Dion
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Zu Ethnien bzw. zu ethnischen Kriegen habe ich heute ein interessantes Interview der SZ mit dem Soziologen Andreas Wimmer gelesen. Obwohl ich mit seinen Aussagen nicht voll übereinstimme, werde ich versuchen, im Folgenden das Wesentliche zu zitieren, ohne dem Konflikt im Nahen Osten Raum zu geben, sondern im Allgemeinen zu bleiben – hier die Aussagen des Soziologen:
Wenn Länder einen gewissen ökonomischen Entwicklungsstand erreichen, entstehen in ihnen keine Bürgerkriege mehr. Das ist fast wie ein Gesetz.
(…)
Ethnische Konflikte zeichnen sich erstens dadurch aus, dass bewaffnete Gruppen entweder darum kämpfen, wie in einem Staat die Macht unter verschiedenen Ethnien aufgeteilt wird, oder darum, sich einem anderen Staat anzuschließen oder einen eigenen zu gründen, in dem die eigene Gruppe die ethnische Mehrheit stellen würde. Zweitens rekrutieren bewaffnete Gruppen in ethnischen Konflikten ihre Kämpfer vorwiegend innerhalb der eigenen Ethnie und achten auch bei der Suche nach Verbündeten auf ethnische Gemeinsamkeit.
(…)
Gewalt macht ethnische Trennlinien plausibler.
Vielleicht wiederholen sich ethnische Konflikte deshalb häufiger als andere. Waffenstillstände und Friedensabkommen sind brüchiger.
(…)
Zunächst sehen wir in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Anstieg von Eroberungskriegen, bei denen sich Staaten neue Territorien einverleiben – unabhängig von deren ethnischer Zusammensetzung.
(…)
Eine weitere Besonderheit ist der Zweite Weltkrieg, bei dem der Anteil von Kriegen zwischen Staaten massiv zunimmt.
Wenn man aber diese beiden Entwicklungen in den Hintergrund schiebt, stellen wir fest: Der Anteil ethnopolitischer Konflikte ist seit dem Ende der Napoleonischen Kriege kontinuierlich angestiegen.
(…)
Diese Verschiebung liegt meines Erachtens am Nationalismus, der sich seit Napoleon quer über den Globus ausbreitete. Die nationalistische Ideologie fordert, dass Bevölkerung und Regierung derselben ethnischen Gruppe entstammen.
(…)
… in den Jahrzehnten nach einer Nationalstaatsgründung steigt die Wahrscheinlichkeit von ethnisch motivierten Bürgerkriegen, in denen es um Machtverteilung im neuen Staat geht. Zu diesem Muster gehören – historisch gesehen – auch sogenannte ethnische Säuberungen, die zum Ziel haben, einen ethnisch homogeneren Nationalstaat zu schaffen.
Die Vertreibungen fügen sich in dieses Muster, wie auch immer wir sie im Detail interpretieren. Diese Dynamik sehen wir auch nach der Gründung der modernen Türkei an den Zwangsumsiedlungen von Griechen und Türken, die euphemistisch „Bevölkerungsaustausch“ genannt wurden. Oder nach den Gründungen von Pakistan und Indien. Die konfliktreiche Dynamik des Nationalismus setzt sich nach der Staatsgründung fort, in den zwei oder drei folgenden Jahrzehnten bleibt das Kriegsrisiko hoch. An den Daten sehen wir aber, dass es im Schnitt nach sieben Jahrzehnten wieder auf das Durchschnittsniveau zurückgeht.
(…)
In den meisten Fällen enden ethnische Konflikte früher oder später entweder durch Abspaltung von neuen, homogeneren Nationalstaaten oder durch Machtteilung mit Minderheiten im existierenden Staat. (…) Historisch gibt es noch eine dritte, seit dem Zweiten Weltkrieg aber international geächtete Variante, um solche Konflikte gewaltsam zu beenden, nämlich ethnische Säuberungen. Trotz der Ächtung kommt es noch heute dazu: Im vergangenen September eroberte Aserbaidschan Bergkarabach, vertrieb die meisten der dort lebenden Armenier und beendete den Konflikt dadurch. Diese Variante ist nicht nur moralisch inakzeptabel, sondern in Nahost auch politisch nicht machbar.
