Zur Entstehung von ethnischen Konflikten

Einen kurzen Moment? Sein Buch war 6 Wochen auf der Bestsellerliste und beschäftigte heftig die Öffentlichkeit. Man darf nicht vergessen, dass zu diesem Zeitpunkt auch die erste Wehrmachtausstellung aktuell war: Plötzlich war die, in den Augen der breiten Öffentlichkeit, so saubere Wehrmacht nicht mehr das, wofür man sie 5 jahrzehntelang hielt, deshalb war plötzlich alles möglich – auch das, was Goldhagen schrieb.

Brownings Werk - über die Untaten des Reserve-Polizei-Bataillons 101 -, der 1992 erschien, hat, außer unter Historikern, in der breiten Öffentlichkeit kein solches Echo erzeugt; das geschah erst durch Goldhagen-Debatte.

Hier frage ich mich, was haben die deutschen Historiker bis 1992 gemacht?

Joachim Fest hat eine vielbeachtete Hitler-Biographie geschrieben, die zu den Standardwerken gehört.

Götz Aly war einer der ersten Historiker, der 1982 mit einem Habilitationsprojekt Forschungen vorgelegt hat zur wissenschaftlichen und rechtlichen Grundlagen für die Ermordung von Behinderten.

Eberhard Jäckel hat einiges zur NS-und Holocaust-Forschung beigetragen, gemeinsam mit der Journalistin Lea Rosh entwickelte er 1990 die Dokumentation "Der Tod ist ein Meister aus Deutschland"

Ulrich Herbert habilitierte 1992 mit einer Biographie über Werner Best, und er legte Forschungen vor, die sich eingehend mit dem Reichssicherheitshauptamtes und einige seiner Mitarbeiter wie Karin Orth oder Michael Wildt leisteten Beiträge zur Täterforschung und zu Personal der deutschen Konzentrationslager.

Unabhängig von Goldhagens Publikation war auch die Forschung der deutsch-österreichischen Historikerin Brigitte Hamann, die Publikationen zu Hitlers Wien und den Lehrjahren eines Diktators vorlegte. Hamann hat zwar erst 1996 publiziert , man kann Hamann aber kaum kaum vorhalten, dass sie dazu Goldhagen brauchte, ebenso wenig wie der pauschale Vorwurf zutreffend ist, dass deutsche Historiker die Forschung zur NS-Geschichte vernachlässigt haben und dazu erst durch Amerikaner (oder Briten) angeregt werden mussten.
 
Leider versäumt er es, irgendwelche Argumente für diese Sichtweise an dieser Stelle anzuführen.

Deswegen kann man ihn ja trotzdem, wenn es halbwegs passt, als Gewährsmann für die eigenen Thesen zitieren, das ficht @Dion nicht an. Da kommt es ja hin und wieder auch schon mal vor, dass Gewährsleute nicht so recht zu den Thesen passen oder dass sie zuweilen sogar das genaue Gegenteil von dem schreiben, was man daraus ableiten will.

Heinrich von Treitschke- den hatten wir schon mal in dem Thread "Konfession, NS und Antisemitismus- wird wegen seines Ausspruchs in einem Aufsatz unsere Zukunft gerne zitiert: "Die Juden sind unser Unglück". Inhaltlich aber war Treitschke gerade kein Anhänger der Thesen von Dühring und Wilhelm Mahr. Im Gegenteil Treitschke hielt das sogar für Unsinn, und er versprach sich von Mischehen eine bessere Integration und Assimilation. Er hatte überhaupt nichts gegen gut integrierte Juden, fand nur, dass nur wenigen Juden das gelänge wie Mendelsohn.
Treitschke taugte wohl, um vereinnahmt zu werden, inhaltlich aber liegen Welten zwischen den Lösungsansätzen Treitschkes und denen Hitlers oder Streichers, und darauf haben auch andere Diskutanten verwiesen.
 
Laut dieser Definition von Ethnie war die Verfolgung und Ermordung der von dir genannten Personengruppen ethnische Säuberung.

Ich habe weder nach "Ethnie" noch nach "ethnischer Säuberung" gefragt, sondern nach "ethnischem Konflikt". Für diesen Begriff hast du selbst im Eröffnungspost eine Definition angegeben:

Ethnische Konflikte zeichnen sich erstens dadurch aus, dass bewaffnete Gruppen entweder darum kämpfen, wie in einem Staat die Macht unter verschiedenen Ethnien aufgeteilt wird, oder darum, sich einem anderen Staat anzuschließen oder einen eigenen zu gründen, in dem die eigene Gruppe die ethnische Mehrheit stellen würde. Zweitens rekrutieren bewaffnete Gruppen in ethnischen Konflikten ihre Kämpfer vorwiegend innerhalb der eigenen Ethnie und achten auch bei der Suche nach Verbündeten auf ethnische Gemeinsamkeit.
Nach dieser Definition ist es doch wohl evident, dass die Verfolgung von Juden, Sinti und Roma und Behinderten im Dritten Reich nicht unter ethnischen Konflikten zu fassen ist.
LG Frederuna
 
Einen kurzen Moment? Sein Buch war 6 Wochen auf der Bestsellerliste und beschäftigte heftig die Öffentlichkeit. Man darf nicht vergessen, dass zu diesem Zeitpunkt auch die erste Wehrmachtausstellung aktuell war: Plötzlich war die, in den Augen der breiten Öffentlichkeit, so saubere Wehrmacht nicht mehr das, wofür man sie 5 jahrzehntelang hielt, deshalb war plötzlich alles möglich – auch das, was Goldhagen schrieb.

Die zeitliche Überschniedung mit der Wehrmachtausstellung zeigt doch aber durchaus, dass Goldhagens Veröffentlichung dem Forschungsstand eher hinterherhinkte oder allenfalls im Mainstream mitschwamm.

