und seine Legionen, ähnlich wie bei der Rückkehr von einem Campingausflug, leichtsinnig und sorglos, quasi wie Tiere zur Schlachtbank, in ihr Verderben gezogen sind. Dabei wird leicht übersehen, dass es für die Römer bei einer derartigen militärischen Operation, mit einem solch gewaltigen Heer, in einem bekannten oder unbekannten Terrain, ein immenses Maß an logistischem Aufwand erfordert hat, um sich zu einem Ort vorwärts zu bewegen. Varus mag sorglos gewesen sein, aber seine Generäle mit Sicherheit nicht. Die Römer konnten nicht einfach Geradewohl drauf los ziehen, sondern Kundschafter wurden vorausgeschickt um das Gelände für einen Durchmarsch zu sondieren, und anschließend den nächsten Lagerplatz auszukundschaften. Dabei wurde zweifellos nicht nur der vermeintliche Marschweg erkundet, sondern auch weite Bereiche neben der Wegtrasse auf ihre Sicherheit überprüft. Danach mussten Pioniere den Weg von Hindernissen befreien und so befestigen, dass hinterher das Heer mit dem Tross durchziehen konnte. Bei diesem Aufwand, bevor sich die gesamte Kolonne vorwärts bewegen konnte, wäre ein groß angelegter Hinterhalt in der Niewedder Senke mit den deutlich sichtbaren Erdwällen frühzeitig entdeckt worden, und die römische Heerführung hätte entsprechende Gegenmaßnahmen einleiten können. Diese Tatsache mussten die Germanen einkalkulieren als sie ihren Plan ausarbeiteten, und deswegen mussten sie alles vermeiden, was das Misstrauen der Römer erwecken konnte. Eine frühzeitige Entdeckung dieser Wälle hätte ihre Aufstandspläne mit einem Schlag zunichte gemacht. Aber auch wenn der gesamte römische Stab sorglos in die Senke eingezogen wäre so hätte sich noch der größte Teil der Varusarmee außerhalb dieses Engpasses befunden als der Kampf begann, denn der Heerzug der etwa 20000-30000 römischen Soldaten war nach seriösen Berechnungen mindestens 15 Kilometer lang. In diesem Fall hätten sich die Legionen aus dem Kampfgebiet zurückziehen und sammeln können, um nach einem koordinierten Manöver, der Einkesselung zu entgehen. Die Vermutung dass die Varuslegionen, durch massive Attacken der Germanen, in ihrem Rücken, zum Einmarsch in die Niewedder Senke gezwungen waren, erhält bisher keine Bestätigung durch Ausgrabungsergebnisse, denn dann hätten auf dem mutmaßlichen Marschweg zwischen Venne und Lübbecke, im Laufe der intensiv geführten Untersuchungen, zumindest einige aussagekräftige Bestandteile römischer Militaria, die durch Kampfhandlungen in den Boden gelangt sind, gefunden werden müssen. Auch hätte das Geländeprofil östlich der Senke seinerzeit unter Umständen das Ausweichen des Marschzuges in nordwestlicher Richtung ermöglicht, und damit mussten die Legionäre nicht den Bereich der Erdwälle passieren. Auch die Anlage der Erdmauern in der Landschaft lässt an eine ehemalige Angriffstellung der Germanen zweifeln. Um die Römer bei ihrem Vorbeimarsch an den Erdwällen erfolgreich zu bekämpfen war es für die Germanen erforderlich den Nahkampf zu suchen. Denn da für die Germanen keine Fernkampfwaffen wie zum Beispiel Pfeil und Bogen oder Schleudergeschosse bekannt oder überliefert sind, blieben nur Wurfspeere als germanische Distanzwaffen, deren Reichweite sich die Römer auf ihrem Weg an den Wällen vorbei durch Einhaltung eines gewissen Abstandes, und durch die Nutzung ihrer Schilde entziehen konnten. So blieb nur als wirkungsvolle Angriffstaktik, dass massive herabstürzen der Germanenkrieger von den Erdwällen auf den Römischen Marschzug herab, um ihn dann zu bekämpfen. Gegen dieses Vorgehen an diesem Ort sprechen aber die Palisaden aus Flechtwerk die vereinzelt auf der Krone dieser Wälle nachgewiesen wurden. Diese wären bei einem Sturmangriff von diesen Anhöhen herab eher störend, da sie eine breite Schlachtaufstellung der Germanen verhinderten. Ein hervorbrechen der Germanen aus den Durchlässen zwischen den Wällen heraus, hätte auf die Stellungen der Römer keinen massiven Angriffsdruck hervorgerufen, der erforderlich gewesen wäre, um diese Formationen aufzubrechen. Auch durch die Tatsache, dass nachdem sich der Kalkrieser Engpass nach Westen hin erweitert, weitere Erdwälle vermutet werden, läst an eine Hinterhaltsstellung zweifeln, denn sollte diese Falle perfekt geplant sein, und in der Niewedder Senke ihren Endpunkt gehabt haben, so ergeben weiter Erdwälle in dem für diesen Hinterhalt nicht mehr erforderlichen Bereich keinen Sinn.