Unserer Forschung zufolge brechen häufiger Bürgerkriege in Ländern aus, in denen ein großer Anteil der Bevölkerung von politischer Macht ausgeschlossen ist. Wenn etwa ein Drittel der Bevölkerung ausgeschlossen wird, steigt das Risiko eines Bürgerkriegs um ein Viertel. Der Effekt ist stärker als der eines niedrigen Bruttoinlandsprodukts oder einer großen Bevölkerung. Selbstverständlich spielen in vielen Kriegen Armut und Ressourcen entscheidende Rollen, etwa Öl in Südnigeria oder Diamanten in Sierra Leone. Das vermischt sich manchmal mit ethnischen Machtkämpfen.
Doch die Annahme, dass politische Ungleichheit ein großer, wenn nicht der Haupttreiber von vielen Bürgerkriegen ist, ist in der Forschung inzwischen weitgehend akzeptiert.
(…)
Je weniger eine ethnische Gruppe an Regierungsmacht teilhat, desto größer ist die Konfliktwahrscheinlichkeit, weil das nationalistische Prinzip der Selbstbestimmung verletzt wird.
Das Konfliktrisiko steigt bereits leicht an, wenn eine Gruppe nicht in der Zentralregierung repräsentiert ist und lediglich regional Macht ausübt – etwa in einem Autonomiestatut wie jenem der Tiroler in Italien. Das mit Abstand größte Konfliktpotenzial finden wir bei Gruppen, die auf jeder politischen Ebene aktiv und gezielt diskriminiert werden.
(…)
All die statistischen Ergebnisse sind Durchschnittseffekte. Man muss vorsichtig sein, sie für einen spezifischen Konflikt zu interpretieren.
(…)
Ethnische Konflikte verschwinden erst, wenn die zugrunde liegenden, tief verankerten nationalistischen Hoffnungen erfüllt werden. Gegenbeispiele gibt es kaum. Tief verankert heißt: Die Bevölkerung hat die nationalistischen Ziele als ihre eigenen angenommen und ist für diese mobilisiert. Die historisch häufigste Art, diese Konflikte beizulegen, ist daher Partition, also die territoriale Trennung von Ethnien in neue Staaten wie zum Teil im Falle Jugoslawiens.
(…)
„Power sharing“: Die Gruppen, darunter die bisher ausgeschlossene, teilen sich die Macht in einem gemeinsamen Staat. Das wäre das Nordirland-Modell;
Wenn Länder einen gewissen ökonomischen Entwicklungsstand erreichen, entstehen in ihnen keine Bürgerkriege mehr. Das ist fast wie ein Gesetz.
(…)
Ethnische Konflikte zeichnen sich erstens dadurch aus, dass bewaffnete Gruppen entweder darum kämpfen, wie in einem Staat die Macht unter verschiedenen Ethnien aufgeteilt wird, oder darum, sich einem anderen Staat anzuschließen oder einen eigenen zu gründen, in dem die eigene Gruppe die ethnische Mehrheit stellen würde. Zweitens rekrutieren bewaffnete Gruppen in ethnischen Konflikten ihre Kämpfer vorwiegend innerhalb der eigenen Ethnie und achten auch bei der Suche nach Verbündeten auf ethnische Gemeinsamkeit.
(…)
Gewalt macht ethnische Trennlinien plausibler.
Vielleicht wiederholen sich ethnische Konflikte deshalb häufiger als andere. Waffenstillstände und Friedensabkommen sind brüchiger.
(…)
Zunächst sehen wir in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Anstieg von Eroberungskriegen, bei denen sich Staaten neue Territorien einverleiben – unabhängig von deren ethnischer Zusammensetzung.
(…)
Eine weitere Besonderheit ist der Zweite Weltkrieg, bei dem der Anteil von Kriegen zwischen Staaten massiv zunimmt.
Wenn man aber diese beiden Entwicklungen in den Hintergrund schiebt, stellen wir fest: Der Anteil ethnopolitischer Konflikte ist seit dem Ende der Napoleonischen Kriege kontinuierlich angestiegen.
(…)
Diese Verschiebung liegt meines Erachtens am Nationalismus, der sich seit Napoleon quer über den Globus ausbreitete. Die nationalistische Ideologie fordert, dass Bevölkerung und Regierung derselben ethnischen Gruppe entstammen.