Der Umstand. dass mit der Wehrmachtausstellung vor allem auch die Verbrechen der regulären Streitkräfte und eben nicht nur der weltanschaulich einschlägigen SS dokumentiert werden konnten, setzt ja erstmal vorraus, dass man sich mit diesem Themenkomplex schon beschäftigt und entsprechendes Material herausgesucht, ausgewählt und aufbereitet hatte um bereits vorhandene Erkenntnisse in den öffentlichen Diskurs einzubringen.

Hätten Erkenntnisse darüber in einem näheren Zusammehang mit Goldhagen gestanden, dann wäre diese Ausstellung zeitnah nicht möglich gewesen.

Das hier nach nahezu 5 Jahrzehnten Bewgung in den Diskurs kam, dürfte vor allem auch damit zusammenhängen, dass nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, dort die Archive geöffnet und sowohl die Verbrechen des NS- als auch des Sowjetregimes neu aufgerollt wurden.

Am Ende des Krieges wird gerade auf deutscher Seite noch viel Material vernichtet worden oder anderweitig verloren gegangen sein (Zerstörung durch Kriegsereignisse, Übergang in den Bestand der Siegermächte etc.) so dass sich in der ersten Nachkriegszeit neben dem Unwillen der Beteiligten für Aufklärung zu sorgen möglicherweise auch ein Quellenbild bot, dass in dieser Beziehung nicht so viel hergab.
Augenzeugen von vielem, was in den "Bloodlands" (Snyder) in Osteuropa passierte, konnten, da in den Machtbereich der Sowjetunion fallend, nicht so einfach ohne größeren Aufwand befragt werden und die Bestandsaufahmen der sowjetischen Behörden in ihren Archiven waren auch nicht unbedingt so einfach zugänglich, wegen der Verbrechen der Stalinzeit, die bei Recherchen nach den NS-Verbrechen unweigerlich mit an den Tag gekommen wären, hatten die Sowjets ja durchaus ein Interesse daran Nachforschungen hier eher zu blockieren.

Auch private Photographien und Egodokumente, wie Tagebücher oder Briefe, die ein Bild vermittelten, wie tief auch Einheiten der Wehrmacht, der zivilen Besatzungsbehörden etc. in die Verbrechen verstrickt waren, tauchten ja häufig erst nach dem Tod von ehemals involvierten Personen auf, wenn die Familien den Nachlass durchsaehen und das gegebennenfalls den entsprechenden Archiven und Forschungsstellen übergaben.

Ältere Soldaten, die tatsächlich noch in größerem Umfang tauglich für den Einsatz beim Feldheer waren, die vielleicht Jahrgang 1900-1910 und dementsprechend bei Kriegsende 35-45 Jahre alt waren, die lebten danach, wenn sie es überlebten noch 30-35 Jahre, bevor sie allmählich das Ende ihrer Lebenszeit erreichten.
Diese Leute werden vor allem ab Ende der 1970er bis Anfang der 1980er Jahre vermehrt verstorben sein und entsprechend werden auch ab Anfang der 1980er Jahre vermehrt Dokomente aus deren Nachlass aufgetaucht sein, die in die Richtung entsprechender Beteiligungen deuteten.
Der nächste große Schritt dürfte wie gesagt die politische Umwälzung Anfang der 1990er Jahre und die Öffnung der Archive im Osten gewesen sein, die allerspätestens dann an der Erkenntnis nicht mehr vorbei geführt haben dürfte, dass in Teilen Massaker und Mordaktionen in Gegenden stattfanden, in denen zu dieser Zeit überhaupt keine SS vorhanden war, womit die Wehrmacht und andere Akteure verantwortlich sein mussten.

Diese Erkenntnis wird sich spätestens in den 1980er und zu Beginn der 1990er durchgesetzt haben, und von der Erkennntnis, dass Ivolvierung der regulären Truppen, nicht bloß in absoluten Ausnahmefällen, sondern in einen erheblichen Teil der Verbrechen nicht mehr zu bestreiten war, dürfte dann auch der Schritt zum Hinterfragen der individuellen Täterprofile und der Erkenntnis, dass die viele davon keine besondere psychische oder weltanschauliche Disposition aufwiesen, kein soooooo weiter Schritt mehr gewesen sein.

Brownings Werk - über die Untaten des Reserve-Polizei-Bataillons 101 -, der 1992 erschien, hat, außer unter Historikern, in der breiten Öffentlichkeit kein solches Echo erzeugt; das geschah erst durch Goldhagen-Debatte.

Hier frage ich mich, was haben die deutschen Historiker bis 1992 gemacht? Es ist beschämend, dass erst ein Amerikaner sich diesem Thema widmete.

Vieles, was in der historischen Forschung läuft, erzeugt in der öffentlichkeit kein besonders breites Echo.
Das hat man in den letzten Jahren vor allem an dem Phänomen Clark gesehen, dessen Werk "Schlafwandler" im Wesentlichen eine große Intgrationsleistung dahingehed ist, dass der Stand der Forschung zu vielen Themen um den Beginn des 1. Weltkriegs darin zusammengefasst wurde, während aber relativ wenig weltbewegendes Neues darin steht, dass man anderswo zuvor nicht vorfinden konnte.
Warum gab es darauf ein so großes Echo? Einfach weil ein Großteil des öffentlichen Geschichtsbewusstseins weitgehend auf Fischer festgelegt war und vieles von dem, was danach kam weitgehend ignoriert hatte.

Was im Übrigen auch den Nachweis erbringt, dass ein deutliches Auseinanderklaffen von Erkenntnissen der Forschung und öffentlichem Geschichtsbewusstsein nicht immer unbedingt darüber zu erklären ist, dass die Bevölkerung sich mit irgendwelchen unbequemen Dingen nicht auseinandersetzen wollte.
Die Hauptschuldthese Fischers und ihre weitergehende Zuspitzung zur "Alleinschuldthese" durch die mediale Öffentlichkeit in Deutschland, waren sicherlich nicht der Weg sich mit einer unbequemen Vergangenheit nicht auseinandersetzen zu wollen und dass obwohl die Forschung im Prinzip seit mehreren Jahrzehnten Erkennntnisse geliefert hatte, die diese Postulate mindestens diskutabel ("Hauptschuldthese"), wenn nicht gar als vollkommen unhaltbar (daraus zugespitzte "Alleinschuldthese", die im Grunde nur funktionieren kann, wenn man sich darauf verlegt Österreich-Ungarn als reine Marionette Deutschlands die zu keiner autonomen außenpolitischen Entscheidungsfindung fähig gewesen wäre, zu betrachten) herausstellte.