Ein weiteres Indiz für eine Varusschlacht an diesem Ort, ist für die Kalkrieseausgräber, die von ihnen entdeckten Knochengruben im Bereich des Oberesch. In diesen Knochengruben lagen Tierknochen, dabei vor allem Maultierknochen, und Menschenknochen, von Männern zwischen 20 und 45 Jahren, gemeinsam in ehemaligen Senken vergraben. Da diese Knochen Trockenrisse und Anzeichen von Nagetierfraßspuren haben, und teilweise anatomisch zusammenhanglos vergraben waren, vermutet man, dass diese Gebeine erst lange Zeit nach dem Tod ihrer Besitzer an der Oberfläche gelegen haben, und erst später unter die Erde gelangt sein können. Auch hier wurde eine Verbindung zur Varusschlacht hergestellt, denn Tacitus berichtet von den Gebeinen der erschlagenen Römer die noch Jahre später unbestattet auf dem Schlachtfeld der Varuslegionen lagen. Aber, und das wird gerne von den Varusschlacht in Kalkriese Anhängern verkannt, ließ Germanicus, bei seinem Feldzug als er den Schlachtort der vernichteten Legionen aufsuchte, die sterblichen Überreste der gefallenen Römer in einem Grabtumulus aufschichten, und kaum an vereinzelten Stellen mit Maultierknochen gemeinsam vergraben. Gleichzeitig hätten, wenn die Gebeine von etwa zehn getöteten Legionären, in jeweils einer dieser Gruben liegen sollten, bei etwa 20000 getöteten römischen Soldaten, mindestens 2000 Knochengruben angelegt werden müssen. Mit anderen Worten: die gesamte Niewedder Senke und die umliegende Gegend müsste mit Knochengruben übersät sein. Vielmehr scheint es grundsätzlich die Praxis der Germanen unter Arminius gewesen zu sein, die vergänglichen Überreste der getöteten römischen Feinde auf dem Schlachtfeld einfach liegen zu lassen, damit diese als sichtbare Abschreckung für erneute Eroberungsversuche der Römer dienten. Diese Vorgehensweise kann auch in späteren Jahren, von Arminius bei seinen Kämpfen gegen das Heer des Germanicus angewandt worden sein. Nachdem es nach einer gewissen Zeit absehbar war, dass die Römer keinen erneuten Vorstoß ins germanische Territorium wagen würden, sind diese offen in der Landschaft daliegenden Gebeine, dann wahrscheinlich von den dort siedelnden Germanen eingesammelt und bestattet worden, da dieser Anblick, der vor sich hinbleichenden Knochen, auf Dauer auch für diese sicher nicht angenehm war.
Ein bemerkenswerter Faktor der aus den Ausgrabungen in Kalkriese hervorgeht, ist der Umstand, dass es bisher, von einem germanischen Reitersporn abgesehen, keine Funde ausgegraben wurden, die eindeutig germanischer Herkunft sind. Diese Konstellation lässt sich eigentlich nur mit der Begründung erklären, dass hier die Germanen vorwiegend mit römischen Waffen gekämpft haben, und sie diese bei vorangegangenen Schlachten von besiegten Römern erbeutet haben. Denn allein bei der Varusschlacht eroberten die Germanen die militärische Ausrüstung von etwa 20000 römischen Soldaten. Diese Waffen waren in der Regel qualitativ hochwertiger als die normale germanische Bewaffnung, und wurden aus diesem Grund mir Sicherheit bei nachfolgenden Kämpfen von den Germanen benutzt. Auch dieses Faktum spricht gegen eine Varusschlacht in Kalkriese, denn zu diesem Zeitpunkt war das germanische Heer zum überwiegenden Teil mit ihrer normalen Ausrüstung ausgestattet, und deshalb konnten die Germanen noch nicht im Besitz einer so großen Menge römischer Waffen sein. Aber wenn sich diese ganzen Widersprüche gegen eine Varusschlacht in der Niewedder Senke aussprechen, so steht jetzt die Frage im Raum, welches Ereignis sich hier dann einstmals zugetragen hat. Wie vorher schon angedeutet kann es sich hier nur um eine Begebenheit im Zusammenhang mit den Vorstößen des römischen Heerführers Germanicus handeln, denn in der Zwischenzeit während der Varusschlacht und den Germanicusfeldzügen sind uns keine Überlieferungen, über einen so Tief ins germanische Hinterland geführten römischen Vorstoß bekannt. Für viele Gegner der Varusschlacht in Kalkriese, haben sich hier im Jahre 15 die Kämpfe zwischen den Legionen des Caecina und dem Heer des Arminius, an den langen Brücken (Pontes Longi) ereignet, was auch auf der Tatsache gründet, dass in der näheren Umgebung von Kalkriese alte Bohlenwege nachgewiesen werden konnten, die in etwa in das Zeitfenster der Germanicusfeldzüge passen könnten. Aber abgesehen davon, dass Bohlenwege grundsätzlich nichts ungewöhnliches für alte Wegtrassen in Germanien sind, passen diese Annahmen nicht mit dem in der Histographie einzig verwertbaren Bericht des Tacitus über diese Zeit überein, nachdem Germanikus zu dieser Zeit noch nicht die Ems überschritten hat, und daher Caecina von der Ems zum Rhein kommend, die Pontes Longi passierte. So bleibt nur die Überlegung, dass hier ein Ereignis der Germanicusexpedition im Jahr 16 stattgefunden haben muss, und speziell die Schlacht am Angrivarierwall passt nach der Überlieferung für dieses Gelände mit dem Sumpf, dem bewaldeten Berg und den vorgelagerten Erdwällen und der Flachen Ebene dazwischen.
Vielen Dank für eure Ausdauer
Gruß Maelo