Gang nach Canossa!

fingalo schrieb:
Außerdem halte ich es für wichtig, die Bewertung ex post von einer Bewertung ex ante zu trennen.
Hinterher ist man immer klüger.
Man weiß vorher nie, wie die anderen reagieren werden.

Ich halte es daher für das wichtigste, zu sehen, welche Karten denn Heinrich auf der Hand hatte, als er sein Spiel spielte, und welche Möglichkeiten seiner Gegner er mit welcher Wahrscheinlichkeit voraussehen konnte.

Der Bann über Könige war ja nichts außergewöhnliches, oft zusammen mit dem Interdikt über ein ganzes Land.

Heinrich II. v. England nach der Ermordung Beckets.
1172 ließ er deshalb sich zur Buße mit nacktem Rücken geißeln.
1174 ging er barfuß im Büßergewand mit einem Strick gegürtet nach Canterbury zum Grabe von Tomas Becket und ließ sich am nächsten Tag von den Mönchen auf den nackten Rücken geißeln.

Blanca von Kastilien musste den späteren König Ludwig VIII. in Port Mort in der Normandie heiraten, weil Frankreich unter dem Inderdikt stand und dort keine religiöse Feier stattfinden durfte.

Herzog Leopold wurde exkommiziert, weil er Richard Löwenherz in Gefangenschaft hielt.

In keinem der Fälle hatte dies die politischen Folgen, dass man den Gebannten absetzen wollte.

Fingalo

Dabei aber bitte nicht vergessen, dass Heinrich IV und Canossa 1077 war. 100 Jahre später hatte der Bann viel von seiner Wirkung bereits verloren.
 
Die Exkommunikation eines Kaisers hatte auch noch eine ganz andere Dimension als die eines Königs. Bis Canossa war der Kaiser das ideelle Oberhaupt ALLER katholischen Staaten und der Kirche, der einen Papst ab-und einsetzen konnte - die Person des Kaisers hatte also sakrale Bedeutung. Damit war es danach vorbei.
 
Andronikos schrieb:
Die Exkommunikation eines Kaisers hatte auch noch eine ganz andere Dimension als die eines Königs. Bis Canossa war der Kaiser das ideelle Oberhaupt ALLER katholischen Staaten und der Kirche, der einen Papst ab-und einsetzen konnte - die Person des Kaisers hatte also sakrale Bedeutung. Damit war es danach vorbei.
Auch der König leitete sein Amt von Gott her.
@Papa_Leo: Und warum? Auch danach war rechtlich gesehen mit der Bannung die Lehnsverpflichtung aufgelöst.
Ich glaube eher, dass es in der Person Heinrichs IV. lag, dass man diese Gelegennheit benutzte. Wäre er ein beliebterer Mensch gewesen, hätte man auch bei ihm schon einfach zugewartet und nicht sogar trotz seiner Rehabilitation einen Gegenkönig gewählt.
Althoff hat vor kurzem über sein Vorhaben, eine Biographie zu Heinrich IV. zu verfassen, einen Kurzvortrag gehalten. Daraus ging hervor, dass er sehr autokratisch regierte, also die Ratgeber des Reiches nicht respektierte, was zu dieser Zeit großen Unmut unter den politischen Führungskräften des Reichs hervorrief. Der Bann des Papstes kam ihnen da sehr gelegen.
Ich entnahm seinem Vortrag, dass der selbstherrliche Führungsstil mehr zur Schwächung des Kaisers beigetragen habe, als der Bann. Der Bann war da nur der letzte Tropfen und brachte zum Ausbruch, was schon vorher geschwelt hatte.