Anstatt, sich darüber zu ereifern, dass es Jahrzehnte dauerte, bis die Forschung zu diesen Ergebnisssen gekommen ist, wäre es vielleicht angebracht, auch mal die Probleme zu berücksichtigen, vor der die Forschung stand.

- Vieles an Material, dass wir heute kennen wurde erst deutlich nach dem Krieg verfügbar, weil es den entsprechenden Stellen aus Nachlässen zuging.
- Viele der beteiligten Zeitzeugen schwiegen um sich nicht selbst belasten zu müssen oder erfanden Gesichten, in denen sie andere Täter verantwortlich machte und die häufig nicht näher überprüft werden konnten, wenn sich die sowjetischen Behörden unkooperativ zeigten und man deswegen die Örtlichkeiten nicht in Augenschein nehmen und auch die Bevölkerung nicht ergebnisoffen befragen durfte, respektive damit rechnen musste, dass von den Sowjetbehörden ausgesuchte Zeugen aussagten, was dem Sowjetregime genehm war, was der Wahhrheit entsprechen konnte, aber nicht musste.

Das hier von britischer und amerikanischer Seite schneller geforscht werden konnte, mag auch damit zusammenhängen, dass nach der Auflösung des Ostblocks und der Eigenständigkeit der kleineren osteuropäischen Staaten britische und amerikanische Historiker eher die Möglichkeit hatten, mit den dortigen Archiven und Behörden, auch der Bevölkerung zu kooperieren, weil man diesen, wahrscheinlich eher zu trauen geneigt war, als den deutschen Historikern.
Immerhin hatten britische und amerikanische Historiker da im Gegensatz zu Deutschen keine denkbaren Motive Dinge zu beschönigen.
Insofern durch den eisernen Vorhang vieles der Vorgänge im Westen durch die Bewohner Sowjetrepubliken ja nicht mitverfolgt werden konnte, wird der Umstand, wie weitgehend in der Bundesrepublik die NS-Vergangenheit mittlerweile aufgearbeitet wurde den Behörden in den neu entstandenen Staaten Anfang der 1990er Jahre nicht unbedingt klar gewesen sein, entsprechend konnten Ansinnen deutscher Historiker zunächst mal dubios erscheinen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Und dann ist das ganze natürlich auch eine Frage der Forschungsfinanzierung.
Darüber zu schimpfen, dass die bösen reaktionären Historiker bestimmte Themen erst spät anfassten, greift auch insofern zu kurz, als das Forschung Mittel benötigt, die der einzelne Historiker, der am Start bestimmter Forschungsprojekte interessiert ist, erstmal einwerben muss.
Wenn auf einem bestimmten Feld der Forschung wenig passiert, heißt das nicht, dass es keine Wissenschaftler gibt, die dass interessieren würde und die mitunter auch entsprechende Projekte seit Jahren beantragt gehabt haben können.
Genau so gut kann es daran liegen, dass die für die Verteilung der Mittel und zuschüsse zuständigen Stellen ihre Prioritäten wo anders sehen.
Gerade in den frühen 1990er Jahren, als sich durch die Auflösung des Ostblocks und die Freigabe von Archivbeständen dort neue Forschungsmöglichkeiten ergaben, hatte aber die Bundesrepublik beide Hände voll mit der Integration der ehemaligen DDR zu tun.
Und es ist durchaus denkbar, dass in dieser Zeit Forchungsprojekte zur NS-Zeit, die nicht als soooo eminent wichtig empfunden wurden (und da muss die Einschätzung der für die Mittel zuständigen Stellen durchaus nicht der späteren Auffassung oder öffentlichen Resonanz entsprechen), erstmal zu Gunsten der DDR-Forschung zurückgestellt wurde und das möglicherweise auch mit gutem Grund, schon deswegen, weil man hier vor aktuellen politischen Herausforderungen uns Schlüsselentscheidungen stand, die im Fall der NS-Forschung so nicht mehr gegeben waren.
Die Gebiete der ehemaligen DDR musste man nun regieren, dazu musste man ihre historisch gewachsenen Sturkuturen verstehen und nachprüfen, ob die eigenen Bilder, die man sich davon in der alten Bundesrepublik gemacht hatte, ohne an Interna in größerem Stil heran zu kommen, überhaupt der Realität entsprachen.
Auch verlangten im Besonderen die Bewohner der neuen Bundesländer ja auch eine juristische Beschäftigung mit führenden Köpfen und Funktionären des SED-Regimes.
Auch das kam ohne historische Gutachten etc. nicht aus und wird erstmal Mittel gebunden und aus politischer Sicht (und daran hängt die Forschungsfinanzierung oft weitgehend Priorität gehabt haben).

Hinzu kommt möglicherweise noch ein anderer Punkt, der in den unterschiedlichen universitären Strukturen in Deutschland und im englischsprachigen Raum begründet liegt.
Dadurch, dass in Großbritannien und den USA ein großer Teil des Hochschul-Sektors privat organisiert ist, ist der Forchungsbetrieb dort oftmals weit weniger von Zuschüssen der öffentlichen Hand abhängig.
Wo Angehörige des Forschungsbetriebs in den Staaten oder Großbritannien auf wesentlich größere Budgets ihrer eigenen Institutionen zurückgreifen und loslegen können, müssen in Deutschland dann oft eben erstmal Mittel beantragt und eingeworben werden, was seine Zeit dauert.
Die Kehrseite ist dann eben, dass Studieren in Deutschland dadurch, dass das System von der öffentlichen hand getragen wird, auch für Studenten aus weniger begüterten Elternhäusern einigermaßen erschwinglich ist, während gerade die privaten Universitäten in Großbritannien und den USA (das sind nicht alle, aber eben doch ein erheblicher Teil des Hochschhulsektors) ihre großen Budgets eben dadurch erreichen, dass sie mitunter exorbitante Studiengebühren verlangen, die für große Teile der Bevölkerung nicht aufzubringen sind oder nur dadurch, dass sich die Studierenden wirklich bis über beide Ohren verschulden und das teilweise Jahrzehntelang abzahlen.

