Man könnte tatsächlich meinen, Nazis würden trotz ihres Antisemitismus gewählt, weil dieser Antisemitismus in ihren Wahlkämpfen der 1930er Jahre kaum noch eine Rolle spielte. Das war gewollt, denn inzwischen gab es die Weltwirtschaftskrise mit Millionen von Arbeitslosen. Also besann sich NSDAP auf ihren Namen (National-Sozialistische-Deutsche-Arbeiterpartei) und warb verstärkt um Arbeiter. Und zwar mit den gleichen oder ähnlichen Parolen wie die SPD und die Kommunisten sie hatten.
Diesen Unfug hatte ich die Tage überlesen:
Die Behauptung, die NSDAP habe sich Anfang der 1930er Jahre verstärkt um Arbeiter bemüht (verglichen mit vorher) entbehrt jeglicher Grundlage.
Viel mehr ist es eine Tatsache, dass innerhalb der NSDAP Mitte 1930 der Strasser-Flügel der genau das gefordert hatte weitgehend entmachtet wurde.
Gregor Strasser sah sich gezwungen gegen über Hitler nachzugeben und sich dessen Kurs, der auf eine Allianz mit dem konservativen Bürgertum hinauslief zu unterwerfen und war von da an als innerparteilicher Gegner von Hitlers Konzeptionen mehr oder minder klatgestellt (zumindest bis v. Schleicher 1932 Positionen aufgriff, die den Vorstellungen des vormaligen Strasserflügels nahekamen um zu versuchen die NSDAP entweder in eine Kooperation mit der Regierung zu zwingen oder zu spalten), Otto Straßer als der eigentliche Vordenker dieses Flügels, sah sich gezwungen aus der NSDAP auszutreten und veröffentlichte anschließend eine Kampfschrift mit dem Titel "Die Sozialisten verlassen die NSDAP", in der er Hitlers Kurs und den der Partei scharf angriff.
Die meisten bis 1930 am Strasser-Flügel orientierten Nazis arangierten sich in der Folge mit Hitlers Kurs oder traten ebenfalls aus.
Die Behauptung die NSDAP, hätte gerade in den 1930er Jahren, also gerade als Hitler seinen Vorstellungen gegen den Strasser-Flügel durchgeboxt und die Vertreter einer machtpolitischen Allianz mit den Arbeitermillieus untergebuttert oder aus der Partei getrieben/geworfen hatte, zu Lasten des Antisemitismus auf einen Kurs umgeschwenkt, der sich auf die Arbeitermillieus konzentriert hätte ist Quatsch.
Lässt sich übrigens auch auch an den Wehlergebnissen sehen.
Das die NSDAP in den Städten, im Besonderen in den Industriestädten, stets deutlich unter ihrem reichsweiten Durchschnitt abschnitt, kommt nicht daher, dass sie sich besonders um die Abrbeitermillieus bemüht hätte.
Ach, im Übrigen, weil mich das gerade interessiert:
Wie passt deine Behauptung hier, die NSDAP habe ihren Antisemitismus als Wahlkampfthema in den 1930er Jahren zurückgefahren, zu deiner an anderer Stelle vorgetragenen Behauptung, der Antisemitismus der Nazis sei auf Grund irgendwelcher verstaubter Einlassungen Luthers von vor 400 Jahre vorher der ausschlaggebennde Punkt gewesen um die Protestanten als Wählergruppe für den Nationalsozialismus zu mobilisieren?
Habe ich das richtig verstanden, dass du damit behaupten möchtest, dass die NSDAP dadurch in den Wahlkämpfen der 1930er Jahre ihre Antisemitismus zu kaschieren, den Judenhass der Protstanten getriggert und sie zum Wahlgang für die Hitler-Bewegung animiert habe?
Reichlich seltsame Vorstellung.
Du darfst die Publikumswirksamkeit nicht unterschätzen, denn ist erstmal der Boden für dieses Denken bereitet, dann ist nur noch ein weiterer Schritt nötig, um auch Verbrechen gegen die Juden zu akzeptieren, die im und nach Jahr 1933 stattfanden.
Also erstmal ist es grober Unsinn zu unterstellen, dass das aus Ablehnung einer bestimmten Gruppe durch eine Person automatisch die Bereitschaftdieser Person resultieren oder naheliegen würde, Verbrechen gegen diese Gruppe zu akzeptieren oder gar selbst zu betreiben.
Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass am Ende des 19. Jahrhunderts ein Wiederaufleben des Judenhasses, diesmal in Gestalt des Antisemitismus in Europa stattfand.
Gleichzeitig waren allerdings die grundlegenden Rechte der Juden und aller Personen, die Antisemiten für Juden hielten allerdings so umfassend geschützt, wie nie zuvor in der europäischen Geschichte, jedenfalls was West- und Zentraleuropa (bei der iberischen Halbinsel bin ich mir nicht sicher) angeht und es gab bei allen antisemitischen Anfeindungen kaum gesellschaftliche Resonanz für radikalantisemitische Ansinnen, die eine erneute Entrechtung der Juden propagierten.