Fingalo
 
Tatsächlich denke ich, daß einer der Beweggründe Heinrichs bislang
noch nicht ausgiebig beleuchtet wurde, nämlich die geistliche Ebene!
Trotz des Machtstreites, vor dessen Hintergrund der Gang nach Canossa
erfolgte, war natürlich der Bann des Papstes etwas, was einen Menschen
der damaligen Zeit (auch einen König) gewaltig bewegte und je länger je
mehr wahrhaft "auf der Seele lag"; in einer Zeit, in der laufend von
Wundern und wunderlichen Fügungen berichtet (und größtenteils 1:1
geglaubt) wurde! Man denke z. B. an die Worte des "Gegenkönigs"
Rudolf von Rheinfelden in Bezug auf seine verlorene rechte Hand:
"Das war die Hand, mit der ich meinem Herrn Heinrich einst die
Treue geschworen..."!
Außerdem hätte Heinrich IV ja zumindest noch eine andere Möglichkeit
gehabt: Als er nach der beeindruckenden Alpenüberquerung im Winter
in Italien ankam, wurde er von den Bewohnern der Lombardei stürmisch
begrüßt, die wähnten, er würde (wie viele Kaiser und Könige zuvor) für
"Ordnung sorgen", den ungeliebten Gregor absetzen und einen Gegen-
papst einsetzen. Tatsächlich jedoch hatte er Mühe, die Bewohner von
der Friedlichkeit seiner Reise zu überzeugen und weiterzuziehen.
Desweiteren gedenke man der Szene, als Heinrich letztendlich in
Canossa eingelassen wird: Heinrich wirft sich auf den Boden und wird
von Gregor aufgeholfen, sie weinen und umarmen sich und tauschen
den Friedenskuss, danach folgt ein gemeinsames Abendmahl in der
Schlosskapelle.
Natürlich kann man das alles als von beiden Seiten wohlberechnet und
kalkuliert hinstellen, vor dem Hintergrund der damaligen Zeit jedoch, denke
ich, würde das dem nicht ganz gerecht.
 
Desweiteren gedenke man der Szene, als Heinrich letztendlich in Canossa eingelassen wird: Heinrich wirft sich auf den Boden und wird von Gregor aufgeholfen, sie weinen und umarmen sich und tauschen den Friedenskuss, danach folgt ein gemeinsames Abendmahl in der Schlosskapelle.
Natürlich kann man das alles als von beiden Seiten wohlberechnet und kalkuliert hinstellen, vor dem Hintergrund der damaligen Zeit jedoch, denke ich, würde das dem nicht ganz gerecht.

Dann empfehele ich Dir das gut recherchierte Buch von Gerd Althoff Spielregeln der Politik im Mittelalter, der darin den Gang nach Canossa als eine Episode unter vielen herausstellt, die genau so oder ähnlich abgelaufen sind. Ergo: es war sehr wohl inszeniert.
 
Dann empfehele ich Dir das gut recherchierte Buch von Gerd Althoff Spielregeln der Politik im Mittelalter, der darin den Gang nach Canossa als eine Episode unter vielen herausstellt, die genau so oder ähnlich abgelaufen sind. Ergo: es war sehr wohl inszeniert.
Also von einer "Inszenierung" würde ich da nicht reden, denn immerhin ging es für den König dabei um den Thron. Der Bannspruch des Papstes kam jedoch auch nicht überraschend, denn vorausgegangen war ein Briefwechsel, in dem Gregor VII. versuchte, seine 27 Thesen in dem von ihm selbst aufgestellten "Dictatus Papae" gegenüber dem König durchzusetzen, die ihm auch unumschränkte weltliche Macht gebracht hätten. Diese Forderungen waren politisch eine Neuheit, denn der Papst versuchte, aktiv in die Reichspolitik einzugreifen, den deutschen König zu degradieren und in seinen Machbefugnissen zu beschneiden. Heinrich IV. reagierte darauf, in dem er im Januar 1076 eine Reichsversammlung in Worms einberief, die gleichzeitig auch eine Synode unter dem Vorsitz des Erzbischofs von Mainz war. Dort verfassten sie ein Absageschreiben "an den Bruder Hildebrand, der nicht mehr Papst, sondern den falschen Mönch". Sinngemäß wurde der Papst bezichtigt, er hätte Erzbischöfe und Bischöfe wie Knechte behandelt und sie dem Pöbel preisgegeben. Pathetisch schloß er: "So steige du denn, der du ... verdammt bist, herab, verlasse den apostolischen Stuhl, den du dir angemaßt hast... Ich Heinrich, durch Gottes Gnade König, sage dir zusammen mit allen meinen Bischöfen: Steige herab, steige herab."
Bereits in Februar 1076 erfolgte der Bannfluch des Papstes, der ebenso hart ausfiel. Daraufhin formierte sich eine Fürstenopposition und im Oktober 1076 beriefen sie unter der Leitung Ottos von Northeim einen Fürstentag nach Tibur ein, in dem dem König das Ultimatum gestellt wurde, er solle sich binnen Jehresfrist vom Banne lösen, anderenfalls ginge er der Krone verlustig. So wurde Heinrich IV. zu seinem Gang nach Canossa gezwungen.
Aus diesem kurzen Abriß der Ereignisse wird m.E. sehr deutlich, daß es sich hierbei um einen knallharten Machtkampf zwischen dem deutschen König und dem Papst handelte.