Wenn die Forschung von britischer und amerikanischer Seite her häufig schneller ist (was auf diversen Gebieten auch damit zusammenhängt, dass englisch eben die Sprache des internationalen Verkehrs ist, in der am Meisten veröffentlicht und in die auch als erstes übersetzt wird), als die Forschhung hierzulande, hat das nicht unbedingt etwas mit Unwillen zu tun.
Manchmal liegt es auch einfach daran, dass die Forschungsstrukturen dort etwas andere sind und dass auf Grund der unterschiedlichen Finanzierung von Wissenschaft, dort oft weniger Bürokratie notwendig ist um mit der Forschung beginnen zu können.
Ob man sich das zum Vorbild wünschen möchte, sollte man sich mit Hinblick auf das Defizit an "Demokratisierung" des Hochschulzugangs in diesen Ländern durch die extremen finanziellen Hürden bei der Studienfinanzierung allerdings überlegen.



Das einfach nur dazu, weil es mir auf deutsch gesagt etwas auf den Zeiger geht, wenn Defizite im Bereich der Forsschungsarbeit monokausal mit irgendwelchen politischen Agenden und Befindlichkeiten der Forschenden erklärt werden, ohne dahinterstehende sachliche Probleme zu würdigen.
 
Nach dieser Definition ist es doch wohl evident, dass die Verfolgung von Juden, Sinti und Roma und Behinderten im Dritten Reich nicht unter ethnischen Konflikten zu fassen ist.

Da hast du durchaus Recht und den Schuh muss eigentlich ich mir anziehen, weil ich mit dem europäischen Antisemitismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts als Thema angefangen hatte, der jedenfalls im Sinne von Bürgerkrieg und Staatszerfall durch ethnische Konflikte eigentlich nicht wirklich ins Thema gehört zumal diese Auseinandersetzung häufig eine von Antisemiten sehr einseitig Betriebene war, insofern die meisten Juden oder jüdisch gelesenen Personen mit der jeweiligen Mehrheitsbevölkerung sicherlich kein grundsätzliches Problem hatte und zu einem Konflikt gehören eigentlich immer mindestens zwei Akteure.

Ich hatte eigentlich auch nicht vor, daraus eine so große Diskussion zu machen, wollte das einfach nur als Einwand auf die Vorstellung des von Dion heranzitierten Artikel gebracht haben, weil der mir beim Vorschlag für Lösungsmaßahmen für das Problem etwas zu optimistisch erschien.

Vielleicht sollte man andere Beispiele ins Auge fassen.
 
Inhaltlich aber war Treitschke gerade kein Anhänger der Thesen von Dühring und Wilhelm Mahr.
Das habe ich auch nicht behauptet, sondern gesagt, dass Treitschke Juden wegen ihrer Kultur nicht mochte ("Juden sind unser Unglück"), und Dühring ihrer Biologie/Abstammung wegen nicht.

Wenn es gerade passt, wird sogar ein Treitschke als unhinterfragbare Autorität herangezogen, um eine abstruse These zu verteidigen, wir hatten das hier:
Scheiterte die "Ostpolitik" des HRR?
(Tatsächlich ist Treitschke hier auf eine Fake-Quelle hereingefallen
Scheiterte die "Ostpolitik" des HRR? )
Ob Fälschung oder nicht, Treitschkes Tiraden gegen Juden und Slawen wurden geglaubt - er war einer der meistgehörten und gelesenen Historiker seiner Zeit.

Ich habe weder nach "Ethnie" noch nach "ethnischer Säuberung" gefragt, sondern nach "ethnischem Konflikt". Für diesen Begriff hast du selbst im Eröffnungspost eine Definition angegeben:
Wie leicht zu ersehen, war das ein Zitat aus einem Interview. Wenn du in diesem Interview weiter gelesen hättest, könntest du u.a. auch Folgendes wahrnehmen - Zitatenauswahl aus dem Interview:

Die nationalistische Ideologie fordert, dass Bevölkerung und Regierung derselben ethnischen Gruppe entstammen.
(…)
… in den Jahrzehnten nach einer Nationalstaatsgründung steigt die Wahrscheinlichkeit von ethnisch motivierten Bürgerkriegen, in denen es um Machtverteilung im neuen Staat geht. Zu diesem Muster gehören – historisch gesehen – auch sogenannte ethnische Säuberungen, die zum Ziel haben, einen ethnisch homogeneren Nationalstaat zu schaffen.
Die Vertreibungen fügen sich in dieses Muster, wie auch immer wir sie im Detail interpretieren.


Das und noch mehr geschah während der 12-jährigen Naziherrschaft: Sie wollten einen ethnisch homogenen Arier-Staat schaffen, doch "leider" lebten in dem Staat, deren Führung sie übernommen haben, auch Juden, Sinti und Roma, die sie nicht zu den Ariern zählten. Ihre Ideologie produzierte also einen ethnischen Konflikt, den sie durch Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung der Nichtarier zu lösen versuchten.
 
Ob Fälschung oder nicht, Treitschkes Tiraden gegen Juden und Slawen wurden geglaubt - er war einer der meistgehörten und gelesenen Historiker seiner Zeit.

Das Treitschke einer der meistgelesenen Historiker seiner Zeit war ist duchaus kein Beleg dafür, dass seine Leser auch seine politischen Ansichten in allen ihren Einzeheiten teilten.

Die nationalistische Ideologie fordert, dass Bevölkerung und Regierung derselben ethnischen Gruppe entstammen.
(…)
Der Satz ist nur dann zutreffend, wenn man es mit einer Form von Nationalismus zu tun hat, die das Staatsvolk tatsächlich auch ethnisch definiert.
Das ist ja aber durchaus nicht immer der Fall.