Jedenfalls, was die Zeit vor dem 1. Weltkrieg betrifft.
Publikumswirksamkeit zu behaupten reicht nicht aus, um damit argumentieren zu können, dafür müsste man sie schon auch belegen.
Bei Treitschke wird man die Behauptung, dass dieser als Person des öffentlichen Lebens und auch in seiner Funktion als Abgeordneter bei den Nationalliberalen eine gewisse Reichweite hatte.
Inwiefern ihn sein Wirken als bekannter Historiker in irgendeiner Form zu einer intellektuellen Autorität für die Massen der Bevölkerung machte, da wird man diskutieren können.
Bei dem Umstand, dass er sicherlich zu den wirkmächtigsten Historikern des 19. Jahrhunderts in Deutschland zählete und zu einer prominenten Figur der Nationalgeschichtsschreibung anvancierte, darf man, denke ich nicht übersehen, dass Treitschke was den Inhalt seines Werks betrifft doch stark zum Borussianismus neigte.
Dieses stark auf die preußische Monarchie und den Protestantismus bezogene Geschichtsbild kam sicherlich im protestantischen Bildungsbürgertum und bei den alten Eliten gut an.
Bei den Katholiken zumal in der Kulturkampf-Zeit sicherlich nicht.
Bei der Arbeiterbewegung, zumal unter dem Sozialistengesetz, dass ihr die von Treitschke gepriesene preußische Monarchie kredenzte sicherlich auch nicht.
Bei den Linksliberalen, die Bismarck seinen Verfassungsbruch während des preußischen Verfassungskonfliktes nachhaltig übel nahmen und sich stärkere Rechte für das Parlament wünschten, wird Treitschkes positive Bewertung Bismarcks und der doch sehr konservativen bismarck'schen Reichsverfassung so wie ein doch eher negatives Bild der Revolution von 1848 und der Liberalen im preußischen Landtag, die ihrerzeit gegen die Heeresvermehhrungen und das Indemnitätsgesetzt waren auch nicht unbedingt besonders zustimmungsfähig vorgekommen sein.
Insofern Treitschke auf Grund seines Renomées und seiner Reichweite die er sicherlich hatte, zu einer Autorität für die Deutschen per se zu stilisieren, auf die jedermann gehört hätte, ist doch etwas gewagt.
Da gab es durchaus auch Gegenbilder und Gruppen, die mit dem, was Treitschke auch zu anderen Themen, als den Juden so von sich gab, überhaupt nicht einverstanden sein konnten.
Das Treitschke in seiner Feindschaft gegenüber den Juden vor allem auf Kulturelle Aspekte abzielte, die nicht wirklich gut zum Antisemitismus der Nazis passten, ist bereits von anderer Seite thematisiert worden.
Bei Dühring sehe ich im Gegensatz zu Treitschke, wo dass sicherlich einige Plausibilität hat, die breite Reichweite nicht.
Der Vorstellung, dass man Dühring im Gegensatz zu diversen anderen durchaus als einen mindestens mittelbaren Vorgänger der Rassendenke des Nationalszialismus betrachten kann, würde ich durchaus zustimmen*, was ich demgegenüber nicht sehe ist die von dir unterstellte Reichweite.
Der Mann versuchte in irgendeiner Form Nationalismus Rassismus und Sozialismus mit einander zu verbinden und hatte am Ende der 1870er und Anfang der 1880er Jahre ein paar Anhänger in der Arbeiterbewegung, aber gerade da setzten sich seine Vorstellungen nicht durch und gerade dieses Millieu erwies sich dem Nationalsozialismus gegenüber als stark resistent.
Für so ziemlich jeden Angehörigen der alten Eliten oder Bürgerlichen des 19. Jahrhunderts musste der Mann auf Grund seiner ideologischen Experimente mit Versatzstücken sozialistischer Anschauungen vollkommen untrabar erscheinen.
Dühring war, wenn man so möchte, seiner Zeit insofern zu weit voraus als dass seine Vorstellungen in seiner Zeit breitere Akzeptanz hätten finden können, weil die gesellschaftlichen und materiellen Entwicklungen, die einen Kompromiss zwischen Sozialismus, Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus für die Zeitgenossen attaktiv erscheinen lassen konnten erst durch die Verwerfungen des 1. Weltkriegs geschaffen wurden.
Dürings Vorstellungen in modifizierter und verschärfter Weise fanden sicherlich durch Rezption Eingang an die Schriften Antisemitischer Autoren, der letzten Dekade des 19. und dem Beginn des heraufdämmernden 20. Jahrhunderts.
Aber im Gegensatz zu einigen (durchaus bei weitem nicht aller) seiner später aufgegriffenen und modifizierten Vorstellungen hatte Dühring seinerzeit selbst keine besondere Reichweite/Wirkmächtigkeit.
*Allerdings weniger in dem Sinne, als dass er die pseudobiologischen Auffassungen der Nazis vorweggenommen hätte, als viel mehr dahingehend, dass seine Denke sich als Vehikel für die Transformation hin zu einem pseudobiologisch aufgealdenen Modell verstehen lässt, ohne es selbst bereits dezidiert zu sein.