(…)
… in den Jahrzehnten nach einer Nationalstaatsgründung steigt die Wahrscheinlichkeit von ethnisch motivierten Bürgerkriegen, in denen es um Machtverteilung im neuen Staat geht. Zu diesem Muster gehören – historisch gesehen – auch sogenannte ethnische Säuberungen, die zum Ziel haben, einen ethnisch homogeneren Nationalstaat zu schaffen.
Die Vertreibungen fügen sich in dieses Muster, wie auch immer wir sie im Detail interpretieren. Diese Dynamik sehen wir auch nach der Gründung der modernen Türkei an den Zwangsumsiedlungen von Griechen und Türken, die euphemistisch „Bevölkerungsaustausch“ genannt wurden. Oder nach den Gründungen von Pakistan und Indien. Die konfliktreiche Dynamik des Nationalismus setzt sich nach der Staatsgründung fort, in den zwei oder drei folgenden Jahrzehnten bleibt das Kriegsrisiko hoch. An den Daten sehen wir aber, dass es im Schnitt nach sieben Jahrzehnten wieder auf das Durchschnittsniveau zurückgeht.
(…)
In den meisten Fällen enden ethnische Konflikte früher oder später entweder durch Abspaltung von neuen, homogeneren Nationalstaaten oder durch Machtteilung mit Minderheiten im existierenden Staat. (…) Historisch gibt es noch eine dritte, seit dem Zweiten Weltkrieg aber international geächtete Variante, um solche Konflikte gewaltsam zu beenden, nämlich ethnische Säuberungen. Trotz der Ächtung kommt es noch heute dazu: Im vergangenen September eroberte Aserbaidschan Bergkarabach, vertrieb die meisten der dort lebenden Armenier und beendete den Konflikt dadurch. Diese Variante ist nicht nur moralisch inakzeptabel, sondern in Nahost auch politisch nicht machbar.
Unserer Forschung zufolge brechen häufiger Bürgerkriege in Ländern aus, in denen ein großer Anteil der Bevölkerung von politischer Macht ausgeschlossen ist. Wenn etwa ein Drittel der Bevölkerung ausgeschlossen wird, steigt das Risiko eines Bürgerkriegs um ein Viertel. Der Effekt ist stärker als der eines niedrigen Bruttoinlandsprodukts oder einer großen Bevölkerung. Selbstverständlich spielen in vielen Kriegen Armut und Ressourcen entscheidende Rollen, etwa Öl in Südnigeria oder Diamanten in Sierra Leone. Das vermischt sich manchmal mit ethnischen Machtkämpfen.
Doch die Annahme, dass politische Ungleichheit ein großer, wenn nicht der Haupttreiber von vielen Bürgerkriegen ist, ist in der Forschung inzwischen weitgehend akzeptiert.
(…)
Je weniger eine ethnische Gruppe an Regierungsmacht teilhat, desto größer ist die Konfliktwahrscheinlichkeit, weil das nationalistische Prinzip der Selbstbestimmung verletzt wird.
Das Konfliktrisiko steigt bereits leicht an, wenn eine Gruppe nicht in der Zentralregierung repräsentiert ist und lediglich regional Macht ausübt – etwa in einem Autonomiestatut wie jenem der Tiroler in Italien. Das mit Abstand größte Konfliktpotenzial finden wir bei Gruppen, die auf jeder politischen Ebene aktiv und gezielt diskriminiert werden.
(…)
All die statistischen Ergebnisse sind Durchschnittseffekte. Man muss vorsichtig sein, sie für einen spezifischen Konflikt zu interpretieren.
(…)
Ethnische Konflikte verschwinden erst, wenn die zugrunde liegenden, tief verankerten nationalistischen Hoffnungen erfüllt werden. Gegenbeispiele gibt es kaum. Tief verankert heißt: Die Bevölkerung hat die nationalistischen Ziele als ihre eigenen angenommen und ist für diese mobilisiert. Die historisch häufigste Art, diese Konflikte beizulegen, ist daher Partition, also die territoriale Trennung von Ethnien in neue Staaten wie zum Teil im Falle Jugoslawiens.
(…)
„Power sharing“: Die Gruppen, darunter die bisher ausgeschlossene, teilen sich die Macht in einem gemeinsamen Staat. Das wäre das Nordirland-Modell;