In Nationalstaaten, die die Idee ihrer Nation durchaus zu einem gewissen Grad auf Multiethnizität begründet haben, wie z.B. der Schweiz oder im weiteren Sinne die USA, wird diese Annahme fehlgehen.

Das und noch mehr geschah während der 12-jährigen Naziherrschaft: Sie wollten einen ethnisch homogenen Arier-Staat schaffen, doch "leider" lebten in dem Staat, deren Führung sie übernommen haben, auch Juden, Sinti und Roma, die sie nicht zu den Ariern zählten. Ihre Ideologie produzierte also einen ethnischen Konflikt, den sie durch Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung der Nichtarier zu lösen versuchten.

Es wäre in der Tat zu hinterfragen, ob man einseitigen Hass einer Gruppierung auf eine andere ohne dass sich diese Haltung bei Angehörigen der anderen Gruppe spiegelt sinnvoll als Konflikt verstehen lässt.

Im Falle des NS-Regimes käme noch hinzu, dass das Nazi-Regime, dass diese Politik betrieb nur einen Teil der ethnischen Gruppe der Deutschen, wenn man so möchte ausmachte und nur bei einer Minderheit (ausweislich der Wahlergebnisse) nachweislich Rückhalt hatte, so dass auch von dieser Warte her hinterfragt werden könnte, ob es sich tatsächlich um einen Konflikt von 2 oder mehr ethnischen Gruppen handelte.

Das halte ich für kein gelungenes Beispiel

Dann sollte man sich, wenn man im Europa des 20. Jahrhunderts bleiben möchte, eher die Donaumonarchie, Jugoslawien, die Sowjetunion, die Tschechoslowakei oder Polen ansehen, wo man wahrscheinlich eher von Konflikten reden kann, die tatsächlich vor allem zwischenn ethnischen Gruppen verliefen.
 
Die Juden und auch die Roma waren eine verschwindende Minderheit im Deutschen Reich die deutschen Juden waren darüber hinaus sehr gut in Deutschland integriert, vielfach gab es verwandtschaftliche Verflechtungen. eEliche Juden hatten seit Generationen den mosaischen Glauben praktiziert, waren säkular, und auch an ihrer Loyalität zu Deutschland, das seit Jahrhunderten ihre Heimat war, konnte im Grunde kein Zweifel bestehen.

Es konnte keine Rede davon sein, dass sie nach Sprache und Kultur einem anderen Staatsvolk angehörten, eine andere Sprache sprachen oder dass es in irgendeiner Weise eine jüdische Irridenta oder eine Irridenta der Sinti und Roma gegeben hätte.

Dass man einem Teil des deutschen Staatsvolkes zuerst die Menschenwürde, dann die Bürgerrechte und ihre Abschlüsse aberkannte, dass man ihnen ihren Besitz und zuletzt das Leben und das Lebensrecht nahm, mach daraus noch lange keinen ethnischen Konflikt.

Dass war einfach nur ein unglaublich barbarisches Vorgehen der Regierung gegen einen Teil des des deutschen Volkes.

Da standen sich doch nicht unterschiedliche Nationalitäten gegenüber. Die Juden lebten seit Jahrhunderten in Deutschland, und auch die Sinti und Roma, die Kalles und Manousches hatten bereits seit einiger Zeit auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches gelebt, waren sesshaft geworden.

Als einen "ethnischen Konflikt" kann man das Vorgehen gegen Juden nun wirklich nicht umbiegen.
 
Das habe ich auch nicht behauptet, sondern gesagt, dass Treitschke Juden wegen ihrer Kultur nicht mochte ("Juden sind unser Unglück"), und Dühring ihrer Biologie/Abstammung wegen nicht.

Hast Du überhaupt mal in den Dühring reingeschaut? Wahrscheinlich nicht. Mit Biologie hält Dühring sich nämlich gar nicht erst auf:

Wir gestatten uns, menschliche Typen und Nationalcharaktere auf ihren Werth zu prüfen, und die Physiologie oder überhaupt Biologie, die doch Naturwissenschaft sein will, ist noch lange nicht so sicher in ihren Urtheilen über organische Functionen, über Säfte, Blut, Nerven und Muskeln, als es der Beobachter ist, wenn er den Werth einzelner Personen und ganzer Völker nach deren Handlungen bestimmt.

Was für Dühring zählt, ist der "Nationalcharakter", dieser wird quasi als unveränderlich betrachtet, und dieser ist nach meinem Verständnis auch entscheidend, wenn Dühring von Race spricht. Diesen angeblichen Charakter exemplifiziert Dühring anhand jüdischer religiöser Vorstellungen (bzw. das, was er dafür hält), dabei zählt für ihn nicht, zu welcher Religion der einzelne Jude anhängt oder ob er sich "als Atheist oder gar Materialist" bekennt - Jude bleibt Jude in Dührings Sicht:

Ein weiterer Hauptpunkt zur Ermöglichung einer kräftigen Agitation ist das Absehen von der Religion. Es war schon im Mittelalter ein Fehler, dass die Priester den Völkern für deren Abneigung gegen die Juden den Religionsgegensatz unterschoben und bei den getauften Juden die Race übersahen.