@ Nettelbeck:
"...Außerdem hätte Heinrich IV ja zumindest noch eine andere Möglichkeit
gehabt: Als er nach der beeindruckenden Alpenüberquerung im Winter
in Italien ankam, wurde er von den Bewohnern der Lombardei stürmisch
begrüßt, die wähnten, er würde (wie viele Kaiser und Könige zuvor) für
"Ordnung sorgen", den ungeliebten Gregor absetzen und einen Gegen-
papst einsetzen..."


Übrigens sprach der Papst 1180 gegen Heirnich ein zweites mal den Bann aus. Dieser verfehlte jedoch seine beabsichtigte Wirkung und die deutschen und italienischen Bischöfe wählten einen Gegenpapst. Dies konnten aber nur die Bischöfe tun, der König selbst konnte keinen Papst nach belieben ein- oder absetzen.
 
Knallharter Machtkampf und Inszenierung schließen sich nicht aus. Die Inszenierung beschränkt sich auf den Gang nach Canossa und die dort stattfindenden Ereignisse, schließt nicht die Vorgeschichte mit ein. Solche Inszenierungen dienten, nach Althoff, der unblutigen Beendigung von Fehden, unter möglichst geringem Gesichtsverlust für beide Seiten.
 
Mercy + El Quijote:
Das ist ja alles richtig. An dem Begriff "Inszenierung" störte mich nur, daß es irgenwie nach Theaterspiel klingt. Theater wurde da aber nicht gespielt, es wurden nur christliche Rituale an die Stelle von Kampfhandlungen gesetzt.
 
Symbolische Handlungen haben nur dann einen Sinn, wenn sie jemand sieht, also wenn Publikum vor Ort ist. Das kann zufällig anwesendes Volk sein, ist aber i.d.R. nur der Hof und der anwesende Adel. Insofern kann man schon von einer Art Theater sprechen, dem alle möglichen Verhandlungen vorausgehen. Althoff nennt noch ein anderes Bsp.: König Konrad III. und der bayrische Markgraf der Toskana Welf VI. waren verfeindet. Weihnachten 1146 predigte Bernhard von Clairvaux öffentlich in Speyer, eine Kreuzugspredigt. Konrad brach in Tränen aus und nahm das Kreuz. Zeitgleich brach Welf VI. in Peiting in Bayern in Tränen aus und nahm ebenfalls das Kreuz. Gemeinsam ging man 1147 auf den Zweiten Kreuzzug. Solche öffentlichen Tränenausbrüche waren nichts weiter als Inszenierungen. Sie sind hundertfach in mittelalterlichen Quellen belegt.
 
Mercy + El Quijote:
Das ist ja alles richtig. An dem Begriff "Inszenierung" störte mich nur, daß es irgenwie nach Theaterspiel klingt. Theater wurde da aber nicht gespielt, es wurden nur christliche Rituale an die Stelle von Kampfhandlungen gesetzt.


Nenne es Welttheather ; von Heinrichs innerdeutscher Opposition wurden in der gegebenen Frist sichtbare Zeichen der Aussoehnung mit dem Papst verlangt. Diesem Dilemma war nur mit einer grossen Geste aus dem Weg zu gehen. Sichtbar , daher wirksam war auch der spaetere Sieg gegen den Gegenkoenig R.v. Schwaben, der in der Schlacht die rechte Hand, die Schwurhand gegen Heinrich verlor. Das hat gewirkt, das war auch ein sichtbarer Beweis ....die sichtbare Macht des Faktischen.
 
Ich würde dann gern noch Eure Einschätzung erfahren, warum Heinrich IV.
nach der Alpenüberquerung und dem überschwenglichen Empfang durch
die Einwohner der Lombardei nicht versuchte, seine Kräfte zu verstärken
und Gregor in der "altbewährten" Art und Weise einfach aus dem Weg
zu räumen; die Gelegenheit zu einem Handstreich erscheint zumindest auf den ersten Blick günstig!?!
 
Gebe Mercy Recht. Wenn Heinrich die Hilfe der "Einwohner der Lombardei" angenommen hätte, wäre er doch in deren Abhängigkeit geraten und sie hätten Forderungen an Heinrich stellen können, die dieser nur ungern oder gar nicht erfüllen konnte und/oder wollte.
 
Ich finde, dass wenn man über Erfolg oder Demütigung spricht, man eindeutig zwischen dem Königtum und Heinrich unterscheiden muß.