Aber es sind eben doch "Beobachtungen" über Religion und Kultur, an denen Dühring seine Thesen festmacht. So behauptet er, den strikten Monotheismus und die angebliche jüdische "Intoleranz" und "Monopolsucht" aus ein und derselben Ursache erklären zu können:

Die Alleinexistenz, in welcher das monistische Wesen dieses Judengottes eben besteht, – der Umstand, dass der Judengott neben sich keinen andern duldet und Alles allein sein will, ist keine unmittelbare Frucht naiver Volksphantasie, sondern ein späteres Erzeugniss einer bereits metaphysisch verblassten Priesterlehre. Auch heutige Juden, die sich philosophisch anzustellen versuchen, haben eine Vorliebe für das Wörtchen Monismus, in welchem sie die allesaufzehrende Abstraction ihres angestammten Gottes wiederzufinden meinen, und welches sie sich als Weltmonokratie auslegen. Der Monismus heimelt sie an; in der abstracten Gestalt des Spinozismus können sie ihn unter halbwegs moderner Maske unter die Leute bringen. Die verkappten Vorstellungen der Verbildeten verrathen alsdann nichts von dem wirklichen Judengott alten Datums, den sie colportiren. Im Grunde ist es aber immer die alte Theokratie, die der Jude auch hiemit fortpflanzt, um sich selbst fortzupflanzen.
[...]
Die Erdichtung vieler Götter, von denen einer der angesehenste und mächtigste war, und über denen wiederum das allumfassende Schicksal stand, – diese Griechische Conception war etwas, was mit der wahren Natur der Dinge und mit der Freiheit unvergleichlich besser stimmte, als die ausdörrende, alles eigne Leben verschlingende Einheit des abstracten Israelismus. Diese abstracte Gotteseinheit ging aber aus dem Keime der Monopolsucht und jenes Trachtens hervor, welches auf die Knechtung von Allem hinausläuft. Der Jude kennt in Wahrheit nur Knechte und Oberknechte.
[...]
Ich erinnerte an den bessern Zug der Griechischen Religion. Aber die Deutschen brauchen wahrlich keinen Hellenismus, um nicht nur dem Judenthum, sondern auch den jüdischen Bestandteilen des Christenthums eine bessere Anlage entgegenzusetzen. Sie haben nur auf sich selbst, auf ihren eignen Boden und auf ihre nordische Vergangenheit zu blicken, um ihren Charakter auch in der Religion wiederzufinden. Die nordischen Götter und der nordische Gott sind etwas, was einen Naturkern hat und was auch von keiner tausendjährigen Ablenkung aus der Welt geschafft wird.

[...]


Ihre Religion ist die ausschliesslichste und unduldsamste von allen; denn sie lässt im Grunde nichts gelten, als blos die nackte Judenselbstsucht und deren Zwecke. Der Halbjude Lessing war mit seiner Parabel von den drei Ringen, d. h. Religionen, noch etwas schüchtern. Wo der echte sei, liess er scheinbar auf sich beruhen.
Die Juden sind sichtbarlich zu allen Zeiten der intoleranteste Volksstamm der Erde gewesen und sind es, auch wo sie sich noch so sehr mit einer auf das Gegentheil deutenden Tünche überziehen, noch heute. Sie sind es nicht blos in ihrer Religion, sondern in allen Beziehungen.
 
Diesen angeblichen Charakter exemplifiziert Dühring anhand jüdischer religiöser Vorstellungen (bzw. das, was er dafür hält), dabei zählt für ihn nicht, zu welcher Religion der einzelne Jude anhängt oder ob er sich "als Atheist oder gar Materialist" bekennt - Jude bleibt Jude in Dührings Sicht:
Hier sagst du selbst: Für Dühring war Religion kein Kriterium, sondern die Abstammung: Jude bleibt Jude, egal ob er in Synagoge geht, oder, weil getauft, in christliche Kirche, oder sich als Atheist versteht. Genau das haben auch die Nazis gesagt; auch ihre Sympathisanten dachten so, sonst hätte es z.B. diesen exorbitanten Anstieg zwischen 1914 und 1931 von "nicht für Juden" in privaten Hotels und Sportvereinen nicht gegeben.
 
@Dion hast du auch gelesen (und verstanden), was @Sepiola weiterhin interessantes mitteilt?
Aber es sind eben doch "Beobachtungen" über Religion und Kultur, an denen Dühring seine Thesen festmacht. So behauptet er, den strikten Monotheismus und die angebliche jüdische "Intoleranz" und "Monopolsucht" aus ein und derselben Ursache erklären zu können:
und danach ein langes Zitat, welches das bestätigt.
 
Habe ich gelesen, ja. Aber den ganzen Sermon hätte er sich sparen können, denn die Aussage, die am Ende zählt, ist, was ich in diesem Satz zummangefasst habe: Jude bleibt Jude, egal ob er in Synagoge geht, oder, weil getauft, in christliche Kirche, oder sich als Atheist versteht.
 
Wie leicht zu ersehen, war das ein Zitat aus einem Interview. Wenn du in diesem Interview weiter gelesen hättest, könntest du u.a. auch Folgendes wahrnehmen -
Keine Sorge, ich habe weiter gelesen. Ich frage mich allerdings, ob du den Text wirklich gelesen hast. Da ist von der Gründung des Nationalstaates und anschließenden Kämpfen ethnischer Gruppen um die Macht in diesem Staat die Rede. Du willst uns doch sicherlich nicht erzählen, dass die jüdischen Deutschen als Gruppe die Macht in Deutschland erringen wollten. Im Übrigen haben Shinigamie und Scorpio alles Nötige dazu gesagt, dem ich mich voll anschließe.
LG Frederuna
 
@Dion hast du auch gelesen (und verstanden), was @Sepiola weiterhin interessantes mitteilt?
"Gelesen", aber nicht zur Kenntnis genommen, das altbekannte Verfahren...


Habe ich gelesen, ja. Aber den ganzen Sermon hätte er sich sparen können...
Wobei ich in diesem Fall sogar verstehen kann, dass Du Dich weigerst, Dich mit dem Inhalt auseinanderzusetzen.
was ich in diesem Satz zummangefasst habe:

Dühring fasst es hingegen folgendermaßen zusammen:

Die Juden gehen eben in ihrer Religion auf, auch wenn sie nicht religiös sind. Diese Religion ist ihnen, wie seit uralter Zeit, so auch jetzt das Mittel und die Bürgschaft für ihre ganze Existenz und Ausbreitung.
 
Du willst uns doch sicherlich nicht erzählen, dass die jüdischen Deutschen als Gruppe die Macht in Deutschland erringen wollten.
Nein, natürlich nicht, denn das war/ist eine Erzählung der Nationalisten/Rassisten, die einen "rassisch" homogenen Staat wollten und wollen.

Dühring fasst es hingegen folgendermaßen zusammen:

Die Juden gehen eben in ihrer Religion auf, auch wenn sie nicht religiös sind. Diese Religion ist ihnen, wie seit uralter Zeit, so auch jetzt das Mittel und die Bürgschaft für ihre ganze Existenz und Ausbreitung.
Jeder, also auch Dühring, kann seine eigenen Ideen zusammenfassen, wie er will. Aber wenn er schreibt, dass Juden ihre Religion als Mittel und Bürgschaft für ihre Existenz und Ausbreitung dient, ist das, weil wahr, nur eine Tatsachenbeschreibung. Aber das bedeutet nicht, dass Dühring sie wegen ihrer Religion hasst, denn hätte er das getan, dann wäre er ein Antijudaist.

Dühring* wird aber als Begründer des Rassenantisemitismus bezeichnet - und damit zu einem Vordenker des Nationalsozialismus. Das bedeutet, dass es ihn in Wahrheit auf die Rasse ankam und nicht auf die Religion.

* Das ist aus Wikipedia - wenn dort Falsches behauptet wird, dafür kann ich nichts. Das sage ich, damit ich nicht wieder des falschen Zitierens beschuldigt werde.
 
Jeder, also auch Dühring, kann seine eigenen Ideen zusammenfassen, wie er will.
Was teilt diese ungemein erhellende Mitteilung zum Thema mit? So ziemlich gar nichts - aber es kommt noch besser:
Aber wenn er schreibt, dass Juden ihre Religion als Mittel und Bürgschaft für ihre Existenz und Ausbreitung dient, ist das, weil wahr, nur eine Tatsachenbeschreibung.
Da kann man nur fassungslos staunen...
Ist dir @Dion klar, was du da wortwörtlich geschrieben hast?

Ansonsten: niemand hier pflegt dich des falschen Zitieren zu beschuldigen, sondern zumeist erwischt man dich dabei.
 
Man könnte tatsächlich meinen, Nazis würden trotz ihres Antisemitismus gewählt, weil dieser Antisemitismus in ihren Wahlkämpfen der 1930er Jahre kaum noch eine Rolle spielte. Das war gewollt, denn inzwischen gab es die Weltwirtschaftskrise mit Millionen von Arbeitslosen. Also besann sich NSDAP auf ihren Namen (National-Sozialistische-Deutsche-Arbeiterpartei) und warb verstärkt um Arbeiter. Und zwar mit den gleichen oder ähnlichen Parolen wie die SPD und die Kommunisten sie hatten.

Diesen Unfug hatte ich die Tage überlesen:

Die Behauptung, die NSDAP habe sich Anfang der 1930er Jahre verstärkt um Arbeiter bemüht (verglichen mit vorher) entbehrt jeglicher Grundlage.
Viel mehr ist es eine Tatsache, dass innerhalb der NSDAP Mitte 1930 der Strasser-Flügel der genau das gefordert hatte weitgehend entmachtet wurde.
Gregor Strasser sah sich gezwungen gegen über Hitler nachzugeben und sich dessen Kurs, der auf eine Allianz mit dem konservativen Bürgertum hinauslief zu unterwerfen und war von da an als innerparteilicher Gegner von Hitlers Konzeptionen mehr oder minder klatgestellt (zumindest bis v. Schleicher 1932 Positionen aufgriff, die den Vorstellungen des vormaligen Strasserflügels nahekamen um zu versuchen die NSDAP entweder in eine Kooperation mit der Regierung zu zwingen oder zu spalten), Otto Straßer als der eigentliche Vordenker dieses Flügels, sah sich gezwungen aus der NSDAP auszutreten und veröffentlichte anschließend eine Kampfschrift mit dem Titel "Die Sozialisten verlassen die NSDAP", in der er Hitlers Kurs und den der Partei scharf angriff.
Die meisten bis 1930 am Strasser-Flügel orientierten Nazis arangierten sich in der Folge mit Hitlers Kurs oder traten ebenfalls aus.

Die Behauptung die NSDAP, hätte gerade in den 1930er Jahren, also gerade als Hitler seinen Vorstellungen gegen den Strasser-Flügel durchgeboxt und die Vertreter einer machtpolitischen Allianz mit den Arbeitermillieus untergebuttert oder aus der Partei getrieben/geworfen hatte, zu Lasten des Antisemitismus auf einen Kurs umgeschwenkt, der sich auf die Arbeitermillieus konzentriert hätte ist Quatsch.

Lässt sich übrigens auch auch an den Wehlergebnissen sehen.
Das die NSDAP in den Städten, im Besonderen in den Industriestädten, stets deutlich unter ihrem reichsweiten Durchschnitt abschnitt, kommt nicht daher, dass sie sich besonders um die Abrbeitermillieus bemüht hätte.



Ach, im Übrigen, weil mich das gerade interessiert:

Wie passt deine Behauptung hier, die NSDAP habe ihren Antisemitismus als Wahlkampfthema in den 1930er Jahren zurückgefahren, zu deiner an anderer Stelle vorgetragenen Behauptung, der Antisemitismus der Nazis sei auf Grund irgendwelcher verstaubter Einlassungen Luthers von vor 400 Jahre vorher der ausschlaggebennde Punkt gewesen um die Protestanten als Wählergruppe für den Nationalsozialismus zu mobilisieren?

Habe ich das richtig verstanden, dass du damit behaupten möchtest, dass die NSDAP dadurch in den Wahlkämpfen der 1930er Jahre ihre Antisemitismus zu kaschieren, den Judenhass der Protstanten getriggert und sie zum Wahlgang für die Hitler-Bewegung animiert habe?

Reichlich seltsame Vorstellung.

Du darfst die Publikumswirksamkeit nicht unterschätzen, denn ist erstmal der Boden für dieses Denken bereitet, dann ist nur noch ein weiterer Schritt nötig, um auch Verbrechen gegen die Juden zu akzeptieren, die im und nach Jahr 1933 stattfanden.