Für das Königtum war es natürlich eine Niederlage. Das von Heinrich III. stark gemachte Reformpapsttum konnte eine noch nie da gewesene Machtposition erreichen. Obwohl die Könige des HRR in Deutschland auch nach Beendigung des Investiturstreits durch die Investitur durch das Zepter in die weltliche Macht der Bischöfe immernoch Macht über die Bischofssitze hatten, konnten sie das kanonische Wahlrecht nicht mehr ignorieren.

Für Heinreich IV. selbst war es allerdings eindeutig ein geglückter Schachzug. Er war quasi am Ende seiner Macht angelangt und hätte das Königtum wohl verloren, wenn er nicht zumindest kurzzeitig einen kleinen Keil zwischen die Fürstenopposition und den Papst getrieben hätte.
So konnte er wenigstens wieder mehr Anhänger in Deutschland gewinnen um Rudolf von Rheinfelden entgegenzutreten. Obwohl er alle 3 Schlachten verloren hatte, war der Nutzen für die Opposition nicht so groß, dass sie ihn besiegen konnten bis er durch das "Gottesurteil" (Tod Rudolfs) trotzdem den Sieg bzw. die Erhaltung seiner Königsmacht erreichen konnte (zumindest bis zum Aufstand seines Sohnes).

Insgesamt finde ich es auch etwas merkwürdig wie der Gang von Canossa in den Medien dargstellt wird, wie z.B. bei Galileo. Da wird immer nur die Demütigung gezeigt und die anscheinende Niederlage des Königs. Aber davon, dass Gregor vor Heinrich aus Rom flüchten mußte und quasi sich nur durch den Schutz der Normannen überhaupt retten konnte, wird nichts berichtet.
 
Liebe Geschichtsforenmember ;)

Habe heute den Auftrag bekommen in Geschichte und Politische Bildung einen Vortrag unter der Überschrift: "Gang nach Canossa" zu erarbeiten und das schon recht bald. Bin dann auch gleich in die nächstgelegene Bibliothek gehetzt um mal zu schauen ob und wenn ja wieviel Material ich finde. Summa Summarum kam ich am Ende auf 1 Buch das über dieses Thema handelt und das is ziemlich dick :grübel:

Der Vortrag muss eine komplette Unterrichtsstunde ausfüllen (also 45mins) und kann somit auch ausschweifender bei Ursache, Wirkung und Verlauf des ganzen sein, so mein Geschichtslehrer.

Ich sehe aber in diesem Thema sehr wenig durch, da Mittelalter noch nie mein Fachgebiet war.

Und nun frage ich euch um Hilfe.
Mir ist klar, dass niemand hier einen 45minütigen Vortrag aufzimmert aber ich wäre schon sehr dankbar wenn jemand mir eine Grundgliederung oder ein Gerüst geben könnte. Ich kann sehr ausführlich über den geschichtlichen Hintergrund reden, die genauere Ursache, den Anlass, den Verlauf und die Folgen bzw. Auswirkungen bezüglich des "Ganges nach Canossa". Am Ende könnte ich noch eine Diskussion in der Klasse einleiten doch fehlt mir auch hier die "zündende" Idee. :still:

Danke schonmal im vorraus an alle :yes:

MfG Syd
 
Sorry, dass das hier im falschen Bereich gepostet ist. Bitte antwortet trotzdem hier.
Nächstes Mal bin ich schlauer ;)

lg Syd
 
Vielleicht findest Du ja in folgenden Threads einige Anregungen:
http://www.geschichtsforum.de/f44/canossa-11494/
http://www.geschichtsforum.de/f44/canossa-11660/
http://www.geschichtsforum.de/f49/der-gang-nach-canossa-wie-ist-er-zu-bewerten-3652/
http://www.geschichtsforum.de/f49/rollenspiel-zu-gang-nach-canossa-9517/

Die Abschlußdiskussion könntest Du übrigens bspw. unter die Überschrift stellen, unter welcher auch die Sonderausstellung Heinrich IV. im Historischen Museum der Pfalz in Speyer stand:
http://www.geschichtsforum.de/181152-post9.html

Sorry, dass das hier im falschen Bereich gepostet ist. Bitte antwortet trotzdem hier.
Nächstes Mal bin ich schlauer ;)

Halb so schlimm; es wird von uns sowieso in den entsprechenden Bereich verschoben - spätestens, wenn wir hier wieder aufräumen... :fs:
 
Gibts jemanden der mir evtl. eine Grundgliederung zusammenstellen könnte an der ich mich bei meiner Recherche orientieren muss.

lg Syd
 
Zurück
Oben