Also erstmal ist es grober Unsinn zu unterstellen, dass das aus Ablehnung einer bestimmten Gruppe durch eine Person automatisch die Bereitschaftdieser Person resultieren oder naheliegen würde, Verbrechen gegen diese Gruppe zu akzeptieren oder gar selbst zu betreiben.

Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass am Ende des 19. Jahrhunderts ein Wiederaufleben des Judenhasses, diesmal in Gestalt des Antisemitismus in Europa stattfand.
Gleichzeitig waren allerdings die grundlegenden Rechte der Juden und aller Personen, die Antisemiten für Juden hielten allerdings so umfassend geschützt, wie nie zuvor in der europäischen Geschichte, jedenfalls was West- und Zentraleuropa (bei der iberischen Halbinsel bin ich mir nicht sicher) angeht und es gab bei allen antisemitischen Anfeindungen kaum gesellschaftliche Resonanz für radikalantisemitische Ansinnen, die eine erneute Entrechtung der Juden propagierten.
Jedenfalls, was die Zeit vor dem 1. Weltkrieg betrifft.

Publikumswirksamkeit zu behaupten reicht nicht aus, um damit argumentieren zu können, dafür müsste man sie schon auch belegen.
Bei Treitschke wird man die Behauptung, dass dieser als Person des öffentlichen Lebens und auch in seiner Funktion als Abgeordneter bei den Nationalliberalen eine gewisse Reichweite hatte.
Inwiefern ihn sein Wirken als bekannter Historiker in irgendeiner Form zu einer intellektuellen Autorität für die Massen der Bevölkerung machte, da wird man diskutieren können.
Bei dem Umstand, dass er sicherlich zu den wirkmächtigsten Historikern des 19. Jahrhunderts in Deutschland zählete und zu einer prominenten Figur der Nationalgeschichtsschreibung anvancierte, darf man, denke ich nicht übersehen, dass Treitschke was den Inhalt seines Werks betrifft doch stark zum Borussianismus neigte.

Dieses stark auf die preußische Monarchie und den Protestantismus bezogene Geschichtsbild kam sicherlich im protestantischen Bildungsbürgertum und bei den alten Eliten gut an.

Bei den Katholiken zumal in der Kulturkampf-Zeit sicherlich nicht.
Bei der Arbeiterbewegung, zumal unter dem Sozialistengesetz, dass ihr die von Treitschke gepriesene preußische Monarchie kredenzte sicherlich auch nicht.
Bei den Linksliberalen, die Bismarck seinen Verfassungsbruch während des preußischen Verfassungskonfliktes nachhaltig übel nahmen und sich stärkere Rechte für das Parlament wünschten, wird Treitschkes positive Bewertung Bismarcks und der doch sehr konservativen bismarck'schen Reichsverfassung so wie ein doch eher negatives Bild der Revolution von 1848 und der Liberalen im preußischen Landtag, die ihrerzeit gegen die Heeresvermehhrungen und das Indemnitätsgesetzt waren auch nicht unbedingt besonders zustimmungsfähig vorgekommen sein.

Insofern Treitschke auf Grund seines Renomées und seiner Reichweite die er sicherlich hatte, zu einer Autorität für die Deutschen per se zu stilisieren, auf die jedermann gehört hätte, ist doch etwas gewagt.
Da gab es durchaus auch Gegenbilder und Gruppen, die mit dem, was Treitschke auch zu anderen Themen, als den Juden so von sich gab, überhaupt nicht einverstanden sein konnten.

Das Treitschke in seiner Feindschaft gegenüber den Juden vor allem auf Kulturelle Aspekte abzielte, die nicht wirklich gut zum Antisemitismus der Nazis passten, ist bereits von anderer Seite thematisiert worden.


Bei Dühring sehe ich im Gegensatz zu Treitschke, wo dass sicherlich einige Plausibilität hat, die breite Reichweite nicht.
Der Vorstellung, dass man Dühring im Gegensatz zu diversen anderen durchaus als einen mindestens mittelbaren Vorgänger der Rassendenke des Nationalszialismus betrachten kann, würde ich durchaus zustimmen*, was ich demgegenüber nicht sehe ist die von dir unterstellte Reichweite.

Der Mann versuchte in irgendeiner Form Nationalismus Rassismus und Sozialismus mit einander zu verbinden und hatte am Ende der 1870er und Anfang der 1880er Jahre ein paar Anhänger in der Arbeiterbewegung, aber gerade da setzten sich seine Vorstellungen nicht durch und gerade dieses Millieu erwies sich dem Nationalsozialismus gegenüber als stark resistent.
Für so ziemlich jeden Angehörigen der alten Eliten oder Bürgerlichen des 19. Jahrhunderts musste der Mann auf Grund seiner ideologischen Experimente mit Versatzstücken sozialistischer Anschauungen vollkommen untrabar erscheinen.
Dühring war, wenn man so möchte, seiner Zeit insofern zu weit voraus als dass seine Vorstellungen in seiner Zeit breitere Akzeptanz hätten finden können, weil die gesellschaftlichen und materiellen Entwicklungen, die einen Kompromiss zwischen Sozialismus, Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus für die Zeitgenossen attaktiv erscheinen lassen konnten erst durch die Verwerfungen des 1. Weltkriegs geschaffen wurden.

Dürings Vorstellungen in modifizierter und verschärfter Weise fanden sicherlich durch Rezption Eingang an die Schriften Antisemitischer Autoren, der letzten Dekade des 19. und dem Beginn des heraufdämmernden 20. Jahrhunderts.
Aber im Gegensatz zu einigen (durchaus bei weitem nicht aller) seiner später aufgegriffenen und modifizierten Vorstellungen hatte Dühring seinerzeit selbst keine besondere Reichweite/Wirkmächtigkeit.


*Allerdings weniger in dem Sinne, als dass er die pseudobiologischen Auffassungen der Nazis vorweggenommen hätte, als viel mehr dahingehend, dass seine Denke sich als Vehikel für die Transformation hin zu einem pseudobiologisch aufgealdenen Modell verstehen lässt, ohne es selbst bereits dezidiert zu sein.
 
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